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NACHLESE/043: 50 Jahre später ... Neil Young - Revolution Blues (SB)


I got the revolution blues,
I see bloody fountains,
And ten million dune buggies
comin' down the mountains.


Neil Young - Revolution Blues


Auf dem 1974 veröffentlichten Album On The Beach schlug Neil Young ganz andere Töne an als auf Harvest, der 1972 vom Publikum begeistert aufgenommenen LP mit Titeln von Ewigkeitsrang wie Heart of Gold und Old Man. Die von RockjournalistInnen zugleich kritisierte Rührseligkeit und Beliebigkeit mancher Songs des Albums tat dem kommerziellen Erfolg von Harvest keinen Abbruch, ganz im Gegensatz zu On The Beach, das sich nur schlecht verkaufte und erst sehr viel später als Meisterwerk anerkannt wurde. Durchgängiges Thema des Albums waren Youngs Reflexionen über die Verlogenheit eines Starrummels und Musikgeschäftes, von dem er selbst profitierte und dessen Widersprüchlichkeit ihm dennoch nicht entging. Unter den düsteren Stücken des Albums schlug Revolution Blues, ein in seiner Auseinandersetzung mit der mörderischen Gewalt der Gruppe um Charles Manson, die vor einem halben Jahrhundert ihren spektakulären Auftakt nahm, höchst provokanter Song, die finstersten Töne an.

Eingespielt mit der Rhythmussektion von The Band, dem Bassisten Rick Danko und dem Drummer Levon Helms, mit David Crosby an der Rhythmusgitarre und Ben Keith am E-Piano, überzeugte Revolution Blues mit einem treibenden Rocksound, der die im Text beschriebene Aggressivität der Manson Family zu einer bitteren Auseinandersetzung mit der Faszination entwickelt, die von ihren Gewaltexzessen ausging, wie zahlreiche popkulturelle Referenzen auf die Person Charles Manson belegen. Viele RockmusikerInnen kokettieren bis heute mit seinem berüchtigten Namen, und sie machen es sich damit in gewisser Weise leicht. Mit den Massakern eines verwerflichen Kultführers zu kokettieren scheint kulturindustriell so erfolgversprechend zu sein, wie es die Auseinandersetzung mit Problemen von ungleich schlimmerer Zerstörungsgewalt, die auf spezifische politische und herrschaftliche Interessen zurückzuführen sind, offensichtlich nicht ist.

Neil Young hat das Stück nur selten bei Live-Auftritten gespielt und wurde schon zur Zeit seiner Entstehung von David Crosby dafür kritisiert, die von der Manson Family begangenen Morde überhaupt zum Thema eines Songs zu machen. Young war Manson vor der Mordserie im August 1969 mehrmals begegnet und schien dessen musikalischen Ambitionen gegenüber durchaus aufgeschlossen zu sein. Die in Revolution Blues vollzogene Abrechnung mit dem so exzentrischen wie charismatischen Manson, der 2017 nach 46 Jahren Haft im Gefängnis starb, ist hörbar von der Ambivalenz und Distanz bestimmt, die das angespannte Verhältnis Youngs zur Rockindustrie prägte.


Die Normalität des Massakers am Beispiel der Manson-Family

Das Verbrechen existiert. Es heißt Gehorsam und Kontrolle. Gibt es eine gehorsamere Kontrolle der Normen der bourgeoisen Gesellschaft, als den von Charles Mansons "Family" verübten Mikro-Völkermord - auf dem Gipfel des völkermordenden Krieges gegen das vietnamesische Volk?
David Cooper - Die Sprache der Verrücktheit [1]

In den Annalen der Popgeschichte gelten die Morde der Manson Family im August ebenso wie das desaströse Altamont Festival im Dezember 1969 als weithin sichtbare Zeichen des Verfalls einer Jugendkultur, die beim Woodstock Festival [2] ihren Zenit erreicht haben soll. Was im chronologischen Nachvollzug ein halbes Jahrhundert später Sinn zu machen scheint, hat weit mehr mit historisierender Ordnungswut als der gesellschaftlichen Realität im Ausgang der 60er Jahre zu tun. Zeitgeschichtliche Interpretationen dieser Art entstehen vor Bildschirmen, vor denen JournalistInnen und AutorInnen versuchen, sich einen Reim auf die antagonistischen Bewegungen zu machen, die kapitalistische Gesellschaften bis heute durchziehen und erschüttern. Schon daß sie als Brüche eines vermeintlich geordneten Verlaufes hervortreten und somit die Regel gewaltsamer Durchsetzung herrschaftlicher Zwecke unterschlagen, dokumentiert die affirmative Haltung, die ihnen sicherlich nicht nur aufgrund berufständischer Interessen zugrunde liegt.

