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STERN/246: Sterngeburt kurz nach dem Urknall (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 5/13 - Mai 2013
Zeitschrift für Astronomie

Astrophysik
Sterngeburt kurz nach dem Urknall

Von Anita Winter



Im jungen Universum geht es heiß her: Ständige Verschmelzungen von Galaxien verursachen Phasen heftiger Sternentstehung. Strahlung bei Submillimeterwellenlänge bringt uns den Geheimnissen der Galaxienentwicklung näher.


IN KÜRZE

  • Bei Galaxien im frühen Universum lassen sich bisweilen hohe Sternentstehungsraten beobachten.
  • Solche Starbursts entstehen etwa, wenn zwei Galaxien miteinander verschmelzen.
  • Submillimeterstrahlung kombiniert mit Breitbandbeobachtungen gibt uns Auskunft über die Geschichte der Sternentstehung in frühen Galaxien.


Das frühe Universum ist ein Hexenkessel: Galaxien verschmelzen, abgekühltes Gas verdichtet sich zu Sternen, Supernovae explodieren und schwarze Löcher entstehen. Während die Sterne in heutigen Galaxien meist geruhsam ihre Bahnen ziehen, haben sich die Materiestrukturen kurz nach dem Urknall noch stark verändert. Was sich hier im Einzelnen abgespielt hat, ist ein heißes Thema: Wie sind Sterne und Galaxien damals entstanden? Wie haben sie sich durch Raum und Zeit entwickelt? Woher kommen die heute sichtbaren Strukturen im Universum?

Eine zentrale Frage in der Forschung der Galaxienentstehung im frühen Universum etwa ein bis zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall ist: Wie ist die Sternentwicklung verlaufen? Während Galaxien wie die Milchstraße oder Andromeda heute im Schnitt nicht mehr als drei bis fünf Sterne pro Jahr produzieren, scheinen sich in frühen Galaxien mehrere hundert bis tausend Sterne pro Jahr gebildet zu haben. Solch hohe Raten der Sternentstehung, so genannte Starbursts, werden durch Verschmelzungen von Galaxien ausgelöst (siehe Bild in der Druckausgabe. Das gilt auch für alle folgenden Bildhinweise in diesem Artikel).

Zur Entwicklung von Galaxien, die auch die Galaxienverschmelzung einschließt, gibt es mehrere Theorien, die durch verschiedene Beobachtungen gestützt werden. Die beiden gängigsten sind das monolithische und das hierarchische Modell (siehe Infografik »Galaxienentwicklung« unten). Während das monolithische Modell vom Kollaps einer einzigen sehr massereichen Gaswolke zu einer elliptischen und - in manchen Fällen - schließlich scheibenförmigen Spiralgalaxie ausgeht, beschreibt das hierarchische Modell das umgekehrte Szenario: die Verschmelzung von ursprünglich mehreren kleinen Spiralgalaxien zu großen elliptischen Objekten. Dabei geht man also davon aus, dass sich im frühen Universum zunächst kleine Galaxien aus Gas und jungen Sternen bilden, die schließlich über die Massenanziehung in Wechselwirkung geraten und so zu größeren elliptischen Galaxien verschmelzen. Dies würde bedeuten, dass sehr massereiche Galaxien erst im späten Universum auftreten dürften. Mit der Fragestellung, welche Entwicklungsstufen nun die Galaxien zeigen, bei denen heftige Starbursts beobachtet werden können und die damit vermutlich gerade eine turbulente Phase der Galaxienverschmelzung durchlaufen, hat sich eine Forschergruppe am Institute for Astronomy in Edinburgh, Großbritannien, näher beschäftigt.


