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FORSCHUNG/642: Gene für ein ganz feines Näschen (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2009

Gene für ein ganz feines Näschen

Von Klaus Wilhelm


Peter Mombaerts kennt sich in Welt der Moleküle, der Gene, der zellulären Signale ebenso gut aus wie in der Welt der Düfte. Der Belgier, mittlerweile Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt/Main, zählt zu jenen Forschern, die den Weg eines Duftstoffes durch Nase und Gehirn aufgeklärt haben - zumindest in seinen Grundzügen.


Was die Geruchswelt für den Menschen, noch mehr für andere Säugetiere wie Hund, Katze oder Maus bedeutet, leuchtet jedem sofort ein. Doch die Genetik und die Biochemie, die dahinterstecken, sprengen die Vorstellungskraft vieler Menschen. 300 bis 1200 Gene, je nach Säugetierart, bilden die Basis, um die unermessliche Fülle der Duftstoffe zu unterscheiden. Diese Gene bergen die Bauanleitung für bestimmte Proteine, die die unterschiedlichen Strukturen von Duftmolekülen in Luft und Wasser erkennen. Und die selbst, so Mombaerts wichtigstes seiner zahlreichen Ergebnisse, die Weiterleitung des entstehenden elektrischen Signals von den Riechzellen ins Gehirn steuern. Der gesamte Prozess der Geruchsverarbeitung passiert in gut 200 Millisekunden. Forscher wie der Nachwuchsgruppenleiter Andreas Schäfer am Heidelberger Max-Planck-Institut für medizinische Forschung nehmen die Stoppuhr zur Hand, wenn sie Mäuse auf eine Geruchsspur setzen.

Dennoch bleibt einstweilen in der Geruchsforschung "vieles rätselhaft", wie Mombaerts klagt. Aus mehreren Gründen: Zum einen lassen sich die Geheimnisse des Geruchs bei Säugetieren nur in aufwendigen, langwierigen Tierversuchen entschlüsseln, bei denen die entsprechenden Gene gezielt mit immer feineren Methoden verändert werden. Schnell machbare Experimente mit Zellkulturen funktionieren nicht, weil einzelne isolierte Zellen nicht auf Duftmoleküle ansprechen. Zum anderen nimmt nur eine erlesen kleine Schar von Forschern diesen widrigen wissenschaftlichen Kampf auf. "Etwa 1000 Leute", schätzt Peter Mombaerts, seien es, die sich weltweit mit dem Geruchssinn beschäftigen.


Ein Duft sagt mehr als tausend Worte

Dass nur ein Häuflein schlauer Köpfe die Wege der Düfte durch Nase und Gehirn wissenschaftlich untersucht, mag verwundern - angesichts der Tatsache, dass allein die Deutschen jährlich Milliarden Euro ausgeben, um sich etwa mit Düften aus Vanille, Rose und Moschus zu umnebeln. Angesichts der Tatsache, dass vor allem Frauen Stein und Bein schwören, sie müssten ihren Partner "gut riechen" können, um ihn anziehend zu finden. Angesichts der Tatsache, dass wir kaum etwas abstoßender finden als üblen Geruch. Und angesichts der Tatsache, dass Biologen, Mediziner und Psychologen sehr wohl wissen, wie gespickt natürliche Düfte mit Informationen sind - für Menschen, und noch mehr für andere Säugetiere. Schnüffelt ein Hund am Urin eines Artgenossen, ermittelt er - ohne ihn zu sehen - sofort dessen Geschlecht. Der Angstschweiß einer Maus warnt die anderen Tiere der Gruppe, und ihr Zitzensekret leitet das Saugverhalten ihrer Jungen. Kein Zweifel: "Der Geruch ist der elementarste und flüchtigste aller Sinne", wie Peter Mombaerts betont. Ein idealer, kaum zu täuschender Detektor der Chemie von Körper und Umwelt.

Feuer gefangen an der Wissenschaft der Olfaktorik hatte Mombaerts schon 1991. Seinerzeit begann ein neues Zeitalter in der Geruchsforschung. Zuvor galt die Nase als das mysteriöseste aller Sinnesorgane. Was in der Natur der Sache liegt: Dem Hören etwa liegt ein lineares System von Schallwellen zugrunde, das sich von einem biologischen System vergleichsweise einfach erfassen und in einen Sinneseindruck umwandeln lässt. Ebenso das Sehen, das auch auf der Wahrnehmung definierter und zahlenmäßig - mit rot, grün und blau - überschaubarer Bereiche von Wellenlängen basiert. Aber wie kann ein Säugetier mit seinen begrenzten Systemressourcen die Hunderttausenden Duftmoleküle unterschiedlicher chemischer Struktur unterscheiden? "Aus heutiger Sicht geisterten damals bizarre Ideen durch die Fachwelt", erinnert sich der Max-Planck-Forscher. Etwa jene Theorie, analog zum Sehsystem, von sieben "primären" Duftstoffen.


