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METEOR/043: Stubenberg - Ein neuer Meteoritenfall in Niederbayern (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 8/16 - August 2016
Zeitschrift für Astronomie

Stubenberg
Ein neuer Meteoritenfall in Niederbayern

Von Dieter Heinlein


Am späten Abend des 6. März 2016 leuchtete über Oberösterreich und dem südlichen Bayern eine sehr helle Feuerkugel auf. Kurz danach gingen Fragmente eines Meteoriten nahe der bayerischen Ortschaft Stubenberg nieder. Schon sechs Tage nach dem Fall wurden erste Bruchstücke aufgespürt.


Den leuchtstarken Boliden vom 6. März 2016 erfassten sechs automatische, digitale All-Sky-Feuerkugelkameras in Tschechien (siehe Bild in der Druckausgabe). Ihr Betrieb wird vom Astronomischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Ondrejov durch den Astronomen Pavel Spurný koordiniert. Bilder der Feuerkugel lieferten die Kameras von Chùráňov, Kocelovice, Kunžak, Ondřejov, Ružová und Svratouch (siehe Karte in der Druckausgabe). Die Abstände zwischen den Meteorkameras und der Feuerkugel betrugen zwischen 125 und 320 Kilometer. Die in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnisse basieren vollständig auf der Auswertung der hochauflösenden Digitalfotos durch das Forscherteam um Spurný. Zusätzlich wurden die von den tschechischen Ortungsstationen registrierten Radiometerdaten und ein Meteorspektrum für die Untersuchungen verwendet.

Die Feuerkugel zeichneten übrigens weitere Kameras im Umfeld des Ereignisses auf. Deren Bilder sind jedoch von deutlich geringerer Qualität oder erfassten den Meteor nur durch eine Wolkendecke. Daher eigneten sie sich nicht dazu, die Bahn des Boliden zu vermessen und zu berechnen. Auf der Karte finden sich zudem die Standorte der Digitalkameras Fornach und Gahberg, die deutschen Stationen Streitheim und Neukirch des Europäischen Feuerkugelnetzwerks, die Webcam am Wendelstein sowie private Videokameras in Blaustein und Radebeul. Der Bolide wurde sogar noch von einer Videokamera in Lindenberg/Tauche aufgezeichnet, die vom Meteor etwa 470 Kilometer weit entfernt war.

Die Leuchtspur der Feuerkugel

Laut den Berechnungen des tschechischen Forscherteams trat am 6. März 2016 um 22:36:51 Uhr MEZ ein großer Meteoroid mit einer Masse von rund 600 Kilogramm in die Erdatmosphäre ein. Er bewegte sich mit der relativ geringen Geschwindigkeit von 14 Kilometern pro Sekunde. Der kleine Himmelskörper traf in einem steilen Winkel von 20 Grad gegen die Vertikale auf die irdische Lufthülle und erzeugte dabei eine Feuerkugel. Diese war für Sekundenbruchteile heller als der Vollmond. Die maximale absolute Helligkeit betrug -15,5 mag. Die Leuchtspur erstreckte sich über eine Länge von 72 Kilometern, und die Leuchterscheinung dauerte insgesamt 5,5 Sekunden. Dabei wurde das Objekt stark abgebremst, wobei es mehrfach in kleinere Stücke zerbrach. Die steile Leuchtspur begann in einer Höhe von 85,9 Kilometern über dem oberösterreichischen Ort Mattighofen und endete ungewöhnlich tief in einer Höhe von nur 17,6 Kilometern im Osten der Stadt Braunau. Damit lag der Endpunkt exakt über der österreichisch-deutschen Grenze, die in dieser Region durch den Fluss Inn gebildet wird.

Ein derart tiefes Eindringen kosmischer Körper wurde in den mehreren Jahrzehnten europäischer Feuerkugelforschung bislang nur sehr selten beobachtet, wie zum Beispiel am 6. April 2002 beim Fall des Meteoriten Neuschwanstein (siehe SuW 6/2002, S. 66, und SuW 9-10/2002, S. 68). Nachdem alle Aufnahmen der Feuerkugel in Rekordzeit ausgewertet waren, wurde bereits wenige Tage nach dem Ereignis klar, dass hier Meteoritenbruchstücke den Erdboden erreicht haben müssen.

Wo sind die Meteoritenfragmente?

Da der Meteoroid vom 6. März 2016 bei seinem Durchflug durch die Atmosphäre mehrfach zerbrach und dabei größere und kleinere Meteorite produzierte, ist das Gebiet, in dem Bruchstücke zu finden sein mussten, trotz der präzise bestimmten Bahn einige Quadratkilometer groß. Höhenwinde lenken Meteoritenfragmente mit unterschiedlicher Größe beim Sturz auf die Erdoberfläche mehr oder weniger stark von der direkten Absturzbahn ab. Das berechnete Streufeld liegt vorwiegend auf bayerischem Gebiet, nördlich des Inns, zwischen den niederbayerischen Ortschaften Stubenberg und Ering. Dabei sollten sich größere Meteoritenfragmente eher im nordwestlichen Teil des Fallgebiets finden lassen.

