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GESCHICHTE/065: Wie entstehen neue Weltbilder? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 12/08 - Dezember 2008
Zeitschrift für Astronomie

Welt der Wissenschaft: Galilei-Serie, Teil 2
Wie entstehen neue Weltbilder?

Von Matthias Schemmel


Die Herausforderung der Kosmologie durch die Erfindung des Teleskops

Die Erfindung des Fernrohrs und Galileis erster teleskopischer Blick zum Himmel im Jahre 1609 führte zu einer krisenhaften Zuspitzung im Streit um konkurrierende kosmologische Modelle. Die umstrittenen Fragen wurden aber erst langfristig im Wechselspiel der Kosmologie mit der Entwicklung immer neuer Beobachtungsmittel entschieden.


Die Erfindung des Teleskops vor vierhundert Jahren fiel mitten in eine Zeit des Umbruchs in der Kosmologie. Das alte, geozentrische Weltbild herrschte in der Gelehrtenwelt noch vor, das neue, heliozentrische Weltbild hatte bereits einige Verfechter auf seiner Seite, darunter so herausragende wie Johannes Kepler. Galileo Galileis »Sidereus Nuncius« (Sternenbotschaft) vom März 1610, der erste veröffentlichte Bericht über ausführliche teleskopische Beobachtungen, wurde nicht nur von seinem Autor als ein Beitrag zu der religiös und politisch aufgeladenen Debatte um das wahre Weltsystem aufgefasst. Aber während die anfänglichen Zweifel an der Möglichkeit und der Wahrheit der berichteten teleskopischen Beobachtungen nach einiger Zeit versiegten, waren die kosmologischen Schlüsse, die Galilei aus seinen Beobachtungen gezogen hatte, noch viele Jahrzehnte lang umstritten. Welchen Einfluss hatte die Erfindung des Teleskops auf den Wandel der Kosmologie?


Teleskope und der Wandel der Kosmologie

Die neueren Entwicklungen unserer Kenntnisse und Vorstellungen vom Universum sind aufs engste mit der Entwicklung der Beobachtungstechniken, die sich an die Erfindung des Teleskops anschlossen, verbunden. So waren es erst die großen optischen Teleskope in den USA, die es in den 1920er Jahren erlaubten, die äußeren Bereiche benachbarter Galaxien in einzelne Sterne aufzulösen und damit deutlich zu machen, was bis dahin nur Spekulation gewesen war: dass es sich bei diesen als »Nebel« bezeichneten Objekten um extragalaktische Sternsysteme handelt: »Welteninseln« wie unsere Galaxis - eine Einsicht, die den bekannten Kosmos mit einem Schlag um Größenordnungen erweiterte.

Mit Hilfe der spektralen Analyse des von den Teleskopen aufgefangenen Lichts, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte, entdeckte man in der Folge eine systematische Rotverschiebung der Spektrallinien im Licht, das uns von fernen Galaxien erreicht. Diese Verschiebung des Spektrums zum langwelligen Bereich versteht man heute als Folge der allgemeinen Expansion des Universums.

Die theoretische Grundlage zum Verständnis der kosmischen Expansion liefert die allgemeine Relativitätstheorie. Die empirischen Belege für die Gültigkeit dieser Theorie wiederum waren lange Zeit ausschließlich durch teleskopische Beobachtungen zu erlangen. So bot die Abweichung des Merkur von seiner durch die newtonsche Physik vorgegebenen Bahn, die man bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts festgestellt hatte, den ersten empirischen Beleg für die Gültigkeit der Relativitätstheorie. Und den Durchbruch, der zur breiten Anerkennung von Einsteins Theorie führte, besorgte 1919 Arthur Eddingtons Sonnenfinsternisexpedition, bei der die Ablenkung des Sternenlichts im Gravitationsfeld der Sonne mit Hilfe teleskopischer Positionsbestimmungen festgestellt wurde.

Die Vorstellung von der Expansion des Raums führte zu der Überlegung, es hätte eine frühe, heiße Phase des Universums geben müssen, in der Strahlung und Materie im Energiegleichgewicht standen. Die durch die Expansion des Universums weit in den langwelligen Bereich des elektromagnetischen Spektrums verschobene charakteristische Strahlung dieser frühen Phase, so konnte man sich überlegen, müssten wir noch heute als Mikrowellenstrahlung nachweisen können. Tatsächlich führte die Entwicklung der Radioteleskope, also der astronomischen Beobachtung im Bereich elektromagnetischer Strahlung weit größerer Wellenlänge als der des Lichts, 1965 zu der zufälligen Entdeckung dieser Hintergrundstrahlung - zufällig, da die Entdecker Penzias und Wilson die Voraussage einer solchen Hintergrundstrahlung gar nicht kannten und zunächst von einem Störgeräusch in ihrem Empfänger ausgegangen waren.

In der Folge hat man die Hintergrundstrahlung systematisch gemessen und festgestellt, dass die Intensität der Strahlung, die uns aus den verschiedenen Himmelsgegenden erreicht, in hohem Grade gleichförmig ist. Dieser Befund stellt wiederum eine Herausforderung an die Theorie des expandierenden Universums dar, da die Uniformität eine frühere Wechselwirkung zwischen Regionen des Kosmos notwendig erscheinen lässt, die nach dem Standardmodell der Kosmologie niemals stattgefunden haben kann. Eine Lösung, die auf breites Interesse gestoßen ist, bietet die Theorie einer inflationären Phase im ganz frühen Universum, einer Phase extrem schneller Expansion, als das Universum noch keine 10-30 Sekunden alt war. Während das frühe Universum mit optischen, Radio- oder Röntgenteleskopen nicht untersucht werden kann, da es für elektromagnetische Strahlung undurchsichtig ist, stellt die Theorie der Inflation schon jetzt eine Herausforderung für zukünftige Gravitationswellenteleskope dar. (Darüber mehr in SuW 1/2009.)

All diese Beispiele zeigen uns, dass das Teleskop mit seinen mannigfachen Weiterentwicklungen und Erweiterungen die Kosmologie immer wieder herausgefordert hat und die Kosmologie andersherum immer wieder neue Herausforderungen an die Entwicklung der Beobachtungsmittel gestellt hat. Der historische Übergang vom statischen, newtonschen Universum zum dynamischen, relativistischen Universum wäre ohne das Teleskop undenkbar gewesen.

Gilt das auch für den Übergang vom ptolemäischen zum kopernikanischen Universum? Welche Herausforderung stellte das Teleskop zur Zeit seiner Erfindung für die damalige Kosmologie dar? Was konnte man zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch ein Fernrohr sehen, und was lehrte die Beobachtung einem vor dem Hintergrund des damaligen Wissens über den Kosmos als Ganzes? Um uns einer Antwort auf diese Fragen zu nähern, betrachten wir zunächst die Kosmologie vor der Erfindung des Teleskops.