Tricks bei der Beobachtung

Die Untersuchung von Galaxien ist alles andere als trivial. Anders als im Laborexperiment steht den Astronomen immer nur das Bild einer bestimmten Galaxie zu einem einzigen Zeitpunkt zur Verfügung. Denn die Zeiträume, in denen Veränderungen stattfinden, sind viel zu groß, um eine Entwicklung ein und derselben Galaxie direkt zu beobachten. Allerdings können die Wissenschaftler bei der Erforschung der Galaxien zu einem Trick greifen: Auf Grund der unglaublich langen Zeitspanne, die das Licht von weit entfernten Objekten zu uns benötigt, können sie direkt in die Vergangenheit blicken. Und auch, wenn sich von einem bestimmten Objekt nur Aufnahmen jeweils eines Zeitpunkts beschaffen lassen, so können sie dies jedoch von einer ganzen Reihe verschiedener Objekte zu fast jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der letzten zwölf Milliarden Jahre tun. Auf diese Weise lassen sich Galaxien in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien beobachten und anhand dessen Rückschlüsse auf die Galaxienbildung im Allgemeinen ziehen.

Ein weiteres Problem bei der Beobachtung von Galaxien, insbesondere ihren Phasen der Sternentstehung, stellt der kosmische Staub dar. Dieser Staub, der in allen Galaxien vorhanden ist, verdunkelt den Blick auf die Sterne - ganz so, wie Wolken das Licht der Sonne auf dem Weg zur Erdoberfläche blockieren können. Auf dem Weg zu uns wird dabei vor allem die energiereiche blaue optische und ultraviolette Strahlung frisch entstandener Sterne vom kosmischen Staub nahezu vollständig absorbiert. Dadurch heizt sich der Staub auf und gibt die von den jungen Sternen aufgenommene Energie bei anderen Wellenlängen, als er sie aufgenommen hat, wieder ab, nämlich als Infrarot-Strahlung. Auch diesen Effekt machen sich die Astronomen zu Nutze: Sie versuchen, das Licht der Sterne indirekt zu beobachten - und zwar anhand dieser reemittierten Strahlung des Staubs (siehe Infografik »Galaxienentwicklung« unten). Diese Strahlung ist also ein indirekter Indikator für neu gebildete, junge Sterne - und somit für die Sternentstehungsrate von Galaxien.


Galaxienentwicklung
Wie Galaxien entstehen, und vor allem, wie sie sich weiterentwickeln und welche Form sie schließlich annehmen, ob etwa Spirale oder Ellipse, ist noch nicht hinreichend geklärt. Zwei klassische Erklärungsversuche sind das monolithische (links) und das hierarchische Modell (Mitte). Das monolithische geht davon aus, dass sich im jungen Universum primordiale Gaswolken zu massereichen Agglomeraten vereinigen und immer weiterverdichten. Aus einem Großteil des Gases entstehen bereits in diesem frühen Stadium Sterne. Diese nahezu kugelförmige Ansammlung aus Sternen und Restgas formt im Laufe der Zeit eine große elliptische Galaxie. Je nach Anfangsdrehimpuls bleibt sie als solche erhalten oder es bildet sich eine Spiralgalaxie heraus.
Nach dem hierarchischen Modell bilden sich zunächst kleinere Materieansammlungen aus primordialem Gas heraus. Auch sie kollabieren weiter zu - kleineren - Galaxien, die zu Spiralgalaxien abflachen können. Größere Galaxien bilden sich in diesem Modell erst durch das (mehrfache) Verschmelzen von kleineren Galaxien. Dabei entstehen aus dem noch vorhandenen Restgas noch einmal vermehrt Sterne (Starburst). Die Beobachtung solcher Starburstgalaxien lässt sich aber nur durch eine Kombination beider Modelle erklären (rechts). Das optische Licht der während der Verschmelzung entstandenen Sterne wird vom kosmischen Staub absorbiert und im Infraroten reemittiert. Auf Grund der kosmologischen Rotverschiebung erreicht es uns mit noch größerer Wellenlänge, und zwar als markante Submillimeterstrahlung (rechts). Bei anderen Wellenlängenbereichen zeigt sich in diesen Starburstgalaxien zudem eine oft sehr massereiche Komponente älterer Sterne. Mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Galaxien muss also eine große Muttergalaxie sein, in der sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt viele Sterne gebildet haben.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- monolithisches Modell
- hierarchisches Modell
- Kombination beider Modelle und Beobachtung von Starbursts