Ähnlich wie beim Meteoriten Neuschwanstein im Jahr 2002 konnten die Astronomen die Sonnenumlaufbahn des Meteoroiden vor seinem Zusammenstoß mit der Erde präzise bestimmen. Seine bis in den inneren Asteroidengürtel reichende Bahn hat eine relativ geringe Exzentrizität und weist nur eine sehr kleine Bahnneigung relativ zur Erdbahn auf (siehe Grafik S. 42 der Druckausgabe).

Ein glücklicher Fund

Nachdem Pavel Spurný das Fundgebiet berechnet hatte, nahm er mit mir Kontakt auf, damit ich auf bayerischem Gebiet die Suchaktionen organisieren konnte. Ich arbeite schon seit Jahrzehnten gut mit den tschechischen Forschern im Bereich der Feuerkugelfotografie und Meteoritenortung zusammen. Weniger als eine Woche nach dem Fall, am Samstag, dem 12. März 2016, traf ich mich mit einer Gruppe von Suchbegeisterten zur ersten Expedition ins Fallgebiet. Zwölf Meteoritenkundige aus Oberösterreich und Bayern folgten spontan meiner sehr kurzfristigen Einladung.

Es mutet fast wie ein Märchen an, dass unsere Gruppe bereits nach zwei Stunden eher oberflächlicher Suche fündig wurde. Ziemlich zentral im berechneten Streufeld erspähten die Meteoritensucher Michael Krippner und Sabine Gumpenberger aus Linz auf einem unbestellten Acker die ersten beiden Fragmente! Ihre Funde mit einem Gewicht von 6,2 und 23,6 Gramm waren die größten Teile eines Meteoritensteins, der offensichtlich beim Aufprall auf einen Feldstein in viele Fragmente zerbrochen war (Bilder in der Druckausgabe). Etliche der rasch herbeigeeilten Mitglieder unserer Suchgruppe fanden im Umkreis von zehn Metern um das erste Fundstück noch weitere kleine Splitter des Steinmeteoriten. Insgesamt spürten wir 14 Bruchstücke mit einer Gesamtmasse von 47,9 Gramm auf. Besonders glücklich war an diesem Samstag übrigens der Sternfreund Hermann Koberger: Er hatte die Feuerkugel zuvor visuell beobachtet und fotografisch erfasst. Er fand bei unserer Expedition auch noch ein kleines und absolut frisches Meteoritenfragment.

Anhand dieses glücklichen Erstfunds bestimmte der Mineraloge Addi Bischoff vom Institut für Planetologie an der Universität Münster die genaue Stoffklasse des Meteoriten: Er ist ein gewöhnlicher Chondrit des Typs LL6, das heißt, er enthält nur geringe Gehalte an metallischem Eisen und anderen Metallen. Die Abkürzung LL steht englisch für »low iron, low metal«. Das Meteoritenmaterial ist eine Brekzie aus kleineren Gesteinsbruchstücken, die einen festen Verbund bilden. Das Gestein wurde während der 4,5 Milliarden Jahre bis zur Ankunft auf der Erde nur geringfügig von Stoßwellen überprägt.

Wenn es gelingt, Meteorite so rasch nach dem Fall zu bergen, lassen sich die im Gestein durch die kosmische Strahlung erzeugten kurzlebigen Radionuklide messen, um das so genannte Bestrahlungsalter zu ermitteln. Es gibt an, wie lange der Meteoroid nach der Abtrennung von seinem Mutterkörper im Sonnensystem unterwegs gewesen war. Für die Untersuchungen wurde das zuerst gefundene, 23,6 Gramm schwere Meteoritenfragment per Expresspaket nach Italien in ein Labor unter dem Berg Gran Sasso d'Italia geschickt. Die Auswertung der Messdaten ist noch im Gang.

Weitere Meteoriten machen sich rar

Infolge der Pressemitteilungen vom 17. März 2016, die vom Boliden und dem sensationellen Fund berichteten, suchten in den folgenden Tagen und Wochen viele Meteoritenfans aus ganz Europa nach weiteren Fragmenten. Leider traten fast alle dieser Enthusiasten ihre Heimreise ohne den erhofften Meteoriten im Rucksack an, da sie sich nur schwierig finden ließen. Die Fragmente enthalten sehr wenig metallisches Eisen und sind daher auch nicht mit einem Metalldetektor zu orten. Somit war der rasche Erstfund überaus glücklich.

