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BERICHT/070: Einem Wolf-Rayet-Stern auf den Zahn gefühlt (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 1/13 - Januar 2013
Zeitschrift für Astronomie

Einem Wolf-Rayet-Stern auf den Zahn gefühlt
Ergebnisse einer Langzeitkampagne von Amateuren und Profis

Von Thomas Eversberg



Der Traum vieler Hobbyastronomen ist der Besuch einer professionellen Sternwarte. Ganz außergewöhnlich wäre dann noch die Möglichkeit, dort sogar zu arbeiten, die Daten wissenschaftlich zu nutzen und anschließend weltweit zu publizieren. Diese Gelegenheit erhielten 15 Sternfreunde: Unter professioneller Leitung untersuchten sie auf Teneriffa die kollidierenden Sternwinde des Doppelsternsystems WR 140.


Mauna Kea, La Silla oder Paranal - diese Namen lassen den leidenschaftlichen Hobbyastronome aufhorchen. Manche Sternfreunde sind bereit, eigenes Geld in die Hand zu nehmen, um diese Orte einmal zu besuchen. Möchte man jedoch als Wissenschaftler an einem professionellen Observatorium arbeiten, muss man einen offiziellen Antrag bei den Betreibern der Sternwarten stellen. Für eine gemischte Gruppe aus Amateur- und Profiastronomen ergab sich ein wichtiger Anlass, sich ausgedehnte Beobachtungszeit an einem geeigneten Ort zu sichern.

Ziel war es, das Spektrum des massereichen Doppelsternsystems WR 140 zu beobachten. Es besteht aus einem heißen Wolf-Rayet-Stern und einem ebenfalls heißen und blauen Stern vom Spektraltyp O. Dabei stößt der Wind des WR-Sterns aus geladenen Teilchen mit dem schwächeren Teilchenwind des O-Sterns zusammen. Um diesen bildet sich dabei eine Stoßfront aus energiereicher Materie, und sein eigener Wind wird dabei kegelförmig verformt (Siehe Bild in der Druckausgabe). Dieser Effekt tritt auf, wenn sich die beiden Sterne besonders nahe kommen. Deshalb beobachteten die Astronomen die zum Jahreswechsel 2008/2009 erwartete Periastronpassage des Systems, also die größte Annäherung der beiden Sterne auf ihren elliptischen Umlaufbahnen.

Während der engen Begegnung sollten im Spektrum des Doppelsterns spektakuläre Linieneffekte beobachtbar sein, aus denen sich physikalische Eigenschaften des Systems ableiten lassen, beispielsweise genauere Werte für die Umlaufbahnen der Sterne oder der Öffnungswinkel des Stoßkegels. Die Untersuchung solcher Effekte erfordert allerdings eine langfristige Beobachtung über mehrere Monate hinweg. Für professionelle Astronomen ist dies schwierig, da die Beobachtungszeit an den großen Teleskopen stark begrenzt ist. Andererseits können die Spektren massereicher Sterne gut mit kleineren Teleskopen und Spektrografen aufgenommen werden, die auch Amateurastronomen zur Verfügung stehen. Die von uns geplante lange Beobachtungskampagne lässt sich jedoch nur in einer Kooperation bewältigen - am besten auch noch von verschiedenen Standorten der Erde aus, als Versicherung gegen schlechte Wetterbedingungen.

Diese Idee diskutierte ich mit meinem Mentor und Freund Tony Moffat von der Université de Montréal, und wir konnte eine Gruppe von Amateurastronomen aus verschiedenen Ländern dafür gewinnen. Diese sollten die spektroskopische Beobachtungen durchführen, während Tonys Doktorand Remi Fahed aus Kanada die Daten anschließend auswerten würde. Wir schrieben also einen umfangreichen Beobachtungsantrag für das Teide-Observatorium auf Teneriffa - mit Erfolg! Uns wurden sagenhafte 16 Wochen vom 1. Dezember 2008 bis zum 23. März 2009 am dortigen 0,5-Meter-Teleskop der belgischen Universität Mons bewilligt.

