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KOMET/074: Stardust-NExT - Der zweite Besuch beim Kometen Tempel 1 (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 2/11 - Februar 2011
Zeitschrift für Astronomie

Stardust-NExT - Der zweite Besuch beim Kometen Tempel 1

Von Harald Krüger


Erstmals wird Mitte Februar 2011 ein Komet wiederholt von einer Raumsonde besucht: Stardust-NExT fliegt am Kern des Kometen 9P/Tempel 1 vorbei und nimmt diesen - sechs Jahre, nachdem er von der Sonde Deep Impact beschossen wurde - erneut unter die Lupe.


In Kürze
• Die US-Raumsonde Stardust-NExT nähert sich am 14. Februar 2011 dem Kern des Kometen Tempel 1 auf 200 Kilometer an und erkundet den aus eisigem Staub bestehenden Brocken im Vorbeiflug.
• Stardust-NExT soll die durch Sublimation von flüchtigen Stoffen erfolgten Veränderungen auf der Oberfläche des Kometenkerns kartieren, die sich seit dem Vorbeiflug der Vorgängersonde Deep Impact im Juli 2005 ergeben haben.
• Wenn möglich, soll die Sonde die Größe und Tiefe des durch Deep Impact erzeugten Einschlagkraters ermitteln. Zudem erhoffen sich die Forscher Aufschluss über den inneren Aufbau des Kometenkerns.


Kometen sind nach wie vor ein sehr aktuelles Thema in der Planetenforschung, und in der nächsten Zeit sind spektakuläre neue Ergebnisse zu erwarten. Die Schweifsterne gelten als Archiv aus der Frühzeit des Sonnensystems. Sie liefern uns viele Informationen über die leichtflüchtigen Bestandteile des solaren Urnebels, aus dem einst die Planeten und Monde unseres Sonnensystems hervorgingen. Durch geologische Vorgänge auf diesen Himmelskörpern sind jedoch die Informationen über die ursprüngliche Zusammensetzung weitgehend ausgelöscht. In den »kosmischen Tiefkühltruhen«, wie die eisigen Kometen bisweilen auch genannt werden, blieben die Urmaterialien jedoch nahezu unverändert erhalten und lassen sich mit Raumsonden untersuchen.

Nun rückt erstmals ein bereits von einer Sonde erkundeter Komet, Tempel 1, erneut in das Blickfeld der Forscher. Im Juli 2005 passierte ihn die US-Raumsonde Deep Impact und ließ dabei ein 372 Kilogramm schweres Projektil auf der Oberfläche des Kometenkerns einschlagen, wodurch Material ausgeworfen wurde und ein Krater entstand (siehe SuW 9/2005, S. 20). Das Ereignis wurde während des Vorbeiflugs mit den Kameras und dem Infrarotspektrometer an Bord der Sonde sowie mit zahlreichen Teleskopen von der Erde aus beobachtet (siehe Bild oben; in der Printausgabe). Dabei kartierte Deep Impact große Teile der Kometenoberfläche und untersuchte die Fontäne aus freigesetztem Auswurfmaterial. Der ausgeworfene Staub war aber so dicht, dass der Einschlagkrater hinter der Auswurffontäne verborgen blieb.

Knapp sechs Jahre nach dem Vorbeiflug von Deep Impact wird nun am 14. Februar eine zweite Sonde am Kometen Tempel 1 vorbeifliegen: Stardust-NExT soll ihn erneut untersuchen und dabei Bilder und Messdaten zur Erde senden. Warum gibt es einen zweiten Vorbeiflug an diesem Schweifstern, und welche Ergebnisse sind zu erwarten?


Die Raumsonde Stardust-NExT

Stardust-NExT wurde nicht speziell für den Besuch des Kometen 9P/Tempel 1 gebaut, sondern ist eine »Recycling-Raumsonde«. Es ist die im Jahr 1999 gestartete Sonde Stardust, die bereits im Jahr 2004 am Kometen 81P/Wild 2 vorbeiflog und diesen sehr erfolgreich untersuchte. Da sich Stardust nach der Kometenpassage noch in sehr gutem Zustand befand, veränderten die Missionskontrolleure der NASA ihre Bahn durch mehrere Korrekturmanöver und einen Vorbeiflug an der Erde so, dass sie nun den Kometen Tempel 1 erreichen wird (siehe Bild auf S. 34 in der Printausgabe). Stardust hatte auch eine Rückkehrkapsel an Bord, die beim Vorbeiflug an Wild 2 Kometenstaub einsammelte und im Januar 2006 erfolgreich zur Erde transportierte. Da die Sonde keine weitere Rückkehrkapsel mitführt, kann sie leider kein Probenmaterial von Tempel 1 einsammeln und zur Erde schaffen. Der Zusatz »NExT« im Namen steht für »New Exploration of Tempel 1«.

