Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT


INTERVIEW/047: Burg Waldeck - Musizieren Furcht verlieren ...    Amei Scheib im Gespräch (SB)


"Miteinander in der Verschiedenheit"

Linker Liedersommer auf Burg Waldeck vom 19. bis 21. Juni 2015


Amei Scheib lebt als freiberufliche Künstlerin im Bereich Musik in Saarbrücken. Die Chorleiterin, Gesangslehrerin und Sängerin ist in mehreren Chorprojekten aktiv. Auf dem Linken Liedersommer war sie mit einem Workshop zum Thema "Auswandern und Ankommen - Lieder von Migration, Flucht und neuer Heimat" vertreten, dessen Ergebnisse am Abend auf der Bühne präsentiert wurden. Anschließend trugen Amei Scheib und der ebenfalls in Saarbrücken lebende Daniel Osorio auf virtuose Weise internationale Lieder vor.


Im Workshop - Foto: © 2015 by Schattenblick

Amei Scheib
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Amei, was verbindet dich mit der politischen Ausrichtung des Linken Liedersommers?

Amei Scheib (AS): Eine lange persönliche Geschichte. Ich habe meine musikalische Ausbildung vor vielen Jahren bei den Gewerkschaften und beim Victor-Jara-Treffen in Aurach begonnen. Zusammen mit der linken Bewegung habe ich Dirigieren und Chorleitung gelernt und später mein Studium angeschlossen, aber mein musikalisches Zuhause waren erst einmal die Nerother Wandervögel und der Alpenverein. Danach kam die linke Liederbewegung.

SB: Wie kam der Kontakt mit dem Nerother Wandervögeln zustande?

AS: Mein Vater war ein Nerother. So gesehen habe ich eine ganz große Nähe zu der Tradition der Nerother. Ich bin deswegen auch gerne hergekommen. Ich war noch nie hier und bin jetzt ein bißchen traurig, weil hier vieles vernietet und vernagelt ist.

SB: Hast du von der Auseinandersetzung, die zwischen der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (ABW) und den Nerothern geführt wurde, gehört?

AS: Ich kenne sie aus einem Buch, wobei ich dazu sagen muß, daß ich es bei den Nerothern bestellt habe. Insofern ist es aus ihrer Perspektive geschrieben, aber das ist schon in Ordnung, weil ich mir alles andere selber dazudenken kann.

SB: Ist der Titel deines Workshops "Auswandern und Ankommen" auf die Flüchtlingsproblematik gemünzt?

AS: Ja, das war der Ansatzpunkt, weil ich in Saarbrücken viel mit Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund arbeite, vor allem mit Türken, aber auch mit Albanern und Menschen anderer Herkunft. Außerhalb der linken Bewegung bin ich auch in der Chorszene im Saarland bekannt. Als ich festgestellt habe, daß wir von den Liedern der Menschen mit Migrationshintergrund nichts wissen, habe ich das Projekt "Singbar" gestartet und migrantische Menschen um eine Liedergabe gebeten.

Wir reden immer nur darüber, was uns die Migranten kosten, aber wir haben auch einen großen Reichtum durch diese Menschen. Wir essen alle gerne Kebab und selbstverständlich auch Spaghetti oder gehen zum Asiaten. Ihre kulinarische Küche kennen wir, aber sie bringen uns auch etwas Kulturelles. Deshalb bat ich sie um eine Liederspende, um sie dann von Komponisten und Komponistinnen für den Chor vertonen zu lassen. Dieses bearbeitete Liedmaterial haben wir in die Webseite singbar-international.de zum Herunterladen gestellt und uns entschlossen, es in Chören aufzuführen.

SB: Gibt es in den Herkunftsländern dieser Lieder auch eine Chortradition oder habt ihr die Lieder lediglich in eine hierzulande übliche Form übersetzt?

