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PLANET/426: Planetenforschung - Von nahen und fernen Welten (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 4/11 - April 2011

Planetenforschung
Von nahen und fernen Welten

Von Joseph A. Burns


Als Forscher im 17. Jahrhundert begannen, Himmelskörper mit Teleskopen zu studieren, lösten sie eine Revolution des Wissens aus. Mit dem Raumfahrtzeitalter brach eine weitere neue Epoche an. Nun haben Astrophysiker sogar Himmelskörper außerhalb des Sonnensystems im Visier. Ein Veteran der Disziplin zieht Bilanz.


AUF EINEN BLICK

Planetenforschung im Wandel

1. Die Planetenforschung blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Nach Galileo Galileis spektakulärem Auftakt machte sie aber nur langsam Fortschritte und verlor um 1900 sogar stark an Bedeutung. Später profitierte sie vom Wettlauf der Nationen ins All.

2. Seither vermelden Astronomen faszinierende Erkenntnisse etwa über Monde und Asteroiden oder über die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems. Dabei fanden sie auch heraus, dass das Sonnensystem keineswegs statisch ist, sondern sich kontinuierlich weiterentwickelt.

3. Indem die Forscher jetzt auch Exoplaneten detailliert untersuchen, haben sie den Anwendungsbereich ihrer Disziplin binnen weniger Jahre auf fremde Sternsysteme ausgedehnt.


Die frühesten Versuche des Menschen, seiner Umwelt einen Sinn zu entlocken, galten den rätselhaften Lichtpunkten am nächtlichen Himmel. Die Astronomie, die älteste aller Wissenschaften, war geboren. Im größten Teil der überlieferten Geschichte beschäftigten sich Astronomen aber fast ausschließlich mit der Messung von Planetenpositionen. Ausnahmen waren außergewöhnliche Finsternisse, das Nahen von Kometen, Meteorschauer oder Helligkeitsausbrüche von Sternen, die meist als Omen gesehen wurden. Bis auf die "Wandelsterne", die wir heute als Planeten kennen, erschien der Nachthimmel den frühen Beobachtern statisch.

Im Winter 1609/10 änderte sich alles. Nur Wochen nachdem er von der holländischen Erfindung des "Fernglases" erfahren hatte, richtete Galileo Galilei (1564-1642) erstmals sein eigenes, selbst konstruiertes Fernrohr zum Himmel. Er nahm "die schönsten und entzückendsten Anblicke" wahr. Sie sind "Dinge von größtem Interesse für alle Beobachter natürlicher Phänomene ... erstens wegen ihrer naturgegebenen Vorzüglichkeit; zweitens wegen ihrer absoluten Neuheit", berichtete er im folgenden März begeistert in seinem "Sidereus Nuncius" (Sternenbote). In dieser 24-seitigen Schrift verkündete der italienische Naturforscher eine ganze Reihe revolutionärer Erkenntnisse etwa über die erdähnliche Natur des Erdmonds und die Entdeckung der Jupitermonde. Ebenso wie weitere, die im selben Jahr folgten, lieferten sie entscheidende Unterstützung für Kopernikus' heliozentrisches Weltmodell von 1543. Und wie so oft in der Wissenschaftsgeschichte gingen auch damals Entdeckungen, die aus Beobachtungen gewonnen wurden, Hand in Hand mit theoretischen Fortschritten. Ebenfalls 1609 hatte Johannes Kepler (1571-1630) den Beginn der Astrophysik eingeläutet, als er in seiner "Astronomia Nova" die Theorie der Planetenbewegungen veröffentlichte.

Seither ist viel passiert. Vier Jahrhunderte nach Kepler und Galilei und fünf Jahrzehnte nach dem Aufbruch der Menschheit ins All haben irdische Sonden Jeden von der Internationalen Astronomischen Union anerkannten Planeten des Sonnensystems besucht. Merkur, Venus, Mars, Saturn sowie Sonne und Mond wurden in jüngster Zeit durch Raumsonden vor Ort beobachtet. Die 1977 gestartete Voyager-1-Sonde gleitet derzeit sogar durch die fernen Randbezirke des Sonnensystems hinaus in den interstellaren Raum.

Gemessen an den von Galileo gesetzten Standards entwickelte sich die Astronomie zunächst einmal träge. Fortschritte waren häufig schlicht die Folge verbesserter Teleskope. Dadurch wurden zunehmend neue Körper im Sonnensystem entdeckt, und man erfuhr immer Genaueres über ihre Umlaufbahnen, Größen und Rotationsraten sowie über ihre Heiligkeiten. Verborgen blieben den Forschern jedoch bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Himmelskörper.

Zwischen dem 17. und dem frühen 19. Jahrhundert stimulierte die Vermessung der Himmelskörper vor allem auch die Mathematiker. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung, die zunächst vor allem der Navigation in der Seefahrt diente, mit den eleganten dynamischen Theorien von Joseph Louis de Lagrange (1736-1813) und Pierre Simon Laplace (1749-1827). Im 17. und 18. Jahrhundert häuften sich die Entdeckungen neuer Körper im Sonnensystem. Allein zwischen 1655 und 1684 wurden fünf Saturnmonde aufgespürt. Zudem interessierten sich die Astronomen zunehmend für Kometen. Schon Tycho Brahe (1546-1601) hatte herausgefunden, dass sie nicht atmosphärische Erscheinungen, sondern Himmelskörper sind. Das Eintreffen von Edmond Halleys (1656-1742) Voraussage aus dem Jahr 1705, wonach einer dieser mysteriösen Eindringlinge etwa alle 75 Jahre in die Nachbarschaft der Erde gerät, bestätigte das newtonsche Weltbild auf spektakuläre Weise. 1781 entdeckte Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) dann den mit bloßem Auge nicht sichtbaren Uranus. Er stieß zufällig auf ihn, als er von seinem Garten aus den Himmel mit dem Teleskop nach engen Sternpaaren absuchte. Das Sonnensystem war offenbar doppelt so groß wie zuvor vermutet! Später entdeckte der Amateurastronom auch zwei Uranusmonde sowie zwei weitere Saturntrabanten.