Stardust-NExT ist neben einer Navigationskamera mit zwei Staubmessinstrumenten ausgerüstet: Ein Staubflussmonitor, das Dust Flux Monitor Instrument (DFMI), misst die Staubteilchendichte in der Nähe des Kometenkerns, und ein Staubanalysegerät, der Cometary and Interstellar Dust Analyser (CIDA), untersucht die chemische Zusammensetzung der Staubkörnchen. Mit der Navigationskamera soll Stardust-NExT einen möglichst großen Teil der Kernoberfläche kartieren und auch Bilder des von Deep Impact erzeugten künstlichen Einschlagkraters aufnehmen. Dabei interessieren sich die Kometenforscher vor allem für die Größe und Form des Kraters. Zeigt er eine einfache schüsselartige Form, oder ist seine Gestalt komplexer? Durchschlug der Impaktor von Deep Impact unterschiedliche Schichten an der Oberfläche von Tempel 1? Auf diese und weitere Fragen wird Stardust-NExT hoffentlich befriedigende Antworten liefern.

Wenn Stardust-NExT am 14. Februar 2011 in einem Abstand von nur rund 200 Kilometern am Kern von Tempel 1 vorbeifliegt, befindet sich der Komet in der Phase seiner größten Aktivität. Der Vorbeiflug erfolgt nämlich nur 39 Tage, nachdem der Komet den sonnennächsten Punkt seiner Bahn um die Sonne, das Perihel, durchlaufen hat. Bereits 60 Tage vor dem Vorbeiflug nimmt die Sonde Bilder des Kerns auf, um daraus seine Position genauer zu bestimmen und seine Aktivität zu messen. Dies ermöglicht letzte Bahnkorrekturmanöver und Anpassungen der wissenschaftlichen Messungen für den Vorbeiflug.

Die Raumsonde Deep Impact, die im Jahr 2005 am Kometen Tempel 1 vorbeiflog, wurde übrigens auch »recycelt«: am 4. November 2010 flog sie in nur 700 Kilometer Entfernung am Kometen Hartley 2 vorbei und funkte spektakuläre Bilder des Kerns dieses bisher wenig erforschten Kometen zur Erde (siehe SuW 1/2011, S. 22). Die Auswertung dieser Daten ist noch voll im Gange.


9P/Tempel1: der kosmische Eisberg:

Der deutsche Astronom Ernst Wilhelm Leberecht Tempel (1821 - 1889) entdeckte diesen Schweifstern, der in der Folge nach ihm benannt wurde, im Jahr 1867. Die damalige Umlaufperiode des Kometen um die Sonne betrug 5,7 Jahre, und er ließ sich nur bei zwei Durchgängen durch das innere Sonnensystem beobachten. Danach galt der Komet als verloren und wurde erst im Jahr 1967 wieder entdeckt. Seitdem sichteten ihn die Astronomen bei allen Sonnenumläufen. Berechnungen der Bahn von Tempel 1 ergaben, dass mehrere nahe Vorbeiflüge an Jupiter im Zeitraum von 1881 bis 1953 den Kurs des Kometen stark veränderten. Seine heutige Umlaufzeit beträgt 5,5 Jahre, er zählt somit zu den kurzperiodischen Kometen. Er nähert sich der Sonne im Perihel bis auf 1,5 Astronomische Einheiten an.

Am 4. Juli 2005 stellte sich der 372 Kilogramm schwere Impaktor der Sonde Deep Impact dem rund sechs Kilometer großen Kometenkern in den Weg; mit einer Geschwindigkeit von 10,3 Kilometern pro Sekunde prallten die ungleichen Körper aufeinander. Gleichzeitig passierte das Mutterschiff in 500 Kilometer Entfernung den Kern und sandte Bilder vor und während des Einschlags zur Erde. Sie zeigen einen unregelmäßig geformten Himmelskörper, dessen Rotationsperiode 41,85 Stunden beträgt (siehe Bild oben in der Printausgabe).