Darüber hinaus konnten wir professionelle Astronomen aus verschiedenen Ländern für Messungen außerhalb des optischen Spektralbereichs gewinnen. Dazu gehörten auch Röntgenbeobachtungen aus dem Erdorbit, Infrarotmessungen auf Hawaii sowie Radiountersuchungen mit dem Very Large Baseline Array (VLBA).

Die optischen Beobachtungen zu diesem Projekt entstanden an unterschiedlichsten Instrumenten; sei es an einem privaten Zehn-Zoll-Teleskop oder am 3,8-Meter-Teleskop auf Hawaii. Ermöglicht wurde unsere Kampagne jedoch erst durch den außerordentlichen Einsatz von mehr als 30 engagierten Mitarbeitern unterschiedlichster Herkunft - vom Schüler bis hin zum pensionierten Fluglinienpiloten - die hier nicht alle genannt werde können. Über die Anfänge, Organisation und Durchführung unserer Kampagne habe ich bereits berichtet sowie eine erste Auswertung unserer Daten präsentiert (siehe SuW 12/2009, S. 70). Hier stelle ich nun die wesentlichen Ergebnisse vor. Ich möchte damit zeigen, welchen Beitrag Amateure in der professionellen Forschung leisten können.

Wie geplant widmete sich Remi Fahed, der an der Université de Montréal bei Tony Moffat über Sternwindkollisionen promovierte, der Auswertung der von uns beobachteten visuellen Spektren. Fahed bestimmte mit den Daten die Bahnparameter des Doppelsternsystems sowie die Eigenschaften des Stoßkegels während der größten Annäherung der beiden Sterne. Mit diesen Ergebnissen war es dann möglich, die in anderen Spektralbereichen simultan durchgeführten Beobachtungen besser zu interpretieren: Infrarotmessungen am britischen 3,8-Meter-Teleskop auf Hawaii (United Kingdom InfraRed Telescope, UKIRT) und Röntgenbeobachtungen im Erdorbit mit dem Rossi X-ray Timing Explorer (RXTE). Der entsprechende Fachartikel erschien 2011 in der Fachzeitschrift »Monthly Notices of the Royal Astronomical Society«.


Bestimmung der Bahnparameter

Um die Bahnen der beiden umlaufenden Sterne und den Zeitpunkt ihrer größten Annäherung genau zu bestimmen, nutzt man die Spektralanalyse ihrer Absorptionslinien. Die beiden Sterne umkreisen den gemeinsamen Schwerpunkt des Systems. Diese Umlaufbewegung äußert sich in einer Verschiebung der photosphärischen Absorptionslinien: Zeitweise bewegen sich die Sterne auf den Beobachter zu, dann sind die Wellenlängen ihrer Linien ins Blaue verschoben; entfernen sie sich, so sind die Linien ins Rötliche verschoben. Mit Hilfe dieses Dopplereffekts lassen sich die Geschwindigkeiten der Sterne in radialer Richtung auf der Linie zum Beobachter bestimmen. Anschließend können die wichtigsten Bahnelemente über eine optimale Anpassung dieser Radialgeschwindigkeiten ermittelt werden (siehe Kasten unten).


KASTEN

Ergebnisse: Die neu ermittelten Systemparameter des Systems WR 140

Die folgenden Diagramme veranschaulichen die aus den optischen Spektrallinien bestimmten Radialgeschwindigkeiten des Wolf-Rayet-Sterns und des O-Sterns im System WR 140. Die beiden Übersichtsgrafiken unten geben die aus der Literatur entnommenen Radialgeschwindigkeiten während der drei Periastronpassagen von 1993 bis 2003 gemeinsam mit den von uns ermittelten Werten der Passage 2009 wieder. Des Weiteren sind die Anpassungen für die beste Lösung der Umlaufbahnen als rote durchgezogene Kurven eingetragen. Die gestrichelte Linie repräsentiert die Lösung der letzten Kampagne von Marchenko und Mitarbeitern aus dem Jahr 2003. Die gestrichelten vertikalen Linien markieren die Zeitpunkte des Periastrons.

Die beiden Diagramme rechts unten zeigen in einer Vergrößerung nur die Periastronpassage 2008/2009. Zwei der mitwirkenden Amateurastronomen lieferten Daten von ihren privaten Sternwarten: Berthold Stober aus Deutschland und Robin Leadbeater aus Großbritannien (Three Hills Observatory). Ihre Messwerte stimmen gut mit den professionellen Daten überein.

