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BERICHT/045: Präparator Hans Luginsland - Im Dienste des Fossils (attempto! - Uni Tübingen)


attempto! 28 - Mai 2010 - Forum der Universität Tübingen

Im Dienste des Fossils

Von Tina Schäfer


Vom Einzeller-Gehäuse über die Wurmspur bis zur Dinosaurierkralle - Präparator Hans Luginsland ist ein Experte für Relikte aus der Vorzeit


"Das ist ein paar hunderttausend Jahre, also nicht so alt." Wenn Hans Luginsland über ein Fossil aus dem Miozän spricht, wird klar, dass die Uhren für ihn ein bisschen anders gehen. Der Präparator in der Paläontologie am Institut für Geowissenschaften ist Spezialist für prähistorische Kreaturen: Trilobiten, Quallen, Würmer - bis zu 550 Millionen Jahre alt sind die fossilen Lebensformen oder ihre Spuren, mit denen er täglich zu tun hat. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört es, Abgüsse urzeitlicher Funde anzufertigen, sodass beispielsweise Wissenschaftler damit arbeiten, Analysen und Vergleiche anstellen können. Viele Originale seien zu kostbar, als dass die Universität sie für Untersuchungszwecke hergeben würde, erklärt der Präparator. Aber auch bei Museen und Ausstellungen sind zunehmend Kopien gefragt, denn: "Es wird immer mehr geklaut."

Oft lagern Fossilien aber ohnehin nicht in Vitrinen, sondern befinden sich im freien Gelände - etwa Abdrücke in Felswänden. Dann muss Luginsland vor Ort präsent sein: "Ich bin sehr viel herumgekommen", stellt er fest. Ob in Neufundland, Namibia oder Australien - der Präparator hat schon fast überall Abgüsse gemacht. Am Fundort trägt er eine Silikonschicht auf die urzeitlichen Objekte auf. Einmal fest geworden, lässt sich das gummiartige Negativ abziehen und wie ein Teppich zusammengerollt ins Tübinger Labor transportieren. Dort wird diese Form dann mit Kunstharz ausgegossen und die so entstandene harte Kopie nach Fotografien des Originals bemalt. Der Aufwand ist dabei sehr unterschiedlich: Von riesigen Abgüssen mit einer Fläche von gut acht Quadratmetern "bis runter zu einem Zähnchen von einem auf einen Millimeter" ist alles dabei.


Harte Arbeitsbedingungen

Entspannte Urlaubsstimmung kommt bei paläontologischen Expeditionen allerdings nicht auf. Die Beteiligten stünden meist unter hohem Druck, wissenschaftlich bedeutsame Funde mitzubringen, so der Präparator. Widriges Wetter, etwa Dauerregen oder extreme Temperaturen, könne die ohnehin harte Arbeit zudem enorm erschweren. An vielversprechenden Orten sei zunächst "Ausschwärmen im Gelände" in Zweiergruppen angesagt. Sind dann einmal Funde gemacht, ist oft Luginslands jahrelange Expertise gefragt, um zu bewerten, welche Objekte wirklich den teuren und aufwendigen Abguss lohnen.

Seit 1963, als er seine Ausbildung zum Präparator in Tübingen begonnen hat, ist Hans Luginsland an der Eberhard Karls Universität tätig. Über die Jahrzehnte hat er eng mit dem inzwischen emeritierten Paläontologen Adolf Seilacher zusammengearbeitet. Seilachers wegweisende Arbeiten vor allem in den sehr alten Schichten des Präkambriums und Kambriums, etwa 550 Millionen Jahre vor heute, haben ihm 1992 den Crafoord-Preis eingebracht, ein Pendant zum Nobelpreis. Mit dem Preisgeld haben Seilacher und 'sein' Präparator Luginsland die Ausstellung "Fossil Art/Fossile Kunst" ins Leben gerufen. In großformatigen Abgüssen zeigt die Schau Spuren des frühen Lebens und besondere Gesteinsformen. 1995 wurde sie erstmals in Tübingen präsentiert, seitdem ist "Fossil Art" als "Botschafter der Universität Tübingen" (Seilacher) in Deutschland und der Welt unterwegs - von Kanada über Brasilien bis nach Japan. Hans Luginsland ist immer mal wieder beim Aufbau dabei und lernt Helfer ein, die sich im jeweiligen Land um die Wanderausstellung kümmern.