Bis heute wurden nach dem intensiven Durchkämmen des berechneten Streufelds und der teilweise bewundernswert hartnäckigen Suche, fünf weitere Fragmente dieses Meteoritenfalls gefunden. So entdeckte Moritz Karl aus Frankfurt am 23. März 2016 einen komplett mit schwarzer Schmelzkruste überzogenen Meteoritenstein mit einem Gewicht von 42,4 Gramm am nördlichen Innufer, während der Geologe Dennis Harries aus Jena ein im Flug zerbrochenes Fragment mit 35,9 Gramm barg. Die »Könige der Sucher« sind wohl Ralph Sporn und Martin Neuhofer aus Ruhpolding: Die beiden Männer - sie hatten bereits im Jahr 2003 das zweite Exemplar des Meteoriten Neuschwanstein gefunden - bargen drei komplett erhaltene Fundstücke: zwei kleinere Exemplare mit Gewichten von 7,7 und 19,2 Gramm, sowie - nach mehr als 400 Mannstunden gemeinsamer Suche - sogar den bislang größten Meteoriten mit einem Gewicht von 1320 Gramm (siehe Bilder in der Druckausgabe). Insgesamt wurden bislang 1473 Gramm aus diesem Fall gefunden. Die Positionen aller Fundstücke bestätigten übrigens die Berechnungen der tschechischen Forscher im Hinblick auf das Streufeld und die Massenverteilung der dort zu findenden Meteoritenfragmente (siehe Karte in der Druckausgabe).

Der Meteorit Stubenberg

Nach der vorbildlichen Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftlern des Observatoriums Ondrejov und den überaus engagierten Suchern im Gelände, war es nur noch eine Formsache, dass das Ereignis vom 6. März 2016 am 12. Mai von der Meteoritical Society als neuer dokumentierter Fall bestätigt wurde. Die Meteoriten tragen nun offiziell den Namen Stubenberg. Dies war nur möglich, weil die Finder ihre Fundstücke bereitwillig als Leihgaben für die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Verfügung gestellt hatten. Zudem spendeten sie rund 20 Gramm des Materials dauerhaft als so genanntes »Type specimen« (Belegexemplar) für das Institut für Planetologie in Münster.


Dieser Artikel und Weblinks im Internet:
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1413433

Dieter Heinlein betreut im Auftrag des DLR-Instituts für Planetenforschung das deutsche Feuerkugelnetz. Als Meteoritenkenner ist er Mitglied der Forschervereinigung »Meteoritical Society«.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 41 oben:
Auf diesem Ausschnitt aus der All-Sky-Aufnahme der tschechischen Meteorkamera in Kocelovice zeigt sich die Feuerkugel vom 6. März 2016 horizontnah im Südsüdwesten.

Abb. S. 41 unten (Landkarte):
Der Meteor vom 6. März 2016 wurde von sechs professionellen Feuerkugelortungsstationen in Tschechien sowie von weiteren Kameras in Österreich und Deutschland aufgezeichnet. Die steile Leuchtspur des Boliden erscheint in der Projektion auf die Erdoberfläche stark verkürzt.

Abb. S. 42 (Grafik):
Die Bahn des Meteoroiden Stubenberg weist eine relativ geringe Exzentrizität auf und ist nur sehr wenig gegen die Erdbahnebene geneigt. Sie ragt in ihrem sonnenfernsten Bereich jenseits der Umlaufbahn des Mars in die inneren Bereiche des Asteroidengürtels hinein.

Abb. S. 42 unten:
Michael Krippner und Sabine Gumpenberger fanden am 12. März 2016 das erste Bruchstück des Stubenberg-Meteoriten. Das 23,6 Gramm schwere Fragment besteht innen aus hellgrauem Gestein, das von einer mattschwarzen Schmelzkruste überzogen ist.

Abb. S. 43-44:
Nach 400 Mannstunden harter Sucharbeit entdeckten Ralph Sporn und Martin Neuhofer am 1. April 2016 das mit einem Gewicht von 1320 Gramm bislang größte Exemplar des Stubenberg-Meteoriten: Es ist hier in Fundlage zu sehen (rechtes Teilbild). Das flache und scheibenförmige kosmische Geschoss schlug den Ast einer Weißtanne ab und drang dann etwa 14 Zentimeter tief in den lockeren Waldboden ein.

Abb. S. 43 Grafik:
Die Fundorte der sechs bislang bekannten Bruchstücke des Stubenberg-Meteoriten liegen alle in dem von den tschechischen Meteoritenforschern berechneten Streufeld. Links unten im Bild ist das Ende der Feuerkugelbahn eingezeichnet (gelbe Pfeilspitze).


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-08-s040-pdf/1415125


© 2016 Dieter Heinlein, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 8/16 - August 2016, Seite 40 - 45
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-08-s040-pdf/1415125
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2016

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