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NACHLESE/044: 50 Jahre später ... Jimi Hendrix - Band of Gypsies (SB)


Die Vergangenheit muß fortwährend neuerzählt werden. Die politische Absicht reaktionärer Narrative besteht darin, die Potentiale zu unterdrücken, die in älteren Momenten darauf warten, wiedererweckt zu werden. Die Gegenkultur der Sechziger ist heute von ihrer Simulation nicht mehr zu unterscheiden, und die Verkürzung der Dekade auf "ikonische" Bilder, "classic" music und nostalgische Reminiszenzen hat die wirklichen Versprechen, die damals explodierten, neutralisiert. Diejenigen Teile der Gegenkultur, die man sich aneignen konnte, wurden als Vorläufer des "neuen Geistes des Kapitalismus" anderen Zwecken unterworfen, während diejenigen, die mit einer Welt der Arbeitsschinderei inkompatibel waren, verworfen wurden (...)
Mark Fisher: Acid Communism [1]


Jahreswechsel 1969/1970 im Fillmore East in New York City: Jimi Hendrix an der Gitarre, Billy Cox am Bass und Buddy Miles am Schlagzeug läuten an zwei Abenden und in vier Konzerten als Band of Gypsys das neue Jahrzehnt ein. Nach dem Woodstock Festival, wo Hendrix mit diversen Musikern das Abschlußkonzert gab, ist dies der erste große Auftritt des Gitarristen ohne die Experience, mit der er berühmt und legendär geworden ist. Wiederum in Triobesetzung, allerdings nun ganz aus schwarzen Musikern bestehend, spielt die Band of Gypsys eine soul- und funklastige Form von Rockmusik, von der sich Funk-Bands wie Parliament und Funkadelic und schwarze Gitarristen wie Vernon Reid von Living Colour erklärtermaßen inspirieren ließen. Hendrix beeindruckte das Publikum mit einer Form von schwarzer Rockmusik, die es in dieser Form bis dahin noch nicht gegeben hatte. Selbst der damals mit den Last Poets erste Schritte unternehmende Hip Hop nahm mit Samples Bezug auf die Band of Gypsys, und auch Ice-T von der schwarzen Metal Band Body Count berief sich ausdrücklich auf die letzte Formation des großen Gitarristen.

Sie sollte nicht nur aufgrund des frühen Todes von Jimi Hendrix am 18. September 1970 ein kurzlebiges Projekt bleiben. Obwohl Cox, mit dem Hendrix schon in der gemeinsamen Zeit bei der US Army zusammengespielt hatte, und Miles für den sich kontinuierlich weiterentwickelnden, nun auch an Jazz-Größen wie John Coltrane orientierten Jimi Hendrix einen soliden Rhythmusteppich ausbreiteten, auf dem der Ausnahmegitarrist freizügig abheben konnte, war die Chemie zwischen dem Schlagzeuger und dem Frontmann von musikalischen Meinungsverschiedenheiten überschattet. Dennoch war der soulige Gesang des Drummers eine Bereicherung des Sounds der Band und harmonierte im Call and Response mit dem ansonsten allein singenden Hendrix.

An der Soundqualität des Albums, das schon im März 1970 veröffentlicht wurde, wie auch am Schlagzeugspiel von Buddy Miles wurde später häufig Kritik geübt. Das konnte den Erfolg der LP nicht beeinträchtigen, und seit 1999 lassen sich die Silvesterkonzerte der Band auf der Doppel-CD Live at the Fillmore East anhand von insgesamt 16 Titeln genauer studieren. Für viele Fans sind die damals eingespielten Versionen von Machine Gun, ein erstmals mit der Band of Gypsys aufgenommener Protestsong gegen den Vietnamkrieg, der Höhepunkt des originären Albums wie der erweiterten Version von 1999. Hendrix sagte den Titel mit den Worten an, er sei "all den Soldaten gewidmet, die in Chicago und Milwaukee und New York kämpfen und, oh ja, all den Soldaten in Vietnam". Das war seine Art und Weise, sich mit den Aufständen der schwarzen Bevölkerung in den Großstädten der USA solidarisch zu zeigen. Die utopische Seite des Musikers zeigte sich schließlich im 1971 posthum veröffentlichten Album Rainbow Bridge - er wurde von seinen Fans nicht umsonst dafür bewundert, als Mensch mehr als ein begnadeter Gitarrist gewesen zu sein.