Die Tabelle rechts stellt die Ergebnisse unserer Mons-Kampagne im Jahr 2009 den bisherigen Literaturwerten gegenüber. Aufgelistet sind die von uns abgeleiteten Systemparameter von WR 140 im Vergleich zu den Messergebnissen, die Marchenko und Mitarbeiter aus Beobachtungen der vorherigen Periastronpassage im Jahr 2003 erhielten. Die neuen Werte sind mit einer erheblich geringeren Messunsicherheit behaftet.

Parameter
 Mons-Kampagne
 Marchenko et al. 2003
Umlaufdauer P
Exzentrizität e
Inklination i
Strömungsgeschwindigkeit des Sternwinds vS
Halber Öffnungswinkel des Stoßkegels θ
Verkippungswinkel δφ des Stoßkegels
Bahnhalbachse des Wolf-Rayet-Sterns
Bahnhalbachse des O-Sterns
Masse des Wolf-Rayet-Sterns
Masse des O-Sterns
Impulsverhältnis der beiden Sternwinde
 2896,5 ± 0,7 Tage
 0,8962 ± 0,0014
 55° ± 6°
 2170 ± 100 km/s
 39° ± 3°
 23°
 10,9 ± 0,8 AE
 4,4 ± 0,3 AE
 16 ± 3 Sonnenmassen
 41 ± 6 Sonnenmassen
 0,039 ± 0,016
 2899,0 ± 1,3 Tage
 0,881 ± 0,005
 50° ± 15°
 2300 ± 500 km/s
 40° ± 15°
 40°
 13,5 ± 3,0 AE
 5,0 ± 1,1 AE
 19 Sonnenmassen
 50 Sonnenmassen
 0,045 ± 0,075

KASTEN ENDE


Auffällig sind zunächst die vielen Datenpunkte unserer Kampagne im Kontrast zu früheren Periastronpassagen, die es uns ermöglichten, die Genauigkeit der bisher bekannten Bahnlösungen signifikant zu erhöhen. Dies gilt sowohl für die beiden Halbachsen als auch für die Dauer eines Umlaufs und für die Bahnexzentrizität. Viele Datenpunkte verkleinern die Fehlerbalken, und in unserem Fall liegen nahezu alle neuen Bahnwerte außerhalb der früheren, weniger zuverlässigen Ergebnisse. Außerdem ließ sich mit den Spektren der O-Stern genauer der Klasse O5,5 III-V zuordnen. Seine Leuchtkraftklasse liegt somit zwischen derjenigen eines Hauptreihensterns (V) und der eines Riesen (III). Diese Ungenauigkeit ist nicht unseren Daten zuzurechnen, sondern der Tatsache geschuldet, dass die Leuchtkraftklasse IV der Unterriesen generell relativ ungenau definiert ist.


Der Fingerabdruck des Stoßkegels

Der Stoßkegel der Sternwinde verrät sich in den optischen Spektren nur während der größten Annäherung der beiden Sterne; daher widmeten wir ihm besondere Aufmerksamkeit. Der Kegel leuchtet nicht im kontinuierlichen Licht, sondern er macht sich vor allem durch eine zusätzliche schwache Emission im Licht des zweifach ionisierten Kohlenstoffs (C III) bemerkbar. Diese Emission äußert sich im Spektrum des Wolf-Rayet-Sterns als Strahlungsüberschuss, der fachsprachlich auch als »Exzess« bezeichnet wird. Während sich die beiden Himmelskörper annähern und anschließend wieder entfernen, wird die C III-Linie dopplerverschoben und wandert im Spektrum.

Um den Strahlungsüberschuss messen zu können, zieht man von jedem gemessenen Spektrum ein Referenzspektrum ab - meist das vor der Passage gemessene spektrale Minimum. Übrig bleiben dann so genannte Residuen, also Spektren, die nur durch die Strahlung des Stoßkegels erzeugt werden.