Kosmologie ohne Fernrohr: Systeme der Antike

Das vorherrschende Bild vom Kosmos zur Zeit der Erfindung des Teleskops stellte eine Mischung aus aristotelischer physikalischer Kosmologie mit den mathematischen Konstruktionen von Ptolemäus dar, im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit oft angereichert mit neuplatonischem und christlichem Mystizismus. (Siehe Bildunterschriften 2 und 3)

Der tägliche Lauf von Sonne, Mond und Sternen von Ost nach West, die Mondphasen, die sich nach rund 29 Tagen wiederholen, die jährlichen Bewegungen der Sonne und der Sterne, all diese regelmäßigen Erscheinungen sind in vielen Kulturen der Antike beobachtet und notiert worden. Sie bildeten die Grundlage für die frühen Kalendersysteme in Babylon, Ägypten, China und Mittelamerika. Darüber hinaus wurden regelmäßige Erscheinungen mit längeren Perioden, wie die Bewegungen der Planeten und Mond- und Sonnenfinsternisse, beobachtet und vorausberechnet, wie schon die astronomischen Keilschrifttexte der Babylonier aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend dokumentieren. Aber von keiner der antiken Kulturen, mit Ausnahme des alten Griechenland, ist überliefert, dass sie die Himmelsbewegungen mit Hilfe komplexer geometrischer und mechanischer Modelle gedeutet hätte. Und diese griechische Tradition der Kosmologie war es auch, die bis in die frühe Neuzeit hineinwirkte.

Das Wissen von der Kugelgestalt der Erde wird bereits Pythagoras im sechsten vorchristlichen Jahrhundert zugeschrieben. Als Beobachtungen, die diese Gestalt nahelegen, werden unter anderem die Sichtbarkeit unterschiedlicher Sterne auf verschiedenen Breiten und die runde Form des Erdschattens bei einer Mondfinsternis angegeben. Und wenn es auch Autoren gab, die wie Anaxagoras oder später Lu Lukrez von einer flachen Erde ausgingen, so stimmten die meisten Versuche, die Himmelsbewegungen geometrisch zu deuten, in der Annahme einer Kugelgestalt der Erde überein.

Diese Erde konnte sich nun im Mittelpunkt der Welt befinden, in welchem Falle man von einem geozentrischen Weltbild spricht, oder sie konnte sich auf kreisförmiger Bahn um den Mittelpunkt der Welt herumbewegen. Wenn dieser Mittelpunkt von der Sonne eingenommen wurde, dann spricht man von einem heliozentrischen Weltbild. Die beobachtete tägliche Bewegung der Sterne konnte durch eine Bewegung der Erde oder durch eine Bewegung der Sterne, die man sich dann auf einer Kugelschale befestigt denken musste, um die Erde herum zustande kommen. All diese verschiedenen Möglichkeiten sind tatsächlich bei verschiedenen Autoren der griechischen Antike anzutreffen.

So nahm Heraklid von Pontus im vierten vorchristlichen Jahrhundert eine tägliche Rotation der im Zentrum des Kosmos befindlichen Erde um eine durch die Himmelspole festgelegte Achse an. Auch wird ihm die Vorstellung zugeschrieben, dass Merkur und Venus Kreisbahnen um die Sonne beschreiben, während die Sonne die Erde umläuft. Eine weitere Idee des Heraklid von Pontus soll es gewesen sein, dass jeder Stern eine eigene Welt darstellt, mit einer Erde im Zentrum, umgeben von Luft und der Himmelssubstanz, dem Äther.

Diese Idee der vielen Welten, die in der frühen Neuzeit von Giordano Bruno (1548 - 1600) aufgenommen wurde, war in der Antike insbesondere bei atomistischen Denkern anzutreffen. Aristarch von Samos (um 300 v. Chr.) wird die These zugeschrieben, dass sich die Erde nicht nur in 24 Stunden um die eigene Achse dreht, sondern dass sie zusätzlich eine jährliche Bewegung um die Sonne beschreibt. Platon hingegen nahm die Erde als ruhend an und ließ stattdessen die Fixsternsphäre in 24 Stunden einmal um ihre Achse rotieren.

Um die Bewegungen zu erklären, die Sonne, Mond und die fünf in der Antike bekannten Planeten - Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn - in Bezug auf die Fixsterne ausführen, entstand ein System von ineinander liegenden Kugelschalen, in deren gemeinsamem Zentrum die ruhende Erde lag. Jede Sphäre vollführte eine Bewegung um ihre eigene Achse, die Himmelskörper dachte man sich an ihrem Äquator befestigt. Eudoxos von Knidos (ca. 408 - 355 v. Chr.), mit dessen Namen man die erste Ausarbeitung eines solchen Systems homozentrischer Sphären verbindet, postulierte 27 Sphären: eine für die Fixsterne, drei jeweils für Sonne und Mond und vier für jeden der fünf Planeten. Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) nahm eine mechanische Wechselwirkung der Sphären an, die sich gegenseitig antreiben sollten und benötigte ganze 55 Sphären, die zum Teil nur dazu da waren, Bewegungen weiter außen liegender Sphären zu kompensieren.

Die komplizierten, schleifenförmigen Bewegungen der Planeten ließen sich einfacher und exakter als mit den homozentrischen Sphären mit der Theorie der Epizykel beschreiben (siehe Bildunterschrift 3), die von Hipparch (um 140 - 129 v. Chr.) und dann von Ptolemäus (um 127 - 150 n. Chr.) zu immer höherer Genauigkeit entwickelt wurde. Nach dieser Theorie bewegt sich ein Planet gleichförmig auf einer Kreisbahn, Kreisbahn, dem Epizykel, deren Mittelpunkt sich zugleich auf einer Bahn um die Erde, dem Deferenten, bewegt. Weitere Epizykel konnten zur verfeinerten Beschreibung der Bewegungen herangezogen werden. Ptolemäus kombinierte die Idee der Bewegung auf Epizykeln mit derjenigen eines exzentrischen Deferenten. Der Mittelpunkt des Deferenten liegt dabei auf halber Strecke zwischen dem Mittelpunkt der Erde und dem Equanten, einem Punkt, in Bezug auf den die Bewegung auf dem Deferenten gleichförmig erscheint. Tatsächlich hatte Ptolemäus damit bereits die Grundidee der gleichförmigen Kreisbewegung verlassen, hatte aber deren »blinden Anhängern«, wie der Astronom Rudolf Wolf 1890 in seinem Handbuch der Astronomie schreibt, im Equanten ein Asyl übrig gelassen, »um dort ruhig sterben zu können«.