AS: Das ist ganz unterschiedlich. In einigen Ländern wie zum Beispiel der Türkei gibt es strenggenommen keine Chortradition. Die türkische Musik ist meistens einstimmig. In anderen Kulturen wie zum Beispiel in Rußland spielt Chormusik eine wichtige Rolle. Jeder kennt den Don Kosaken-Chor. Bemerkenswert fand ich, daß die Menschen, die uns die Lieder geschenkt haben, unglaublich stolz darauf waren und uns alles über ihre Lieder erzählen wollten, was zu einer großen Identifikation mit dem Projekt geführt hat. Das hat mir sehr gefallen.

SB: Leistest du damit auch Aufklärungsarbeit in Hinsicht auf die verbreitete Meinung, daß diese Menschen hier im Grunde nichts zu suchen hätten?

AS: Ich leiste einen Beitrag der Annäherung. So werde ich in vierzehn Tagen auf der Chorleiterausbildung des Chorverbands den angehenden Chorleitern von diesem Projekt erzählen. Ich versuche, sie und den Chorverband als Träger dafür zu gewinnen, im nächsten Jahr auch noch ein Seminar zum Thema zu machen. Es ist gar nicht so leicht für einen Chor, ein albanisches oder bulgarisches Lied so authentisch wie möglich zu singen.

SB: Gibt es da auch eine Verbindung zum Genre der Weltmusik?

AS: Ja, mit meinen Chören mache ich auch viel Weltmusik und glaube, daß meine Leute das ganz gut hinkriegen. Trotzdem ist es immer noch schwer, in anderen Sprachen zu singen, vor allem, wenn man auf der Bühne steht, denn zum Lied gehören oft auch Tanzschritte dazu. Das ist eine sehr lebendige Musik. Teil der Arbeit ist auch, dafür zu werben, daß wir mit den Menschen, die mittlerweile zu uns gekommen sind, zusammenwachsen und sie vielleicht auch in unsere Chöre integrieren, indem wir sie freundlich bitten, uns dabei zu helfen, ein bestimmtes Lied zu lernen und es dann mit uns zu spielen. Wir haben auch junge türkische Musiker, die das Instrument Saz spielen. Mein Anliegen ist, daß auf diese Weise ein anderes Miteinander entsteht. Ich persönlich liebe diese Musik.

SB: Hierzulande ist das allgemeine Wissen über die englischsprachige Popkultur weit größer als über die Musik Frankreichs. Hast du als Saarländerin dennoch eine besondere Beziehung zur französischen Musikkultur?

AS: Ich habe ein gutes Verhältnis zur französischen Sprache, zum französischen Land und zum französischen Essen, und meine Nähe zur französischen Musikkultur ist genauso intensiv wie meine Nähe zur italienischen und der anderer Länder. Ich erlebe es oft so, daß die jungen Leute bei uns eine Motivation brauchen. Mir wurde erzählt, daß viele Kinder und junge Leute jetzt französisch lernen wollen, weil sie von einer neuen französischen Sängerin begeistert sind. Ich finde es klasse, daß so etwas funktioniert.


Amei Scheib im Workshop - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Singen ist die beste Möglichkeit, sich nahezukommen, ohne sich anzufassen"
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Kann das Singen im Chor über das rein Musikalische hinaus Gemeinschaftsgefühl und soziale Ambitionen wecken?

AS: Singen ist die beste Möglichkeit, sich nahezukommen, ohne sich anzufassen. Durch Singen berühren wir uns mit Hilfe der Schwingung, die wir erzeugen. Singen stärkt den Selbstwert und die Fähigkeit, daß ich meins mache und den anderen höre. Das ist das schwierige im Chor: Ich muß meine Stimme singen, aber auch die Ohren aufmachen für die anderen. Dieses Miteinander in der Verschiedenheit ist eigentlich das, was wir alle können müssen, indem wir uns selbst stärken und das andere wahrnehmen und einbeziehen.

SB: Bist du schon einmal mit dem Vorbehalt konfrontiert worden, daß die Tradition des Singens in Gesangsvereinen eine nationalistische Schlagseite hat?