Blicken wir nun mit Infrarot-Teleskopen auf die weit entfernten Galaxien, werden wir zunächst nicht fündig werden: Denn die Strahlung ist nicht mehr im Infraroten, sondern in einem längerwelligen Teil des Spektrums zu finden - sie ist rotverschoben. Diese Rotverschiebung ist ein ganz ähnliches Phänomen wie der auch vom Schall bekannte Dopplereffekt, dem wir etwa im Straßenverkehr begegnen: Rauscht ein Krankenwagen an uns vorbei, so klingt seine Sirene höher, während er sich auf uns zu bewegt - die Schallwellen werden gestaucht -, und tiefer, wenn er sich wieder von uns entfernt - dann werden die Schallwellen gedehnt.

Ähnlich verhält es sich mit Galaxien, die sich von uns fortbewegen: Die Wellenlänge des Lichts, das sie emittieren, wird gedehnt; es erscheint uns daher röter. Diese Rotverschiebung ist eine fundamental wichtige Größe in der Astronomie, da sich aus ihr die Entfernung der Galaxien berechnen lässt. Dies hängt mit der Expansion des Universums zusammen: Je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, umso so höher ist ihre Fluchtgeschwindigkeit, mit der sie sich von uns fortbewegt. Entsprechend größer ist auch die Rotverschiebung des von der Galaxie ausgesandten Lichts - und diese ist durch Beobachtungen leicht messbar. Definiert ist die Rotverschiebung als

z = (λ - λ0)/λ0,

wobei λ die auf der Erde beobachtete Wellenlänge ist und λ die ursprünglich ausgesandte Wellenlänge.

Soll nun die vom Licht der jungen Sterne im kosmischen Staub angeregte Infrarotstrahlung beobachtet werden, müssen wir die Rotverschiebung der ausgesandten Strahlung mit in Betracht ziehen. Solche Strahlung, die im frühen Universum, also bei Entfernungen von mehreren Milliarden Lichtjahren, als Infrarotstrahlung ausgesandt wurde, hat sich auf dem Weg zu uns in den Submillimeterbereich des elektromagnetischen Spektrums bei Wellenlängen von etwa einem halben bis knapp unter einen Millimeter verschoben. Diese Submillimeterstrahlung ist also jener Wellenlängenbereich, in dem wir beobachten müssen, um die Sternentstehungsrate in solch weit entfernten Galaxien zu untersuchen.

Die Submillimeterastronomie ist noch ein junges Forschungsgebiet, aber mit leistungsfähigen Teleskopen ließen sich bereits einige 100 Galaxien im frühen Universum aufspüren, die intensive Submillimeterstrahlung aufweisen. Die meisten dieser Beobachtungen wurden am weltweit größten Submillimeter-Einzelteleskop, dem James Clerk Maxwell Telescope (JCMT) auf dem Mauna Kea, Hawaii, an Einzelobjekten durchgeführt (siehe Bild S. 50). Die Kamera dieses Teleskops, SCUBA (Submillimeter Common User Bolometer Array), ist ein äußerst leistungsfähiges Instrument, das Wissenschaftler und Ingenieure am Royal Observatory in Edinburgh, Großbritannien, konstruiert und gebaut haben (siehe Bild rechts oben). Seit 1996 stand sie am JCMT für Beobachtungen zur Verfügung. (Inzwischen ist SCUBA aber im Ruhestand und SCUBA-2 hat ihre Arbeit aufgenommen.)

Mit SCUBA wurde über mehrere Jahre das Beobachtungsprojekt SHADES (SCUBA HAlf Degree Extragalactic Survey) durchgeführt. Diese bei einer Wellenlänge von 850 Mikrometern durchgeführte Himmelsdurchmusterung lieferte die größte derzeit beobachtete Stichprobe von Galaxien im Submillimeterbereich. Dabei suchte SHADES zwei rund 360 Quadratbogenminuten große Bereiche am Himmel ab: das Lockman Hole East mit seinem Zentrum bei den Koordinaten α = 10h52m26s,7, δ = 57°24'912,6", und das Subaru/XMM-Newton Deep Field (SXDF) bei den Koordinaten α = 2h17m57,s5, δ = -5°00'18,5". In den beiden Himmelsfeldern fanden sich insgesamt 120 starke Submillimeterstrahler, per Zufall genau 60 Objekte in jedem. Damit ist es Astronomen erstmals gelungen, eine derart große Zahl von Submillimeterstrahlern in einem jeweils zusammenhängenden Himmelsausschnitt zu beobachten. Dies ist für eine statistisch korrekte Analyse außerordentlich wichtig. Eine Forschergruppe um James Dunlop am Institute of Astronomy in Edinburgh unter Mitarbeit der Autorin hat diese Daten ausgewertet und erstmals einen umfassenden Einblick in die Charakterisierung dieser interessanten kosmologischen Objekte ermöglicht.


Breitbandbeobachtungen

Zwar ist die hohe Sternentstehungsrate die wichtigste Eigenschaft der Starburstoder Submillimetergalaxien, jedoch sind für die vollständige Beschreibung dieser Himmelskörper auch viele andere Aspekte, wie zum Beispiel Masse, Alter und Entfernung, von Interesse. Um diese Eigenschaften zu bestimmen, werden Informationen bei anderen Wellenlängen als dem Submillimeterbereich benötigt. Dabei ist vor allem die Strahlung im sichtbaren Licht aufschlussreich, da diese im Allgemeinen die beste räumliche Auflösung aufweist, doch es bieten sich auch Beobachtungen im nahen Infraroten oder bei Radiowellenlängen an. Je mehr Daten aus anderen Wellenlängenbereichen zur Verfügung stehen, umso genauere physikalische Informationen lassen sich schließlich für jedes Objekt ableiten. Solche Breitbandbeobachtungen sind somit von großer Wichtigkeit für eine möglichst vollständige Untersuchung von Galaxien.

Die Zuordnung der Submillimeteretwa zu den optischen Aufnahmen gestaltet sich allerdings als äußerst schwierig, da die bisherigen Einzelteleskope im Submillimeterbereich nicht annähernd die Auflösung von optischen Observatorien erreichen. Mit anderen Worten: In einem einzigen diffusen Lichtfleck aus Submillimeterstrahlung kann man mit einem optischen Teleskop eine ganze Handvoll Galaxien erkennen. Wie lässt sich nun herausfinden, welche dieser im Sichtbaren beobachtbaren Galaxien tatsächlich auch jene gemessene Submillimeterstrahlung aussendet und folglich gerade den beobachteten Starburst durchläuft?

Eine klassische Lösung ist die Zuordnung mit Hilfe von Beobachtungen aus einem weiteren Bereich des Spektrums, nämlich bei Radiowellen: Denn auch sie werden von jungen Sternen abgegeben, können den kosmischen Staub sogar zum großen Teil ungehindert passieren und stehen daher in enger Verbindung mit Submillimeterstrahlern. Der Vorteil: Sie lassen sich mit weitaus besserer Auflösung beobachten. Finden wir also im Bereich der Submillimeterstrahlung eine starke Radioquelle, können wir deren genaue Position ablesen und an dieser Stelle das korrekte optische Gegenstück für unsere Submillimetergalaxie aufspüren (siehe Bilder rechts). Strahlt die Galaxie allerdings nicht im messbaren Radiobereich, wie es bei stark rotverschobenen Objekten der Fall sein kann, gibt es zunächst keinen weiteren Anhaltspunkt für eine richtige Identifikation.