Auf der Regenbogenbrücke durch die Dekaden

Jimi Hendrix gehört zu den bild- und soundmächtigen Symbolen für die kulturellen Errungenschaften der 1960er Jahre. Sein früher Tod bietet sich als Metapher dafür an, daß die damals entzündeten Träume und geweckten Hoffnungen wie ein kurzer Funkenflug zerstoben, um pragmatischeren Formen der Wirklichkeitsbemächtigung Platz zu machen. Es bedarf keiner aufwendigen Beweisführung, um derartige Deutungen der neoliberalen Kulturindustrie als verzweifeltes Wunschdenken bloßzustellen. Was auch immer vermeintlich oder offenkundig gescheitert ist, lebt in der Unterströmung antagonistischer Bewegungen, so klein und unscheinbar sie sein mögen, fort.

Der apologetischen Absicht, den anstehenden Bruch mit der herrschenden Wirklichkeitsdoktrin und ihrer sozialdarwinistischen Durchsetzung politisch wie kulturell zu negieren, mangelt es allerdings an Glaubwürdigkeit. Das belegt die düstere Zukunft einer Welt, in der der einmal entfachte Brand fossiler Energie, industrieller Produktivität und kapitalistischer Akkumulation immer höher auflodert. Vergeblich wartet "die Menschheit" darauf, daß aus den anwachsenden Aschehalden der Phönix eines Neubeginns ersteht, wie die PredigerInnen eines zivilisatorischen Kodex Glauben machen, wenn sie behaupten, der Erfindungsgeist des Menschen habe noch immer einen Ausweg aus der Misere gefunden.

Heute ist die vor 50 Jahren zuende gegangene Dekade so tot wie die Arbeit, die zu verrichten die Menschen gezwungen sind, um ein von Mangel und Zwang bestimmtes Dasein zu fristen, ohne das die Akkumulationslogik des Kapitals nicht prosperiert. Die Immunisierungsbestrebungen des neoliberalen Kapitalismus sind sattsam bekannt - die Freiheit zum Konsum ist an die Stelle der Freiheit autonomer Selbstbestimmung getreten, die Vergleichbarkeit des atomisierten Marktsubjektes in den Parametern von Erfolg und Identität, Einkommen und Sozialstatus an die einer sozialen Gleichheit, ohne die sich keine handlungsfähige Kollektivität entfalten läßt.

Die ein halbes Jahrhundert später zusehends hinter dem Horizont persönlichen Erlebens verschwindende Dekade ist so lebendig wie der soziale Widerstand gegen die stetig expandierende Extraktion von Lebensressourcen, die von patriarchalen Interessen und rassistischer Ausgrenzung bestimmte soziale Reproduktion und die aggressive Elimination jeder Abweichung, die der herrschenden Doktrin angeblich erforderlichen Wirtschaftswachstums und unabdinglicher Produktivitätssteigerung gefährlich werden könnte.

Alle relevanten sozialen Bewegungen, die als einzige in der Lage sein werden, in der anbrechenden Dekade die sich mit wachsender Eigendynamik beschleunigende Finalität ökologischer Zerstörung noch zu unterbrechen, waren bereits vor 50 Jahren existent. Ob Kommunismus, Anarchismus, Feminismus, radikalökologischer Aktivismus, Tierbefreiung, autonome Streikbewegungen, kollektives selbstorganisiertes Arbeiten, das Leben in Kommunen, stets ging es um eine Emanzipation und Befreiung, in der das heute so betonte Zusammenwirken der verschiedenen Gewaltverhältnisse bereits angelegt war. All die Entwürfe, über die nachgedacht, geschrieben, gesungen und diskutiert wurde, die praktisch verwirklicht und gesellschaftlich propagiert wurden, flattern wie Wurzeln im Wind und können jederzeit ergriffen und fruchtbar gemacht werden.


Fußnote:

[1] https://my-blackout.com/2019/04/25/mark-fisher-acid-communism-unfinished-introduction/
im Original aus der unvollendeten Einleitung:
The past has to be continually re-narrated, and the political point of reactionary narratives is to suppress the potentials which still await, ready to be re-awakened, in older moments. The Sixties counterculture is now inseparable from its own simulation, and the reduction of the decade to "iconic" images, to "classic" music and to nostalgic reminiscences has neutralised the real promises that exploded then. Those aspects of the counterculture which could be appropriated have been repurposed as precursors of "the new spirit of capitalism", while those which were incompatible with a world of overwork have been condemned (...)

26. Dezember 2019


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