AS: Meine Erfahrung ist eher, daß die Chöre ganz allgemein überaltern, was übrigens auch für die Gesangsvereine gilt, die meines Erachtens weniger nationalistisch als vielmehr konservativ sind. Sie singen die Lieder auf eine bestimmte sentimentale Weise, aber weil diese Generation ausstirbt, passiert nicht mehr viel. Was jetzt nachkommt, ist eine junge Generation von Chören, die sich sehr stark oder sogar ausschließlich für Popmusik interessiert. Es sollte aber auch noch andere Vorbilder geben wie zum Beispiel Oratorien-Chöre oder Ensembles, die klassische Werke aufführen. Daß sich die freie Chorszene in erster Linie an der Populärmusik orientiert, ist an sich nicht schlecht. Sie singen oft sehr gut, auch schwierige Sachen, aber dennoch wünschte ich mir in dieser Hinsicht mehr Vielfalt, vor allem mit Blick auf die Hinwendung zu anderen Sprachen. Warum muß alles Mainstream sein?

SB: Beim Singen in Chören scheinen die Texte der Lieder eher in der Kunstform aufzugehen, während die Inhalte hier auf dem Linken Liedersommer im Vordergrund stehen. Wie bewertest du das Anliegen, mit Gesang auch etwas Spezifisches auszudrücken?

AS: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Es gibt noch linke und engagierte Chöre, aber sie sind in der Minderheit. Singen ist in der Regel eine Verbindung aus Text und Musik. Beides muß dargestellt werden, aber das können ganz verschiedene Inhalte sein.

SB: Die Stimme war das erste Instrument. Heutzutage haben wir es in der Musik mit einer digitalisierten Kultur zu tun, die es Menschen auf der einen Seite sehr leicht macht, selbst Musik zu produzieren. Kündigt sich beim Singen in seiner elementaren Form deiner Einschätzung nach eine Renaissance an oder wird es durch die Dominanz der digitalen Klangwelten eher verdrängt?

AS: Ich denke, es ist ein Nebeneinander. Den Wunsch zu singen gibt es auch bei jüngeren Menschen. Ich mache mir manchmal eher Sorgen, daß die Männer nicht singen wollen. Ich habe drei Frauenchöre, aber nur einen Männerchor. Die Zahl der Sängerinnen, mit denen ich arbeite, steht im Verhältnis von eins zu vier, vielleicht sogar zu fünf zu den Männern.

SB: Aus welchen Gründen singen Männer und Frauen separat? Ist die Stimmlage so verschieden?

AS: Nein, wenn ich Männer und Frauen zusammentun würde, hätte ich überhaupt keinen funktionsfähigen Chor, weil ich nicht die richtige Zahl von Männern habe. 20 Männer bei mindestens 90 Frauen ist zu wenig, selbst wenn ich sie auf zwei oder drei Chöre verteile. Mit acht Männern in einem Chor kann ich nicht arbeiten. Es ist ein Problem, daß Männer sich nicht ausdrücken wollen. Meines Erachtens hat es damit zu tun, daß auf diese Weise vermieden wird, Gefühle zu zeigen.

SB: Amei, vielen Dank für das Gespräch


Auf der Bühne des Linken Liedersommers - Foto: © 2015 by Schattenblick

Auftritt mit Daniel Osorio und Teilnehmerinnen des Workshops
Foto: © 2015 by Schattenblick


Zum Linken Liedersommer 2015 siehe im Schattenblick:

BERICHT/026: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0026.html

BERICHT/027: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (2) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0027.html

BERICHT/028: Burg Waldeck - Tief verwurzelt, hoch im Blatt ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0028.html

INTERVIEW/043: Burg Waldeck - Salamitaktik ... Amazon-Streikende im Gespräch(SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0043.html

INTERVIEW/044: Burg Waldeck - Erinnert euch, langt zu ... Diether Dehm im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0044.html

INTERVIEW/045: Burg Waldeck - Kritisch, politisch und Avantgarde ... Daniel Osorio im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0045.html

6. August 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang