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GESCHICHTE/067: Galileis astronomische Werkstatt (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 2/09 - Februar 2009
Zeitschrift für Astronomie

Welt der Wissenschaft: Galilei-Serie, Teil 4
Galileis astronomische Werkstatt

Von Matteo Valleriani


Galileo Galilei war - entsprechend den Gepflogenheiten seiner Zeit - vielseitig orientiert, was gerade bei einem Multitalent wie ihm nicht verwunderlich ist. Hier werden einige Aspekte seiner Person und seiner Wirkungsweise vorgestellt, die mit der Entwicklung der neuen »himmeldurchbohrenden Maschine« zusammenhängen - des astronomischen Teleskops.


Galileis bedeutende astronomische Entdeckungen der Jahre 1609 und 1610 beruhen auf Beobachtungen, die er in seinem Haus in Padua machte. Von der angesehenen Hochschule zum Professor für Mathematik berufen, war er 1592 von Florenz nach Padua gekommen.

Am Ende des 16. Jahrhunderts wurden Mathematikprofessoren nicht gleichermaßen geachtet wie jene der Philosophie. Nicht ihr Ruf, noch ihre Autorität, noch ihr Gehalt waren bedeutend genug, um sich mit Lehrstuhlinhabern der naturphilosophischen Fakultät zu messen. Auch infolge äußerer Zwänge widmeten sich Professoren der Mathematik damals eher praktischen Interessen als philosophischen Fragestellungen: Neben ihrem Lehramt übten sie andere Tätigkeiten aus, mit denen sie sich als Experten auf speziellen Gebieten profilierten, was ihnen zu zusätzlichen Einkünften verhalf. Professoren allgemein, insbesondere aber jene der Mathematik, boten gegen Bezahlung vertiefenden Privatunterricht an, der höher angesehen war als der öffentliche an der Universität, in dem vor allem Grundlagen vermittelt wurden. So konnte ein Student, der etwa einen öffentlichen Kurs über die »Mechanik« des Aristoteles belegte, seine diesbezüglichen Kenntnisse erweitern, indem er den Professor in seinem Haus besuchte und ihn dort für private Unterrichtsstunden bezahlte.

Kaum in Padua angekommen, beschließt Galilei, eine Werkstatt zur Herstellung mathematischer Werkzeuge für militärische Zwecke zu eröffnen. Er interessiert sich für Instrumente wie die »militärischen Zirkel«. Sie dienten den Offizieren im Krieg zu vielerlei Zwecken - zum Beispiel zur Messung von Entfernungen und Höhen während der Belagerung einer Festung. Eine weitere typische Anwendung bestand in der maßstabsgerechten Übertragung der Messungen auf ein Blatt Papier, um den Grundriss eines vermessenen Gebäudes zu ermitteln. Ein militärischer Zirkel der Renaissance zeichnete sich durch die Vielfalt der Anwendungen aus, für die er sich eignete.

Während der ersten Jahre seines Aufenthalts in Padua entwirft, entwickelt und baut Galilei einen eigenen geometrischen und militärischen Zirkel (Bildunterschrift 1). Wie jeder andere Zirkel, beruhte auch dieser auf einfachen Sätzen der euklidischen Geometrie, die sich auf ähnliche Dreiecke beziehen. Aber das von Galilei entwickelte Exemplar zeichnete sich gegenüber seinen Vorläufern durch eine bis dahin unerreichte Vielfalt von Funktionen aus, die ohne weitere Hilfe genutzt werden konnten, und wurde in ganz Europa berühmt.

Der erste wichtige Schritt in der Karriere Galileis war die Erfindung dieses Instruments. Schon 1596 verfasst er eine Schrift über den Gebrauch seines Zirkels, die er im Jahre 1599 veröffentlicht. Sobald die Produktion des Zirkels in der Werkstatt anläuft, die er in seinem Haus in Padua eingerichtet hatte, widmet sich Galilei verstärkt seinem Privatunterricht.

Sein Haus verwandelt sich in eine Art militärisches Trainingslager. Studenten verschiedener Nationalität, oft aus reichen und adligen Familien, quartieren sich für längere Zeit und mitsamt ihrer Dienerschaft in Galileis Haus ein. Während ihres Aufenthalts können die Studenten den Zirkel erwerben, für dessen Serienherstellung Galilei einen Schmied anstellt, der mitsamt seiner Familie im selben Haus wohnt. Die Käufer werden von Galilei auch in der Handhabung des Instruments unterrichtet. Weiterhin gibt er Einführungen in Festungsbau, technisches Zeichnen, Arithmetik, praktische Astronomie, Geodäsie, euklidische Geometrie und Maschinenbau (Bildunterschrift 2). Mit anderen Worten: Galilei bildet Offiziere auf dem Gebiet der Kriegskunst des 16. Jahrhunderts aus, entsprechend den gängigen Schriften seiner Zeit: Die Ausbildung bezog sich auf den Festungsbau nach der »geometrischen Methode«, der infolge des Einsatzes beweglicher schwerer Artillerie ab dem Italien-Feldzug Karls VIII. (1492 - 1494) entwickelt worden war.