Geruchsgene sind eine große Familie

Dann aber hat eine Veröffentlichung das Feld der Geruchsforschung revolutioniert. Die inzwischen mit dem Nobelpreis prämierten US-Biologen Richard Axel und Linda Buck berichteten ihren verdutzten Kollegen von mehr als 1000 Genen im Erbgut von Ratten, die die Wahrnehmung von Düften diktieren sollen. "Die größte Gen-Familie bei Säugern überhaupt", sagt Mombaerts. 1000 von etwa 30 000 Genen sind bei Mäusen und Ratten mit dem Riechen beschäftigt. Beim Menschen sind es weniger: 350, aber immerhin. Der genetische Überfluss untermauert die immense Bedeutung des Geruchs. Ohne ihn wäre auch der Geschmackssinn hilflos - nicht nur bei der Maus, sondern auch beim Menschen. Das finale Votum über das Flair einer Speise - ob Thunfischsteak, Hamburger, Pasta oder Wein - fällt in der Riechschleimhaut.

Die Familie der Geruchsgene ist gleich mehrfach bemerkenswert. Anders als bei fast allen übrigen Genen sind die informationstragenden Bereiche nicht unterbrochen von sogenannten Introns - DNA-Abschnitten, die keine Information für den Aufbau eines Proteins enthalten. Und genau das hat den Geruchsgenen im Laufe der Evolution erleichtert, sich mit neuen Varianten immer weiter im Erbgut auszubreiten und zu einer derart großen Familie anzuwachsen. Überdies verteilen sie sich bei allen bis jetzt daraufhin untersuchten Säugetieren scheinbar wahllos auf alle möglichen Chromosomen. "Es ist kein System erkennbar", kommentiert Mombaerts. Schließlich sind die Kontrollbereiche, wie das Team des Wissenschaftlers zeigen konnte, selbst für molekulare Verhältnisse "unfassbar klein". Solche Kontrollbereiche steuern, wann ein Gen wie aktiviert und seine Information letztendlich in ein Protein umgesetzt wird.

Seit dem Durchbruch von 1991 wird allmählich klar, wie ein Duft förmlich ins Gehirn eilt und dort beurteilt, entschlüsselt und gespeichert wird. Es beginnt damit, dass alle duftenden Lebewesen oder Dinge flüchtige Moleküle ausscheiden, die fast immer komplexe Gemische sind. Sie bestehen aus Hunderten einzelner chemischer Duftkomponenten, die in die Nase ziehen und dort auf die Riechschleimhaut mit dem "Riechepithel" prallen, das beim Menschen etwa so klein ist wie eine Briefmarke, beim Hund dagegen sehr viel größer und auch bei der Maus, zumindest relativ zu deren Körpergröße. Im Riechepithel dominieren drei Zelltypen: die Stützzellen, die wichtige Helferdienste beim Riechen leisten, die Riechzellen und die Basalzellen, sogenannte adulte Stammzellen, die die Riechzellen erneuern - "Die stärkste Neurogenese im erwachsenen Körper überhaupt", so Mombaerts.


Wo Gerüche Emotionen wecken

Es sieht aus wie ein winziger Faden und schmiegt sich an die Basis der Nasenschleimhaut: das sogenannte vomeronasale Organ (VNO). "Wir haben bei Mäusen erstmals nachgewiesen, dass die Zellen des VNO Pheromone mit ihren speziellen Rezeptoren aufspüren", sagt Peter Mombaerts vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Biophysik. Mehr noch: Das VNO reguliert über die Wahrnehmung der Pheromone von Artgenossen Sex und Aggression, und zwar sehr direkt.

Das Team des Neurobiologen hatte - seinerzeit noch an der New Yorker Rockefeller-Universität - 16 wichtige Gene in den Zellen des VNO ausgeschaltet, was zu Defekten in der Verarbeitung von Pheromonen führte. Weibliche Tiere kümmerten sich daraufhin kaum noch um ihren Nachwuchs. Bei Männchen hingegen nahm der Sexualtrieb ab. Normalerweise erkennen sie über Pheromon-Botschaften sekundenschnell, ob ein Weibchen paarungsbereit ist. Oder ob Urin von fremden Männchen stammt, was die Nager augenblicklich aggressiv macht. Die etwa 300 Rezeptoren der VNO-Zellen unterscheiden sich deutlich von den Geruchsrezeptoren im Riechepithel. Und die Axone der Zellen mit dem gleichen Rezeptor münden nicht in einen einzigen Glomerulus im Riechkolben, sondern in 15 kleine Glomeruli im sogenannten akzessorischen Riechkolben, wie Mombaerts Team herausfand.

