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GALAXIS/201: Astronomen entdecken eine Gravitationslinse in Rekordentfernung (idw)


Max-Planck-Institut für Astronomie - 17.10.2013

Licht auf krummen Touren: Astronomen entdecken eine Gravitationslinse in Rekordentfernung



Ein Astronomen-Team um Arjen van der Wel vom Max-Planck-Institut für Astronomie hat die bislang am weitesten entfernte Gravitationslinse entdeckt: eine Galaxie die, wie von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagt, das Licht eines deutlich weiter entfernten Objekts ablenkt und verstärkt. Die Entdeckung ermöglicht es, die Masse einer weit entfernten Galaxie direkt zu messen. Aber sie gibt auch ein Rätsel auf: Linsen dieser Art müssten äußerst selten sein. Gemessen an der Zahl der bekannten Beispiele hatten die Astronomen entweder phänomenales Glück oder, wahrscheinlicher: sie haben die Anzahl kleiner, sehr aktiver junger Galaxien im frühen Universum erheblich unterschätzt.

Bild: © MPIA / A. van der Wel

Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble von J1000+0221, der entferntesten bekannten Gravitatonslinse. Die Vordergrundgalaxie (Linsenmasse) erscheint orange gefärbt, die Hintergrundgalaxie, die in Form eines Einsteinrings vergrößert wird, bläulich. Der bläuliche Einsteinring misst nur 0,7 Bogensekunden im Durchmesser (entsprechend eines Durchmessers von 19,000 Lichtjahren am Ort der Linse). Das ist weniger als 1/2500 des Durchmessers des Vollmonds und an der Grenze desjenigen, was herkömmliche bodengebundene Teleskope überhaupt abbilden können. Das Objekt ist so klein, dass in dem Bild bereits die Pixelstruktur des Detektorchips sichtbar wird. Das Farbbild wurde aus drei separaten Aufnahmen mit zwei Teleskope an Bord des Weltraumteleskops Hubble erstellt: zwei nahinfraroten Bildern der Wide Field Camera 3 (Quelle: NASA, ESA und CANDELS) und einem Bild der Advanced Camera for Surveys (Quelle: NASA, ESA, CANDELS und COSMOS).
Bild: © MPIA / A. van der Wel

Licht wird von der Gravitation beeinflusst: Läuft Licht an einer entfernten Galaxie vorbei, wird es durch deren Gravitation ein wenig abgelenkt. Seit dem ersten Exemplar im Jahre 1979 wurden viele solcher Gravitationslinsen entdeckt. Sie stützen nicht nur Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, sondern haben sich auch als wertvolles Werkzeug erwiesen. Insbesondere lässt sich mit ihrer Hilfe die Masse der Materie bestimmen, die das Licht ablenkt - und zwar die Gesamtmasse, einschließlich der nach wie vor rätselhaften Dunklen Materie, die kein Licht emittiert oder absorbiert und daher nur über ihre Gravitationswirkung nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus verstärkt die Linse die Lichtquelle im Hintergrund, agiert also als »natürliches Teleskop«, das den Astronomen einen detaillierteren Blick auf weit entfernte Galaxien gewährt als normalerweise möglich.

Gravitationslinsen bestehen aus zwei Objekten: Der weiter entfernten Lichtquelle und der eigentlichen Linse, die zwischen uns und Lichtquelle sitzt und durch ihre Gravitation das Licht ablenkt. Liegen Beobachter, Linse und Lichtquelle exakt auf einer Linie, kann der Beobachter einen »Einstein-Ring« sehen: einen perfekten Kreis aus Licht; das verzerrte und deutlich verstärkte Bild der entfernten Lichtquelle.

Jetzt haben Astronomen die bislang am weitesten entfernte Gravitationslinse gefunden. Arjen van der Wel vom MPIA erklärt: »Die Entdeckung war vollkommen zufällig. Ich war gerade dabei, Beobachtungen eines früheren Projektes durchzusehen. Dessen Ziel war es gewesen, die Massen alter, weit entfernter Galaxien anhand der Bewegung ihrer Sterne zu bestimmen. Inmitten der Galaxienspektren« - der regenbogenähnlichen Auffächerung des Galaxienlichts in Myriaden unterschiedlicher Farbtöne - »bemerkte ich eine höchst eigenartige Galaxie. Sie sah aus wie eine extrem junge Galaxie und schien in einer Entfernung zu liegen, die sogar noch größer war als der Entfernungsbereich, auf den wir es abgesehen hatten. Dieses Objekt hätte eigentlich gar nicht Teil unseres Beobachtungsprogramms sein dürfen!«