Die Geschwindigkeit des ausgeworfenen Kometenmaterials ließ sich bestimmen: Es bewegte sich maximal mit wenigen hundert Metern pro Sekunde vom Kern weg. Aus der Bewegung des Auswurfmaterials ergab sich die Masse des Kerns zu etwa 4x1013 Kilogramm und eine mittlere Dichte von etwa 0,35 Gramm pro Kubikzentimeter - wesentlich geringer als die Dichte von Wasser. Auch bei anderen Kometenkernen zeigten sich derart niedrige Dichten - offenbar sind sie sehr porös und enthalten möglicherweise auch Hohlräume. Könnte man einen Kometenkern zur Erde schaffen, so würde er auf einem irdischen Ozean wie ein Eisberg schwimmen. Wegen seiner wesentlich geringeren Dichte als derjenigen von kompaktem Wassereis würde hier aber der größte Teil aus dem Wasser herausragen und nicht nur die Spitze des Eisbergs.

Zum Leidwesen der Forscher ließ sich der erzeugte Einschlagkrater nicht direkt nach dem Einschlag des Impaktors beobachten, da das an der Auswurfwolke gestreute Sonnenlicht den Blick der Bordkamera auf die Einschlagregion versperrte. Die Messdaten sowohl der Raumsonde als auch der erdgebundenen Beobachter zeigten, dass beim Einschlag etwa 10 000 bis 100 000 Tonnen an Kometenmaterial freigesetzt wurden. Nimmt man einen typischen schüsselförmigen Krater an, der ein Verhältnis von Durchmesser zu Tiefe von 4:1 aufweist, und rechnet mit einer mittleren Dichte des Kernmaterials von 0,35 Gramm pro Kubikzentimeter, so sollte das durch den Impaktor geschlagene Loch im Kometenkern rund 100 Meter groß sein.

Nun müssen wir abwarten, ob Stardust-NExT den Krater im Februar 2011 auch wirklich fotografieren kann. Anhand der Bilder sollte sich die Kratergröße exakt bestimmen lassen. Davon erhoffen sich die Forscher mehr Informationen über die Materialeigenschaften und den inneren Aufbau des Kerns. Vielleicht lässt sich auch die geologische Geschichte dieses kleinen Himmelskörpers zumindest in groben Zügen ableiten. Insbesondere interessiert dabei die Frage, wie sich der Kern seit seiner Entstehung vor rund 4,5 Milliarden Jahren durch die Einwirkung der Sonne verändert haben mag.


Ein eisiger Staubball

Nach dem Einschlag des Impaktors beobachteten die Bordkamera des Mutterschiffs von Deep Impact, erdgebundene Teleskope sowie weitere Raumsonden wie Rosetta die unerwartet große und dichte Wolke aus Auswurfmaterial. Durch den Helligkeitsanstieg der Koma war es den Forschern möglich, die freigesetzte Masse an Staub grob abzuschätzen, da die Staubkörner das Sonnenlicht reflektierten und streuten. Das beim Einschlag freigesetzte Gas, überwiegend Wasserdampf, wurde in der Folge durch Ultraviolettstrahlung der Sonne in die elektrisch geladenen Bruchstücke Hydroxid (OH-) und Wasserstoff (H+) zerlegt. Die Hydroxionen fluoreszierten durch das Sonnenlicht, sodass sie sich mit Teleskopen erfassen ließen. Die beim Einschlag freigesetzte Masse an Wasser betrug zwischen 5000 und 9000 Tonnen und war damit deutlich geringer als die geschätzte Gesamtmasse an frei gesetztem Staub. Das bisherige Bild über die Zusammensetzung von Kometen als schmutzigem Schneeball muss durch die Untersuchungen von Deep Impact möglicherweise korrigiert werden: Tempel 1 ähnelt mehr einem eisigen Staubball.


Echte und falsche Krater

Auf der Oberfläche von Tempel 1 finden sich kreisförmige Strukturen, die Kratern auf dem Mond oder Merkur ähneln. Allerdings ist nach wie vor unklar, ob es tatsächlich Einschlagkrater sind. Manche dieser Strukturen zeigen bei günstiger Beleuchtung Schatten und weitere Merkmale, die »echten« Kratern gleichen, bei anderen »Kratern« fehlen solche Merkmale jedoch.

Mit Hilfe von Laborexperimenten und Computersimulationen versuchen die Kometenforscher, diesen Strukturen auf die Schliche zu kommen. Im Prinzip lassen sich die Vorgänge bei Einschlägen auf die Oberflächen gut simulieren, allerdings steckt hier der Teufel im Detail. Die Form des entstehenden Kraters hängt stark von den Eigenschaften des getroffenen Materials ab. Jedoch wissen wir über die Materialien, aus denen ein Kometenkern an der Oberfläche besteht, noch viel zu wenig, um verlässliche Aussagen über die möglichen Kraterformen zu treffen. Sollten die kreisförmigen Strukturen tatsächlich Einschlagkrater sein, dann wäre die Oberfläche des Kometenkerns viele hundert Millionen Jahre alt. Das bedeutet, dass der Komet eine Phase durchlaufen hätte, in der die Sublimationsrate von Kometenmaterial über große Teile seiner Oberfläche sehr gering war. Sonst hätten das verdampfende Wassereis und andere entweichende flüchtige Stoffe die Krater relativ schnell erodiert und zerstört.

Eine Möglichkeit, die Oberfläche eines Kometenkerns vor der Erosion durch das Sonnenlicht zu schützen, sind Veränderungen in der Bahnform des Kometen. Die Bahnen der Schweifsterne durch das Sonnensystem sind auf lange Sicht nicht stabil. Immer wieder kommt es zu dichten Annäherungen an einen der massereichen Planeten im äußeren Sonnensystem. Insbesondere Jupiter mit seiner großen Masse und seiner starken Schwerkraft wirkt häufig auf die Bahnen von Kometen ein. Kommt ein Schweifstern Jupiter bis auf wenige Millionen Kilometer nahe, so wird seine Bahn durch dessen Schwerefeld drastisch verändert.

Dabei können Kometen wiederholt zwischen lang- und kurzperiodischen Phasen »umschalten«. In Phasen, in denen sie als langperiodische Kometen sehr lange für einen Umlauf um die Sonne benötigen (bis zu mehreren hunderttausend Jahren), bleiben ihre Oberflächenstrukturen für lange Zeit unverändert erhalten. Tempel 1 könnte vielleicht ein Schweifstern sein, der erst vor Kurzem, also vor wenigen hundert Jahren, wieder zu einem kurzperiodischen Kometen geworden ist.

Die Forscher hoffen, dass die Bilder des von Deep Impact erzeugten künstlichen Einschlagkraters auch Aufschlüsse darüber liefern, ob es tatsächlich weitere echte Krater gibt. Eine erfolgreiche Beobachtung des künstlichen Einschlagkraters mit Stardust-NExT gelingt jedoch nur dann, wenn sich dieser beim Vorbeiflug auf derjenigen Seite des Kerns befindet, die der Sonde zugewandt ist und von der Sonne beleuchtet wird (siehe Bildserie unten, in der Printausgabe). Da sich die Rotationsperiode des Kerns mit jedem Umlauf um die Sonne ändert, aber durch Beobachtungen von Deep Impact und von der Erde aus sehr genau bestimmt wurde, sollte dies möglich sein. Wasserdampf und Staub strömen aus dem Kern wie aus einer Raketendüse heraus und verändern so in erheblichen Maße die Rotationsperiode. Wie dies im Detail vor sich geht, lässt sich jedoch nur schwer modellieren.

Erdgebundene Beobachtungen von Tempel 1 zeigten, dass bei den beiden letzten Periheldurchgängen in den Jahren 2000 und 2005 seine Rotation beschleunigt wurde. Um die Ausrichtung des Kerns für einen bestimmten Zeitpunkt vorherzusagen, muss aber bekannt sein, wodurch diese Veränderung bewirkt wird. Zunächst gingen die Forscher von einem stetigen, monotonen Übergang aus. Eine genauere Berücksichtigung der gemessenen Lichtkurve legt aber eine mehrstufige Änderung nahe, und zwar zunächst eine Beschleunigung und anschließend eine Verzögerung. Die Unsicherheiten in der Ausrichtung des Kerns ließen sich von anfänglich etwa einer halben Kernrotation auf wenige Grad reduzieren. Es bestehen also gute Chancen, den künstlichen Einschlagkrater zu sehen. Dennoch bleibt es spannend, ob die Vorhersage genau genug ausfällt. Das Kurskorrekturmanöver, mit dem man die Zeit des Vorbeiflugs der Sonde an Tempel 1 endgültig festlegte, erfolgte jedenfalls auf der Basis der Modelle. Größere Bahnänderungen sind danach wegen des dann geringen Treibstoffvorrats nicht mehr möglich.