Der erste Schritt ins All

Aristoteles hatte den Mond noch als perfekte Kugel erachtet. Erst Galilei, der ihn detaillierter beobachtete, erkannte in ihm einen zerklüfteten Körper, der in mancher Hinsicht der Erde gleicht (rechts, Zeichnungen aus dem Jahr 1610). Der Apollo-Ära verdanken wir geologische und kosmochemische Erkenntnisse, die zu neuen Modellen der Entstehung des Monds führten. Das Foto zeigt Harrison Schmitt, den einzigen wissenschaftlich ausgebildeten Mondastronauten, bei der Apollo-17-Mission 1972. Heute haben neben Europa und den USA auch Indien, China und Japan den Trabanten wieder in den Fokus genommen. Seit sich in den letzten Jahren die Hinweise mehren, er sei weniger trocken als gedacht, ist selbst seine Besiedlung wieder ein wenig wahrscheinlicher geworden.


Faszinierender Saturntrabant

Eines Nachts im Jahr 1655 richtete der niederländische Astronom Christiaan Huygens sein neu gebautes Teleskop in den Himmel und machte Skizzen von Jupiter (in der Zeichnung rechts) und Saturn (links). Jupiter besaß ein System von Satelliten. Saturn, so schien es Huygens, hingegen nicht. Doch zwei Nächte später sichtete er den Saturnmond Titan. Für diesen wies Gerard Kuiper 1944 nach, dass er eine Methanatmosphäre besitzt. Inzwischen entdeckten die Instrumente der Cassini-Sonde auf Titan "Sand"-Dünen aus organischem Material, Methanseen, Hinweise auf Erosion und Wetterphänomene. Das Mosaikbild unten zeigt eine Region von miteinander verbundenen Flusstälern, die in dunkle Becken münden.


Im 19. Jahrhundert standen der Astronomie grundlegende Neuerungen bevor. 1800 und 1801 wurden mit Infrarot und Ultraviolett erstmals Strahlungsarten nachgewiesen, die für Menschen unsichtbar sind. Den ersten Asteroiden, Ceres, spürten Forscher ebenfalls zu dieser Zeit auf - fast genau dort, wo die 1772 aufgestellte empirische Titius-Bode-Reihe einen fünften Planeten nach Merkur, Venus, Erde und Mars vorhergesagt hatte. Damals gelang auch der Nachweis, dass Meteoriten aus dem Weltall stammen. Er erlaubte Chemikern, gezielt extraterrestrische Materie zu untersuchen. 1846 führten Analysen der Bahnabweichungen des Uranus die Beobachter auch auf die Spur von Neptun. Der Gasriese gilt heute als achter und äußerster Planet des Sonnensystems, während der 1930 entdeckte Pluto mittlerweile als Zwergplanet geführt wird.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts unterlag auch die Praxis der astronomischen Beobachtung einem tief greifenden Wandel. Dazu trugen mehrere Entwicklungen bei. So wies man die lange gesuchte Parallaxe von Sternen nach - die scheinbare Positionsverschiebung der Fixsterne, die davon herrührt, dass der Beobachter seine Position verändert, indem er sich mit der Erde um die Sonne bewegt. Auch Spektrografie und Fotografie waren erfunden worden. Also verlegten sich die Astronomen vermehrt auf Sterne und Galaxien. Dieser Trend beschleunigte sich Anfang des 20. Jahrhunderts weiter, als die Astronomie endgültig zur Astrophysik transformiert wurde. Die Untersuchung von Planeten und Monden spielte nur noch eine untergeordnete Rolle. Vor allem sollen Behauptungen etwa des US-Astronomen Percival Lowell, auf dem Mars könne es intelligentes Leben geben, dem Ruf der Planetenforscher geschadet haben. Neuere Untersuchungen stellen diese historische Interpretation allerdings in Frage. Spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts jedoch verhalfen zwei einflussreiche Arbeiten der Planetenforschung wieder zu höherem Ansehen: Ralph B. Baldwins "The Face of The Moon" und Harold C. Ureys "Planets: Their Origin and Development". Erstmals beschrieb Urey, Chemienobelpreisträger von 1934, in seinem Buch von 1952 die Evolution der Planeten vor allem aus chemischer Perspektive.

Die Planetenforschung spielt eine Ausnahmerolle in der Wissenschaftsgeschichte. Das einstige Spezialgebiet gelangte aus Gründen, die mit der Disziplin selbst wenig zu tun hatten, plötzlich in den Fokus der Öffentlichkeit. Grund war der Mitte der 1950er Jahre einsetzende Wettlauf ins All. Amerikaner und Sowjets förderten die Erforschung der Planeten, um ihre militärischen Fähigkeiten zu demonstrieren und das nationale Prestige zu steigern. Viele Menschen, darunter etliche Wissenschaftler, erlagen in Jener Zeit schlicht der Faszination fremder Welten, und Industriefirmen ließen sich durch Profite und technische Herausforderungen locken.

