Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam - 10.04.2015
Sterne mit angehaltener chemischer Uhr
Ein internationales Team von Astrophysikern unter Leitung von Cristina Chiappini vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam hat eine Gruppe Roter Riesensterne entdeckt, deren chemische Uhr scheinbar aus dem Takt geraten ist: obwohl die Sterne ihrer chemischen Signatur nach alt sein sollten, erweisen sie sich als jung, wenn man ihr Alter mittels Asteroseismologie untersucht. Die Existenz dieser Sterne kann nicht mit den Standardmodellen der chemischen Entwicklung der Milchstraße erklärt werden, was darauf hinweist, dass sich die Anreicherung der galaktischen Scheibe mit chemischen Elementen weit komplexer gestaltete, als bisher angenommen.
Die Geschichte der Milchstraße lässt sich anhand der Häufigkeiten
verschiedener chemischer Elemente, die in den Spektren von
Sternatmosphären sichtbar sind, und aus der Bewegung der Sterne ablesen.
Beide Faktoren sind zentral für die "Galaktische Archäologie", die die
Entwicklung der Milchstraße zum Gegenstand hat. Stellare
Häufigkeitsverhältnisse werden in der Galaktischen Archäologie zur
indirekten Altersbestimmung von Sternen genutzt. Massereiche Sterne, die
nach kurzer Lebenszeit als Supernovae explodieren, reichern das
interstellare Medium mit Sauerstoff und anderen sogenannten
Alpha-Elementen an. Masseärmere Sterne, die als Supernovae vom Typ Ia enden,
leben länger und produzieren hingegen hauptsächlich Eisen. Die
Zeitdifferenz zwischen der Anreicherung des interstellaren Mediums mit
Alpha-Elementen und Eisen erlaubt Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der
Geburt eines Sterns - dies bezeichnen Astronomen als "Chemische Uhr", die
für viele Sterne funktioniert.
Die Autoren der jetzt veröffentlichten Studie zeigen hingegen, dass ein erhöhtes Alpha/Eisen Verhältnis nicht garantiert, dass ein Stern tatsächlich alt ist. Erst seit kurzem erlaubt die Asteroseismologie die präzise Altersbestimmung der Sterne. Die Methode basiert auf der Messung von Pulsationen und liefert so zusätzliche Informationen über das Alter eines Sterns. Die untersuchten Sterne erscheinen jung, obwohl sie im Vergleich zur Sonne mit Alpha-Elementen angereichert sind. Interessanterweise befinden sich die meisten dieser Sterne in den inneren Regionen der galaktischen Scheibe, wo das Zusammenspiel zwischen Balken und Spiralarmen eine komplexe chemische Entwicklung zur Folge hat.
"Obwohl bereits ähnliche Sterne in anderen Stichproben früherer Veröffentlichungen enthalten waren, handelte es sich dabei nur um einige wenige. Das könnte erklären, warum diesen Sternen bisher nur so wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde", erklärt Friedrich Anders, Ko-Autor der Studie.
"Wir rechnen mit weiteren Hinweisen zur Herkunft dieser Sterne und der komplexen chemischen Evolution der Milchstraße durch zukünftige Beobachtungen", schließt Cristina Chiappini.
Die neuen CoRoT- und APOGEE-Daten sind das Ergebnis einer Kollaboration von APOGEE (einer hochauflösenden Infrarothimmelsdurchmusterung und Teil des Sloan Digital Sky Survey III) mit dem Rote-Riesen-Team des CoRoT-Satelliten. Diese Kollaboration erlaubt die spektroskopische Nachbeobachtung hunderter Roter Riesensterne mit seismischen Informationen. Nur mit CoRoGEE ist es möglich, die inneren Regionen der galaktischen Scheibe und das Alter der Feldsterne zu bestimmen.
Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) widmet sich
astrophysikalischen Fragen, die von der Untersuchung unserer Sonne bis zur
Entwicklung des Kosmos reichen. Forschungsschwerpunkte sind dabei
kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik sowie die
Entwicklung von Forschungstechnologien in den Bereichen Spektroskopie,
robotische Teleskope und E-Science. Seinen Forschungsauftrag führt das AIP
im Rahmen zahlreicher nationaler, europäischer und internationaler
Kooperationen aus. Das Institut ist Nachfolger der 1700 gegründeten
Berliner Sternwarte und des 1874 gegründeten Astrophysikalischen
Observatoriums Potsdam, das sich als erstes Institut weltweit ausdrücklich
der Astrophysik widmete. Seit 1992 ist das AIP Mitglied der
Leibniz-Gemeinschaft.
Weitere Informationen unter:
http://www.aanda.org/articles/aa/abs/2015/04/aa25865-15/aa25865-15.html
- Die Studie wurde am 10. April 2015 in Astronomy & Astrophysics publiziert:
Young [α/Fe]-enhanced stars discovered by CoRoT and APOGEE: What is
their origin?, Chiappini et al. 2015, A&A, 576, L12
http://www.aip.de
- Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP)
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution164
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, Kerstin Mork, 10.04.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2015
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