Weiterhin zeigen die Bilder von Tempel 1 Gebiete mit unterschiedlicher Morphologie: Regionen mit kraterähnlichen Strukturen wechseln sich mit völlig glatten Gebieten ab. Höhenprofile, die aus Stereobildern abgeleitet wurden, zeigen, dass die glatten Gebiete höher als die mit »Kratern« bedeckten Regionen liegen. Besonders deutlich wird dies in der Mitte des Bilds auf S. 38 (in der Printausgabe), wo sich zwei parallele, etwa horizontal verlaufende Linien erkennen lassen. Dies könnten Hinweise auf einen schichtartigen Aufbau des Kerns sein. Durch eine umfassendere Kartierung der Teile des Kerns, die beim Vorbeiflug von Deep Impact im Schatten lagen, lassen sich möglicherweise weitere Informationen darüber gewinnen, ob diese Strukturen ihren Ursprung in der Entstehungsgeschichte des Kerns haben oder durch Erosionsprozesse an dessen Oberfläche nachträglich entstanden sind.

Der Vorbeiflug von Stardust-NExT an Tempel 1 erfolgt ziemlich genau einen Sonnenumlauf des Kometen nach der Passage von Deep Impact. Da nach gängigen Vorstellungen die Kometen besonders im inneren Teil ihrer Bahn in Sonnennähe viel Material von ihrer Oberfläche verlieren, könnten sich bei diesem zweiten Vorbeiflug deutliche Veränderungen auf der Kernoberfläche zeigen. Durch die Sonnenwärme sollte reichlich Gas von der Oberfläche entweichen, sodass dadurch Hänge instabil werden und trotz der äußerst geringen Schwerkraft des Kometenkerns abrutschen können. Zudem sind Einschläge von kleinen Himmelskörpern denkbar.

Durch den erneuten Vorbeiflug lässt sich möglicherweise auch eine Antwort auf eine wichtige, aber nach wie vor offene Frage finden: Wieviel Material verliert ein Komet bei einem Umlauf um die Sonne? Daraus lässt sich zudem ableiten, wie lange Kometen im inneren Sonnensystem überleben können. Bisher gehen die Kometenforscher davon aus, dass ein Komet rund hundert bis tausend Durchflüge durch das innere Sonnensystem durchhält, bevor durch die Sonnenhitze sein gesamtes leicht flüchtiges Material aufgebraucht ist.

Der Vorbeiflug von Stardust-NExT an Tempel 1 bietet auch eine einmalige Gelegenheit, gewisse Beobachtungen der Sonde am ersten Zielkometen Wild 2 im Jahr 2004 besser zu verstehen: Bei diesem Kometen registrierten die beiden Staubinstrumente auf Stardust einen Unterschied von etwa einem Faktor 100 im Staubfluss, dessen Ursache bisher ungeklärt ist. Während CIDA rund 30 Teilchen beim Vorbeiflug registrierte, maß DFMI einige Tausend Einschläge.

Möglicherweise schatteten Teile des Staubschilds von Stardust CIDA so ab, dass das Instrument nur Staub sah, der parallel zur Flugrichtung der Sonde ankam. Andererseits zeigten sich beim Betrieb von DFMI vor dem Vorbeiflug an Wild 2 wiederholt Probleme, die zu einer erhöhten Zahl von Störsignalen führten. Es lässt sich daher nicht ganz ausschließen, dass mit DFMI viele Störsignale gemessen wurden, die fälschlicherweise für echte Staubeinschläge gehalten wurden und so einen zu hohen Staubfluss vortäuschten. Wird es auch bei Tempel 1 wieder derartig große Unterschiede bei der Messung des Staubflusses geben?


Folgen für Rosetta?

Stardust-NExT wird uns hoffentlich eine Vielzahl neuer Aspekte und Erkenntnisse über den Kometen Tempel 1 liefern. Diese können auch wichtige Informationen über die allgemeinen Eigenschaften von Kometenmaterial enthalten, die für künftige Weltraummissionen interessant sind. Stardust und Deep Impact sind bisher die einzigen Sonden, die bis auf rund 200 Kilometer an Kometenkerne herangeflogen sind.