Die kosmologische Revolution der Renaissance nutzte geometrische Himmelsmodelle der Antike.

Die Theorie der Epizykel wurde schon früh mit der aristotelischen Lehre der kristallinen, homozentrischen Sphären zu einem Weltbild verschmolzen, woraus insbesondere ein Kanon der Abstände der Himmelskörper von der Erde folgte. Der Grundgedanke dieser kosmologischen Abstände geht auf Ptolemäus selbst zurück. Zunächst musste eine Ordnung der Himmelskörper nach ihrem Abstand von der Erde festgelegt werden. Vom Mond nahm man an, dass er der nächste Himmelskörper ist. Beobachtungen von Bedeckungen der anderen Himmelskörper, wie der Sonne, der Planeten oder der Fixsterne, legten dies nahe. Auch war er der einzige Himmelskörper, der eine messbare Parallaxe aufwies. Für die Anordnung der Sonne und der inneren Planeten hatte man keine Anhaltspunkte, man nahm aber seit Ptolemäus kanonisch an, dass Merkur, Venus und Sonne in dieser Reihenfolge sich in zunehmendem Abstand von der Erde befänden. Die äußeren Planeten ordnete man nach abnehmender Geschwindigkeit gegenüber den Fixsternen an, so dass Mars, Jupiter, und Saturn in dieser Reihenfolge sich in zunehmendem Abstand von der Erde befanden. Die Abstände zu den Planeten wurden dann unter der aristotelischen Annahme ermittelt, dass es kein Vakuum gibt und daher die Sphären dicht aneinander anschließen. So sollte die größte Entfernung des Mondes gleich der geringsten Entfernung des Merkur sein, die größte Entfernung des Merkur gleich der geringsten der Venus und so weiter. Schließlich stieß die Sphäre des Saturn direkt an die Fixsternsphäre.

Um die relativen Abstände in absolute umzusetzen, benötigte man nun die Messung eines Abstands. Der Mond war der einzige Himmelskörper, dessen Parallaxe man vor der Erfindung des Teleskops ermitteln konnte. Um vom Abstand Erde - Mond auf den Abstand Erde - Sonne zu schließen, wendete man gewisse geometrische Methoden an, wurde aber auf einen Wert geführt, der verglichen mit dem modernen Wert um einen Faktor zwanzig zu klein war. Alle weiteren Abstände folgten aus dem Schema der relativen Abstände. Der Abstand zur Fixsternsphäre ergab sich zu ungefähr 20 000 Erdradien.

Das aristotelisch-ptolemäische Weltsystem wurde im arabischen und im lateinischen Mittelalter erweitert und verfeinert, aber im Wesentlichen behielt es bis in die frühe Neuzeit seine nahezu unangefochtene Gültigkeit. Es wäre jedoch falsch, diese Langlebigkeit des geozentrischen Weltbildes schlichtweg mit dem Verweis auf einen kirchlichen Dogmatismus oder einen angeblichen Mangel an freiem Denken erklären zu wollen. Die geozentrische Sichtweise war in ein ganzes Netzwerk des Wissens eingebettet, das nicht einfach durch eine isolierte Idee wie die der zentralen Stellung der Sonne zu ersetzen war. So stützten die genauen Vorhersagen der ptolemäischen geometrischen Astronomie die geozentrische Weltsicht. Das heliozentrische Weltbild des Aristarch war nie auch nur ansatzweise ähnlich weit entwickelt worden. Die geozentrische Weltsicht war außerdem mit der aristotelischen Naturphilosophie eng verknüpft, und auch diese bezog ihre Überzeugungskraft nicht allein aus der Dominanz einer theoretischen Tradition, sondern auch daraus, dass sie Aspekte eines »intuitiven« Wissens reflektierte, das jeder Mensch im Prozess des Heranwachsens ausbildet, und das daher vielen Grundsätzen dieser Philosophie eine hohe Plausibilität verlieh.


Kosmologie ohne Fernrohr: Probleme der Neuzeit

In seinem Werk »De Revolutionibus« (1543), in dem er ein heliozentrisches System präsentierte (Bildunterschrift 4), das dem ptolemäischen an Entwicklung in nichts nachstand, versuchte Kopernikus denn auch an fast allem des aristotelisch-ptolemäischen Weltsystems festzuhalten: Er behielt die Kreisbahnen mitsamt gewisser Epizykel bei und auch die kristallinen Sphären, die sich nun allerdings, da in seinem System alle relativen Abstände im Sonnensystem durch die Geometrie der Bahnen festgelegt waren, nicht mehr berührten. Das kopernikanische System bot keine wesentliche Verbesserung für die Berechnung der Positionen der Planeten, hatte aber andere Folgen, die recht bedenklich waren. So war es vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Vorstellungen von Bewegung nicht offensichtlich, dass die Erde sich so schnell durch den Raum bewegen konnte, ohne dass die Menschen es in irgendeiner Weise zu spüren bekommen hätten. Und neben diesem mechanischen Einwand verlangte noch ein astronomischer Einwand Aufmerksamkeit: Die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne hätte eine jährliche Parallaxe der Fixsterne zur Folge haben müssen - diese hatte aber noch niemand beobachtet!

Wie war dieses Problem zu lösen? Die Lösung konnte nur in der Annahme eines sehr großen Abstands der Fixsterne von der Sonne bestehen. Tycho Brahe, der die Kunst der astronomischen Beobachtung am Vorabend der Erfindung des Teleskops auf einen neuen Zenit führte, erreichte eine Beobachtungsgenauigkeit, die es ihm ermöglichte, Unterschiede von wenigen Bogenminuten festzustellen. Da er bei den Fixsternen keine Parallaxe beobachtete, schloss er, dass die Fixsternsphäre - im Falle, dass das heliozentrische Weltbild zuträfe - rund 700 mal so weit von der Sonne entfernt sein müsse wie die Sphäre des Saturn, das hieße mehr als sieben Millionen Erdradien. Da Tycho wie seine Zeitgenossen und die über tausendjährige astronomische Tradition davon ausging, dass er die Winkeldurchmesser der Fixsterne bestimmen könne, und die Sterne nach seinen Messungen Durchmesser von etwa einer Bogenminute aufwiesen, führte die große Entfernung der Fixsterne zu dem Schluss, dass sie mindestens von der Größe der gesamten Erdbahn um die Sonne sind! Diese Maße hielt er für absurd.