Das Spektrum der Tätigkeiten Galileis während seiner 18 in Padua verbrachten Jahre ist nicht außergewöhnlich. Denn im 16. Jahrhundert erleben die praktischen Mathematiker eine stete Aufwertung ihrer sozialen Stellung und ihrer Autorität. Dieser Prozess hat aber keine sozialen, sondern eher technologische Gründe: Die neue Kriegskunst der Renaissance war eine Folge der Entwicklungen der Metallurgie, die zur Schaffung einer neuartigen schweren und beweglichen Artillerie geführt hatten. Gegen die Durchschlagskraft dieser Artillerie waren Feldlager und Städte ebenso machtlos wie Festungen. Die neuen Verteidigungsanlagen wurden nach geometrischen Prinzipien entwickelt, um den neuen, durch den Fortschritt der Metallurgie ermöglichten Angriffsmethoden zu widerstehen. Deshalb wurde von den praktischen Mathematikern verlangt, dass sie sich der Kriegskunst zuwendeten und damit staatstragende Verantwortung übernahmen. Wer sich also auf diesem Gebiet qualifizierte, konnte auf eine bessere Karriere hoffen. Solche Anforderungen lenkten das Denken und das Verhalten Galileis, als er sein erstes Teleskop in Händen hielt.


Der Militär und Forscher

Am 24. August 1609 überreichte Galilei den Regierenden Venedigs sein erstes Teleskop. Dabei betonte er dessen militärischen Wert: Die übliche Strategie, die ein praktischer Mathematiker damals verfolgte, um seine soziale Stellung zu verbessern. Am nächsten Tag erhielt er eine beträchtliche Gehaltserhöhung, und seine Stelle als Lektor für Mathematik an der Universität in Padua wurde in eine unbefristete Professur umgewandelt.

Zu jener Zeit hatte Galilei bereits seit einigen Monaten mit dem Teleskop hantiert. Zwar war die theoretische Optik nicht seine Stärke, aber er verfügte über Erfahrungen, die er in den Werkstätten der Brillenmacher erworben hatte. Von diesen hatte er eine Methode zur Beurteilung konkaver Linsen erlernt, die er später selbst zur Bestimmung der Vergrößerung von im Teleskop eingesetzten Linsen nutzte und in seinem »Sidereus Nuncius« vorstellte. Hauptsächlich dank dieser praktischen Erfahrung und seiner Verbindung zu den Handwerkern gelang es ihm, ausgehend von einem Teleskop mit zwei bis dreifacher Vergrößerung, in kürzester Zeit eines mit neunfacher Vergrößerung zu bauen.

Nicht Galileis angeblicher Versuch, sich als Erfinder des Teleskops darzustellen, führte zur unauflöslichen Verbindung seines Namens mit diesem Instrument, lange bevor er selbst dessen astronomische Tragweite auch nur erahnte. Als vorzüglicher Handwerker hatte Galilei seine Fähigkeit bewiesen, ein Gerät enorm zu verbessern, das die Menschen in ganz Europa in Staunen versetzte und das große militärische Bedeutung hatte. Obwohl er seit mehreren Monaten mit dem weiterentwickelten Teleskop hantierte, kam es ihm nicht gleich in den Sinn, es zum Himmel zu richten. Mit Sicherheit bis Ende August 1609 galt Galileis Augenmerk nur praktischen Zwecken, und an mögliche astronomische Anwendungen dachte er dabei nicht.

Bereits 1608 war die Verbreitung des Teleskops in Europa in Gang gekommen. Bis zum Herbst 1609 hatten unzählige Personen Gelegenheit, es zu nutzen, und fast niemandem, einschließlich Galileis bis zum Sommer 1609, war jemals der »absurde Gedanke« gekommen, damit die Sterne am Himmel zu beobachten. Die Kristallsphären, die endliche und seit langer Zeit festgesetzte Zahl der Fixsterne, die glatte Oberfläche der Himmelskörper und hauptsächlich die Unvergänglichkeit der translunaren Welt waren Aspekte eines Kosmos, dessen Beobachtung mit Hilfe eines vergrößernden Geräts überflüssig erschien: Denn eine vollkommen glatte Oberfläche bleibt auch bei noch so starker Vergrößerung vollkommen glatt; die Anzahl endlich vieler Sterne bleibt unverändert, auch wenn man sie durchs Teleskop betrachtet.

Der Augenblick, in dem Galilei sein Teleskop erstmals zum Himmel richtet, ist ein merkwürdiger, bisweilen fast scherzhaft beschriebener Gegenstand der historischen Forschung. Möglicherweise hatte Galilei nicht zuletzt die Lektüre kontroverser Texte klassischer Autoren zum Blick in den Himmel veranlasst (zum Beispiel Plutarchs), Texte, die bereits die Vermutung enthielten, auf dem Mond gäbe es Landschaften, die denen auf der Erde glichen. Allerdings gehörten diese Texte nicht zum wissenschaftlichen Kanon der Zeit Galileis. Und jene wenigen, die vor Galilei einen teleskopischen Blick zum Himmel gewagt und sowohl neue Sterne als auch die raue Oberfläche des Mondes geschaut hatten, waren nicht in der Lage gewesen, diese Befunde in die wissenschaftliche Debatte einzubringen, oder sie hatten es nicht tun wollen. In dem Augenblick, in dem Galilei beginnt, den Himmel mit seinem Teleskop zu beobachten, wird aus dem praktischen Mathematiker ein Forscher neuer Art - ein Pionier der teleskopischen Astronomie.

Folgt man den verfügbaren Quellen, so ist anzunehmen, dass Galilei mit dem Teleskop, das er im September 1609 besaß, die vier Satelliten des Jupiter, die er selbst »pianeti medicei« nannte und deren Entdeckung wenig später seinen Namen in die ganze damalige Welt tragen sollte, nicht hätte beobachten können. Aber bereits das, was er mit seinem ersten Teleskop erkannte, ließ ihn das enorme Potenzial des neuen Instruments erahnen.

Als Erstes richtete Galilei das Teleskop zur Milchstraße und zum Mond. Der Blick in die Milchstraße ließ ihn erkennen, dass es viel mehr Fixsterne gab als vermutet. Die Peripatetiker, Schüler des Aristoteles, hatten 1024, Plinius der Ältere hatte 1600 Sterne gezählt: Solche Zahlen wurden zu Galileis Zeit diskutiert. Seine erste Entdeckung besagte nun, dass es sehr viel mehr Fixsterne gab und dass ihre Zahl mit den verfügbaren Instrumenten nicht zu bestimmen war. Damit wurde zwar das bisherige wissenschaftliche Wissen in Frage gestellt, aber den neuen Erkenntnissen mangelte es vorerst an einem sicheren Fundament.

Mit seinen ersten Mondbeobachtungen setzte sich Galilei sofort intensiv auseinander, und er kam zu der Auffassung, dass die Oberfläche des Mondes der irdischen sehr ähnlich sein müsse. Das stand im Widerspruch zur Vorstellung von der Zweiteilung des Kosmos in eine sublunare und eine translunare Welt. Galileis Feststellung löste endlose wissenschaftliche Debatten aus, in denen auf der einen Seite die Aristoteliker und auf der anderen die Kopernikaner und die Parteigänger Tycho Brahes standen.

Nach den Fixsternen und dem Mond bieten sich für Galilei noch die Planeten als natürliche Objekte der astronomischen Beobachtung an. Offenbar aus Neugier und angetrieben durch die unerwarteten ersten Entdeckungen, beschließt Galilei, neue, leistungsstärkere Teleskope zu bauen. Im November 1609 macht er sich an die Arbeit; am 7. Januar 1610 erkennt er bei Jupiter drei neue Himmelskörper, am 14. Januar entdeckt er den vierten. Die folgenden Beobachtungsnächte sind ganz dem Studium der Bewegungsform der vier neuen Körper gewidmet, bis Galilei zu dem Schluss kommt, dass es sich um vier Monde Jupiters handelt.

Die Brisanz dieser Entdeckung im kulturellen Kontext wird deutlich, wenn man sich die allgemeine kosmologische Vorstellung zur Zeit Galileis vor Augen führt: Man ging davon aus, dass die Planeten an konzentrische, ineinander platzierte und rotierende Kristallschalen gebunden und von diesen praktisch getragen waren. Die Jupitermonde hätten deswegen während jedes Umlaufs die tragende Kristallschale zweimal durchbohren müssen und damit die Hauptträger des Kosmos zerstört. Deshalb schrieb Johannes Kepler am 19. April, gleich nach seiner ersten Lektüre des »Sidereus Nuncius«: O Galileo, deine einzigartige Maschine durchbohrte den Himmel! Die erklärende und zerstörende Kraft der Analogie zwischen dem Teleskop und der »himmeldurchbohrenden Maschine« war enorm.

Am 30. Januar 1610 begibt sich Galilei nach Venedig, um den Druck seines Beobachtungsberichts, des »Sidereus Nuncius«, zu überwachen. Während die ersten Seiten gedruckt werden, schreibt er die folgenden und besorgt selbst die Herstellung der Kupferstiche. Er arbeitet in diesen Tagen gegen die Zeit, denn seine Entdeckungen sind ebenso sensationell wie technisch leicht nachzuvollziehen: Hätte nur ein anderer Mathematiker ein Teleskop etwa auf die Milchstraße gerichtet und das Geschaute brieflich kundgetan, so wäre die Urheberschaft der Entdeckung für Galilei verlorengegangen.

Am 30. März 1610 wird dem Werk das Imprimatur erteilt, und 550 Exemplare gehen in die Welt hinaus.


Der »Sidereus Nuncius« und der Hof

Glaubwürdigkeit und Wert des »militärischen Teleskops« waren durch die Schenkung des Instruments (und deren Annahme durch den Dogen von Venedig) gesichert. Wegen des »astronomischen Teleskops« beschließt Galilei, sich an den Hof der Medici in Florenz zu wenden: Schon während der Drucklegung des »Sidereus Nuncius« nimmt er mit dem Generalsekretär des Großherzogs von Toskana Verbindung auf, berichtet über seine sensationellen Entdeckungen und bezeugt seine Absicht, sie dem Großherzog zu widmen. Sollte dieser die Widmung annehmen, so würde dies den Entdeckungen Galileis automatisch Autorität und wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verleihen.

Zu diesem Zweck wählt Galilei den Weg, den neuen Sternen Namen zu geben, die auf die Medici hinweisen. Er bietet dem Generalsekretär die Wahl zwischen »Cosmica Sidera«, womit nur auf den Großherzog Cosimo verwiesen, und »Medicea Sidera«, womit die gesamte Familie einbezogen wird. Ohne die Antwort des Generalsekretärs abzuwarten, gibt Galilei das Titelblatt mit der allein den Großherzog erwähnenden Widmung zum Druck. Aber der Generalsekretär ist anderer Meinung, sodass in den allerersten gebundenen Exemplaren des »Sidereus Nuncius« die ursprünglich von Galilei gewählte Widmung mit einem Zettel überklebt ist, der die dem Hofe genehme Formulierung trägt.

Diese Patronagebeziehung Galileis führt dazu, dass viele Exemplare des »Sidereus Nuncius« unter Nutzung des diplomatischen Netzes der Medici an die höchsten Autoritäten in ganz Europa verschickt werden. Galileis Entdeckungen finden also eine erhebliche institutionelle und politische Unterstützung. Bei den Mächtigen aber hatte damals das aristotelische Weltbild den stärksten Rückhalt, da es den Anforderungen der katholischen Kirche am ehesten entsprach. Und die damit verbundenen Probleme ließen nicht lange auf sich warten.

An der Universität von Padua sind viele Naturphilosophen unter den Kollegen Galileis nicht bereit, seine teleskopischen Entdeckungen anzuerkennen. Einige, wie etwa der berühmte Cesare Cremonini, weigern sich strikt, durchs astronomische Teleskop zu blicken. Der Disput breitet sich schnell aus, und sogar die Autorität und die Glaubwürdigkeit des Großherzogs sind gefährdet. Viele Aspekte geraten in die Kritik, von denen einer sogleich hervortritt: Zahlreiche Beobachter, die selbst kein geeignetes Teleskop besitzen, sind nicht in der Lage, die am meisten umstrittene Entdeckung Galileis, die Existenz der vier großen Jupitermonde, nachzuvollziehen.

Ende 1609 hatte Galilei die wissenschaftlich motivierte Notwendigkeit eines leistungsfähigeren Teleskops bereits erkannt. Nach dem Erscheinen des »Sidereus Nuncius« sind solche Teleskope, die auch unerfahrenen Beobachtern die Sichtung der Jupitermonde erlauben, Galileis stärkste Waffe im wissenschaftlichen und institutionellen Kampf: Nur auf die Überzeugungskraft der sinnlichen Wahrnehmung kann Galilei sich stützen, denn er verfügt über keine Theorie des Instruments, mit der sich die Realität der geschauten Objekte mathematisch beweisen und das Vorliegen von optischen Täuschungen unbekannter Natur ausschließen ließe. Gleichzeitig übt der Hof, der Galilei soeben unter seine Schützlinge aufgenommen hatte, erheblichen Druck auf ihn aus, den Disput zu seinen Gunsten zu entscheiden.


Galilei baut sein zweites Teleskop

Wenige Tage nach dem 23. November 1609 hatte Galilei beschlossen, zur Fortsetzung seiner astronomischen Beobachtungen ein neues Teleskop zu bauen, das mehr leisten sollte als das militärische Teleskop. Auf der Rückseite eines Briefs, den ihm Ottavio Branzini aus Venedig geschickt hatte, notiert er eine Liste für seine bevorstehende, wahrscheinlich gewohnheitsmäßige Einkaufsfahrt nach Venedig. Zunächst denkt er an seine Familie und vermerkt Kleidung für seinen Sohn und seine Lebensgefährtin. Dann notiert er verschiedenes Gerät für den Haushalt und den guten Malvasia-Wein des Herrn Sagredo. Es folgt die im nebenstehenden Kasten wiedergegebene, merkwürdige Liste von Gegenständen, in die Galilei auch Anmerkungen über sein Soll und Haben in Venedig einstreute.


Galileis Einkaufsliste

Ende November 1608, wenige Wochen nach Beginn der Himmelsbeobachtungen durch sein erstes, »militärisches« Teleskop, stellte Galilei die folgende Liste zusammen, die sich offenbar auf seine Absicht bezieht, ein neues, besseres Teleskop zu bauen:

Kanonenkugeln
zwei Orgelpfeifen aus Zinn
flache deutsche Linsen
Bergkristall polieren
Spiegelstücke
Tonerde aus Tripolis
einen Spiegelmacher besuchen (»Zum König«)
mehrere Meißel
Schüsseln aus Eisen oder Stein, eventuell auf die Weise gegossen, wie man Kanonenkugeln herstellt
ein Gerät zum Polieren
griechisches Pech
Filz
ein Spiegel zum Polieren

Dieses kuriose Sammelsurium verzeichnet jene Utensilien, die Galilei für erforderlich hält, um mit eigenen Händen bessere Linsen herzustellen als jene, die er schon besitzt - wahrscheinlich jene Linsen, mit denen er sechs Wochen später die Jupitermonde entdecken wird. Mit Hilfe des von Carlo Antonio Manzini 1660 in Bologna veröffentlichten Werkes »L'occhiale all'occhio. Dioptrica pratica« lassen sich Galileis Absichten im Einzelnen rekonstruieren.

Das Okular von Galileis Teleskop bestand aus einer divergenten plankonkaven Linse, das Objektiv aus einer konvergenten plankonvexen. Beide Linsen waren sphärisch gekrümmt. Die Instrumente waren entweder aus zwei ineinandergesteckten, verschiebbaren Rohren zusammengesetzt; oder man probierte zunächst eine Reihe von Kombinationen verschiedener Linsen in unterschiedlichen Abständen. Hatte man eine brauchbare Kombination gefunden, so verwendete man eine Kordel, um den Abstand festzuhalten, in dem die Linsen montiert werden mussten. Dann wurde ein Zylinder, etwa die von Galilei beschaffte zinnerne Orgelpfeife, in der Länge der Kordel abgesägt, und schon hatte man einen Tubus geeigneter Länge. Eventuell konnte dann dieser Zylinder als Form dienen, um einen weiteren Tubus aus Pappe herzustellen, mit passendem Durchmesser zum Einsetzen der beiden verschieden großen Linsen.

Die Kanonenkugeln wurden häufig von den Brillenmachern verwendet, um die konkaven Linsen zu schleifen und zu polieren. Zum Schleifen und Polieren konvexer Linsen besorgte sich Galilei steinerne oder eiserne Schüsseln, die auf ähnliche Weise wie die Kanonenkugeln gegossen sein sollten. Das war aus zwei Gründen erforderlich: Erstens, weil man hoffte, auf diese Weise plankonkave und plankonvexe Linsen mit ähnlichen Merkmalen zu erhalten, da sie ja unter Verwendung der gleichen Materialien hergestellt wurden; und zweitens, weil man so Linsen mit Flächen gleicher Krümmung erhielt.

Das griechische Pech, der Filz und die Tonerde aus Tripolis dienten zum Schleifen und Polieren der Linsen. Zum Schleifen wurde auf die Form, auf der die Linse in kleinen Kreisen bewegt wurde (zum Beispiel auf die Kanonenkugel), eine Mischung aus Ton, Pech und Steinstaub aufgebracht. Der Filz wurde anschließend zum Polieren verwendet. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts gab es für das Schleifen konvexer Linsen noch keine Maschinen, alle Linsen wurden manuell geschliffen. Noch im Jahr 1660, als bereits Schleifmaschinen in Gebrauch waren, berichtet Manzini, dass sich die besten konvexen Linsen nach wie vor nur durch Schleifen von Hand, ohne den Einsatz einer Schleifmaschine, herstellen ließen.

Anders stand es um die konkaven Linsen. Zu deren Herstellung wurden oft spezielle, weit verbreitete Schleifmaschinen unterschiedlichster Form verwendet. Die Meißel auf Galileis Liste dienten zum Glätten der Linsenoberfläche und wurden gewöhnlich in solche Schleif- und Poliermaschinen eingesetzt.

Aus dem Briefwechsel Galileis mit dem Florentiner Hof im Jahr 1609, in dem die Verhandlungen geführt wurden, die am 10. Juli 1610 in seine Berufung auf die neue Stelle des Mathematischen und Philosophischen Primarius des Großherzogtums der Toskana mündeten, geht hervor, dass Galilei bereits Ende 1609 eine eigene Schleifmaschine für plankonkave Linsen entworfen hat (Bildunterschrift 4). Bald nach seinem Umzug von Padua nach Florenz, im Jahr 1610, berichtet Galilei selbst, dass er seine Arbeit unterbrechen und auf die Maurer warten musste, die eine Maschine zur Herstellung von Linsen in seinem Haus installieren sollten. Offenbar wurden diese Maschinen eingemauert.

Ferner stehen auf Galileis Liste: bereits geschliffene deutsche Linsen sowie Stücke aus Spiegel und Bergkristall. Diese Gegenstände stehen für drei der vier möglichen Wege, auf denen Galilei Linsen beschaffen oder herstellen konnte. (Der vierte Weg war die Verwendung von Muranoer Kristall, woran Galilei erst ab 1618 gearbeitet hat). Wahrscheinlich wollte er eine Reihe von Versuchen durchführen, um das beste Verfahren zur Herstellung von Linsen herauszufinden, die sich für den Einbau in ein Teleskop mit der gewünschten Vergrößerung eigneten. Die konkaven wie auch konvexen deutschen Linsen, auf die Galilei sich bezieht, waren einfache Brillengläser, die man damals seit geraumer Zeit in großen Mengen herstellte. Solche Linsen hatte man bereits 1608 in die ersten Teleskope eingebaut. Galilei kaufte sie in der Absicht, ihre Krümmung durch einen weiteren Schliff zu verändern.

Die Spiegelstücke wurden häufig zur Herstellung plankonkaver oder plankonvexer Linsen verwendet, denn sie bestanden aus bereits sorgsam plangeschliffenem Glas. Die Verwendung von Spiegelglas bedeutete also eine Zeit- und Arbeitsersparnis. Die Silberschicht auf der Rückseite des Spiegels wurde entfernt und eine der beiden Flächen konkav beziehungsweise konvex geschliffen und poliert.

Das beste Material - wegen seiner hohen Transparenz -, das Galilei zur Herstellung von Linsen auf dem Markt finden konnte, war Bergkristall. Hart, wie er war, ließ er sich allerdings nur sehr schwer schleifen. Ende 1609 beherrschte Galilei die Kunst des Glasschleifens möglicherweise noch nicht vollkommen, weshalb er, wie aus seinen Notizen hervorgeht, beschloss, die Hilfe eines Glasschleifers in dessen Werkstatt in Anspruch zu nehmen (»einen Spiegelmacher zu besuchen«).

Wie man sieht, mühte sich Galilei im Dezember 1609 damit ab, ausgehend von verschiedenen Materialien und unter Anwendung unterschiedlicher Verfahren, Linsen für sein Teleskop herzustellen. Er begann mit dem schlechtesten Material, den deutschen Brillengläsern, und versuchte es dann mit dem Spiegelglas und schließlich mit dem Bergkristall.

Nicht mit Sicherheit lässt sich feststellen, welche Materialien Galilei für sein erstes astronomisches Teleskop verwendete. Gewiss hatte er mit Bergkristall niemals Erfolg, und die meisten der in den folgenden Jahren hergestellten Linsen wurden aus Spiegelglas oder aus noch unbearbeiteten Glasscheiben, die für die Spiegelherstellung vorgesehen waren, geschliffen und poliert. Die Wahl dieses Materials und die Schleifprozedur führten zu wesentlich besseren Ergebnissen als bei der Verwendung von gewöhnlichen Brillengläsern, und gleichzeitig waren die erforderlichen Prozeduren für die Technik der damaligen Zeit nicht übermäßig anspruchsvoll.

Anfang Januar 1610 verfügt Galilei bereits über das neue, bessere Teleskop, mit dem er am 7. Januar die ersten drei der vier großen Jupitermonde sichtet. Aber nicht nur zu diesem Ergebnis hatte seine Arbeit im Dezember 1609 geführt: In dieser Zeit sammelte er jene Erfahrungen, die ihm zur Lösung des ersten der durch die Veröffentlichung des »Sidereus Nuncius« aufgeworfenen Probleme verhelfen sollten - brauchbare Teleskope würden bald in beträchtlicher Zahl vorhanden sein.

Schon während der letzten Monate seines Aufenthalts in Padua, und hauptsächlich später, während der ersten Monate nach seiner Rückkehr in die Toskana im Juli 1610, stellt Galilei Teleskope her, deren Qualität zur Sichtung der Jupitermonde ausreicht. Er kümmert sich persönlich um den Versand von Teleskopen an Freunde, Mathematiker und ehemalige Schüler aus seiner Zeit in Padua, während der diplomatische Apparat am Hof diese Instrumente an hochgestellte Persönlichkeiten in ganz Europa verschickt. Im Jahre 1611 kniet die Königin Frankreichs, Maria de' Medici, mit einem Teleskop in der Hand nieder, um höchstpersönlich die Jupitermonde zu beobachten. Die Bestätigung der Existenz der Jupitermonde durch Ihre Majestät verwandelte das Teleskop in ein begehrtes, königliches Symbol. Das große Bild links (siehe Bildunterschrift 5) zeigt einen Entwurf von Jean Chalette für das Titelblatt eines Buchs, das der französische Astronom Nicolas-Claude Fabri de Peiresc mit dem Titel »Astra medicea« ein Jahr nach dem Erscheinen des »Sidereus Nuncius« Galileis veröffentlichen wollte. Fabri de Peiresc beabsichtigte, den vier Monden die Namen der Großherzoge der Toskana zu geben und das gesamte Werk Maria de' Medici zu widmen.

Obwohl zahlreiche heftige wissenschaftliche Debatten geführt wurden, konnte die grundsätzliche und gefährlichste Kritik, welche die Existenz der Jupitermonde in Zweifel zog, schnell zum Schweigen gebracht werden, und die Autorität des Großherzogs der Toskana wurde durch den unermüdlichen Linsenschleifer Galilei gerettet.


Astronomische Erfindungen

Galilei bemühte sich um Entwurf und Entwicklung dreier weiterer Geräte, die für die praktische Anwendung gedacht waren. In den Jahren 1611/12 erfand er das Jovilabium. Dieses Gerät hätte einen Zusammenhang zwischen der Position der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne und der Position der Jupitermonde herstellen sollen. Galilei baute niemals eine solche Maschine, aber er entwickelte zwei Pläne: einen zur Bestimmung der Positionen des Jupiter und seiner Monde, den anderen für die Positionen der Erde und der Sonne. Auf dieser Grundlage wurde das Gerät tatsächlich Mitte des 17. Jahrhunderts von einem Unbekannten gebaut (Bildunterschrift 6).

Ab 1616 und bis zu seinem Lebensende befasst sich Galilei damit, Vorrichtungen zur Bestimmung der geografischen Länge auf See zu entwerfen - eines der zentralen Probleme seit Beginn der großen Entdeckungsreisen im 15. Jahrhundert. Galilei ging davon aus, dass sich die Ephemeriden der Jupitermonde für einen Bezugspunkt gegebener geografischer Länge genau berechnen ließen. Der Vergleich der beobachteten Stellungen der Jupitermonde mit der aus astronomischen Beobachtungen abgeleiteten Ortszeit des Schiffs hätte die Zeitdifferenz zum Bezugspunkt der Ephemeriden und damit die aktuelle geografische Länge des Beobachters ergeben.

Diese Methode schlug Galilei erst dem spanischen König und dann den Generalstaaten der Niederlande vor. Sie wurde aber niemals umgesetzt, weil sich die Jupitermonde auf einem schwankenden Schiff nicht mit hinreichender Genauigkeit beobachten ließen. Deshalb erfand Galilei 1616 den »Celatone« und 1637 die »schwimmende Wanne« (Bilderunterschrift 7). In beiden Fällen ging es darum, die Schwankungen eines Schiffs für den Beobachter zu neutralisieren. Der Celatone bestand aus einem Helm mit integriertem Teleskop, mit dessen Hilfe der Beobachter durch entsprechende Bewegungen des Kopfes ein stehendes Bild der Jupitermonde erhalten konnte. Die schwimmende Wanne bestand aus einer sphärischen Wanne, die in einer zweiten, mit einer zähen Flüssigkeit gefüllten Wanne schwamm. Der in der inneren Wanne liegende Beobachter würde in einer relativ zum Horizont ruhenden Position verharren. Seine Beobachtungen sollte er mit Hilfe des Celatone oder eines an seinem Sitz befestigten konventionellen Fernrohrs durchführen.

Der Celatone wurde zwar ausprobiert, aber ohne Erfolg. Von der schwimmenden Wanne ist kein Konstruktionsversuch überliefert.


Der praktische Optiker

Nach 1610 verbreitete sich Galileis Ruhm in ganz Europa. Allerdings bezog sich dieser Ruhm im Bewusstsein der europäischen Intellektuellen nicht nur auf den Astronomen Galilei. Zumindest bis zur Veröffentlichung des »Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme« im Jahr 1632 war Galileis Ruf als praktischer Optiker ebenso groß wie derjenige als Astronom.

Galileis Haus wurde zu einem Zentrum für die Verbreitung von Teleskoplinsen.

Wer auch immer ein gutes Teleskop besitzen wollte, fragte bei Galilei an. Er seinerseits, da er so viele Linsen nicht eigenhändig herstellen konnte, knüpfte ein Netz von Beziehungen, die ihm das Beschaffen erstklassiger Linsen verschiedener Herkunft erlaubten. Sein enger Freund Giovan Francesco Sagredo zum Beispiel bestellte Hunderte Linsen in Venedig, die er dann auch selbst überprüfte. Die besten von ihnen wurden an Galilei gesandt, der sie an die Besteller weiterleitete. Gewöhnlich wurden die hochwertigsten Linsen an die am höchsten gestellten Persönlichkeiten geliefert.

Der Handel war recht einfach organisiert. Sagredo ließ auf eigene Kosten erstklassige Formen für das Schleifen und das Polieren von Linsen unterschiedlicher Größe und Krümmung herstellen. Diese Formen lieferte man an eine Werkstatt, in der die Teleskoplinsen hergestellt wurden - mittlerweile ein recht einträgliches Geschäft. Der Inhaber dieser Werkstatt durfte die teuren und gut gearbeiteten Formen für die eigene Produktion verwenden, und im Gegenzug konnte Sagredo sich die besten Stücke aus jeder produzierten Serie aussuchen. Alle anderen Linsen durfte der Hersteller frei verkaufen und die gesamten Einnahmen aus diesen Verkäufen für sich behalten. Die ausgewählten Linsen wurden von Venedig nach Florenz geschickt, sodass Galilei als Kunde der Werkstatt auftrat - und dies wiederum nutzte der Hersteller, um weitere Kunden für sich zu werben.

Weil er den Vertrieb beschleunigen wollte, hielt Galilei sich nicht damit auf, die optischen Bauelemente in die Teleskoptuben einzubauen und die fertig montierten Teleskope zu verschicken. Er prüfte einfach die Linsen, bestimmte den Abstand, in dem sie ins Teleskop montiert werden sollten, schnitt von einer Kordel ein Stück dieser Länge ab und versendete es zusammen mit den Linsen in einem so genannten Schächtelchen an die Besteller.

Wieder in Florenz, bezog Galilei die Linsen in den ersten Jahren hauptsächlich aus Venedig. Während dieser Zeit war Sagredo überwiegend damit beschäftigt, die Herstellung der Linsen bei den verschiedensten Werkstätten in Auftrag zu geben und deren Qualität zu prüfen. Er sammelte so viel Erfahrung, dass er sich bald auch mit der Herstellung und Prüfung bikonvexer und bikonkaver Linsen befassen konnte. 1613 formulierte er als Erster das »Gesetz der Linsenmacher«, das die Berechnung der Brennweite bikonvexer Linsen erlaubt. Er teilte Galilei seine »theoretischen« Überlegungen umgehend mit, aber Galilei nahm sie nicht zur Kenntnis.

In den folgenden Jahren bemühten sich Galilei und Sagredo auch um die Verbesserung anderer Merkmale und Eigenschaften des Teleskops. Wie gesagt, im Dezember 1609 versuchte Galilei bessere Linsen für sein Teleskop herzustellen, indem er drei der vier für ihn erreichbaren Materialien ausprobierte.

Außer für den Bergkristall war Venedig berühmt für die Produktion des Muranoer Kristalls (»Cristallo di Murano«). Dieses Kristallglas war ähnlich transparent und brillant wie Bergkristall, aber es war weicher und damit leichter zu schleifen und zu bearbeiten. Im Jahr 1609 hatte Galilei offenbar noch keinen Zugang zu den Glasbläsereien in Murano; aber gleich von Anfang an wurde in Galileis Briefwechsel die Frage der Produktion eines möglichst geeigneten Materials zur Herstellung der Linsen intensiv diskutiert. Im Jahr 1618 schließlich erdachten Sagredo und Galilei, ausgehend von der Zusammensetzung und dem Herstellungsverfahren des Muranoer Kristalls, eine Reihe von Experimenten, um ein neues Verfahren zur Herstellung eines Kristallglases zu entwickeln, das sich als Material für Teleskoplinsen besonders gut eignen sollte.