Die darin gemessenen Radialgeschwindigkeiten und Breiten der Spektrallinien vergleicht man nun mit den Parametern eines Modells, das von Siegfried Lührs entwickelt wurde. Lührs war Lehrer für Mathematik und Physik in Nordenham und zudem Amateurastronom. Im Alter von 60 Jahren promovierte er an der Universität Münster. Er entwickelte ein Modell für die Kollision von Sternwinden eines Doppelsternsystems (siehe Bild S. 73 Mitte der Druckausgabe).

Der Vergleich unserer Daten mit dem Lührs-Modell liefert die Parameter, die den Stoßkegel beschreiben: seinen Neigungs- und Öffnungswinkel, die Strömungsgeschwindigkeit des Plasmas an seinen Flanken sowie die Verkippung des Kegels auf Grund der Corioliskraft (siehe Kasten unten). Während die beiden Sterne des Systems aneinander vorbeiziehen, kippt der Stoßkegel um rund 20 Grad zur Seite und kehrt danach wieder in seine Ausgangslage zurück. Dieses Phänomen resultiert aus der Betrachtung eines sich drehenden Bezugssystems. In diesem Fall sind es die beiden Doppelsternkomponenten, die ihren gemeinsamen Schwerpunkt umrunden.

KASTEN

Die Corioliskraft - eine Scheinkraft

Die Corioliskraft ist eine Scheinkraft, die in rotierenden Bezugssystemen auftritt, beispielsweise in einem Karussell (siehe Skizze unten): Anne und Bernd fahren auf einem Karussell und werden von ihrer Mutter beobachtet, die außerhalb steht. Angenommen, Anne steht im Mittelpunkt des Karussells und Bernd am Rand. Wirft Anne nun Bernd einen Ball zu, so wird sie beobachten, dass sich der Ball auf einer gekrümmten Bahn von ihr fortbewegt und deshalb Bernd verfehlt. Anne wundert sich über das seltsame Verhalten des Balls und fragt ihre Mutter, ob sie gesehen hat, auf welcher krummen Bahn der Ball flog. Die Mutter verneint, denn aus ihrer Sicht bewegte sich der Ball auf einer geraden Linie. Wie lassen sich nun die beiden Beobachtungen »Ball auf einer gekrümmten Bahn« und »Ball auf einer geraden Bahn« miteinander vereinbaren? Anne und Bernd befinden sich in einem rotierenden Bezugssystem, in dem die Corioliskraft auftritt. Sie lenkt den Ball von der Wurfrichtung ab. Außerhalb des Karussells, im nichtrotierenden Bezugssystem, tritt diese Scheinkraft nicht auf. Deshalb kann der Ball dort nicht von seiner Bahn abgelenkt werden: Die Mutter beobachtet ihn auf einer geraden Flugbahn. Hätte Anne den Ball nicht in Richtung von Bernd, sondern weiter nach rechts geworfen, dann wäre der Ball so geflogen, wie im letzten Bild durch eine gestrichelte Linie angedeutet. Wollte Bernd den Ball nun auffangen, dann dürfte er sich nicht Anne zuwenden, sondern er müsste sich etwas nach links drehen. Diese »Verkippung« seiner Blickrichtung entspricht derjenigen des Kegels in WR 140. Im rotierenden System gelangen nur solche Winde zum O-Stern (Bernd), die der Wolf-Rayet-Stern (Anne) schräg zur Verbindungslinie auswirft.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Anne wirft Bernd auf dem sich drehenden Karussell einen Ball (rot) zu, ihre Mutter beobachtet den Vorgang von außen.

KASTEN ENDE

Allerdings ergab sich bei unseren Berechnungen eine Komplikation, denn bei WR 140 bewegen sich die Sterne auf stark exzentrischen Bahnen. Lührs legte seinem Modell jedoch Kreisbahnen zu Grunde. Zudem hängt die Corioliskraft von der Drehgeschwindigkeit ab. Während diese auf Kreisbahnen konstant ist, besagen die keplerschen Gesetze, dass sie bei der größten Annäherung der beiden Sterne ihr Maximum erreicht. Dementsprechend muss die Verkippung des Kegels zu diesem Zeitpunkt am größten sein. Wegen der großen Exzentrizität des Orbits mussten wir diesen Einfluss bei unseren Berechnungen berücksichtigen. Da die Sterne innerhalb unserer 16 Wochen dauernden Beobachtungskampagne aber immerhin 150 Grad ihres Orbits überstrichen hatten, konnten wir das Modell auf ihre elliptischen Bahnen anpassen.