Die europäische Sonde Rosetta wird im Jahr 2014 nach einer Flugzeit von rund zehn Jahren am Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko ankommen und diesen auf seiner Bahn um die Sonne begleiten. Das mitgeführte Landegerät Philae soll auf seinem Kern landen, um ihn direkt zu untersuchen; die Muttersonde wird sich dabei dem Kern bis auf wenige Kilometer nähern. Auch wenn es sich bei Tschurjumow-Gerasimenko um einen anderen Kometen handelt, dessen Struktur sich vielleicht von Tempel 1 unterscheidet, könnten die Messdaten von Stardust-NExT für die Rosetta-Mission hilfreich sein. Angaben über die Porosität und die Homogenität von Kometenmaterial sind für die sichere Landung von Philae wesentlich und werden von den Missionsplanern mit großer Spannung erwartet. Über die Ergebnisse des Vorbeiflugs von Stardust-NExT an Tempel 1 möchte ich in einer der nächsten Ausgaben von »Sterne und Weltraum« berichten.


Der Autor:
Harald Krüger arbeitet am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die Erforschung von Kometen und von kosmischem Staub. Er ist an zwei Staubmessinstrumenten der Rosetta-Mission beteiligt.


WIS - Wissenschaft in die Schulen
Damit Schüler aktiv mit den Inhalten dieses Beitrags arbeiten können, stehen auf unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Das zentrale Dokument führt die Schüler der gymnasialen Oberstufe mit einem kurzen Lesetext direkt auf die Oberfläche des Kometen Tempel 1. Welches Gewicht hätte man dort? Wie schnell würde ein Körper fallen, ein Pendel schwingen? Unser Schulprojekt führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad und dem Haus der Astronomie in Heidelberg durch.


INFORMATIONSKÄSTEN

Die Raumsonde Stardust

Ein Weltraumveteran ist die US-Raumsonde Stardust, die bereits im Jahre 1999 gestartet wurde. Nach rund fünf Jahren Flug durch das Sonnensystem passierte sie im Januar 2004 den Kometen Wild 2 und sammelte mittels eines speziellen Aerogel-Kollektors feinste Staubkörnchen aus dem Umfeld des Kometen auf. Zwei Jahre später wurden diese ersten Proben eines Kometen in einer Rückkehrkapsel bei einem dichten Erdvorbeiflug von der Sonde abgeworfen und landeten sicher im US-Bundesstaat Utah.
Da sich die Sonde nach der Passage von Wild 2 noch in gutem Zustand befand, entschloss sich die NASA, sie noch zu einem weiteren Kometenvorbeiflug zu verwenden. Mittels mehrerer Schubmanöver der Bordtriebwerke und eines weiteren dichten Erdvorbeiflugs gelangte Stardust, nun als Stardust-NExT bezeichnet, auf die Bahn zum Kometen Tempel 1 (siehe Grafik unten in der Printausgabe).
Stardust wiegt insgesamt 380 Kilogramm, und der kastenförmige Zentralkörper ist 1,7 Meter lang. Die Stromversorgung erfolgt mittels zweier Solarzellenausleger. Die Sonde ist Drei-Achsen-stabilisiert und mit einem Hydrazin-Raketenantrieb ausgerüstet.
Stardust trägt drei wissenschaftliche Instrumente, die Navigationskamera, die beim Vorbeiflug am Kern Bilder liefert, einen Staubflussmonitor und ein Gerät zur massenspektrometrischen Untersuchung des Kometenstaubs.
Bei ihren Durchflügen des unmittelbaren Umfelds der Kometenkerne fliegt die Sonde mit ihrer schmalsten Silhouette voran, die zudem von so genannten Whipple-Schilden geschützt sind. Dies sind mehrlagige Gebilde aus Stahlplatten, die jeweils in mehreren Zentimeter Abstand voneinander montiert sind. Sie sollen größere Staubpartikel abfangen, die sonst die Sonde bei ihren raschen Vorbeiflügen ernsthaft gefährden könnten. Benannt sind diese Schilde nach dem US-amerikanischen Astronomen Fred L. Whipple (1906 - 2004), der im Jahre 1950 erstmals das Konzept des »schmutzigen Schneeballs« zur Erklärung der Kometen vorschlug.