Er führte ein zwischen dem ptolemäischen und dem kopernikanischen vermittelndes Weltsystem ein (Bildunterschrift 5), in dem er die Vereinfachung der Beschreibung der Planetenbewegung durch Kopernikus übernahm (Planeten kreisen um die Sonne), während er die mit der Erdbewegung verbundenen Schwierigkeiten ausschaltete (die Erde steht still, die Sonne umkreist sie mitsamt den Planeten). Eine unvermeidliche Folge des tychonischen Systems war allerdings die Zerstörung der kristallinen Sphären, da in diesem System die Bahnen von Sonne und Mars sich schneiden. Dennoch erfreute es sich das ganze 17. Jahrhundert hindurch großer Beliebtheit.

Das kopernikanische System avancierte zum Gegenentwurf zum kirchlichfeudalen Weltbild und fand in ganz Europa Anhänger, wie Simon Stevin (1548 - 1620) in Holland, Johannes Kepler (1571 - 1630) in Deutschland und Thomas Digges (1546 - 1595) in England. Letzterer formulierte 1576 die Idee, dass sich die Fixsternsphäre unendlich in den Raum erstrecke, gefüllt mit Sternen, von denen wir die meisten aufgrund ihrer großen Entfernung gar nicht sehen. Dieser Gedanke eines unbegrenzten Kosmos war möglich geworden, da die Fixsternsphäre sich im kopernikanischen System ja nicht mehr in 24 Stunden einmal um ihre Achse zu drehen brauchte. Keplers Ziel war es, den göttlichen Bauplan des Weltsystems zu ergründen. In seinem »Mysterium cosmographicum « (1596) präsentierte er eine geometrische Begründung der Sechszahl der Planeten und der Abstände ihrer Sphären im Kopernikanischen System (Bildunterschrift 7). Ausgehend von der Tatsache, dass es nur fünf reguläre Körper gibt, die so genannten Platonischen Körper, Tetraeder, Würfel, Oktaeder-, Dodekaeder und Ikosaeder, ordnete er diese so zwischen jeweils zwei Planetensphären an, von der äußeren eingefasst und die innere einfassend, dass die resultierenden Abstände der Sphären recht gut den aus den Messungen abgeleiteten relativen Abständen entsprachen.

Kepler nahm an, dass die Sonne das Kraftzentrum des Planetensystems sei und durch ihre Rotation die Planeten mittels einer Art magnetischer Kraft herumschleudere, die näheren schneller, die entfernteren langsamer. Bei dem Versuch, aus den Marsdaten Tycho Brahes die Bahn des Planeten nach Kopernikus zu berechnen, gelangte er zur Einsicht in die Ellipsenform der Planetenbahnen, eine Entdeckung, die er 1609 in seiner »Astronomia Nova« präsentierte. Dabei war es ein historischer Glücksfall, dass Tycho ihm gerade die Marsdaten gegeben hatte, denn die geringeren Exzentrizitäten der Bahnen der übrigen äußeren Planeten hätten gar nicht ausgereicht, die Unzulänglichkeit der auf Kreisbewegungen basierenden Astronomie hervortreten zu lassen. Oder anders gesagt: Wäre die Marsbahn so wenig exzentrisch wie diejenigen der anderen damals bekannten Planeten (außer Merkur, der schlecht zu beobachten war), dann wäre die Entdeckung der Ellipsenform der Planetenbahnen womöglich erst in der Zeit nach der Erfindung des Teleskops erfolgt.


Die Erfindung des Teleskops - der entscheidende Durchbruch?

Galileis erster Bericht über seine teleskopischen Beobachtungen, der »Sidereus Nuncius«, ist in größter Eile verfasst. Der Druck des Büchleins im März 1610 erfolgte nur wenige Tage nach der letzten notierten Beobachtung. Während Galilei manche seiner Entdeckungen, wie die der Parabelform der Wurfbahn, jahrzehntelang zurückhielt, arbeitete er hier an der Veröffentlichung, noch bevor die Beobachtungen abgeschlossen waren. Galileis persönliche Situation mochte zu dieser Eile beigetragen haben. Er widmete sein Werk dem Großherzog der Toskana, Cosimo de' Medici II, dem zu Ehren er auch die von ihm entdeckten vier Jupitermonde - heute bekannt als Galileische Monde - »Mediceische Monde« nannte. Die Veröffentlichung des Werkes verhalf ihm dann auch zu einer Anstellung als Mathematiker und Philosoph am Florentiner Hof der Medici.

Offensichtlich trieb Galilei aber auch die Sorge um die Anerkennung seiner Priorität bei den Entdeckungen zur Eile. Galilei hatte das Fernrohr im Frühjahr 1609 »nacherfunden«, wie er selber schreibt. Tatsächlich wurden zu dieser Zeit überall in Europa bereits Fernrohre gebaut und vereinzelt auch auf den Himmel gerichtet. So wird das neue Instrument in einem niederländischen Mitteilungsblatt vom Oktober 1608 beschrieben, wobei neben seiner Nützlichkeit in militärischen Dingen ausdrücklich erwähnt wird, dass man mit seiner Hilfe Sterne sehen könne, die dem unbewaffneten Auge verborgen blieben, weil sie zu klein seien. Und im Juli 1609, einige Monate vor Galilei, richtete Thomas Harriot in England sein Teleskop auf den Mond, wie die früheste uns erhaltene Aufzeichnung einer teleskopischen Beobachtung belegt.

Auch Kepler hatte sich bereits Jahre zuvor mit der vergrößernden Wirkung von Linsen und Spiegeln beschäftigt, war aber zu dem Schluss gekommen, dass die Luft, die er als dicht und von bläulicher Farbe annahm, und ebenso die »eigentliche Himmelssubstanz« die Details ferner Gegenstände verdecken und undeutlich machen würden. Nachdem er von Galileis Teleskop gehört hatte, sah er ein, dass seine früheren Überlegungen falsch waren und erklärte dies damit, dass der Äther, die »himmlische Substanz«, viel weniger dicht sei als Luft, ja, dass viel mehr Materie in der optischen Linse sei als entlang des unermesslich langen Lichtweges durch den Raum, da die Linse eine Verdunkelung bewirkt, der Äther aber nicht. Er schloss daraus, dass man den Raum zwischen der Erde und den Himmelskörpern beinahe als leer bezeichnen müsse.

Im Anschluss gelang es Kepler, die Funktionsweise eines »Galileischen« Fernrohrs, bestehend aus einer konvexen Objektivlinse und einem konkaven Okular, zu erklären. Dem fügte er die Erfindung des so genannten astronomischen oder Keplerschen Fernrohrs hinzu, das aus zwei konvexen Linsen zusammengesetzt ist. Die Erfindung des Teleskops, jenes Instruments, ohne das die neuzeitliche Astronomie gar nicht vorstellbar ist, hing also nicht am dünnen historischen Faden der Biografie eines einzelnen Mannes.