Fotometrie - Kühlungsprozesse bei Sternwindkollisionen

Messungen im Röntgenbereich des elektromagnetischen Spektrums wurden mit dem NASA-Weltraumobservatorium RXTE durchgeführt, das inzwischen außer Betrieb ist. Sein Hauptinstrument, das Proportional Counter Array, erfasste Röntgenstrahlung im Energiebereich von 2 bis 60 Kiloelektronvolt und deckte somit auch die Emissionen der 10 bis 50 Millionen Grad Celsius heißen Windkollisionszone des Doppelsternsystems WR 140 ab.

Die Röntgenemission des Wolf-Rayet-Sterns im Bereich von 2 bis 10 Kiloelektronvolt verändert sich während seines Umlaufs (siehe Bild in der Druckausgabe). Während der Periastronpassage nahm die Strahlung deutlich ab, was auf einen überraschenden Temperaturrückgang hindeutet. Den Schlüssel zur Erklärung dieses Phänomens enthält die im sichtbaren Licht beobachtete Kohlenstofflinie (C III): Wird plötzlich verdichtetes Material in Form eines Stoßkegels erzeugt, so benötigt dieser Prozess Energie, die für eine Aufheizung - und damit für die Aussendung weiterer Röntgenstrahlung - nicht mehr zur Verfügung steht. Daher kühlt sich der Kegel ab, das Röntgenlicht wird folglich schwächer, und die Strahlung im sichtbaren Licht der Kohlenstofflinie wird stärker. Die Röntgenquelle heizt sich erst dann wieder auf, wenn das kühlende Material im Stoßkegel verschwunden ist.

Fotometrische Beobachtungen im optischen Spektralbereich deuten auf einen weiteren Kühlungsprozess hin: Innerhalb von zwei bis fünf Monaten nach der Periastronpassage nimmt die im V-Band gemessene Helligkeit um etwa 0,15 mag ab. Die Ursache dieses Helligkeitsrückgangs liegt darin, dass sich aus dem im Stoßkegel erzeugten heißen Material allmählich Staub bildet, der einen Teil des Lichts absorbiert. Sein Einfluss macht sich so lange bemerkbar, bis der ganze Staub nach der Passage entlang des Kegels aus dem System hinausgewandert ist. Dabei entsteht auf Grund der Rotation des Systems eine einarmige Spirale, die im Infraroten auch bei anderen ähnlichen Doppelsternsystemen beobachtet wurde (siehe Bild unten). Mit Hilfe direkter Beobachtungen durch ein Teleskop lässt sich die Produktion des Staubs so nahe am Stern nicht verfolgen: Im Gegensatz zu Infrarotbeobachtungen, die nur Bilder der Spirale im Umfeld mehrerer hundert Astronomischer Einheiten liefern, gewähren unsere Messungen tiefe Einblicke in die unmittelbare Umgebung des Wolf-Rayet-Sterns. Sie sondieren also den Entstehungsort des Windkegels.