Sagredo, der aus einer adligen Familie stammte, war es, dem es gelang, die Tore von Murano auch für Galilei zu öffnen. Dieser blieb zwar in Florenz, hielt aber mit Sagredo engen brieflichen Kontakt, um den Verlauf der Experimente im Einzelnen zu verfolgen. Die tatsächlich durchgeführten Versuche konzentrieren sich aus schließlich auf Auswahl und Verarbeitung der einzelnen Komponenten, die in das Rezept zur Herstellung des Kristalls eingehen, während das für Murano typische Schmelzverfahren beibehalten wird.

Die Ausgangsmischung bestand bereits aus zusammengesetzten Zutaten, und der Schmelzvorgang verlief in mehreren Phasen und dauerte einige Monate: Die ablaufenden Prozesse waren so komplex, dass die Versuche Galileis und Sagredos im Sande verlaufen mussten, weil es an theoretischer Durchdringung mangelte; auch fehlte ihnen die nötige praktische Erfahrung, um die Handwerker in Murano zu führen. Allerdings erhielten die beiden nicht einmal die Möglichkeit, sich dieser Tatsachen bewusst zu werden: Vermutlich aus Furcht, Sagredo und Galilei könnten ihr Ziel erreichen und ein besseres, transparenteres und homogeneres Kristallglas als die Muranoer Werkstätten herstellen, boykottierten die Handwerker alle Experimente. Sagredo selbst äußerte diesen Verdacht in einem Brief an Galilei, da jedes Mal, wenn die letzte entscheidende Phase der Herstellung erreicht war, die Glasschmelze durch irgendeinen »Unfall« aus ihrem Behälter austrat und sich in den Ofen oder sogar auf den Fußboden ergoss.

Ende des Jahres 1618 wurden die Muranoer Versuchsreihen Sagredos und Galileis ergebnislos abgebrochen. Aber ab 1620 gab es für Galilei, neben Venedig, eine weitere beachtliche Bezugsquelle für Teleskoplinsen: Neapel. Und nach dem Tode des Großherzogs Cosimo II. im Jahr 1621 erwies sich sein Nachfolger Ferdinando II. als derartig teleskopbegeistert, dass sich Florenz selbst in kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Produktionszentren für Teleskoplinsen entwickelte. Im Jahr 1639, als Galilei bereits 75-jährig und nahezu blind im Hausarrest lebte, verlangte der Großherzog von ihm, weiterhin seinem Auftrag nachzukommen, die Arbeit von Ippolito Francini, dem obersten Linsenhersteller im Dienst des Großherzogs, selbst zu überwachen.

Kepler hatte es richtig erkannt: Galileis Teleskop war eine großartige Maschine, und deshalb wurde Galilei sein Leben lang als ein hervorragender Handwerker geachtet.


Matteo Valleriani erforscht in Berlin am Max- Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und an der Humboldt-Universität die Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf die Entstehung der theoretischen modernen Wissenschaften in Europa während der frühen Neuzeit.

Aus dem Italienischen von Jakob Staude


Literaturhinweise

Biagioli, M.: Galileo's Instruments of Credit. Telescopes, Images, Secrecy, The University of Chicago Press, Chicago 2006.

Camerota, M.: Galileo Galilei e la cultura scientifica nell'età della Controriforma, Salerno editrice 2004.

Olschki, L .: Galilei und seine Zeit, Max Niemeyer Verlag, Halle 1927 (Klaus Reprint Ltd, Vaduz 1965). Vol. 3 von L. Olschki, Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur.

Zilsel, E.: Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Original-Publikation:

Bildunterschrift 1:
Galileis »geometrischer und militärischer Zirkel«. Aus: G. Righini, »Le operazioni del compasso geometrico e militare di Galileo Galilei«, Florenz 1980.

Bildunterschrift 2:
Hier verzeichnet Galilei seine Einnahmen und Ausgaben im Rahmen seiner Tätigkeit als Konstrukteur mathematischer Instrumente für militärische Anwendungen und als privater Ausbilder zukünftiger Offiziere.

Bildunterschrift 3:
In den Werkstätten der Brillenmacher hatte sich die praktische Erfahrung angesammelt, auf die Galilei für die Herstellung seiner Teleskoplinsen zurückgriff. Diese Darstellung einer solchen Werkstatt ist entnommen aus: Stradanus, »Nova reperta«, 1584.

Bildunterschrift 4:
Diese Schleifmaschine zur Bearbeitung von Linsen entwarf Galilei 1639 für Ippolito Francini, den obersten Hersteller von Teleskoplinsen im Dienst des Großherzogs der Toskana.

Bildunterschrift 5:
Diese Allegorie zeigt die vier Monde und Jupiter in ihrer Mitte. Die vier Großherzoge der Toskana sitzen auf den Monden und Maria de' Medici auf Jupiter.

Bildunterschrift 6:
Dieses Jovilabium wurde von einem Unbekannten nach Entwürfen Galileis gebaut.

Bildunterschrift 7:
Virtuelle Rekonstruktionen des Celatone (oben) und der schwimmenden Wanne (links) nach Galileis Beschreibungen.

Bildunterschrift 8:
Allegorische Darstellung eines Schmelzofens für die Glasherstellung.


© 2009 Matteo Valleriani, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1, 2 und 3 der Serie finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Naturwissenschaften -> Astronomie ->
GESCHICHTE/064: Galileis Revolution und die Transformation des Wissens (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/065: Wie entstehen neue Weltbilder? (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/066: Die Ursprünge des Teleskops (Sterne und Weltraum)


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Quelle:
Sterne und Weltraum 2/09 - Februar 2009, Seite 42 - 51
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2009