Dem entgegenzuhalten ist die häufig verdrängte und marginalisierte Geschichte sozialrevolutionärer und subversiver Bewegungen [3], die in der bürgerlichen Weltsicht nicht vorkommen, es sei denn als Störfaktoren zivilisatorischen Fortschrittes. Wie bewußt auch immer Charles Manson seine Sozialpathologie hollywoodkompatibel machte, indem er seine Gruppe dazu brachte, die Schauspielerin Sharon Tate zu ermorden, so hat ihm der durchschlagende Erfolg dieser Bluttat allemal Recht gegeben. Die kulturindustrielle Vermarktung seiner Geschichte hält bis heute an, wie zuletzt vermeintliche Enthüllungen um den angeblich fremdgesteuerten, namentlich der CIA geschuldeten Charakter der Mordtaten der Manson Family zeigen.

Um die Gegenbewegung gegen rassistische Herrschaft, gegen Ausbeutung und Fremdbestimmung in der Lohnarbeit, gegen Massenfertigung und Einheitskonsum wie vor allem den imperialistischen Krieg in Vietnam zu schädigen, bedurfte es eines weißen Kultführers und seiner implizit rassistischen Vision eines von ihm orchestrierten "Rassenkrieges" nicht. Die von Hannah Arendt im Falle des NS-Massenmörders Adolf Eichmann ausgemachte "Banalität des Bösen" fand in der Mordserie der Manson-Family ihre zeitgemäße Entsprechung insofern, als der in ihre AkteurInnen hineininterpretierte seelische Ausnahmezustand die gesellschaftliche Normalität einer Kriegführung und eines Krisenmanagements kennzeichnet, an der nichts zu beanstanden ist, wenn sie nur dem Erhalt der herrschenden Ordnung dient.

Das galt für die Lebenspraxis von Hippies und Kommunen, in denen die Eigentumsfrage zumindest gestellt und dem Ökozid durch eine Praxis maximaler Gewaltlosigkeit entgegengetreten wurde, gerade nicht. Um so weniger konnten die öffentlichkeits- und medienaffinen Taten eines Charles Manson für Menschen von Belang sein, die alternative Lebensformen praktizierten und weiterhin gegen den Vietnamkrieg protestierten. Deren Verhältnis zum etablierten Medienapparat wie zur kommerziellen Vermarktung gegenkultureller Errungenschaften war wesentlich von Desinteresse und Abneigung geprägt. Wer sich ohnehin auf dem Weg in eine bürgerliche Karriere befand, mag sich durch die negative Berichterstattung über Hippies und LSD bestätigt gefühlt haben, wer an Idealen wie Gemeinschaftseigentum, Geschlechtergerechtigkeit, Antimilitarismus und Antirassismus festhielt, wußte, wem in dieser Hinsicht nicht zu trauen war.

Die Skandalisierung der aus dem Labor eines Pharmakonzerns hervorgegangenen psychotropen Substanz LSD [4] hätte in ihrer angeblich kausalen Wirkung auf die Grausamkeit der Manson-Family keine bessere Bestätigung finden können. Eins wollte das der psychedelischen Sinneslust und Erkenntnisfülle den Kampf ansagende Bürgertum nicht wissen - auch durch das verrufene und verbotene LSD wird nichts hervorgebracht, was nicht in der kapitalistischen und patriarchalen Vergesellschaftungspraxis angelegt ist. Der Wahnsinn der herrschenden Vernunft, millionenfache Massaker zu guter Staatspraxis zu erklären, wurde durch den Gegenentwurf der Hippies derart erschüttert, daß die Anprangerung des vermeintlichen Wahns, aus dieser Gesellschaft auszusteigen, im Gehorsam der Manson-Family ihren willkommenen Ausdruck fand.