KASTEN
Das System WR 140: Sternwindkegel und Staubspirale
Im Doppelsternsystem WR 140 umrunden ein Wolf-Rayet-Stern und ein Stern vom Spektraltyp O einen gemeinsamen Schwerpunkt. Das rund 4800 Lichtjahre von der Erde entfernte Paar befindet sich im Sternbild Schwan und leuchtet mit einer scheinbaren visuellen Helligkeit von 7,07 mag. Allerdings stehen die beiden Komponenten am Himmel so dicht beieinander, dass sie auch in den größten Teleskopen nicht getrennt sichtbar sind. Mit den Mitteln der Spektroskopie gelingt es jedoch, die Geheimnisse dieses außergewöhnlichen Systems zu lüften.
Ein Wolf-Rayet-Stern ist sehr massereich und befindet sich in der Spätphase seiner Entwicklung. Sterne dieser Art geben durch starke Winde große Mengen ihrer Materie ab; diese Ströme bestehen aus elektrisch geladenen Teilchen. Der Wolf-Rayet-Stern im System WR 140 besitzt rund 20 Sonnenmassen, hat seinen Wasserstoffvorrat bereits verbraucht und befindet sich im Stadium des Kohlenstoffbrennens. Sein Begleiter mit rund 50 Sonnenmassen, fusioniert noch Wasserstoff zu Helium.
Die beiden Partner umkreisen den gemeinsamen Schwerpunkt des Systems mit einer Periode von 7,9 Jahren. Dabei variiert ihr Abstand zwischen rund zwei Astronomischen Einheiten im Periastron und rund 30 Astronomischen Einheiten im Apastron. Die Winde der beiden Sterne kollidieren mit Geschwindigkeiten von rund 3000 Kilometern pro Sekunde. Da der Wind des Wolf-Rayet-Sterns sehr viel stärker als derjenige des O-Sterns ist, bläst er diesen kegelförmig zurück. Die Sichtlinie eines irdischen Beobachters liegt währenddessen günstig; daher lässt sich die Bewegung des Stoßkegels anhand der Dopplerverschiebung seiner Spektrallinien beobachten.
Der Wind des WR-Sterns enthält unter anderem Kohlenstoff. Dieser wird in der Stoßfront der beiden Sternwinde komprimiert. Er vermischt sich mit dem Material des O-Sterns und wird entlang des Stoßkegels aus dem System herausgeweht. Dabei kühlt das Gas ab, und es bildet sich Staub. Der heiße Ausfluss erzeugt auf Grund der Kreisbewegung der Sterne umeinander eine einarmige Spirale (siehe Bild unten). Sie verrät sich durch einen Helligkeitsanstieg im optischen und infraroten Spektralbereich.
Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Das vom Wolf-Rayet-Stern kommende heiße, angeregte Material fließt entlang der Stoßfront des O-Sterns nach außen und bildet auf Grund der Bahnbewegung der beiden Sterne eine einarmige Spirale. Ihre Temperatur nimmt mit zunehmender Distanz ab, so dass sich Staub bilden kann.

KASTEN ENDE


Kooperation mit Zukunft

Der vorliegende Beitrag ist die achte Publikation, die aus unseren Beobachtungen mit dem Mons-Teleskop auf Teneriffa hervorging. Sechs dieser Veröffentlichungen wurden von externen Fachgutachtern überprüft. Eine so große Anzahl von Fachartikeln ist für ein derartiges Projekt außergewöhnlich und spricht für das hohe Arbeitsniveau aller beteiligten Amateurund Profiastronomen. Darüber hinaus werden die Ergebnisse der Beobachtungen im Infrarot-, Radio- und Röntgenlicht noch veröffentlicht, die teilweise auf den Orbitlösungen unserer Messungen basieren. Die von uns erhaltenen Parameter des Systems WR 140 zeigen teilweise signifikante Abweichungen von früheren Messungen und sind rund dreimal genauer als diese, was sich natürlich aus der großen Anzahl gemessener Spektren ergibt. Insofern ist es kein Wunder, dass die professionelle Astronomie die Entwicklungen im Amateurbereich aufmerksam verfolgt und wohlwollend unterstützt.

Aus unserer Kampagne zur Erforschung des Systems WR 140 erwuchs eine neue Arbeitsgruppe, die »ConVento Group« für gemeinsame Forschungsprojekte von Profis und Amateurastronomen. Sie ist ein Versuch, weitere Kooperationen zu fördern. Dies setzen wir mit einer für das Jahr 2013 geplanten Kampagne am Observatorio del Teide um. Diesmal wurden uns ganze vier Monate am 80-Zentimeter-Teleskop IAC 80 bewilligt.

Der Astronom Doug Gies von der USamerikanischen Georgia State University hob unser Projekt auf einer Fachkonferenz in Belgien mit den folgenden Worten hervor: »Viele massereiche Sterne sind relativ hell und können sogar mit kleinen Teleskopen und guter Ausrüstung beobachtet werden. Kollaborationen zwischen Profis und Amateuren sind sehr viel versprechend, was ausgedehnte Beobachtungskampagnen von bestimmten Zielen angeht - wie zum Beispiel die vor kurzem durchgeführte ConVento Group Kollaboration bei WR 140.«


Thomas Eversberg ist Astrophysiker und arbeitet beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Er ist Mitbegründer des Schnörringen Telescope Science Institute (STScI), das mit professionellen Astronomen zusammenarbeitet.


