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NACHLESE/004: 50 Jahre später ... Captain Beefheart and his Magic Band - Safe As Milk (SB)



I'm doing a non-hypnotic music, to break up the catatonic state."
Don Van Vliet im Interview auf LA Eyewitness

Seinen Künstlernamen hat er Frank Zappa zu verdanken, mit dem er einmal einen Film unter dem Titel Captain Beefheart Meets the Grunt People drehen wollte. Daraus wurde nichts, aber Don Van Vliet hatte seine Identität als Musiker gefunden. Sein bürgerlicher Name steht heute für am Kunstmarkt hochdotierte expressionistische Malerei, von der der Mann aus der Mojave-Wüste, aus der er zeitlebens seine künstlerischen Impulse bezog, nach seinem Ausstieg aus dem Musikbusiness sogar leben konnte. Als im Juni 1967 das Debütalbum Safe As Milk erschien, da war Cpt. Beefheart seiner Zeit einmal mehr um Jahre voraus. Heute, da die Veröffentlichung seines letzten Albums Ice Cream for Crow 35 Jahre und sein Tod am 17. Dezember 2010 bald sieben Jahre zurück liegen, droht er vollends in Vergessenheit zu geraten. Karl Bruckmaier kommentierte in einem Nachruf auf den verstorbenen Musiker die dem Guardian entnommene Aussage, "ach, dieser Beefheart, den hört, den guckt doch eh keiner mehr" mit einem Treffer ins Schwarze: "Ich möchte dazu nur sagen, das merkt man der Welt aber auch an." [1]

"I was born in the desert" - mit diesen Worte beginnt ein Ausflug in eine Welt des Blues, der so ungeschliffen und ruppig, zugleich aber elektrisch und psychedelisch daherkommt, als ob Howlin' Wolf in einer Hippie-Kommune unter gleißender Wüstensonne gelandet wäre. Safe As Milk ist in etwa das Gegenteil von gefällig, doch in seiner urtümlichen Originalität kann es eine Faszination auf den Zuhörer ausüben, die das halbe Jahrhundert seit Entstehung des Albums mühelos in beide Richtungen überbrückt. Wer sich in Cpt. Beefhearts Wohnwagen in der Wüste versetzt fühlt, umlagert von den merkwürdigen Tieren, die seine Zeichnungen und Texte bevölkern, der kann seine Musik auch auf das postmoderne Chaos dieser Tage anwenden, in dem das Wissen um das Zusammenwirken von Hand, Kopf und Fuß dem ohnmächtigen Ersatz virtueller Imagination von Bewegung gewichen zu sein scheint.

"Rock and Roll is a fixation. That bom, bom, bom mama heartbeat. I don't like hypnotics. I'm doing a non-hypnotic music, to break up the catatonic state." [1] Das Aufbrechen der Katatonie, der krampfhaften Erstarrung des vom Leben schockierten, auf den rettenden Impuls, der niemals kommt, eben weil darauf gewartet wird, hoffenden Menschen verlangt nach Dekonditionierung, nach der Aufhebung besinnungsloser Wiederholung einer leerlaufenden Motorik und Befreiung vom Takt der Maschinen und Organe. Auf Safe As Milk kündigt sich an, was auf Trout Mask Replica auf künstlerisch vollendete Weise in Erscheinung trat - die Dechiffrierung der Welt mit Hilfe einer ihrer disparaten und gebrochenen Strukturen gemäßen Mixtur aus Blues, Jazz und Rock, psychedelisch konterkariert durch schräge bis atonale Akzente, zum Sprechen gebracht durch höchst eigenwillig gesetzte, surreal-expressive Wortfrakturen.

"Electricity" ist so ein Song, der thematisch wie musikalisch von epochaler Aussagekraft ist, aber beim ersten Label der Band als "zu negativ" bewertet wurde und durchfiel. Sein Text wurde von dem amerikanischen Lyriker Herb Bermann mitverfaßt und hat die nichtstoffliche Form, aber physikalisch höchst potente Wirkung der Elektrizität zum Gegenstand. Der verzerrte Gesang Beefhearts, das elektrische Gewimmer eines Theremin, alles vorangetrieben von holperigem Bluesrock, haben ihre Wirkung auf spätere Bands wie Sonic Youth oder eine Ausnahmekünstlerin wie PJ Harvey, die lange in Telefonkontakt mit Don Van Vliet stand, nicht verfehlt. Als die Magic Band 1967 Electricity auf einem Open Air Festival am Mount Tamalpais in Kalifornien vor Beginn probte, ging Beefheart mitten im Lied von der Bühne und fiel vorneüber mit dem Gesicht ins Gras. Später erklärte er, daß er gesehen habe, wie sich ein Mädchen im Publikum in einen Goldfisch verwandelt habe. Da sich derartige Unvorhersehbarkeiten häuften, sei dies für den jungen Ry Cooder, der seine Karriere in der Magic Band begonnen hatte, Anlaß genug gewesen, seinen Job mit sofortiger Wirkung aufzukündigen.

"Die Fabrik ist kein Platz für mich, Boß laß mich in Ruhe", singt Cpt. Beefheart in Plastic Factory. "Phos'phrous chimney burnin', Mortal man's a' learnin, Time n' space a' turnin, Motor's n' men a' churnin" [3] - die knappen Zeilen, in die das lebenswidrige Elend der fließbandgetakteten Arbeit in der Fabrik gefaßt wird, werden im Sprechgesang Beefhearts zu Projektilen einer wortmächtigen Stimme, die berühmt dafür war, Mikrofone allein durch die Intensität ihres Schalldruckes zerstören zu können.

"Autumn's Child" - Cpt. Beefheart hatte die Befristetheit dessen, wozu sich die Menschen im so kurz auflodernden, die Jahrzehnte dennoch überscheinenden Feuer der Sechziger aufschwangen, schon im Gemüt, als er Safe As Milk im Alter von 25 Jahren einspielte. Der Asche des fossilen Verbrauchs und des Massakers an ganzen Tierarten eingedenk ist Don Van Vliet auch deshalb ein zeitgemäßer Künstler, weil er zu Lebewesen, die nicht wie Menschen aussehen und sich nicht wie Menschen verhalten, zeitlebens eine intensive, immer wieder in explosive Schaffenskrauft ausbrechende Beziehung hatte. Vor einem halben Jahrhundert war das Wissen um die Zerstörung der Natur längst so weit, daß seitdem ganz andere Wege zu ihrem Erhalt hätten beschritten werden können. Sich so sicher wie Milch zu fühlen ist denn auch eine gelungene Metapher für das Vergessen, das Säuglinge und Kälber ereilt, wenn sie den ersten Schritt in ein Leben wagen, das alles mögliche für sie bereithält, von dem sie lieber nichts wissen möchten.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/2010/52/Nachruf- Beefheart

[2] https://www.youtube.com/watch?v=yIlVXzC85TU

[3] www.beefheart.com/plastic-factory/

10. Juni 2017


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