Kometen und ihre Eigenschaften

Von einem Kometen sieht man in großer Entfernung von der Sonne nur seinen Kern, der typischerweise wenige Kilometer groß ist. Er besteht überwiegend aus Wassereis, gefrorenem Kohlendioxid und Kohlenmonoxid sowie aus Staub. Der Kern bewegt sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne, was dazu führt, dass seine Oberfläche besonders im inneren Teil seiner Bahn durch die Sonnenstrahlung stark erwärmt wird. Dadurch sublimiert überwiegend Eis von seiner Oberfläche und aus einer oberflächennahen Schicht. Das dabei entstehende Gas reißt Staubpartikel mit sich, wodurch die nahezu kugelförmige Koma des Kometen entsteht, die einen Durchmesser von mehreren Hunderttausend Kilometern erreicht (siehe Grafik rechts, in der Printausgabe). Die Gasmoleküle in der Koma werden durch das Sonnenlicht ionisiert und die dabei entstehenden Ionen durch den Sonnenwind - einen von der Sonne ausgehenden Partikelstrom - aus ihrer ursprünglichen Bahn vom Kern wegtransportiert. Bei den Staubteilchen ist es der Strahlungsdruck des Sonnenlichts, der sie ebenfalls aus ihrer ursprünglichen Bahn ablenkt und vom Kern wegdriften lässt. Daraus entstehen der Gas- und der Staubschweif des Kometen, die mehr als 100 Millionen Kilometer lang werden können. Die Gas- und Staubdichten im Schweif sind allerdings sehr gering: Als im Jahr 1910 die Erde den Schweif des Halleyschen Kometen durchlief, war davon am Erdboden nichts zu spüren. Kometen sind Überreste aus der Frühphase des Planetensystems, die sich über lange Zeiten in den sehr kalten Außenbezirken des Sonnensystems aufgehalten haben. Ihr Material war somit »tiefgefroren« und blieb über diese langen Zeiträume praktisch unverändert.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Die US-Raumsonde Stardust-NExT passiert am 14. Februar 2011 den Kern des Kometen 9P/Tempel 1 in einem Abstand von rund 200 Kilometern. Das Bild des Kometenkerns nahm die Vorgängersonde Deep Impact am 4. Juli 2005 auf, als ihr Impaktor gerade auf ihm eingeschlagen war.
Diese Detailaufnahme der Oberfläche von 9P/Tempel 1 lichtete der Impaktor von Deep Impact 90 Sekunden vor dem Einschlag am 4. Juli 2005 ab. Der Impaktor schlug zwischen den beiden etwa einen halben Kilometer großen »Kratern« in der Bildmitte ein.
Die wichtigsten Elemente eines Kometen sind ein Schweif aus ionisierten Gasen, ein zweiter Schweif aus Staubteilchen, die einhüllende Koma und der eigentliche Kern.
Während des Vorbeiflugs in 200 Kilometer Entfernung wird Stardust-NExT Bilder von bisher unbeobachteten Regionen des Kometenkerns von 9P/Tempel 1 so wie des von Deep Impact erzeugten künstlichen Einschlagkraters aufnehmen. Die beste Bildauflösung wird zwölf Meter pro Bildpunkt betragen. Die Bezeichnung TCA steht für »time of closest approach« (Zeit der dichtesten Annäherung).
So erschien der Kern des Kometen 9P/Tempel 1 kurz vor dem Einschlag des Projektils der Sonde Deep Impact am 4.Juli 2005. Es ist unklar, ob es sich bei den runden Flächen um Einschlagkrater handelt und woraus die auffällig glatte Ablagerung besteht.

Literaturhinweise
Küppers, M.,Krüger, H.: Boten aus der Frühzeit des Sonnensystems - Neues über Kometen. In: Sterne und Weltraum 5/2006, S. 24 - 32
Krüger, H.: Deep Impact - Einschlag auf einem Kometen. In: Astronomie und Raumfahrt im Unterricht 1/2008, S. 13 - 16


http://stardustnext.jpl.nasa.gov - Aktueller Stand der Stardust-Mission
Weitere Weblinks: www.astronomieheute.de/artikel/1057541

©2011 Harald Krüger, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 2/11 - Februar 2011, Seite 32-38
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2011