Für die Astronomie ergaben sich nun völlig neue Möglichkeiten. Die elektromagnetische Strahlung aus dem All enthält zwar aussagekräftige Information, wird aber zum Teil durch die irdische Atmosphäre absorbiert. Auch Luftturbulenzen verschlechtern die Auflösung von Teleskopen. Instrumente im Weltraum erzielen viel schärfere Bilder. Transportiert man sie gar zu fremden Himmelskörpern, reichen schon recht kleine Teleskope aus, um zuvor stecknadelkopfgroße Lichtflecken in Welten zu verwandeln, die der Forschung weit offenstehen. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, auf der Oberfläche eines Planeten oder Monds zu landen, seine Atmosphäre zu analysieren, Gesteinsbrocken zu untersuchen oder Proben in gut ausgerüstete irdische Labors zu schaffen.


Dynamisches Sonnensystem

In seiner "Astronomia Nova" von 1609 zeigte Johannes Kepler mit dem Diagramm links, wie sich die Position des von der Erde aus beobachteten Mars verändert, wenn beide Planeten auf elliptischen Bahnen laufen. Seine theoretischen Erkenntnisse gingen damals Hand in Hand mit Galileis Beobachtungen. Das Bild rechts zeigt vier Phasen nach dem simulierten Auftreffen eines marsgroßen Protoplaneten auf die junge Erde (erst hellblau, dann rot dargestellt). Der Aufprall verflüssigte unseren Planeten, und das emporgeschleuderte Material verdichtete sich zum Erdmond. Berechnet wurde dies im Computer, der neben Teleskopen und Raumsonden entscheidende Bedeutung für die Untersuchung dynamischer Vorgänge im Sonnensystem gewonnen hat.


Ist uns überhaupt klar, wie bedeutend diese Errungenschaften sind? Wer weiß noch aus eigener Erfahrung, wie wenig harte Fakten wir vor Beginn des Weltraumzeitalters über die Körper unseres Sonnensystems einschließlich der Erde besaßen? Bis 1966 stritten angesehene Wissenschaftler darüber, ob den Mars Vegetation überzieht. In den 1950er Jahren wurden Debatten geführt, ob die Venus von Wüsten, Sümpfen oder einem Ozean bedeckt ist. Krater auf dem Erdtrabanten? Sie galten bis 1950 als Vulkane. Fremde Monde? Nichts als inaktive Fels- oder Eisbrocken.

Doch nach dem Start des Sputnik-Satelliten 1957 schritt die Erkundung der näheren Umgebung der Erde rasant voran. Binnen sechs Monaten wurden ihre Strahlungsgürtel identifiziert; das war die erste Überraschung des Weltraumzeitalters. 1959 verließ Luna 1 den Schwerebereich der Erde, raste am Mond vorbei und entdeckte den Sonnenwind. Im selben Jahr schlug Luna 2 auf dem Mond auf, und Luna 3 lieferte die ersten grobkörnigen Aufnahmen der Mondrückseite. 1962 passierte mit Mariner 2 erstmals eine Sonde erfolgreich einen anderen Planeten, die Venus. Keine drei Jahre später schickte auch Mariner 4 Daten. Der Mars erschien trist, von Kratern übersät und besaß nur eine sehr dünne Atmosphäre.

Zu Beginn meines Berufslebens um 1970 schien alle paar Monate eine neue Expedition zu Zielen im inneren Sonnensystem aufzubrechen, vor allem zum Erdmond. Merkur erlebte drei Vorbeiflüge von Mariner 10 in den Jahren 1974 und 1975. Zur Venus reisten Mariner 5 und 10, 1978 folgte die Pioneer-Venus-Mission. Auch die Venera- und die Vega-Sonden und schließlich die Radarsonde Magellan besuchten den vermeintlichen Zwilling der Erde. Zum Mars brachen Mariner 6, 7 und 9 auf. Letztere schwenkte 1971 als erste Sonde überhaupt in eine Umlaufbahn ein, just als auf dem Roten Planeten ein gewaltiger globaler Staubsturm tobte. Mitte der 1970er Jahre trafen auch die Viking-Lander ein und suchten nach Leben.

Dann verlangsamte sich der Vorstoß der Menschheit ins All. In den frühen 1970er Jahren brach die US-Regierung ihr Mondprogramm ab und bewilligte nur noch wenige Planetenmissionen. Nach einer Pannenserie verlor das sowjetische Raumfahrtprogramm an Bedeutung. Zum Glück gingen 1977 noch die Voyager-Sonden auf ihre "Grand Tour". Sie besuchten 1979 zunächst Jupiter, 1980/81 folgte Saturn. Voyager 2 flog außerdem 1986 an Uranus und 1989 an Neptun vorbei. Das Raumfahrtprogramm blieb also lebendig, dümpelte aber abgesehen von den triumphalen Voyager-Erfolgen auch in den 1980er Jahren dahin. Die Reagan-Regierung überlegte sogar, die Planetenforschung einzustellen; viele Missionen missglückten oder wurden gestrichen. 1986 explodierte das Spaceshuttle Challenger mit sieben Astronauten an Bord. Danach verringerten sich nicht nur die Startkapazitäten, sondern auch die zugeteilten Gelder.


"Ordentliche Anreize bieten"

Nachdem sich die amerikanische Raumfahrtbehörde gegen Ende der 1950er Jahre zu einer strategischen Erforschung des Sonnensystems entschlossen hatte, schaute sie sich "nach Leuten um, die die wissenschaftliche Arbeit machen konnten - und fand niemanden", wie der Journalist William E. Burrows es formulierte. Die NASA musste daher die Leute "breitschlagen ... und ihnen ordentliche Anreize bieten". Das wirkte: Viele Studenten und junge Forscher, darunter der Autor, wurden in den 1960er Jahren in die Sonnensystemforschung gelockt. Zeitgleich warb die NASA bei Universitäten für die Einrichtung von Fachbereichen, die sich der Planetenforschung widmen sollten; sie finanzierte den Bau von Gebäuden und stellte Gelder für die Einstellung von Lehrpersonal und Forschern sowie für die Betreuung von Studenten bereit. Die Planetenforschung wurde durch das amerikanische Raumfahrtprogramm regelrecht elektrisiert, so schrieb der Ex-NASA-Wissenschaftler Ronald A. Schorn; andere westliche Nationen sprangen schon bald auf diesen Zug auf.


