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INTERVIEW/060: HipHop Open Air - Musik, Widerstand und linke Perspektiven ...    Halil Simsek im Gespräch (SB)


Gespräch am 5. Mai 2018 in Hamburg-St. Pauli


Wie schon in den vergangenen Jahren gehörte Halil Simsek auch diesmal zu den Organisatoren des "Klassenfests gegen Staat und Kapital", das am 5. Mai eingedenk des 200. Geburtstags von Karl Marx auf dem Hamburger Fischmarkt stattfand. Am Rande des linken HipHop Open Air Festivals beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Transparent 'Roter Aufbau' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Das Klassenfest findet in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem Fischmarkt statt. Wie kam es zur Verlegung von der Schanze hierher?

Halil Simsek (HS): Wir fanden die Location vor allem deswegen interessant, weil es ja vor etwa einem Jahr hier sehr geknallt und die Polizei maßlos die Demonstration angegriffen hat. Dagegen wollten wir ein Zeichen setzen. Davon abgesehen ist das Hafenpanorama hinter der Bühne natürlich klasse. Und wir wollten weg von der Schanze, die wir nicht mehr so spannend fanden. Dort erreicht man vor allem Leute, die man eigentlich gar nicht erreichen will, nämlich irgendwelche Touristen.

SB: War es denn schwierig, die Genehmigung für den Fischmarkt zu bekommen?

HS: Es ging so, aber spannend war es schon. Vor allem mußten wir uns mit drei verschiedenen Behörden herumschlagen, die natürlich immer versuchten, sich gegenseitig die Verantwortung in die Schuhe zu schieben. Im Endeffekt hat es schon geklappt, aber ja, die Lautstärke ist immer so ein Problem. Am Anfang wollten sie die Veranstaltung wegen der Musik nicht als Kundgebung erlauben. Aber es ist ja keine reine Musikveranstaltung, denn HipHop ist auch Inhalt, und den wollten wir unter die Leute bringen. Wir wollen unsere Inhalte jugendkonform der breiten Masse zugänglich machen und unsere Agitation sozusagen auf heute anwenden.

SB: G20 liegt nun schon einige Zeit zurück. Was ist aus dem Versuch geworden, den Verlauf und bestimmte Vorfälle aufzuarbeiten?

HS: G20 hat natürlich viele Facetten. Es hat viele Menschen politisiert, vielen Menschen gezeigt, daß dieser Staat bereit ist, sehr hart zu reagieren, wenn man Protest artikuliert. Die Polizeigewalt hat natürlich auch viele abgeschreckt. Was daraus geworden ist, läßt sich schwer beantworten. Es gab auf jeden Fall eine Politisierung, aber auf der anderen Seite hat sich der Repressionsapparat extrem aufgestellt. Die Innenstadt war ja demokratiefreie Zone, so etwas ist in Hamburg einzigartig gewesen. Die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke hat das einmal in einem Interview mit der jungen Welt als "Aufstandsbekämpfung ohne Aufstand" beschrieben. Das trifft es wirklich, denn bei G20 fand kein Aufstand statt. Es war ein Event, zu dem viele zusammengearbeitet haben, aber ein Aufstand war es nicht. Was sie da aufgefahren haben mit militärischen Strukturen, das bleibt. Die Aufrüstung der Polizei in Hamburg, die bleibt. Wie will man so etwas gesellschaftlich aufarbeiten? Natürlich hat die radikale Linke Schlüsse daraus gezogen, aber ob die das jetzt in der Bürgerschaft aufarbeiten, ist uns erstmal egal.

SB: Indymedia.linksunten wurde genau in dem Augenblick verboten, als auf dieser Plattform die Diskussion über die Ereignisse bei G20 lief. Gibt es für dieses Forum inzwischen einen Ersatz?

HS: Es wurde ja nur Indymedia.linksunten verboten, das andere Indymedia gibt es noch, aber es hat nicht dieselbe Ausstrahlungskraft. Die Zeit muß zeigen, ob es ein alternatives Portal geben wird. Wir bauen jetzt natürlich stärker auf soziale Medien auf und gar nicht so sehr auf linksradikale Medien. Wir versuchen, nun auch mit einem neuen Instagram-Account visuell Leute abzuholen, weil wir in einer sehr schnellebigen Gesellschaft leben, und wenn du da ein schönes Foto mit einem kurzen Inhalt hast, teilt sich das viel mehr. Das kriegen viel mehr Leute mit, als wenn man Flugblätter verteilt. Videos oder HipHop sind ja auch schon Indymedia, wir versuchen mit dem, was wir hier machen, Inhalte zu transportieren.

SB: Die alte Bundesregierung hat mit ihren einschlägigen Gesetzen Repression auf hohem Niveau vorgelegt. Wie würdest du einschätzen, was von der neuen Regierung zu erwarten ist?

HS: Die legen auf jeden Fall nach. Die alte Bundesregierung ist ja quasi die neue, deswegen wird sich an diesem Kurs nicht viel ändern. Wir erwarten nicht von unserem Klassengegner, daß der uns einen roten Teppich ausrollt und uns unsere Arbeit machen läßt. Es ist die Aufgabe dieser Bundesregierung, Protest, der sich artikuliert, runterzuhalten und die radikale Linke zu verfolgen. Das ist es, was Klassenjustiz ausmacht.

SB: Wie würdest du den Versuch bewerten, das neue bayerische Polizeigesetz auf Bundesebene zu hieven?