Auf der Suche nach einer Methode, wie sich optische und Submillimeteraufnahmen auch ohne messbare Radioquelle miteinander identifizieren ließen, untersuchte das Edinburgher Forscherteam zunächst die optischen Daten solcher Submillimetergalaxien genauer, die bereits anhand vorhandener Radiobeobachtungen eindeutig zugeordnet waren, und verglich sie mit den optischen Daten jener Galaxien, die ebenfalls im Abbildungsbereich der Submillimeteraufnahmen zu finden waren, sich aber letztendlich nicht mit der langwelligeren Quelle identifizieren ließen. Dabei fiel den Wissenschaftlern auf, dass die auch im Submillimeterbereich strahlenden Galaxien im Optischen deutlich »röter« sind als ihre Nachbarn, die keine Submillimeterstrahlung abgeben: Während die gewöhnlichen Galaxien mit geringer Sternbildung, also solche, die nicht im Submillimeterbereich strahlten, im roten Spektralbereich etwa doppelt so hell wie im blauen leuchteten, waren die Submillimeterstrahler im roten durchschnittlich zehn Mal kräftiger als im blauen Licht. Diese empirisch ermittelte Eigenschaft ließ sich nun für die vorliegende Stichprobe nutzen, um aus der Handvoll Galaxien, die als Submillimeterstrahler in Frage kamen, aber keine Radiowellen aussandten, dennoch den passenden optischen Kandidaten mit möglichst hoher Treffsicherheit herauszufinden. Damit erhöhte sich die Anzahl der Galaxien, die insgesamt untersucht werden konnten, um fast 20 Prozent - Welten für einen Astronomen, der sich an die Grenzen des Beobachtbaren herantastet.


Vergleich mit dem Modell

Nun stand mit 120 zugeordneten Objekten eine ausreichend große Anzahl von Starburst-Galaxien zur Verfügung, die sich nach Alter und Entfernung untersuchen ließ. Dabei wird jeder dieser Momentaufnahmen aus der Galaxienentwicklung ein genauer Zeitstempel gegeben, um die Entwicklungsgeschichte der Galaxien richtig zu ordnen. Die klassische Vorgehensweise ist folgende: Man vergleicht die Beobachtungsdaten mit Modellspektren von Galaxien in verschiedenen Entwicklungsstufen und bei unterschiedlichen Rotverschiebungen. Die Modellspektren enthalten Informationen darüber, wie viel Energie eine Galaxie bei einer bestimmten Wellenlänge aussendet (spektrale Energieverteilung). Diese Analyse benutzt fast immer Daten im sichtbaren und infraroten Wellenlängenbereich, da diese am genauesten erforscht sind und die Beobachtungen hier die beste Auflösung aufweisen. Aus diesem Grund ist das aus den optischen Daten korrekt ermittelte Gegenstück zu den Submillimetergalaxien so wichtig.

Um Rotverschiebung und Alter einer Starburst-Galaxie zu ermitteln, werden nun Galaxienmodell und Beobachtungsdaten übereinandergelegt und so lange gegeneinander verschoben, bis der Unterschied zwischen beiden Datensätzen minimal ist. Diese Minimaldifferenz lässt sich aus der Abweichung eines jeden Datenpunkts zum Modellspektrum bestimmen. Das am besten passende Galaxienmodell liefert uns das Alter der beobachteten Galaxie. Die optimale Verschiebung dieses Modellspektrums gegenüber den Beobachtungsdaten ergibt den Wert, um den das Licht der Galaxie ins Rote verschoben ist und aus dem sich die Entfernung der Galaxie bestimmen lässt (siehe Kasten unten).