Bei den Daten handelte es sich um Spektren, die mit dem Large Binocular Telescope in Arizona aufgenommen worden waren. Um herauszufinden, was er da gesehen hatte, nahm van der Wel sich Bilder der betreffenden Galaxie vor, die im Zuge der CANDELS- und COSMOS-Durchmusterungen mit dem Weltraumteleskop Hubble aufgenommen worden waren. Auf den Bildern sah das Objekt nun wiederum wie eine alte Galaxie aus, wie es dem geplanten Beobachtungsprogramm nach zu erwarten war. Bei näherem Hinsehen fand van der Wel allerdings einige Unregelmäßigkeiten aus - Hinweise darauf, dass dies eine Gravitationslinse sein könnte. Nachdem er alle verfügbaren Bilder miteinander kombiniert und weite Teile des Sternenlichts der Vordergrundgalaxie abgezogen hatte, war das Ergebnis eindeutig: ein fast perfekter Einstein-Ring, der auf sehr präzise in Linie liegende Linse und Hintergrundquelle schließen ließ (Abweichung von weniger als 0,01 Bogensekunden).

Die Gravitationslinse ist so weit weg, dass das Licht, nachdem es abgelenkt wurde, noch 9,4 Milliarden Jahre unterwegs war, bis es die Erde erreichte (Rotverschiebung z = 1,53; zum Vergleich: das Alter des Universums beträgt 13,8 Milliarden Jahre). Der bisherige Rekordhalter wurde vor rund 30 Jahren entdeckt. Dort brauchte das Licht nur 8 Milliarden Jahre, um uns nach seiner Ablenkung zu erreichen.

Das ist nicht nur ein neuer Rekord, sondern das Objekt erfüllt auch einen wichtigen Zweck: Das Ausmaß der Verzerrung durch die Gravitationslinse erlaubt die direkte Bestimmung ihrer Masse. Die üblichen Methoden zur Abschätzung der Masse weit entfernter Galaxien beruhen auf den Eigenschaften uns näherer Galaxien - und extrapolieren diese zu größeren Entfernungen. Mithilfe der neuen, direkten Messungen lassen sich diese Methoden auf die Probe stellen. Und die Astronomen können aufatmen: Die herkömmlichen Methoden bestehen diesen Test!

Aber die Entdeckung gibt den Astronomen auch ein Rätsel auf. Der Gravitationslinseneffekt wird nur sichtbar, wenn Lichtquelle, Linsenmasse und Beobachter mit großer Genauigkeit in einer Reihe stehen. In diesem speziellen Fall, in dem ein Einsteinring sichtbar ist, ist die Genauigkeit sogar besonders groß. Damit noch nicht genug: Die Lichtquelle ist eine sogenannte Starburst-Zwerggalaxie, also eine vergleichsweise massenarme Galaxie (nur etwa 100 Millionen Sonnenmassen), die sehr jung ist (ungefähr 10-40 Millionen Jahre alt) und mit einer enorm hohen Rate neue Sterne hervorbringt (vgl. die MPIA-Pressemitteilung 2011-11-10). Die Wahrscheinlichkeit, diese spezielle Sorte von Galaxie als Lichtquelle für eine Gravitationslinse zu finden, ist äußerst gering. Aber dies ist nun bereits die zweite Starburst-Zwerggalaxie, die in solch einer Konstellation gefunden wurde. Entweder hatten die Astronomen phänomenales Glück, oder aber Starburst-Zwerggalaxien sind viel häufiger als bisher angenommen, was die Astronomen zwingen würde, ihre Modelle für die Galaxienentstehung und -entwicklung zu überdenken.

Van der Wel fasst zusammen: »Das war eine merkwürdige und interessante Entdeckung. Zufällig verbindet sie zwei ganz verschiedene Themen meiner Forschungsarbeit - alte, massereiche Galaxien, und junge Starburst-Zwerge. Und das Ergebnis könnte unsere Vorstellungen von der Galaxienentwicklung im frühen Universum tüchtig aufrütteln.«

Weitere Informationen unter:
http://www.mpia.de/Public/menu_q2.php?Aktuelles/PR/2013/PR_2013_10/PR_2013_10_de.html
- Webversion der Pressemitteilung mit weiteren Informationen

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1413

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Astronomie, Dr. Markus Pössel, 17.10.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2013