Diese Gegenbewegung hat seitdem tiefgreifende Wandlungen in Form und Gestalt vollzogen, aber nie aufgehört, den antagonistischen Charakter der industriellen Massenproduktion und der Entfremdung seiner atomisierten Arbeits- und Marktsubjekte anzugreifen. Die Counterculture der 60er Jahre war in der weithin ungeschriebenen Geschichte sozialrevolutionärer Bewegung ein so wichtiger Impuls, daß die staatliche Repression alle Register zog und auch zu konspirativen Strategien wie bei der Ermordung von Black Panther-AktivistInnen griff. Der soziale Krieg der US-Regierung wurde nicht nur in den Dschungeln Südostasiens, sondern auch in den Metropolen der Vereinigten Staaten geführt, dessen waren sich die linksradikalen AktivistInnen und Hippies dieser Epoche sehr bewußt. Im Rückblick vieler Deutungsversuche werden die Brüche dieser Bewegung systematisch überbewertet, handelt es sich bei der kulturindustriellen Historisierung sozialer Gegenbewegungen doch auch um Legitimationsvehikel eines privilegierten Status quo, der zu allem Überfluß auch noch gegen die Herausforderung einer Klimakatastrophe verteidigt werden muß, die die AktivistInnen vor 50 Jahren bereits in ihrem Kampf gegen die ökologische Zerstörungsgewalt technologischer Innovation und Rationalisierung antizipiert hatten.

Das vermeintlich Hintergründige des Scheiterns sozialer Bewegungen durch unbewiesene Komplotts staatlicher Gewaltorgane zu erklären vollzieht keinen Angriff auf die Hermeneutik bürgerlicher Selbstvergewisserung, sondern fungiert als impliziter Bestandteil dessen. Das Problem sogenannter Verschwörungtheorien besteht nicht in einer dem demokratischen Rechtsstaat gefährlich werdenden Aufklärung vermeintlicher Geheimnisse, sondern in der Beschwörung seines Bestandes. Unbeschwert von klassengesellschaftlichen und sozialökologischen Widersprüchen wird die Herrschaft des Rechtes zur gültigen Regel gesellschaftlicher Befriedung erhoben, als ginge es darum, die herrschenden Verhältnisse trotz ihrer immanenten Destruktivität und Gewalttätigkeit fortzuschreiben. Ein Gegenentwurf zur herrschenden Ordnung oder auch nur eine produktive Enttäuschung darüber, daß ihre Versprechungen hohl und nichtig sind, ist diesen Theorien in der Regel nicht zu entnehmen, sie bleiben affirmativ und an gesellschaftlicher Befriedung interessiert, wo grundstürzende Kritik vonnöten wäre.

Den Revolution Blues wie Neil Young als Abgesang auf gescheiterte Aufbrüche und Hoffnungen zu singen, nicht um melancholisch zu resignieren, sondern streitbar und mutig in die Offensive zu kommen ist heute die Aufgabe einer Jugend, die sich nicht nur mit dem absehbaren Kollaps der natürlichen Lebensvoraussetzungen auseinanderzusetzen, sondern auch die in ihrer sozialen und kulturellen Lebenswelt gebrochene Kontinuität sozialrevolutionärer Bewegungen aufzugreifen hat. Diese werden von der herrschenden Informationskultur und Deutungsmacht nicht negiert, weil es sie niemals gab, sondern weil es sie wieder geben wird. Auf ihren reichen Erfahrungsschatz zu verzichten könnte bedeuten, auf dem Weg dorthin viele unnötige und schmerzhafte Umwege gehen zu müssen, anstatt die Herrschaft von Patriarchat und Kapitalismus auf der Linie dagegen gerichteter Vergangenheiten und Zukünfte zu überwinden.


Fußnoten:

[1] David Cooper: Die Sprache der Verrücktheit, Berlin 1978, S. 102

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1037.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar648.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar445.html

24. Dezember 2019


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