Die gut 50 Exponate, die er für die Ausstellung hergestellt hat, gehören für Luginsland zu den Meisterwerken seines Schaffens als Präparator. Trotz des durchaus ästhetischen Charakters vieler Abgüsse bleibt er jedoch bescheiden: Er sieht sich eher als Handwerker denn als Künstler. Kreativität sei bei seiner Arbeit dennoch manchmal gefragt. Beim Bemalen - eine seiner Farbflaschen trägt übrigens die Handelsbezeichnung "Dino Color" - ließen sich manche Details so betonen, dass das Objekt plastischer erscheine, erklärt Luginsland. Wegen der besseren Beleuchtungsmöglichkeiten seien manche Charakteristika des Abgusses aber in der Werkstatt viel besser zu sehen als beim Fund im Gelände. Manchmal erfährt die Arbeit des Präparators dann sogar eine besondere Würdigung: Zwei seiner Abgüsse haben es schon aufs Titelbild der renommierten Zeitschrift Science geschafft.


Wissen weitergeben

Hans Luginsland präpariert jedoch nicht nur selbst, sondern gibt sein Fachwissen auch weiter. Im Kurs "Paläontologische Arbeitsmethoden " lehrt er Studierende das notwendige Handwerkszeug, zum Beispiel den Umgang mit Chemikalien zum Freilegen und Präparieren von Funden. Immer wieder kommen angehende Geowissenschaftler zu ihm in die Werkstatt, um sich einen Tipp für die Bearbeitung ihrer Fossilien zu holen. Auch einige Praktikanten hat Luginsland schon in sein Metier eingeweiht. Darüber hinaus kümmert sich der Präparator um die Forschungs-, Lehr- und Schausammlungen der Geowissenschaften - das Museum für die breite Öffentlichkeit sowie das Fossilienlager für die wissenschaftliche Arbeit. Von der Gestaltung der Ausstellungsvitrinen bis zu den konservatorischen Arbeiten, um die Urzeitfunde nachhaltig zu bewahren - Luginslands Aufgaben umfassen ein breites Spektrum.

Ab und zu fertigt der Präparator auch Reliefs von Landschaftsformen an, etwa als Anschauungsobjekt für Geologen auf Exkursion. In zweijähriger Arbeit habe er unter anderem mit mühevoll übereinander geklebten Karten und einer Riesenlaubsäge einmal ein Modell des schwäbischen Schichtstufenlands gebaut, berichtet Luginsland stolz. Solche Projekte sind heute allerdings eher die Ausnahme. Geologische Reliefs lassen sich mittlerweile leichter mit dem Computer erstellen.

Auch für das Erforschen vorzeitlicher Lebewesen hat die moderne Technik neue Methoden gebracht. So lässt sich etwa am Rechner simulieren, wie frühe Lebensformen ausgesehen und sich bewegt haben könnten oder wie sich einzelne Funde zu einem größeren Ganzen zusammensetzen lassen. Auch Hans Luginsland profitiert bei seiner Arbeit vom technischen Fortschritt. Man arbeite nicht mehr nur "mit Hammer und Meißel und Bürste", erklärt er und präsentiert ein Reinigungswerkzeug mit vibrierender Spitze, das an ein Instrument beim Zahnarzt erinnert: "Das macht richtig Spaß, da fetzen die Steinchen richtig weg!" Mit den heutigen Werkzeugen könnten Fossilien meist besser freigelegt werden, viele Details seien deutlicher zu sehen. Die Windungen eines Ammoniten ließen sich etwa mit feinen Sandstrahlen gut herausarbeiten. Auch der frühere Werkstoff Gips, mit dem teilweise schon die Negativformen zu Bruch gingen, ist längst leichter zu verarbeitenden Kunststoffen gewichen. Trotz aller technischer Neuerungen ist eines klar: Der Präparator selbst bleibt unentbehrlich.


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Quelle:
attempto! 28 - Mai 2010, Seite 36-38
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
Vereinigung der Freunde der Universität Tübingen e.V.
(Universitätsbund)
Wilhelmstr. 5, 72074 Tübingen
Redaktion: Michael Seifert (verantwortlich)
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attempto: www.uni-tuebingen.de/aktuell/veroeffentlichungen/attempto.html

attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2010