Vergleich mit Galaxienentwicklungsmodellen
Diese beiden Grafiken veranschaulichen das Prinzip zur Alters- und Entfernungsbestimmung der beobachteten Galaxien. Die durchgehenden Linien bezeichnen jeweils das Spektrum der Galaxienmodelle, die roten Punkte sind die gemessenen Intensitäten der beobachteten Galaxie (SHADES J105155+572311 im Lockman Hole East) bei verschiedenen Wellenlängen mit Fehlerbalken. Das beste Ergebnis des Ein-Komponenten-Fits - also nur ein einziges Modellalter - zur beobachteten Galaxie ist links zu sehen, rechts der Zwei-Komponenten-Fit als Kombination aus einem »alten« (grün) und einem »jungen« (blau) Modellspektrum zu derselben Galaxie. Das Massenverhältnis zwischen der blau und der rot leuchtenden Spektralkomponente ist 5000. Der Zwei-Komponenten-Fit beschreibt das beobachtete Spektrum sehr viel genauer. Auch die für dieses Objekt spektroskopisch gemessene Rotverschiebung von z = 2,67 lässt sich mit diesem Modell besser annähern und damit seine Entfernung besser vorhersagen.


Doch auch das am besten passende Modell zeigte den schottischen Wissenschaftlern noch zu große Abweichungen, um eine verlässliche Aussage über das Alter der Galaxien ihrer Stichprobe treffen zu können. So wagten sie einen weiteren Schritt in eine neue Methodik. Bisher wurde jeder Galaxie ein einziges Alter zugeordnet - womit aber auch angenommen wird, dass sich der größte Teil der Sterne in einem einzigen Schub entwickelt hat. Dies erschien den Forschern in Edinburgh aber nicht ausreichend: Denn es ist vielmehr anzunehmen, dass eine Galaxie im Laufe ihres Lebens mehr als nur ein Stadium der Sternentstehung durchlaufen hat und sowohl große Mengen an alten, aber auch an deutlich jüngeren Sternen enthält. Diese unterschiedlich alten Komponenten sind mit einem Modell, das nur ein einziges Alter repräsentiert, schwierig zu beschreiben. Es ist also sinnvoll, anstatt der klassischen Ein-Kompenenten-Modelle eine Kombination von Modellen zu Galaxien unterschiedlichen Alters zu verwenden.

Im Fall der Submillimetergalaxien gingen die Astronomen nun davon aus, dass bei einer Starburst-Galaxie mit aktuell beobachteter extrem hoher Sternentstehungsrate bereits eine massereiche alte Muttergalaxie zu Grunde liegen könnte, die entweder bei einer Galaxienverschmelzung zu einem viel früheren Zeitpunkt oder einfach durch eine mittlere bis starke Sternentstehungrate über einen langen Zeitraum entstanden sein sollte. So ordneten sie den Galaxienspektren in ihrem Modell zwei Komponenten zu: Einen Teil des Lichts, und zwar vornehmlich den optisch roten, steuerten demnach alte Sterne bei, die sich bereits lange vor der aktuellen Verschmelzung gebildet hatten. Ein anderer vornehmlich blauer Anteil stammte von den frisch entstandenen Sternen des beobachteten Starbursts. Diese Methode liefert sofort deutlich bessere Übereinstimmungen der Modellspektren mit den beobachteten Daten. Daraus lässt sich also schließen, dass diese Galaxien tatsächlich aus mindestens zwei verschiedenen Alterskomponenten bestehen und nicht durch einen einzigen Starburst entstanden sind (siehe Kasten oben).

Die nach dieser Methode an der gesamten Stichprobe durchgeführte Analyse brachte erstaunliche Ergebnisse zu Tage: Fast alle Starburst-Galaxien weisen, zusätzlich zu den anhand der Submillimeterstrahlung beobachteten jungen Sternen, eine äußerst dominante alte Komponente auf. Demnach ist die jeweilige Muttergalaxie im Schnitt etwa zehnmal massereicher als die junge, stark sternbildende Komponente! Zudem zeigte sich, dass die Phasen solch heftiger Sternentstehung auf einen Zeitraum zwischen 2,5 und 4 Milliarden Jahre nach dem Urknall beschränkt sind. Sowohl vorher als auch nachher sind derartige Starbursts kaum zu beobachten.