Ab 1992 belebte das Discovery-Programm die Planetenforschung wieder. Im Vordergrund der Serie kleiner, spezialisierter Missionen standen kleinere Himmelskörper im inneren Sonnensystem sowie der Mond, aber auch Exoplaneten. Das ab 1993 unablässig wiederholte Mantra der NASA "schneller, besser, billiger" erfüllten die Missionen allerdings nur selten in dieser Kombination. Gleichwohl schickten die Agenturen "Flaggschiffmissionen" auf den Weg, um technisches und wissenschaftliches Neuland zu erobern. Die NASA-Sonde Galileo brach 1989 zum Jupiter auf, 1997 startete die amerikanisch-europäische Mission Cassini-Huygens mit Ziel Saturn. Beide führten fort, was die Voyager-Sonden begonnen hatten. Galileo ließ eine Atmosphärensonde durch die Jupitergase fallen und lieferte trotz klemmender Funkantenne erstaunliche Bilder etwa der Vulkane des Monds Io und der von Rissen durchzogenen Eiskruste Europas. 2003 ließ man die Sonde auf den Jupiter abstürzen.

Cassini umkreist noch heute den zweifellos schönsten Planeten: Saturn. In dessen komplexem System von Trabanten ist der höchst bemerkenswerte, von einer Methanatmosphäre umgebene Mond Titan zu Hause (siehe "Ein Mond mit dem Zeug zum Planeten", SdW 10/2010, S. 22). Auf ihn warf Cassini die Huygens-Kapsel ab. Am Fallschirm schwebte sie zu Boden und funkte von dort aus eine Stunde lang Messergebnisse zur Erde. Natürlich fasziniert der Saturn auch durch sein erstaunliches Ringsystem; nicht zuletzt weil es als Modell für Staubscheiben um fremde Sterne dient.


Kein Jupitermond wie der andere

Drei Konfigurationen der "Mediceischen Gestirne" (die Jupitermonde Io, Europa, Ganymed und Kallisto) zeigt dieses Dokument Galileis (Skizze) vom Januar 1610: Die Satelliten kreisen um Jupiter so wie der Mond um die Erde, und gemeinsam mit Jupiter kreisen sie um die Sonne. Die Fotografie rechts schickte die Sonde Cassini: Vor dem Hintergrund von Jupiters turbulenter Atmosphäre fliegt Io vorbei, der innerste der galileischen Satelliten, und wirft einen schwarzen Schatten. Links des Schattens ist der Große Rote Fleck zu sehen, ein seit Jahrhunderten tobender Wirbelwind. Jupiters Monde sind höchst individuell: Io ist dank seiner Schwefelvulkane der auch im Vergleich mit der Erde geologisch aktivste Himmelskörper im Sonnensystem; hinzu kommen Europa, der einen globalen Ozean unter seiner Eishülle verbirgt, der geologisch komplexe Ganymed mit seinem Magnetfeld und der kraterübersäte Kallisto.


Mitte der 1990er Jahre erlebte die Planetenforschung eine weitere Neuausrichtung. Sie sollte nun auf die Ursprünge der Planeten und des Lebens selbst zielen. Die NASA teilte ihr Astronomiebudget etwa gleichmäßig zwischen Mars und anderen Zielen auf. Zu den Gründen für den Strategiewechsel zählten die schnell wachsende Zahl neu entdeckter Exoplaneten, die damals plausibel erscheinenden Hinweise auf fossiles Leben im Marsmeteoriten ALH84001 und die Erkenntnis von Biologen, dass irdisches Leben selbst unter extremen Umweltbedingungen überleben und sogar neu entstehen kann. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Astrobiologie zu einem anerkannten wissenschaftlichen Fachgebiet.

Neben den USA und der UdSSR wagten sich auch weitere Nationen ins All. Zur Halley-Armada etwa, so der Spitzname für die fünf Raumsonden, die 1986 den wiederkehrenden Halleyschen Kometen empfingen, zählten die Giotto-Sonde der Europäischen Weltraumorganisation ESA und eine Mission des japanischen Institute of Space and Astronautical Science. Auch heute gibt es wieder Parallelen: NASA und ESA haben ebenso wie Indien, China und Japan (neues) Interesse am Erdmond gefunden.

Weiterhin werden die Weltraummissionen durch Teleskope auf der Erde und im Erdorbit ergänzt. Ihr relativer Beitrag zur Planetenforschung ist dank adaptiver Optiken und leistungsstärkerer Detektoren und Computer sogar gewachsen. So spürte ein Bodenteleskop 1992 das nach Pluto zweite Objekt im Kuipergürtel auf. Außerdem halfen die Instrumente unter anderem, neue Objektklassen zu identifizieren: von binären Asteroiden über Trans-Neptun-Objekte bis hin zu Kentauren, die Eigenschaften sowohl von Kometen als auch Asteroiden aufweisen.

Woraus aber bestehen im Kern die Ergebnisse der Planetenforschung im Weltraumzeitalter? Fünf Forschungsbereiche, so scheint mir, verdienen besonderes Interesse.

