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NACHLESE/037: 50 Jahre später ... Sly & the Family Stone - Stand! (SB)



There is a blue one
Who can't accept the green one
For living with a fat one
Trying to be a skinny one
Different strokes
For different folks

Sly & Family Stone - Everyday People

Für den einflußreichen, in der Musikszene der US-amerikanischen Westküste fest verankerten Journalisten Joel Selvin gibt es zwei Sorten schwarzer Musik - vor Sly Stone und nach Sly Stone. Im Haus einer tiefgläubigen Familie in Texas aufgewachsen beherrschte Sylvester Stewart bereits im Alter von 11 Jahren den Umgang mit Keyboards, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Sylvester und seine nicht minder musikalisch begabten Geschwister Freddie, Rose und Vaetta traten nach dem Umzug der Familie nach Kalifornien in der lokalen Pfingstlergemeinde mit Gospel Music als The Stewart Four auf und veröffentlichten 1952 sogar eine Single mit religösen Liedern.

Nachdem Sly und Freddie 1966 jeweils eine eigene Band gegründet hatten, vereinigten sich die beiden Formationen zu Sly & the Family Stone. Die Geschwister übernahmen verschiedene Gesangsparts und teilten andere Aufgaben unter sich auf. Freddie spielte Gitarre, Sly diverse Keyboards, Rose saß am Piano und Vaetta leitete den dreistimmigen Backgroundchor, zu dem Mary McCreary und Elva Mouton hinzustießen. Larry Graham, der für die Entwicklung der Slapping-Technik in Funk und Rock, bei der am Bass perkussive Elemente simuliert und mit zugleich gespielten Melodielinien kombiniert werden, hauptverantwortliche Musiker, der Drummer Gregg Errico, die Trompeterin Cynthia Robinson und der Saxophonist Jerry Martini komplettierten die Band.

Stand! war das vierte Album, in dem die Band Soul, Funk und Rock zu einem höchst attraktiven, nicht nur das schwarze Amerika ansprechenden Soundhybrid vereinte. Tatsächlich waren Sly & the Family Stone die erste nennenswerte Gruppierung der progressiven US-Musikkultur, in der schwarze und weiße MusikerInnen gleichberechtigt spielten und auftraten. Zwar trat der Multinstrumentalist Sly Stone, der auch die meisten Songs verfaßte, als Wortführer auf und hatte sicherlich eine dominante Position inne, wie die späteren Kämpfe um den Kurs der Band und ihr dadurch eingeleitetes Ende zeigten. Bis dahin jedoch legten Sly & the Family Stone einige stilprägende Alben vor, die als gelungene Verschmelzung von schwarzer und weißer Popmusik heute zu den herausragenden Werken der US-Musikkultur gezählt werden.

Stand! verschaffte der Band den kommerziellen Durchbruch und damit auch den Auftritt bei dem Woodstock Music & Art Fair. Er fand um 3.30 Uhr am frühen Morgen des 17. August 1969 statt und gilt vielen Zeitzeugen als herausragender Auftritt unter den vielen ohnehin spektakulären Bühnenshows. Das Album war nicht nur wegen dem treibenden R'n'B-Groove und seiner rockigen Härte ein erster kreativer Höhepunkt der Band. Auch die auf leicht verständliche Weise artikulierte Sozialkritik kam an, war der Rassismus für nichtweiße US-BürgerInnen doch ein Alltagsproblem und ist es bis heute. Different strokes for different folks, so verwendet im Song Everyday People, dem ersten großen Charts-Hit der Band, hat sich zum stehenden Begriff für Diversität entwickelt. Zuerst belegt bei dem Boxer Muhammed Ali, der damit erklärte, daß er für verschiedene Gegner verschiedene Schlagvarianten im Angebot hatte, wurde die Redensart in den USA so populär, daß sie 1972 in einer Anzeige von VW Verwendung fand. Mit Different Volks for different folk wurde dafür geworben, sich entweder einen Käfer oder einen Bully zuzulegen.

Der nur über wenige Zeilen verfügende, wie eine gesprochene Kampfansage vorgetragene Titel Don't Call Me Nigger, Whitey hat im Hip Hop, der Sly & and the Family Stone viel zu verdanken hat, die Zeiten überdauert. Im gleichen Jahr noch erschien der Titel Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin) als Single, die später lediglich auf einem Greatest Hits-Album auftaucht. Im Text wird auf mehrere Songs von Stand! Bezug genommen, die sich mit der weißen Unterdrückung schwarzer US-BürgerInnen auseinandersetzen, und der Faden subversiven, in poetischen Metaphern vorgetragenen Protestes weitergesponnen. Der bittere Beiklang von Zeilen wie Dyin' young is hard to take, Sellin' out is harder zeigt, daß die Stimmung eher verzweifelter und zugleich unversöhnlicher wird. Ende der 1960er Jahre ist mit den Händen zu greifen, daß die Verwirklichung der Hoffnung auf Befreiung weit mehr bedarf als guter Gefühle, wie sie die Woodstock Nation zelebrierte.

Das Album Stand! steht auf Platz 118 der von der Musikzeitschrift Rolling Stone geführten Liste der 500 größten Alben aller Zeiten. Es wurde 2015 von der Library of Congress als kulturell, historisch und ästhetisch signifikantes Werk eingestuft und archiviert. Der Einfluß Sly Stones auf Ikonen wie Miles Davis und Michael Jackson ist bekannt, Samples seiner Hits finden sich in zahlreichen Hip Hop-Titeln, und kein geringerer als der Bassist Bootsy Collins, seinerseits mit dem Musikkollektiv Parliament-Funkadelic einer der bekanntesten Exponenten des Funk, bezeichnete Sly Stone als den talentiertesten und aufregendsten Musiker, dem er je begegnet sei. Im August 2015 trat er als Überraschungsgast in einem Theater auf, ansonsten haben sich seine Spuren irgendwo in Los Angeles verloren, wo er laut einem Bericht des Jahres 2011 in einem Campmobil leben soll.

2. Juli 2019


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