Wäre nun eine massereiche Muttergalaxie bereits durch frühere Verschmelzungen gebildet worden, müssten wir jene Phasen von Sternentstehung anhand von Galaxien im noch früheren Universum ebenfalls als Submillimeterstrahlung beobachten - und zwar weniger als 2,5 Milliarden Jahre nach dem Urknall, das heißt, bei Rotverschiebungen von z = 3 und höher. Das ist aber nicht der Fall: Die Verteilung der Rotverschiebung der beobachteten Submillimetergalaxien hat ihren Höhepunkt bei etwa z = 2 und nimmt zu höheren Rotverschiebungen hin deutlich ab (siehe Grafik).


Frühe Bildung massereicher Galaxien

Wie sind also solche massereichen Objekte wie die Muttergalaxien so früh entstanden? Vergleiche der Galaxienspektren mit theoretischen Modellen wie dem hierarchischen oder monolithischen Modell stellen uns zunächst vor Probleme: Während im monolithischen Modell kaum Verschmelzungen und demzufolge keine Starbursts erklärt sind, dürfte es im hierarchischen Modell überhaupt keine derart massereichen Galaxien im so jungen Universum geben, da diese erst viel später durch die Verschmelzung von mehreren kleineren Galaxien entstehen sollten. Die hier gemachten Beobachtungen verlangen also nach einer Erweiterung der Modelle zur Galaxienentstehung, um ein plausibles Szenario für die Existenz der massereichen Muttergalaxien im frühen Universum zu schaffen. Hierzu bietet sich eine Kombination aus hierarchischem und monolithischem Modell an: Zunächst stehen im jungen Universum große Mengen an freiem Gas zur Verfügung, wodurch recht früh relativ starke Sternbildung einsetzt und massereiche Galaxien entstehen, ähnlich wie im monolithischen Modell. Zu einem späteren Zeitpunkt kommt es zur Verschmelzung mit einer anderen, vielleicht etwas masseärmeren Galaxie. Dabei verdichtet sich das in beiden Galaxien noch als Gas vorhandene Material und es kommt erneut zu einer intensiven Phase der Sternentstehung, einem Starburst (hierarchisches Modell). Dabei wird das übrige Gas nahezu vollständig verbraucht, und die Galaxie bleibt als passives Objekt mit alten, rötlich leuchtenden Sternen zurück.

Für die Submillimetergalaxien lässt sich daraus folgende Schlussfolgerung ziehen: Kurz nach dem Urknall waren die Sternentstehungsraten durch große Mengen ungebundenen Gases deutlich höher als später, als derartiges Gas nicht mehr ausreichend zur Verfügung stand. Somit konnten massereiche Galaxien im relativ frühen Universum entstehen, und zwar ohne mit anderen Galaxien zu verschmelzen und dadurch eine Starburstphase zu durchlaufen. Mittlere Entstehungsraten von 50 bis 100 Sternen pro Jahr über die ersten zwei Milliarden Jahre sind ausreichend, um in solch »kurzer« Zeit eine äußerst massereiche Galaxie von 300 bis 400 Milliarden Sonnenmassen zu bilden. Wahrscheinlich entwickelte sich ein Großteil dieser Objekte zu Spiralgalaxien, da noch keine Verschmelzung stattgefunden hat, um die ursprüngliche Rotationsachse aufzulösen. Schließlich verschmilzt das Objekt mit anderen Galaxien, wobei ein heftiger Ausbruch von Sternentstehung stattfindet - eben genau der bei Submillimeterwellenlängen beobachtete Starburst - und der Rest des Gases verbraucht beziehungsweise abgestoßen wird. Von da an wird die Galaxie als rotes elliptisches Objekt ein passives Leben führen. Im Gegensatz zu Spiralgalaxien, die noch nie eine Phase der Verschmelzung durchlaufen haben, steht den massereichen elliptischen Galaxien nun kein Gas mehr zur Sternbildung zur Verfügung.