Literaturhinweise

Eversberg, Th.: Sternwindtango auf Teneriffa. In: SuW 12/2009, S. 70-75
Eversberg, Th.: Spektroskopische Abenteuer. Ein goldenes Zeitalter für Amateurastronomen. In: SuW 7/2012, S. 76-84
Fahed, R. et al.: Spectroscopy of the Archetype Colliding-Wind Binary WR 140 during the 2009 January Periastron Passage. In: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 418, S. 2-13, 2011

Weblinks zum Thema unter
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1171587

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

Was ist WIS?
Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die ihren naturwissenschaftlichen Unterricht mit aktuellen und praktischen Bezügen anschaulich und abwechslungsreich gestalten wollen - und an Schülerinnen und Schüler, die sich für Vorgänge in der Natur begeistern und ein tieferes Verständnis des Universums gewinnen möchten.

Um diese Brücke von der Wissenschaft in die Schulen zu schlagen, stellt WIS didaktische Materialien als PDF-Dokumente zur Verfügung (kostenloser Download von unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de). Mit Hilfe der ID-Nummer sind diese auf der Seite www.wissenschaft-schulen.de/artikel/ID-Nummer als Download unter dem Link »Zentrales WiS!-Dokument« zugänglich.

WiS in Sterne und Weltraum

Zum Beitrag »Einem Wolf-Rayet-Stern auf den Zahn gefühlt« auf S. 68 stehen zwei WiS-Materialien zur Verfügung:

»Spektren - Fingerabdrücke der Sterne« führt zunächst anhand von Aufgaben in die Grundlagen der Spektroskopie ein. Dann wird die Masse eines Doppelsternsystems mittels seiner Spektren ermittelt.
(ID-Nummer: 1051370)

»Erleuchtender Schatten aus dem Sternsystem CV Serpentis«: Schatten sind ein vertrautes Phänomen, das sich im Unterricht leicht erklären lässt. Schattenspiele im Licht mancher Sterne können uns viel über deren Umgebung und Eigenschaften erzählen. Das Alltagsphänomen kann dabei unter einem ganz anderen Blickwinkel vermittelt werden.
(ID-Nummer: 1116255)

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 69:
Das Doppelsternsystem WR 140 besteht aus einem Wolf-Rayet-Stern und einem Stern vom Spektraltyp O. Ein vom Wolf-Rayet-Stern ausgehender heißer Wind aus ionisierten Teilchen verformt den schwächeren Wind des Begleiters, so dass ein Stoßkegel entsteht.

Abb. S. 73 oben:
Auf ihren Ellipsenbahnen kommen die Sterne des Systems WR 140 einander sehr nahe. Eingezeichnet sind die Sichtlinie und der zurückgebogene Sternwindkegel. Während der engen Passage verursacht der Kegel einen Strahlungsüberschuss im Bereich der CIII-Linie. Die Wellenlänge dieses Überschusses hängt von der Radialgeschwindigkeit des Kegels ab. Das Graustufenbild rechts belegt, dass sich der Überschuss während der Passage von kleineren zu größeren Wellenlängen verlagert. Aus der Analyse dieses Verlaufs lassen sich die Parameter des Kegels ableiten.

Abb. S. 73 Mitte:
Das Modell von Siegfried Lührs beschreibt den Stoßkegel des Sternwinds durch die Strömungsgeschwindigkeit vS des Windes an den Kegelflanken, den halben Öffnungswinkel den Verkippungswinkel δφ.

Abb. S. 74:
Die vom Satelliten RXTE im Energiebereich von 2 bis 10 Kiloelektronvolt ermittelte Röntgenzählrate änderte sich entlang der Umlaufbahn des Wolf-Rayet-Sterns. Während seiner Periastronpassage nahm die Zählrate erheblich ab.

© 2013 Thomas Eversberg, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 1/13 - Januar 2013, Seite 68 - 75
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie), Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528 150, Fax: 06221/528 377
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2013