- Woraus besteht das Sonnensystem? Über die Planeten wissen wir heute sehr viel mehr als früher. Die mit historischen Darstellungen kombinierten Fotos auf diesen Seiten zeigen das deutlich. Hier konzentriere ich mich darum auf unser Verständnis von Monden und kleineren Körpern im Sonnensystem. Die nämlich sehen wir anders als früher nun als ganz individuelle Welten. Zunächst untersuchten wir den Erdmond intensiv, wenngleich er sich als eine inaktive, trostlose Welt erwies. Von anderen, insbesondere kleineren Monden hatten Astronomen erwartet, dass sie mindestens genauso uninteressant wären. Doch schon der Marsmond Phobos, der als Nächstes ins Visier der Forscher rückte, bot ein neues Bild. Er sieht aus wie eine 25 Kilometer lange Kartoffel, kreuz und quer mit Rillen übersät und mit Riesenkratern, deren Verursacher den kleinen Mond fast entzweigerissen haben müssen. Auch Asteroiden waren von Astronomen für langweilige Felsbrocken gehalten worden, die lediglich ab und an miteinander kollidieren. Stattdessen entpuppten sie sich als eine Art vergänglicher Schutthalden: Kontinuierlich beeinflusst der Yarkovsky-Effekt, eine Folge der ungleichmäßigen Erwärmung ihrer Oberflächen durch die Sonne, in hohem Maß Umlaufbahn und Rotation der Objekte. Weil schnell rotierende Objekte Masse verlieren, können sogar Doppelasteroiden entstehen.

Kometen wiederum, Besucher aus den kältesten Randbereichen des Sonnensystems, etwa der Oortschen Wolke, gelten nicht mehr als schmutzige Schneebälle, sondern haben sich umgekehrt als vereiste Dreckklumpen erwiesen, geschwärzt von teerartigen organischen Stoffen. Über den Kometen Wild 2 fand die Stardust-Sonde sogar heraus, dass rund zehn Prozent seiner Materie aus dem inneren Sonnensystem stammen könnten. Der Kuipergürtel zwischen Oortscher Wolke und Neptunbahn enthält zahllose weitere Familien von Objekten. Entstanden sind sie, als sich das Sonnensystem vor Jahrmilliarden formte. Noch vor zwei Jahrzehnten waren in dieser dicht bevölkerten Region außer Pluto keine Objekte bekannt. Heute verfolgen Astronomen die Bahnen von mehr als 1000 großen, eisigen Körpern. Mindestens vier Zwergplaneten - neben Pluto auch Haumea, Eris und Makemake - sind hier zu Hause. Die Orbits der Körper und die radiale Ausdehnung des Gürtels zeigen auch Gemeinsamkeiten mit den Trümmerscheiben um neugeborene Sterne.

- Die unablässige Evolution des Sonnensystems: Als das Raumfahrtzeitalter begann, hielten die Forscher die Bewegungen der Himmelskörper noch für vorhersagbar. Doch längst gilt das Universum nicht mehr als präzises Uhrwerk. So stammen viele Paradebeispiele für den wissenschaftlichen Chaosbegriff aus der Himmelsmechanik: die Schwankungen, welchen die Neigung der Rotationsachse des Mars zu seiner Bahnebene unterliegt (mit spürbaren Folgen für sein Klima), die veränderliche Rotationsrate des Saturnmonds Hyperion oder die chaotische Entwicklung der Planetenbahnen über Jahrmillionen hinweg (siehe "Am Rande des Chaos", SdW 1/2008, S. 26). Tatsächlich ist das Chaos für wesentliche Aspekte der heutigen Architektur des Sonnensystems verantwortlich und nimmt auch weiterhin Einfluss. Umlaufbahnen von Himmelskörpern können destabilisiert werden, wenn Einflüsse wie der Yarkovsky-Effekt Resonanzen entstehen lassen, bei denen sich gegenseitige Störungen zu großen Effekten aufschaukeln. Mitunter werden Körper gerade aus diesen allgegenwärtigen Resonanzbereichen bevorzugt eliminiert - sie werden auf chaotische Bahnen geschickt und kollidieren schließlich mit anderen Objekten. Die leeren Bereiche erscheinen dann als auffällige Strukturen etwa in Ringsystemen wie dem des Saturns oder dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter.


Neptun: Stürmischer Außenseiter

Als Galileo Galilei in den Jahren 1612 und 1613 Jupiter beobachtete, entdeckte er ein weiteres sich bewegendes Objekt (Skizze). Möglicherweise vermutete er damals schon, auf einen bislang unbekannten Planeten gestoßen zu sein. Heute wissen wir: Es handelte sich tatsächlich um Neptun (Falschfarbenbild von Voyager 2), den äußersten der Planeten. Obwohl ihn kaum Sonnenlicht erreicht, werden dort die höchsten Windgeschwindigkeiten im Sonnensystem gemessen.


Mars: Planet im Wandel der Jahreszeiten

Schon früh zeigten teleskopische Beobachtungen, dass sich die Polkappen des Mars mit den Jahreszeiten verändern und Sandstürme einzelne Oberflachenmerkmale verdecken können. Die mehr oder weniger gerade laufenden "canali" auf Percy Lowells Skizze des Mars-Nordpols von 1905 (links) interpretierte dieser allerdings vorschnell als möglichen Hinweis auf intelligentes Leben. Mittlerweile kennen wir selbst Details der Marsoberfläche (rechts). Das Bild des Mars Reconnaissance Orbiter zeigt die Pfade von "Staubteufeln", die über Sanddünen in einem Krater hinweggezogen sind und dabei dunkles Material frei gelegt haben. Die kammartigen Strukturen entstanden durch Erdrutsche, die von Dünenkämmen ausgingen.


