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FRAGEN/007: Im Dialog - Lob und Tadel für die Canon EOS 6D (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 4/15 - April 2015
Zeitschrift für Astronomie

Astronomie und Praxis: Im Dialog
Lob und Tadel für die Canon EOS 6D

Astrofotograf Stefan Seip und Uwe Reichert im Gespräch


Trotz einer breiten Palette an digitalen Spiegelreflexkameras, die heute auf dem Markt erhältlich sind: Keine Kamera erfüllt alle speziellen Wünsche eines Fotografen. Auch die EOS 6D ist nur ein Kompromiss.


Stefan Seip: Herr Reichert, Sie fotografieren selbst mit einer Canon EOS 6D. Wann und warum haben Sie sich für dieses Modell entschieden?

Uwe Reichert: Die Entscheidung basierte sowohl auf technischen Gründen als auch auf persönlichen Vorlieben. Anfang 2006 war ich von Analog- auf Digitalfotografie umgestiegen. Für mich war damals die Canon EOS 5D mit ihrem Vollformatsensor die erste zu einem vernünftigen Preis erhältliche digitale Spiegelreflex, die meiner Minolta-Kleinbildkamera Konkurrenz machen konnte. Deshalb hatte ich einen Systemwechsel von Minolta auf Canon vollzogen. Anlässlich einer anstehenden Namibia-Reise 2013 wollte ich mir ein neues Modell zulegen - die Innovationszyklen bei digitalen Kameras sind ja recht kurz. Wegen meiner Vorliebe für das Vollformat und weil ich meine vorhandenen Canon-Objektive weiterverwenden wollte, kamen nur die EOS 5D Mark III oder die EOS 6D in Frage.

Seip: Und was gab letztlich den Ausschlag für die EOS 6D?

Reichert: Es war keineswegs eine leichte Entscheidung, weil beide Modelle über Ausstattungsmerkmale verfügen, die das jeweils andere Modell nicht hat. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, als sei es die Firmenphilosophie von Canon, keine Kamera anzubieten, die alle sinnvollen Funktionen integriert. So sucht man ein Schwenkdisplay bei Canons Vollformatkameras vergebens. Hier schien mir die Fernsteuerung über WLAN durchaus eine mögliche Alternative zu sein - aber diese Funktion findet sich nur in der EOS 6D, nicht in der 5D Mark III. Deshalb musste ich meine individuellen Anforderungen prüfen und mich dann entscheiden, auf welche Funktionen ich Wert lege und auf welche ich verzichten kann oder muss.

Seip: Hat bei diesen Überlegungen auch der Preisunterschied in Höhe von rund 1000 Euro eine Rolle gespielt?

Reichert: Ja - die gesparte Summe reicht immerhin für den Kauf eines hochwertigen Objektivs! Aber jetzt die Frage an Sie, Herr Seip, da Sie sowohl die EOS 5D Mark III als auch die EOS 6D im beruflichen Einsatz haben: Welche verwenden Sie denn lieber?

Seip: Das hängt vom Einsatzzweck ab. Die EOS 5D Mark III ist immer dann meine Wahl, wenn es sich um wichtige Aufnahmen handelt, die unter allen Umständen gelingen müssen. Sie liefert die signifikant besseren Resultate in den Bereichen Autofokus, Belichtung und Blitzlichtsteuerung. Die EOS 6D spielt ihre Stärke aus, wenn ich in den theoretischen Teilen meiner Fotokurse Kameraeinstellungen demonstriere, während das Publikum alles live in der Projektion nachvollziehen kann und die Kamera drahtlos über WLAN verbunden ist. Auf längeren Fototouren kommt mir das geringere Gewicht der 6D entgegen. In der Astrofotografie habe ich hingegen keine Präferenzen für das eine oder das andere Modell.

Was mich interessiert, Herr Reichert: Ist die EOS 6D Ihre Traumkamera? Falls nein, was müsste sie haben, um zu Ihrer Traumkamera zu werden?

Reichert: Im Grunde kommt die EOS 6D meiner Vorstellung einer Traumkamera schon ziemlich nahe. So kann ich auf den nicht integrierten Blitz verzichten, weil die hohe Empfindlichkeit des Sensors auch bei schwachem Licht gute Aufnahmen erlaubt. Aber ein klapp- und schwenkbares Display fände ich wirklich praktisch.

Seip: Sollte das Display dann ein Touchscreen sein?

Reichert: Nicht unbedingt. Mit der Bedienung mittels Knöpfen komme ich gut zurecht und verspüre nicht den Drang, auf dem Display herumzufingern.

Seip: Apropos herumfingern: Wir Astronomen müssen ja unsere Kameras in der Dunkelheit »blind« bedienen können. Deutlich unterschiedliche Bedienkonzepte der verschiedenen Kameramodelle machen einem da unnötig das Leben schwer. Selbst der Ein/Aus-Schalter sitzt bei den aktuellen Canon-EOS-Spiegelreflexkameras in drei völlig verschiedenen Positionen.

Reichert: Da kann ich auch ein Lied davon singen. Wenn ich parallel zur EOS 6D meine EOS 5D nutzen will, ist die Gefahr einer Fehlbedienung im Dunkeln durch die Inkonsistenz der Bedienungskonzepte stets ein Thema. Im günstigsten Fall verliert man nur Zeit, im ungünstigsten Fall aber sind die Aufnahmen unwiederbringlich verloren.

Seip: Allerdings. Versehentlich vorgenommene Einstellungen bemerkt man unter Umständen erst am kommenden Tag, was sehr ärgerlich sein kann. Gibt es davon abgesehen einen Punkt, der Ihnen bei der EOS 6D missfällt?