Galilei und Kepler: Interpreten der frühen teleskopischen Beobachtungen

Bereits Mitte März 1610 erhielt Kepler durch einen Freund die Nachricht, Galilei habe mit seinem Fernrohr vier neue Planeten entdeckt. Seine erste Sorge war, wie diese Nachricht ohne Schaden für sein »Mysterium cosmographicum« wahr sein könne. Darin hatte er ja die Zahl der sechs Planeten auf der Grundlage der Existenz genau fünf platonischer Körper erklärt, jeder weitere Planet musste die Erklärung gefährden. Bevor er den »Sidereus Nuncius « zu Gesicht bekam, beruhigte sich Kepler nun mit der Vorstellung, dass jedem Planeten genau ein Mond zugeordnet sei und Galilei diesen bei Saturn, Jupiter, Mars und Venus entdeckt habe, bei Merkur aber, wegen dessen Nähe zur Sonne, noch nicht.

Am 8. April bekam Kepler die galileische Schrift endlich zugeschickt mit der Bitte, sich dazu zu äußern. Als der Kurier elf Tage später zurück nach Italien fuhr, hatte er Keplers Antwort an Galilei, die im Mai unter dem Titel »Dissertatio cum Nuncio Sidereo« (Unterhaltung mit dem Sternenboten) veröffentlicht werden sollte, bereits im Gepäck.

Galileis »Sidereus Nuncius« und Keplers »Dissertatio« sind zwei Schriften, welche die unterschiedlichen Haltungen der beiden Wissenschaftler kaum deutlicher zum Ausdruck bringen könnten. Beide interpretieren die neuen Entdeckungen als Indizien für das kopernikanische Weltbild, aber während es bei Galilei beinahe so klingt, als habe er die Dinge, von denen er berichtet, nicht nur als Erster gesehen, sondern auch als Erster gedacht, vermittelt Keplers Schrift, dass Galileis Entdeckungen ein zwar wesentlicher Beitrag zu einer allerdings zum Teil bereits seit der Antike breit geführten Debatte sind. »Deshalb, mein lieber Galilei«, schreibt Kepler, »brauchst du unsere Vorgänger nicht um den ihnen an dieser Stelle gebührenden Ruhm zu beneiden; sie hatten dir schon so viel früher vorausgesagt, dass das, was du jetzt mit deinen Augen wahrgenommen zu haben versicherst, so sein müsse. Auch dir wird trotzdem noch Ruhm genug bleiben...« (Dieses und die folgenden Kepler-Zitate übersetzte Franz Hammer aus dem Lateinischen.)

Kepler selbst hatte nicht wenig zu dieser Debatte beigetragen, und das mag auch erklären, weshalb er Galileis Entdeckungen ohne zu zögern für glaubwürdig hielt, noch lange bevor er selbst die Gelegenheit bekam, sie mit einem eigenen Fernrohr zu überprüfen. Hierauf musste er noch bis zum August warten. Während Galilei nämlich mehrere seiner Fernrohre an verschiedene hohe Herren verschenkte, ging Kepler dabei leer aus - vielleicht weil Galilei ihn als einen Konkurrenten betrachtete? Später, als Kepler in den Besitz eines Teleskops gekommen war, berichtete Galilei ihm von seinen neusten Entdeckungen vorzugsweise verschlüsselt in Form von Anagrammen, eine damals übliche Methode, wenn die eigene Priorität festgestellt, die Entdeckung aber nicht zu früh preisgegeben werden sollte.

Was waren also Galileis erste Entdeckungen mit dem Teleskop? Was war ihre Bedeutung für die Kosmologie? Und was bedeuteten sie in Keplers Augen?


Der Mond als Erde

Ganz wie Harriot in England richtet auch Galilei in Italien sein neues Instrument zunächst auf den Mond, den einzigen Himmelskörper (neben der Sonne vielleicht), auf dem man auch mit bloßem Auge Strukturen erkennen kann. Galilei schließt aus Form und zeitlicher Veränderung der Schattengrenze auf dem Halbmond (siehe Bildunterschrift 8) auf das Vorhandensein von Bergen und Tälern auf dem Mond, wobei er die Mondberge als um ein Vielfaches höher als die irdischen Berge abschätzt. Er lässt die bereits in der Antike vorgebrachte Spekulation wieder aufleben, die dunklen Bereiche auf der Mondoberfläche seien Meere, und meint sie mit neuen Beobachtungen stützen zu können. Er benützt die Annahme einer Mondatmosphäre (die erst im 20. Jahrhundert widerlegt wird), um die Tatsache zu erklären, dass der Rand des Mondes trotz der Berge nicht gezackt erscheint. Schließlich erklärt er das schwache Leuchten des jungen Mondes als Widerschein des Lichtes von der Erde, ähnlich der Beleuchtung der nächtlichen Erde durch den Mond (eine Erklärung, die Keplers Lehrer Michael Mästlin bereits zwanzig Jahre zuvor gegeben hatte).

Galileis ganze Beschreibung seiner Mondbeobachtungen ist dazu angetan, die Vergleichbarkeit des Mondes mit der Erde hervorzuheben. Das Ziel ist klar: Eine Erdähnlichkeit des Mondes widersprach der herkömmlichen aristotelischen Sicht einer grundsätzlichen Verschiedenheit der himmlischen und der irdischen Sphäre. Eine solche Unterscheidung hatte im kopernikanischen System, in dem die Erde selber zum Planeten geworden war, keinen Sinn mehr.

Neben der Vorstellung, dass sich im Mond lediglich das Bild der Länder und Meere der Erde spiegele, war allerdings die Erdähnlichkeit des Mondes auch in der Antike schon ein gängiges Motiv. Die Deutung der dunklen Flecken auf der Mondoberfläche als Meere findet sich schon bei Plutarch. Kepler hingegen hatte argumentiert, die hellen Gebiete auf der Mondoberfläche seien das Wasser, die dunkleren das Land. Nun überzeugte ihn Galilei mit seinen Beobachtungen vom Gegenteil. Auch von der Mondatmosphäre hatte Kepler bereits geschrieben. Sein Lehrer Mästlin, der ebenfalls die Verwandtschaft von Erde und Mond betonte, hatte sogar einmal gemeint, so etwas wie über weite Flächen ausgedehnte Regenwolken auf dem Mond gesichtet zu haben.

Die runden Strukturen, die Galilei in den hellen Bereichen der Mondoberfläche ausmachte, veranlassen Kepler nun, über die mögliche poröse Struktur des Mondmaterials, das er mit Bimsstein vergleicht, zu spekulieren. Eine geringe Dichte des Mondmaterials passte nämlich gut mit seiner dynamischen Vorstellung von der Bewegung des Mondes zusammen, die er ganz analog zur Bewegung der Planeten um die Sonne erklärte: Die Erde rotierte und zog den Mond mit einer magnetischen Kraft um sich herum. Daraus, dass der Mond sich recht schnell auf seiner Bahn bewege (doppelt so schnell wie die äußeren Teile der Erde am Äquator), schließt Kepler nun, er könne dem Zug der Erde nicht viel entgegensetzen und müsse also sehr leicht sein.

Kepler projizierte das Bild vom Mond mit Hilfe einer Lochkamera auf einen Schirm. Anhand verschiedener Erscheinungen an der Schattengrenze der Mondsichel und an den Verdunkelungserscheinungen bei Mondfinsternissen hatte er geschlossen, dass es Berge auf dem Mond gebe und dass diese größer seien als die Berge auf der Erde, zumindest wenn man die Größe der Berge im Verhältnis zu Mond- beziehungsweise Erdkörper betrachtete. Hieraus hatte er gefolgert, dass die Mondbewohner, so es sie gibt, ebenfalls von größerem Körperbau und von rauerem Naturell als die Erdenbewohner seien.

Galileis Mondskizzen veranlassten Kepler zu Spekulationen über mögliche Mondbewohner.

Die Mondskizzen im »Sidereus Nuncius «, in denen Galilei einen großen, runden Krater exakt auf die Schattengrenze des Halbmondes gesetzt hatte, den es in dieser Größe und an diesem Ort in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt, inspirieren Kepler zu weiteren Spekulationen über die Mondbewohner. Er nimmt nun an, dass es sich bei diesem riesenhaften Krater nicht um ein Naturphänomen, sondern um ein von vernunftbegabten Wesen angelegtes Bauwerk handle: »Denn in der Tat wäre es doch einleuchtend, wenn auf dem Mond Lebewesen sind. dass diese sich der Eigenart ihres Raumes anpassen, der viel höhere Berge und tiefere Täler hat als unsere Erde, dass sie daher, im Besitz sehr großen Körpergewichts, auch gigantische Werke zustandebringen. Da sie einen Tag haben, der 15 Erdentage lang ist, und unerträgliche Hitze zu verspüren bekommen, da sie vielleicht auch keine Steine haben, um Schutzmauern gegen die Sonne aufzurichten, dagegen vielleicht lehmartige, zusammenhaltende Erde, so wird bei ihnen das also die übliche Bauweise sein, dass sie riesige Ebenen tiefer legen, indem sie Erde in einer Kreisform herausschaffen, und ringsum aufhäufen, vielleicht auch in der Absicht, in der Tiefe Wasser zu finden. So können sie auf dem vertieften Grund hinter den aufgeworfenen Erdwällen im Schatten liegen und in ihrem Innern mit der Bewegung der Sonne dem Schatten folgend herumwandern. Und es kann für sie eine Art unterirdischer Stadt entstehen: die Häuser als eine Menge Höhlen in jenen kreisförmigen Sockel hineingegraben, Äcker und Weideland in der Mitte, damit sie auf der Flucht vor der Sonne sich dennoch nicht allzu weit von ihrem Besitz zu entfernen brauchen.«

Zur Frage der Kosmologie konnten die Mondbeobachtungen letzten Endes nicht viel beitragen. Dass ein erdähnlicher Mond um die Erde kreist, konnte bestenfalls als eine Allegorie auf den möglichen Umlauf der Erde um die Sonne verstanden werden. Die Trennung von irdischer und himmlischer Sphäre hatte nie absolut gegolten, wie Aristoteles' eigene Bemühungen, die Bewegung der himmlischen Sphären mechanisch zu beschreiben, deutlich machen. Auf der anderen Seite hatten bereits Tycho Brahes vorteleskopische Beobachtungen die Unveränderlichkeit der himmlischen Sphäre wirkungsvoll in Frage gestellt: Während Aristoteles angenommen hatte, scheinbar irreguläre Erscheinungen wie die Kometen müssten ihren Ort unterhalb der Sphäre des Mondes haben, argumentierte Tycho auf der Grundlage seiner Parallaxenmessungen, dass die Kometen mindestens sechsmal so weit von der Erde entfernt seien wie der Mond.


Unzählige Sterne

Die Beschreibung seiner Fixsternbeobachtungen beginnt Galilei mit der Bemerkung, dass die Sterne beim Blick durch das Fernrohr nicht im gleichen Maße vergrößert erscheinen wie der Mond. Die Planeten erscheinen wie runde Scheibchen, also ganz kleine Monde, während die Fixsterne keine scharf umrissene Form zeigen. Galilei berichtet, es gäbe eine Unzahl ohne das Teleskop nicht sichtbarer Sterne: Innerhalb einer Grenze von ein bis zwei Grad um einen bekannten Stern herum sieht er mit seinem Teleskop rund fünfhundert neue Sterne. Die Milchstraße löst sein Fernrohr erstmalig in eine Ansammlung unzähliger Sterne auf. Und auch vermeintliche Nebel, etwa den von Kopernikus als »neblig« bezeichneten Stern im Kopfe des Orion, erkennt er als Ansammlung einer Vielzahl von Sternen (Bildunterschrift 10).

Das unterschiedliche Aussehen von Planeten und Fixsternen deutet Kepler dahingehend, dass die Planeten nur fremdes Licht zurückwerfen, so wie Mond und Erde, dass die Sterne aber aus ihrem Inneren leuchten, also ferne Sonnen sind, wie auch Giordano Bruno behauptete. Zugleich lehnt Kepler Brunos Idee der unendlich vielen Welten ab und argumentiert, dass die Sonne und ihre Planeten eine ausgezeichnete Stellung im Kosmos einnehmen. Von keinem anderen Stern aus, so meint er, sähe die Welt so aus wie von der Sonne, da die Fixsterne viel dichter beieinander stünden als die Sonne zu den Fixsternen. Das Fernrohr habe nun gezeigt, dass die Sterne noch viel dichter gedrängt stehen, als man mit bloßem Auge habe annehmen können.

Obwohl das Teleskop erlaubte, die Erscheinung von Planeten und Fixsternen zu unterscheiden, kamen weder Galilei noch Kepler zu dem Schluss, dass es sich bei den Sternen um punktförmige Quellen handelt, bei denen es keinen Sinn hat, einen Durchmesser bestimmen zu wollen. Das zeigt auch das folgende weitere Argument Keplers gegen die vielen Welten. Wie Tycho nimmt er den Durchmesser der meisten der gezählten Sterne als größer als eine Bogenminute an. Nimmt man nun eintausend Sterne von dieser Größe zusammen, so übertreffen sie die Größe der Sonne, ohne aber ihre Helligkeit zu erreichen, wie die Dunkelheit der Nacht verrät. Daraus schließt Kepler, dass die Sterne viel schwächer als unsere Sonne leuchten würden und daher auch nicht Zentren entsprechender Welten darstellen könnten.

Keplers Reaktion auf Galileis Sternbeobachtungen zeigt, dass die bloße Anzahl neuer Sterne keineswegs im Sinne einer weit ausgedehnten Fixsternsphäre, wie Digges sie beschrieben hatte, verstanden werden musste. In der Diskussion über die Weltsysteme konnten diese Beobachtungen daher auch keine allzu große Rolle spielen.


Die Monde des Jupiter

Schließlich berichtet Galilei im »Sidereus Nuncius« von seinen Beobachtungen der vier Jupitermonde, deren Entdeckung er für den wichtigsten Gegenstand des Buches hält. Er beschreibt die von ihm zwischen dem 7. Januar und dem 2. März 1610 beobachteten Konstellationen (Bildunterschrift 11) und schließt daraus, dass die vier »Sterne« um den Jupiter kreisen. Die Rotationsperioden der Jupitermonde berechnet später Harriot, der zu diesem Zweck im Winter 1610/1611 eigene Beobachtungen durchführt. Galilei interpretiert die Tatsache, dass es neben der Erde weitere Zentren gibt, um die Himmelskörper kreisen, als einen Hinweis auf die Gültigkeit des kopernikanischen Systems.

Die Nachricht von den vier Jupitermonden gibt Kepler Anlass zu der Hoffnung, dass die Erweiterung der Sphäre des Jupiter durch die Einbeziehung seiner Monde in seiner Theorie der platonischen

Körper die Übereinstimmung zwischen berechneten und beobachteten Abständen der Planeten noch verbessern möge. Und so wie die relativen Abstände der sechs Planeten durch die fünf platonischen Körper gegeben sind, könnten vielleicht, so überlegt Kepler, die Abstände der vier Jupitermonde mit Hilfe der drei rhombischen Körper beschrieben werden.

Weiter gibt Kepler zu bedenken, dass es nun nicht mehr unwahrscheinlich sei, dass nicht nur der Mond, sondern gerade auch Jupiter Bewohner habe. Denn wofür solle das Schauspiel des Auf- und Untergangs der vier Monde gut sein, wenn niemand da ist, es mit den Augen zu verfolgen? Diese Überlegung zieht für Kepler aber ein schwerwiegendes Problem nach sich: ».wenn es am Himmel Körper gibt, die unserer Erde ähnlich sind, kommen wir dann nicht mit jenen in Konflikt über die Frage, wer den besten Platz in der Welt innehabe? Wenn nämlich die Kugeln der anderen von besserer Art sind, dann sind nicht wir die vornehmsten der vernunftbegabten Lebewesen. Wie soll dann alles des Menschen wegen da sein? Wie sollen wir die Herren über die Werke Gottes sein?« Kepler muss also für die herausragende Stellung nicht nur der Sonne unter den Fixsternen, sondern auch der Erde unter den Planeten argumentieren. Hierzu bringt er unter anderem vor, dass man von der Erde aus alle Planeten sehen könne - der Merkur ist trotz seiner Sonnennähe gerade noch erkennbar -, während das von Jupiter aus wohl nicht mehr möglich sei. Deshalb seien den Jupiterbewohnern ja auch vier Monde zum Ersatz gegeben worden, und zwar genau vier, da es vier Planeten zwischen Sonne und Jupiter gebe. Und auch die Astrologie habe keine Revision durch die neu entdeckten Planeten zu fürchten, da diese von nur sehr geringem Einfluss auf der Erde sein könnten und auch in dieser Hinsicht eher für die Jupiterbewohner geschaffen seien.

Aus heutiger Sicht besteht die Bedeutung der Entdeckung der Jupitermonde für die damalige Kosmologie wohl im Wesentlichen darin, die Außenansicht auf ein kleines »Planetensystem« geboten zu haben. Aber während Keplers Gesetze zur Beschreibung der Planeten- und Mondbahnen ein Bestandteil des astronomischen Wissenskanons geworden sind, erscheinen seine geometrischen, astrologischen und theologischen Spekulationen heute als Kuriositäten der Wissenschaftsgeschichte. Im Prozess der Wissensentwicklung bleiben eben nur diejenigen Aspekte des wissenschaftlichen Beitrags eines Einzelnen bestehen, die dem sich wandelnden, von vielen Menschen geteilten Wissen assimiliert werden und es dadurch selbst verändern. Die übrigen Aspekte, selbst wenn sie im Entstehungsprozess der neuen Erkenntnis als Katalysatoren eine konstitutive Rolle spielten, werden vom Fortschritt zurückgelassen und wirken aus späterer Perspektive wie verlorene Kinder.


Das Teleskop: vom qualitativen zum quantitativen Instrument

Bereits in seiner »Dissertatio« wünschte sich Kepler Galileis Teleskop, um damit den Abstand von Erde und Sonne neu zu bestimmen. Vielleicht hatten Harriots teleskopische Beobachtungen der Quadratur des Mondes genau diesen Zweck. Nach einer antiken Methode von Aristarch, die in der frühen Neuzeit noch immer geläufig war, konnte man durch genaue Messung der Quadratur und der Position des Mondes aus der Entfernung Erde - Mond auf die Entfernung Erde - Sonne schließen, da die Verbindungslinien von Erde, Mond und Sonne im Moment der Quadratur am Mond einen rechten Winkel bilden.

Diese Methode setzte aber eine viel zu hohe Messgenauigkeit voraus. Der Gebrauch des Teleskops in der quantitativen Astronomie wurde erst ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts möglich, als man zur Verwendung keplerscher Fernrohre überging, die bessere optische Eigenschaften hatten und in deren Brennebene man ein Fadenkreuz oder ein Mikrometer anbringen konnte. Zunächst versuchte man, die Dimensionen des Sonnensystems auf der Grundlage teleskopischer Ermittlung der Marsparallaxe zu bestimmen. Verlässlich gelang diese Bestimmung aber erst bei der Gelegenheit der Venusdurchgänge 1761 und 1769.