Venus: Vermeintlicher Zwilling

Aus den Venusphasen (kleines Bild) schloss Galilei, dass die Venus ebenso wie alle anderen Planeten um die Sonne kreist. Unter anderem dank der Magellan-Sonde kennen wir den Nachbarn der Erde nun auch aus der Nähe (rechts). Das Falschfarbenbild ist bei 180 Grad östlicher Länge zentriert. Einst hielt man den Planeten auf Grund ähnlicher Größe und Masse für einen Zwilling der Erde. Tatsächlich aber hat ein galoppierender Treibhauseffekt in der dichten Kohlendioxidatmosphäre fast alles Wasser entweichen lassen. Die Venuswolken bestehen zu einem großen Teil aus Schwefelsäuretröpfchen, die Temperaturen erreichen sengende 500 Grad Celsius.


Lokales Vorbild für ferne Phänomene

Gleich drei "Sterne" meinte Galilei zu sehen, als er Saturn 1610 beobachtete. Doch er hatte nur dessen leicht aus dem Fokus geratene Ringe im Blick (oben). Heute ist das Ringsystem des Gasplaneten (unten) gut untersucht, auch wegen seiner Ähnlichkeiten mit protoplanetaren Scheiben in fremden Sternsystemen.

In der Staubscheibe um den Stern Fomalhaut kreist der jupitergroße Exoplanet, Fomalhaut b (unten rechts). Er hatte die Astronomen dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass er die Staubscheibe im Lauf der Zeit mit einem scharfen inneren Rand versehen hatte, indem er nämlich sämtliches Material auf seiner Bahn aufsammelte. In dem mit einem Koronografen erstellten Bild - dabei wird das überstrahlende Sternlicht ausgeblendet - ist die Staubscheibe in einem intensiven Rot zu sehen. Rote Bereiche weiter innen stammen von gestreutem Sternlicht, das der Koronograf nicht vollständig blockierte.


Auch in vielerlei anderer Hinsicht mussten die Forscher ihr Bild eines unveränderlichen Sonnensystems der Realität anpassen. So künden Krater von Einschlägen anderer Himmelskörper, deren Orbits sich chaotisch entwickelt hatten. Selbst für das Verständnis der Erdgeschichte erwiesen sich die Impakte als wichtig. Das große Artensterben am Übergang der Kreidezeit zum Tertiär interpretieren Forscher heute als Folge einer Klimakatastrophe, die der Einschlag eines zehn Kilometer großen extraterrestrischen Körpers ausgelöst hatte. Ein ähnliches Schauspiel konnten wir 1994 bei Jupiter beobachten. Über 20 Fragmente des durch Gezeitenkräfte zerbrochenen Kometen Shoemaker-Levy 9 bombardierten damals den Gasplaneten.

Evolutionären Prozessen unterliegen auch die Oberflächen der Planeten. Dank neuer Erkenntnisse zur Plattentektonik konnten Wissenschaftler ab den 1960er Jahren bestimmte globale geologische Prozesse beschreiben und so zahlreiche regionale Besonderheiten erklären. Weil viele frühe Planetenforscher ursprünglich Geologen waren, wandten sie ihr Wissen sogleich auf Strukturen an, die sie auf anderen Gesteinsplaneten entdeckt hatten. Anzeichen für globale planetarische Transformationen blieben zwar zunächst rar. Stattdessen erweckten die ersten Marsbilder den völlig falschen Eindruck, feste Himmelskörper ähnelten samt und sonders dem irdischen Mond. Doch 1971 schickte uns Mariner 9 aus dem Marsorbit Bilder von Landschaften, von uralten Flusstälern, Vulkanen, tief eingeschnittenen Canyons, und sogar von Wetterphänomenen. Die ursprünglich kraterübersäte Oberfläche des Roten Planeten hat sich offenbar zweimal fundamental verändert, zunächst hin zu einer freundlicheren Umwelt, dann zum heutigen trockenen und kalten Zustand. Neue Beobachtungen dokumentieren zudem frische Ablagerungen und Krater, kaskadierende Erdrutsche und vielleicht kleine Wasserausbrüche. Anders die Venus: Als die Magellan-Sonde vor zwei Jahrzehnten mit Radarstrahlen ihre dicke Wolkenhülle durchdrang, entdeckte sie eine von vulkanischen Ebenen bedeckte und relativ junge Oberfläche - alle Spuren der Geburt des Planeten sind ausradiert.

Auch die Gasplaneten erscheinen veränderlich. Ihre Atmosphären befinden sich in ständiger Umwälzung, wie etwa die Strömungen um den Großen Roten Fleck auf Jupiter zeigen, und wir registrieren Hinweise auf die stetige Abkühlung der Gashüllen im Lauf der Äonen. Weitere Beobachtungen zeigen, wie manche Strukturen in den Saturnringen und in anderen Ringsystemen im Verlauf von Tagen oder Jahrzehnten in Erscheinung treten, sich verändern und wieder verschwinden. Selbst auf vielen Monden der äußeren Planeten entdeckten die Forscher geologische Aktivität. Und das, obwohl solche kleinen Körper schneller abkühlen als größere Objekte.

- Gibt es Leben anderswo im All? Überall im interstellaren Medium und in der Umgebung von Sternen unserer Milchstraße spürten Astronomen relativ komplexe organische Moleküle auf Vergleichbare Moleküle finden sich in den Atmosphären von Planeten und Monden sowie auf den Oberflächen von atmosphärelosen Monden, Kometen und Kuipergürtelobjekten. Noch komplizierter aufgebaute organische Stoffe ließen sich in bestimmten Steinmeteoriten, den kohligen Chondriten, nachweisen. Das Leben auf der Erde scheint mit dem Kosmos also durch eine gemeinsame Chemie verbunden zu sein.