Dies erklärt die Entstehung derartig massereicher Objekte zu so frühen Zeiten - und liefert eine überzeugende Erklärung für die große Zahl von mächtigen alten Galaxien, die wir im heutigen Universum beobachten können. Der große Submillimeter-Starburst ist also der letzte Aufschrei uralter, einst aktiv sternbildender Galaxien, bevor sie sich in den ewigen Ruhestand begeben.


Anita Winter, geb. Schael, promovierte am Royal Observatory Edinburgh über die Sternentstehung in massereichen Galaxien. Seit 2009 arbeitet sie am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching an der Entwicklung neuer Technologien für die optischen Systeme von Röntgenteleskopen mit. Zudem ist sie in der Amateurastronomie aktiv.


Literaturhinweis

Appenzeller, I.: Die Entwicklung junger Galaxien. In: Sterne und Weltraum 10/2010, S. 34 - 43


Weblink
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1189421

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 47:
Verschmelzen zwei Galaxien wie hier ZwII 96, löst dies häufig eine Phase verstärkter Sternentstehung aus. Das Licht der jungen Sterne wird meist von kosmischem Staub verschluckt und als Infrarotstrahlung wieder abgegeben. Im frühen Universum lassen sich solche Starburst-Galaxien im Submillimeterbereich des Spektrums beobachten.

Abb. S. 50:
Das James Clerk Maxwell Telescope (JCMT) ist mit 15 Meter Durchmesser das größte astronomische Teleskop, das auf Submillimeterstrahlung spezialisiert ist. Es befindet sich auf knapp 4100 Meter Höhe auf dem Gipfel des Mauna Kea, Hawaii, und wird hauptsächlich zur Beobachtung des Sonnensystems, von interstellarem Staub und Gas und von sehr weit entfernten Galaxien genutzt.

Abb. S. 51 oben:
Die Kamera SCUBA (Submillimetre Common-User Bolometer Array) wurde am Royal Observatory in Edinburgh konstruiert und gebaut. Die ersten Beobachtungen wurden 1996 durchgeführt. Die SHADES-Durchmusterung war eines der letzten Projekte mit SCUBA. Inzwischen hat SCUBA-2 - ebenfalls aus Edinburgh stammend - ihren Dienst angetreten. Sie arbeitet etwa 1000 Mal schneller als ihre Vorgängerin.

Abb. S. 51 unten:
Das Auflösungsvermögen von Beobachtungen im Submillimeterbereich ist sehr viel geringer (rechts) als jenes von optischen oder Radiobeobachtungen (links). Daher fallen in den Bereich eines diffusen Submillimeterflecks oft die Positionen mehrerer im Optischen sichtbarer Galaxien. Hier erfolgte die Zuordnung einer bestimmten Galaxie anhand der Position der Radiostrahlung.

Abb. S. 52:
Die in SHADES gemessene Rotverschiebungsverteilung zeigt eine große Anzahl von Submillimetergalaxien zwischen z = 1 und z = 3. Dies entspricht einem Zeitraum von etwa 2,5 bis 4 Milliarden Jahren nach dem Urknall. Sowohl zu früheren als auch späteren Zeiten treten derartige Starbursts kaum auf - das schließt also aus, dass die massereichen alten Muttergalaxien der sternbildenden Objekte selbst durch Starbursts entstanden sind, da diese sonst bei Rotverschiebungen z > 3 in dieser Rotverschiebung z Verteilung auftauchen müssten.


© 2013 Anita Winter, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 5/13 - Mai 2013, Seite 46 - 53
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Redaktion Sterne und Weltraum:
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Internet: www.astronomie-heute.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2013