HS: Anhand dieses Musterbeispiels wollen die das ja durchsetzen. Ich glaube, die Sachsen wollen nachziehen. Es ist natürlich ein Skandal. Man muß als Revolutionär und Kommunist auch für die bürgerlichen Rechte eintreten und sie sich wieder erkämpfen. Als damals über das Grundgesetz abgestimmt wurde, sagte der Genosse Max Reimann von der KPD sinngemäß: Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, an dem wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen, die es angenommen haben! [1] Und das ist jetzt einfach so. Wir müssen bürgerliche Grundfreiheiten gegenüber diesem Staat weiter verteidigen, das ist ein Kampffeld für unsere Klasse und es verschlingt auf jeden Fall sehr viel Arbeit.

SB: Im Aufruf zum Klassenfest wurde explizit auf Karl Marx verwiesen. Wie könnte man ihn gegen die Verarbeitung, die derzeit anläßlich seines 200. Geburtstags in den bürgerlichen Medien stattfindet, verteidigen?

HS: Das wird ja immer so gemacht, daß man versucht, Protest zu integrieren. Das ist beispielsweise die Aufgabe der klassischen Sozialdemokratie, Leuten wie Karl Marx, Rosa Luxemburg und anderen Revolutionären zuzugestehen, daß sie irgendwie kritisch waren. Aber dieses revolutionäre Moment, den Aufruf zur Tat, wollen sie nicht. Sie sagen, Marx kritisiert einen zügellosen Kapitalismus, aber daran bleiben sie hängen. Marx war jedoch viel mehr als ein Kritiker des Kapitalismus, er war ein Revolutionär. Und indem wir das hervorheben, verteidigen wir ihn gegen diese bürgerliche Auslegung.

SB: Wie würdest du linken HipHop vom rechten abgrenzen, wie er gegenwärtig Schlagzeilen macht?

HS: Das rechte HipHop-Ding ist der Versuch, Subkultur aufzufangen und Inhalte zu besetzen. Wenn man sich überlegt, wo der HipHop herkommt, ist das natürlich ein Widerspruch. Er kommt aus der schwarzen Arbeiterklasse in den USA. Die Rechten versuchen, Jugendkultur zu okkupieren, und da müssen wir natürlich mit Inhalten wie Gemeinsamkeit und Solidarität dagegenhalten und nicht nur so eine Attitüde oder Subkultur, sondern eine Theorie dagegen ins Feld führen. Linken HipHop macht aus, daß er kapitalismuskritisch und internationalistisch ist wie auch versucht, die Klasse darzustellen. Wir haben heute nicht nur politische Hiphopper hier auf der Bühne, sondern auch Leute, die gar nicht in dieses Bild passen, jedoch von ihren Alltagserfahrungen aus der Klasse erzählen. Es sind ja heute nicht nur Linke hier. Wir finden diese Mischung beim Klassenfest interessant. So haben wir dieses Jahr zum ersten Mal jemand dabei, der eher aus dem Zeckenrap [2] kommt, also dem früher etwas antinationalen, aber jetzt auch gar nicht mehr so sehr von dieser Ausrichtung geprägten Umfeld. Wir finden es einfach spannend, viele verschiedene Strömungen aus dem HipHop zusammenzubringen und auf diese Weise Brücken zu schlagen.

SB: Apropos Brücken schlagen: In wem siehst du Bündnispartner und wie müßte man eine Politik anlegen, um auch Leute zu erreichen, die nicht von vornherein Linke sind?

HS: Unser Ziel ist gar nicht, die Linke zu erreichen. Wenn Leute politisch links sind, ist es cool, aber sie sind ja schon erreicht. Unser primäres Spektrum sind Arbeiterjugendliche und Leute, die von dieser Gesellschaft an die Wand gedrängt werden. Das ist das Spektrum, das wir erreichen wollen. Wir wollen nicht die Punker oder Anpolitisierten erreichen, sondern andere Unterdrückte.

SB: Wo und wie könnt ihr sie erreichen?

HS: Eine Möglichkeit, solche Leute zu erreichen, betrifft die Sprache. Daß man eben nicht so einen linken Duktus hat, sondern versucht, sich so einfach wie möglich auszudrücken. Die Linke versucht oft, eine Sprache zu entwickeln, die nur Soziologiestudenten entziffern können. Für uns ist Sprache nicht eine Kodierung, um sich identitär cool zu finden und besonders radikal oder revolutionär zu geben, sondern vielmehr ein Mittel, unsere Inhalte zu transportieren. Und indem man das macht und Angebote schafft, an denen Leute auch mit wenig Kohle teilhaben können, wie zum Beispiel das Klassenfest, hat man schon einen Teil der Arbeit geleistet. Aber das ist nur ein Funken, es muß noch viel mehr geschehen. Es müssen Organisierungen in Betrieben und in den Stadtteilen stattfinden, aber man kann halt nicht alles auf einmal machen, sondern muß irgendwo anfangen.

SB: Halil, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:


[1] Max Reimann und Heinz Renner verweigerten für die KPD ihre Unterschrift unter das Gesetz und erklärten: "Wir unterschreiben nicht die Spaltung Deutschlands." Und weiter: "Wir Kommunisten versagen aus grundsätzlichen Erwägungen heraus dem Gesetz unsere Stimme; die Gesetzgeber werden im Verlauf ihrer volksfeindlichen Politik ihr eigenes Gesetz brechen. Wir Kommunisten werden die im Grundgesetz verankerten demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes selbst verteidigen."
maxreimann.com/Blog/Blog.html

[2] Den Begriff "Zeckenrap" hat Neonschwarz erfunden: Die Hamburger Band rief zusammen mit verschiedenen Produzenten, Veranstaltern und Rappern die TickTickBoom-Zeckenrap-Gala ins Leben und gab ihr diesen Namen, um bewußt dem negativen Klischee in der Bezeichnung von Linken als "Zecken" durch Rechte etwas Positives entgegenzusetzen.
www.taz.de/!5468258/


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BERICHT/034: HipHop Open Air - die neue Klasse ... (SB)


9. Mai 2018


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