Gemäß herrschender Meinung benötigt Lehen Energie, organische Materie und Lösungsmittel, wahrscheinlich Wasser. Außerhalb der Erde erfüllen diese mutmaßlichen Bedingungen etwa die Flusstäler auf dem Mars sowie Regionen unterhalb der Oberfläche des Roten Planeten. Auch in den Rissen im Eispanzer des Jupitermonds Europa und in den "warmen" Wasserblasen auf Enceladus könnten wir fündig werden. Titans organische Umwelt ist hingegen allzu frostig; das astrobiologische Interesse an dem Saturnmond beschränkt sich deshalb primär darauf, wie komplex organische Moleküle werden können, ohne dass dabei Leben entsteht. Deutlich wird allerdings: Die "bewohnbare Zone" wird mit zunehmendem Wissen immer breiter. Sollten wir einst tatsächlich auf außerirdisches Leben stoßen, dann wohl nicht dort, wo wir das heute vermuten.

Suchen sollten wir gleichwohl. Die Kartierung des Mars sowie ausgedehnte Rover-Exkursionen lieferten im vergangenen Jahrzehnt zahlreiche Belege für die Existenz flacher Seen in früheren Zeitaltern und für einen noch heute aktiven Mars (siehe "Phoenix auf dem Mars", SdW4/2010, S. 24). Auf Europa finden sich hydratisierte Salze und Sulfate als Hinweise auf Wasser und möglicherweise Karbonate, bevorzugt entlang von Rissen an der Eiskruste. Sie könnten also aus dem darunterliegenden Ozean stammen; doch über die Frage, ob dieser für unsere Messgeräte zugänglich sein könnte, wird heftig gestritten. Auch ist ein großer Teil der Materie, die Enceladus ins All ausstößt, reich an Natrium - ein Hinweis auf Wärme im Inneren des Monds. Falls wir an all diesen Orten schließlich keinerlei Biomoleküle finden, sind die Randbedingungen für die Entstehung von Leben möglicherweise doch sehr streng.

- Wie entstand das Sonnensystem? Schon die Mythen alter Kulturen beschrieben die Geburt des Sonnensystems. Später kam etwa die Nebularhypothese Kants oder die Theorie einer engen Sternbegegnung hinzu. Letzterer zufolge rissen Gezeitenkräfte Materie aus der Sonne, aus der sich später die Planeten formten. Doch dies waren Spekulationen, angepasst an das mathematische Wissen der jeweiligen Zeit. Inzwischen liegen zahlreiche Fakten auf dem Tisch. Durch den Vergleich von Isotopenverhältnissen ließ sich das Alter von winzigen Meteoriten, von Kometenstaub und Mondgestein auf mehr als eine Million Jahre genau bestimmen, und wir kennen daher die zeitliche Abfolge der wichtigsten Ereignisse während der Anfangsphase des Sonnensystems vor 4,5 bis 4,6 Milliarden Jahren. Wer heute eine Hypothese über den Entstehungsprozess des Sonnensystems formulieren will, muss damit vieles erklären können. Überdies ergänzen wir unser Wissen mittlerweile, indem wir Exoplaneten und protoplanetare Scheiben um fremde Sterne beobachten. Diese Daten sind zwar weniger präzise. Die Materiescheiben entziehen zudem viele der relevanten Prozesse unserer Beobachtung. Doch die Fallzahlen sind höher, und die Astronomen können auf indirekte Schlüsse und theoretische Überlegungen zurückgreifen. So ist die Erforschung der Ursprünge des Sonnensystems (ähnlich wie die Kosmologie) im letzten Jahrzehnt zu einer voll entwickelten Wissenschaft gereift, deren Hypothesen sich durch Beobachtungen überprüfen lassen.

Der Prozess begann mit dem Kollaps einer dichten Molekülwolke. Im Verlauf von hunderttausend bis zu einer Million Jahren sammelte der entstehende Protostern Masse, während sich um ihn herum ein abgeflachter protoplanetarischer Nebel aus Gas und Staub bildete. Schon früh verklumpte der Staub zu Steinchen, die auf noch nicht gut verstandene Weise rasch zu kilometergroßen Planetesimalen anwuchsen - lockere Steinhaufen möglicherweise, wie die geringe Dichte von Asteroiden und Kometen vermuten lässt. Objekte wie der 500 Meter große erdnahe Asteroid Itokawa, ein asymmetrisches, hantelförmiges Gebilde, mahnen jedoch zur Vorsicht: Unser Modell, dem zufolge Materie kugelsymmetrisch akkumuliert wird, könnte noch zu einfach sein.

Innerhalb weiterer hunderttausend bis zu einer Million Jahre bildeten sich aus den Planetesimalen dann rund 1000 Kilometer große planetarische Embryos. Je größer die Objekte wurden, desto effizienter ging der Wachstumsprozess vonstatten. Nahe der Sonne konnten jedoch nur hitzebeständige Materialien wie Metalle und Silikate kondensieren. Hier führten heftige Zusammenstöße zwischen Planetenembryos zur Entstehung der Gesteinsplaneten. Und schon 30 bis 50 Millionen Jahre, nachdem die ursprüngliche Molekülwolke zu kollabieren begonnen hatte, kollidierte ein marsgroßes Objekt mit der Protoerde und riss einen Teil des Erdmantels heraus. Dieser bildete eine zirkumplanetarische Scheibe, aus der rasch unser Mond entstand.