In seinen frühen Tagen blieb das Teleskop dagegen ein qualitatives Instrument, das in den kosmologischen Debatten der Zeit keine schnelle Entscheidung herbeiführen konnte. Aber es bereicherte diese Debatten mit neuen Phänomenen, die nach Erklärungen verlangten. Die Sonnenflecken beispielsweise, waren zwar schon vor der Erfindung des Teleskops beobachtet worden, mit dem Teleskop wurden sie aber zum Gegenstand kosmologischer Diskussionen, da vielen eine fleckige, rotierende Sonne der aristotelischen Lehre zu widersprechen schien. Die Voraussage einer oberen Konjunktion der Venus für Anfang Dezember 1611 erregte Aufsehen, da diese nach dem ptolemäischen System als Venusdurchgang vor der Sonne hätte erscheinen müssen, nach dem tychonischen und dem kopernikanischen allerdings nicht. Ein deutlicher Schiedsspruch konnte indes auf dieser Grundlage nicht gefällt werden, da verschiedene Begründungen für das Ausbleiben eines beobachtbaren Durchgangs vorgebracht werden konnten, angefangen bei dem Zweifel an der Korrektheit der Vorhersage.

Gegen Ende des Jahres 1610 entdeckte Galilei, dass die Venus wie der Mond Phasen zeigte. Ein Freund hatte ihn darauf hingewiesen, dass das kopernikanische, nicht aber das ptolemäische System Phasen der inneren Planeten vorhersage. Allerdings bemerkte Kepler richtig, dass die Venusphasen auch im tychonischen System auftreten, so dass sie nicht als Beweis des heliozentrischen Weltbildes gewertet werden konnten. Die Bestimmung einer Fixsternparallaxe hingegen hätte dies leisten können. Anfang des 18. Jahrhunderts dachte James Bradley eine solche gemessen zu haben, aber es stellte sich heraus, dass er einen anderen Effekt entdeckt hatte: die Aberration des Lichts, die, richtig interpretiert, ebenfalls den jährlichen Umlauf der Erde um die Sonne beweist. Erst 1838 gelang Bessel und anderen der erste sichere Nachweis von Fixsternparallaxen - zu diesem Zeitpunkt war das heliozentrische Weltbild bereits fest etabliert. Das Netzwerk des Wissens, in das die geozentrische Sichtweise einst eingebettet war, hatte sich schrittweise gewandelt, bis es zum Träger eines neuen Weltbildes geworden war.


Der Autor Matthias Schemmel ist Leiter der TOPOI-Forschergruppe »Historische Epistemologie des Raumes« der Humboldt-Universität zu Berlin und des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte.


Literaturhinweise:

Bredekamp, H.: Galilei, der Künstler. In: Sterne und Weltraum 12/2007, S. 36 - 41.

Galilei, G.: Sidereus Nuncius. Herausgegeben von Hans Blumenberg, übersetzt von Malte Hossenfelder, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Nr. 337, Frankfurt am Main 2002.

Maul, S. M.: Sonnenfinsternisse in Assyrien. In: Sterne und Weltraum 9/2000, S. 742 - 750.

Neumann, M. J.: Venus vor der Sonne. In: Sterne und Weltraum 6/2004, S. 22 - 32.

Kirchhoff, J.: Giordano Bruno und die Kosmologie der Unendlichkeit. In: Sterne und Weltraum 2/2000, S. 134 - 141.

Reich, K.: Von Anaximander bis Newton. In: SuW Special 2/2002, Schöpfung ohne Ende, S. 100 - 104.

Rix, H.-W.: Perspektiven astronomischer Entdeckungen. In: Sterne und Weltraum 8/2008, S. 32 - 40.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

1. Der 100-Zoll-Reflektor der Mount-Wilson-Sternwarte war von 1917 bis 1949 das weltweit größte Teleskop. Für die Entwicklung unseres heutigen, dynamischen Weltbildes spielten die mit ihm durchgeführten Beobachtungen eine entscheidende Rolle.

2. Das Bild zeigt den Aristotelischen Kosmos in einer portugiesischen Darstellung aus dem späten 16. Jahrhundert. Für jede einzelne der himmlischen Sphären sind drei Maße gegeben: die Zeiten ihrer Rotation sowie der Umfang der Sphäre und die Länge des Bogens eines Winkelgrads auf der Sphäre, beide in der Längeneinheit Legoa - eine Legoa entspricht etwa 6,2 Kilometern.

3. Dieses Bild zeigt schematisch die Funktionsweise des ptolemäischen Systems aus Epizykeln und Deferenten.

4. Diese eigenhändige Zeichnung in einer handschriftlichen Fassung von »De Revolutionibus« illustriert das Weltbild des Nikolaus Kopernikus.

5. Im geo-heliozentrischen Weltbild Tycho Brahes schneiden sich die Mars- und die Sonnenbahn.

6. Tycho Brahe mit seinem Schüler Johannes Kepler in Prag, Kupferstich des 18. Jahrhunderts.

7. Nach Kepler ergeben sich die Abstände der Planetensphären aus der Ineinanderschachtelung der fünf Platonischen Körper.

8. Ein Beispiel für Galileis Tuschzeichnungen der Mondphasen aus dem Jahr 1610.

9. Nachbau eines Teleskops von Galilei, etwa aus dem Jahre 1610.

10. So zeichnete Galilei im »Sidereus Nuncius« aufgrund seiner ersten teleskopischen Beobachtungen der Milchstraße ein bis dahin als »Nebel des Orion-Hauptes« bezeichnetes Gebilde, das er in 21 einzelne Sterne auflösen konnte.

11. In den Nächten vom 8. bis 17. Januar 1609 notierte Galilei diese teleskopisch beobachteten Konstellationen Jupiters und seiner Monde für die Veröffentlichung im »Sidereus Nuncius«. Die genauen Uhrzeiten der einzelnen Beobachtungen lassen sich mit Hilfe eines Planetariumsprogramms leicht ermitteln - sie stimmen mit Galileis Angaben sehr genau überein.

12. Diese Darstellung des Kosmos stammt aus Otto von Guerickes »Experimenta nova...« aus dem Jahre 1672, ein halbes Jahrhundert nach der Erfindung des Teleskops. Das kopernikanisch angeordnete Sonnensystem, einschließlich der teleskopisch entdeckten Jupitermonde, ist eingebettet in ein Meer von Sternen, die zwar nicht mehr nur auf einer Schale liegen, deren wahre Natur aber damals unbekannt war.


© 2008 Matthias Schemmel, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1 der Serie finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Naturwissenschaften -> Astronomie ->
GESCHICHTE/064: Galileis Revolution und die Transformation des Wissens (Sterne und Weltraum)


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Quelle:
Sterne und Weltraum 12/08 - Dezember 2008, Seite 48 - 58
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2009