Reichert: Ja, nämlich die Unverträglichkeit von Akkus, die nicht von Canon stammen. Ich hatte mir Akkus von Drittanbietern gekauft, weil sie deutlich günstiger sind als die Originale, was sich bei mehreren Ersatzakkus zu einem erklecklichen Betrag summiert. Die Kamera erkennt, dass kein Originalakku verwendet wird, bringt eine entsprechende Meldung auf das Display und weigert sich, den Ladezustand des Akkus anzuzeigen. Das ist in meinen Augen extrem kundenunfreundlich. Ich möchte schon wissen, wie lange der Akku bei einer langen Aufnahmeserie durchhält!

Seip: Haben Sie ähnliche Fälle von Inkompatibilität auch bei Objektiven bemerkt?

Reichert: Nein, denn abgesehen von ein paar alten Objektiven aus der Analogzeit verwende ich nur Optiken von Canon. Aber ich habe grundsätzliches Interesse an einem Fischaugenobjektiv von Sigma. Bislang habe ich mich noch nicht zu einem Kauf durchringen können, weil ich ähnliche Probleme wie bei den Akkus befürchte.

Seip: Das Fischaugenobjektiv mit acht Millimeter Brennweite von Sigma setze ich gerne ein. An den mir bekannten Canon-Kameras funktioniert es einwandfrei. Wie es mit zukünftigen Modellen aussieht, muss man abwarten. Aber wenn wir schon bei Objektiven sind - welches ist denn Ihr Lieblingsobjektiv?

Reichert: Für nächtliche Stimmungs- oder Sternfeldaufnahmen bevorzuge ich das Canon 1,4/24 mm aufgrund seines großen Bildwinkels und der hohen Lichtstärke. Allerdings muss ich es etwa auf Blende 2 abblenden, um die Qualität in den Bildecken zu steigern. Jenseits der Astrofotografie liebe ich mein Canon-Zoom 100-400 mm wegen seiner exzellenten Abbildungsgüte.

Seip: Ich möchte nochmals auf die Bedienung der Kameras zurückkommen und würde mir ein Modell wünschen, bei dem es keine Mehrfachbelegung von Rädern und Knöpfen gibt. Pro Einstellrad also eine einzige Funktion, die aufgedruckt ist. Quasi eine funktionell stark abgespeckte DSLR mit dem »Benutzer-Maschine-Interface« einer Leica M9. Käme das dem menschlichen Geist nicht eher entgegen als die heute übliche x-fach-Belegung?

Reichert: Nun, die vielen Einstellmöglichkeiten werden ja doch oft gebraucht. Vielleicht wäre es eine Lösung, wenn der Anwender die Funktion der Bedienungselemente programmieren könnte?

Statt immer mehr Megapixel auf dem Sensor wünschen sich viele Astrofotografen ein besseres Signal-Rausch-Verhältnis bei hohen ISO-Werten.

Aber uns in der Redaktion beschäftigt ein ganz anderes Problem, nämlich die vielen Megapixel. Bei scharf abbildenden Objektiven sind die Sterne mitunter so klein, dass sie im Druck nicht mehr oder nur schwer zu erkennen sind.

Seip: Bei den Megapixeln wird meines Erachtens tatsächlich oft über das Ziel hinaus geschossen. Je nach Anwendung kann es natürlich sinnvoll sein, auch viele Megapixel zu haben. Vielleicht sollte Canon ein Modell mit unterschiedlich vielen Megapixeln anbieten, etwa eine EOS 6D mit wahlweise 36, 22 oder 12 Megapixeln. Die Ausführung mit wenigen Megapixeln könnte dann ein entsprechend besseres Signal-Rausch-Verhältnis bei hohen ISO-Werten haben.

Reichert: Das ist ein attraktiver Gedanke, nicht nur für Astrofotografen.

Seip: Herr Reichert, hat die EOS 6D im Großen und Ganzen Ihre beim Kauf vorhandenen Erwartungen erfüllt?

Reichert: Ich denke, das Preis-Leistungs-Verhältnis der EOS 6D ist schon gut! Auch mit dem Rauschverhalten bei hohen ISO-Werten bin ich zufrieden, obwohl man sich immer noch Steigerungen wünscht und vorstellen kann. Ich möchte diese Kamera nicht mehr missen. Meine Kaufentscheidung war richtig.

Seip: Das bedeutet, Sie würden die EOS 6D auch weiterempfehlen, wenn nach einer Kamera für astrofotografische Zwecke gefragt wird?

Reichert: Das habe ich im Freundeskreis sogar bereits getan. Zu Kameras mit APS-C-Sensoren äußere ich mich nicht. Stattdessen empfehle ich, die EOS 6D und die EOS 5D Mark III miteinander zu vergleichen und, je nach persönlicher Vorliebe und Budget, eine Entscheidung zu treffen.

Seip: Das ist sehr gut nachvollziehbar. Außerdem reden wir ja auch nicht über »die Kamera fürs Leben«, sondern wegen der kurzen Innovationszyklen über eine für die nächsten fünf bis sechs Jahre. Über diesen Zeitraum muss die Investition umgelegt werden.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Nicht ohne das Original: Die EOS 6D erkennt, wenn ein Akku eines Fremdanbieters eingelegt wird und verweigert die »Kommunikation« mit diesem. Die Folge: Der Fotograf erhält keine Information über den Ladezustand des Akkus.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-04-s076-pdf/1335921

© 2015 Stefan Seip und Uwe Reichert, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 4/15 - April 2015, Seite 76 - 77
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-04-s076-pdf/1335921
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2015

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