Parallel dazu bildeten sich in der Region der heutigen Riesenplaneten Materiekerne. Sie sammelten flüchtige, gefrorene Stoffe auf, wuchsen dadurch und veränderten ihre Zusammensetzung. Bald erhielten sie zudem Hüllen aus Gasen des umgebenden Nebels. Eine Minderheit unter den Forschern bevorzugt aber eine alternative Erklärung: An Orten lokaler Instabilitäten der Scheibe ballte sich Materie auf Grund ihrer eigenen Schwerkraft zusammen und formierte sich letztlich zum Planetenkern. Die Beobachtungen massereicher Exoplaneten deuten unterdessen darauf hin, dass ihre Entstehung gerade einmal eine Million Jahre dauert, viel weniger als bislang angenommen. Ebenso wie im Sonnensystem verschieben sich in diesem Zeitraum die Umlaufbahnen der Riesenplaneten. Die Wechselwirkung mit der Scheibenmaterie kann sie nach außen, häufiger aber nach innen befördern. Ein ähnlicher Migrationsmechanismus hat möglicherweise auch viele Exoplaneten nahe an ihre Sterne transportiert. Selbst in den Saturnringen sind vergleichbare Prozesse zu beobachten. Bei ihrer radialen Bewegung trafen die Riesenplaneten auf verbliebene Planetesimale und schleuderten sie in die Oortsche Wolke hinaus, von wo aus einige von ihnen noch heute als Kometen immer wieder zurückkehren.

Im Verlauf von 500 Millionen Jahren sollen die Riesenplaneten dann aber nach außen gewandert sein. Und schließlich folgte ein stürmisches Neuarrangement der Umlaufbahnen, wobei eine Vielzahl chaotischer Prozesse angestoßen wurde. Sie führten unter anderem dazu, dass das innere Sonnensystem vor 3,9 Milliarden Jahren ein heftiges Bombardement durch kleinere Körper erlebte. Auch hier zeigt sich also, dass die einzigartige Struktur des heutigen Sonnensystems wesentlich auch auf chaotischen Vorgängen beruht.

- Die Suche nach Exoplaneten: Noch keine 20 Jahre ist es her, dass überraschend zwei an einem Pulsar zerrende Planeten entdeckt wurden. Sie waren die ersten Exoplaneten, heute kennen wir schon über 500. Einige lassen sich sogar direkt beobachten, und wir müssen nicht indirekt auf ihre Existenz schließen. Darunter sind "heiße Jupiter" ebenso wie Supererden - sehr massereiche Gesteinsplaneten -, aber auch große Objekte, die in Abständen von Hunderten von Astronomischen Einheiten um ihren Stern kreisen. Beobachtungen von Planeten, die vor ihrer Sonne vorüberziehen und sie bei einem solchen Transit messbar abdunkeln, haben vorläufige Daten über Masse, Radius, Dichte und teilweise sogar die Zusammensetzung der Objekte geliefert. Damit widmet sich die Planetenforschung also weiterhin unserer direkten Nachbarschaft und ist doch gleichzeitig weit über das Sonnensystem hinausgewachsen.

Die nächsten spannenden Ergebnisse erwarten wir nun vom Merkur, dem endlich eine große Mission gewidmet ist. Der innerste der Planeten ist zugleich das kleinste, dichteste und am stärksten von Kratern übersäte Exemplar. Seine Zusammensetzung und Magnetosphäre wird die Messenger-Sonde erkunden, die am 18. März 2011 in eine Umlaufbahn um das einzigartige Objekt einschwenkte und wohl helfen wird, seinen Ursprung zu enträtseln.

In Tom Stoppards Theaterstück "Arkadien" heißt es: "Dies ist die beste aller möglichen Zeiten, um in ihr zu leben - wenn nahezu alles sich als falsch erweist, von dem du dachtest, du wusstest es ... " Eine solche Phase wissenschaftlicher Umbrüche erlebt auch die Planetenforschung seit dem Anbruch des Weltraumzeitalters. Nur fünf Jahrzehnte trennen eine Epoche faktenarmer Spekulation von dem nun angesammelten Reichtum an Wissen über unsere kosmische Nachbarschaft - und ein Ende der Entdeckungen ist nicht abzusehen.


Der Autor
Joseph A. Burns lehrt Ingenieurwissenschaften und Astronomie an der Cornell University im US-Bundesstaat New York. Er ist Experte für Planetenforschung und Himmelsmechanik. Zu den Missionen, an denen er beteiligt war oder noch ist, zählen Galileo, Cassini und Rosetta.


Literaturtipps

Bis zum Rand des Sonnensystems ... und darüber hinaus. Dossier 1/2011, Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 2011. Wie gut kennen wir Planeten, Monde und Asteroiden wirklich?

Panek, R.: Das Auge Gottes. Das Teleskop und die lange Entdeckung der Unendlichkeit. Klett-Cotta, Stuttgart 2001. Die Geschichte des Teleskops bis in die Gegenwort, begeisternd erzählt von einem Wissenschaftsjournalisten

Piper, S.: Exoplaneten: Die Suche nach einer zweiten Erde. Springer, Berlin. Voraussichtliches Erscheinungsdatum: 1. März 2011
Bücher über rasant voranschreitende Disziplinen veralten schnell. Dieses ist (noch) brandneu.


Weblinks

www.scientificamerican.com/article.cfm?id=8-wonders
Multimediale Präsentation der "8 Wonders ofthe Solar System"

Diesen Artikel sowie weiterführende Informationen finden Sie im Internet: www.spektrum.de/artikel/1061748


Die Abbildungen aus der Originalpublikation wurden im Schattenblick nicht veröffentlicht.

© 2011 Joseph A. Burns, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 4/11 - April 2011, Seite 36 - 45
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2011