Der Wissenschaftler vermutet, "dass dort hauptsächlich die Geruchsverarbeitung von Pheromonen im Gehirn abläuft." Denn der akzessorische Riechkolben sendet keine Axonen-Signale ins Großhirn, sondern direkt in den Hypothalamus und die emotionalen Zentren des Gehirns, die das Verhalten der Tiere über ausgeschüttete Hormone und Botenstoffe unmittelbar steuern.


Rezeptoren angeln nach Duftmolekülen

Etwa zehn Millionen dieser Riechzellen "taxieren" bei der Maus die einströmende Atemluft; beim Menschen ist die Zahl unbekannt. Aus einem Ende jeder Riechzelle im Riechepithel ragen rund 20 feine Sinneshärchen, die sogenannten Cilien, in den Nasenschleim. Deren Zellmembran birgt alle molekularen Komponenten, die sicherstellen, dass Menschen mehrere Millionen Düfte selbst in geringen Konzentrationen wahrnehmen und Tausende unterscheiden können - und das, obwohl sie nur zirka 350 verschiedene, nach Anleitung der Geruchsgene hergestellte molekulare Geruchsrezeptoren besitzen. Im Riechepithel von Maus oder Hund tasten etwa 1200 verschiedene Rezeptor-Proteine die eintreffenden Duftmoleküle ab.

"Die Rezeptoren sind Dreh- und Angelpunkt der Geruchswahrnehmung bei Säugetieren", unterstreicht Mombaerts. Die aus rund 320 Aminosäuren bestehenden Rezeptorproteine ähneln sich in ihrem Aufbau; sie durchspannen die Zellmembran der Riechsinneszellen sieben Mal. Bestimmte Bereiche der Rezeptoren zeigen die größte Vielfalt: Dort sitzt wahrscheinlich die Bindungstasche, also der Bereich der Wechselwirkung zwischen Duftmolekül und Rezeptor. Etliche Indizien deuten an: Jede Riechzelle beispielsweise der Maus verfügt zwar über alle 1200 Rezeptor-Gene, produziert aber dennoch nur einen einzigen Rezeptor-Typ. "Diese These ist inzwischen zu einem Dogma geworden", sagt Mombaerts, "obwohl ein endgültiger Beweis aus technischen Gründen kaum möglich ist und die Indizien eher dünn sind." So geht auch er wohl oder übel von der "Ein-Neuron-ein-Rezeptor-Hypothese" aus.

Dennoch sprechen einige Erkenntnisse dafür, dass die Riechzellen während ihrer Reifung durchaus mehrere Rezeptoren erzeugen könnten, sich aber letzten Endes doch für einen Rezeptortyp entscheiden. Für Mombaerts sind derlei Details wichtig, weil er begreifen will, wie und warum eine Zelle nur eines ihrer vielen Geruchsrezeptor-Gene auswählt und warum der Mechanismus so vollkommen zu sein scheint - angesichts der Tatsache, dass "in der Biologie eigentlich nichts perfekt ist". Umordnungen von Genabschnitten, sogenannte DNA-rearrangements, sind am Auswahlprozess jedenfalls nicht beteiligt, wie Mombaerts Team in Experimenten mit genetisch veränderten Mäusen herausgefunden hat. Lange Zeit hatten Experten diesen Mechanismus favorisiert, weil beispielsweise das Immunsystem damit sicherstellt, dass es mit wenigen Gen-Segmenten unzählige Strukturen von Krankheitserregern erkennen kann. Nach seinen jüngsten Experimenten glaubt der Frankfurter Forscher, dass die ungewöhnlich kurzen Kontrollelemente vor den Geruchsgenen die Wahrscheinlichkeit vorgeben, welchen Rezeptor eine Zelle letztlich herstellt.

Klar ist, dass sich etwa beim Menschen von jedem Riechzelltyp Zehntausende Zellen im Riechepithel verteilen. Derart ausgerüstet, kann der Mensch etwa Limonen- von Orangenduft unterscheiden. Sobald er diese Geruchsmischungen mit den beteiligten Duftmolekülen einatmet, aktivieren sie nur jene Riechsinneszellen, die die Rezeptoren für die jeweiligen Duftmoleküle ausbilden. So werden Dutzende Rezeptortypen gleichzeitig gereizt - bei jedem Duft aber in unterschiedlichen Kombinationen.

"Das System der Dufterkennung ist hochkombinatorisch", sagt Peter Mombaerts. Nur so kann der Mensch spielend 10 000 verschiedene Gerüche identifizieren, Maus und Hund womöglich Hunderttausende. Weil kleine strukturelle Änderungen an Duftmolekülen die Rezeptorreaktion nur graduell verändern, steigt die Zahl der riechbaren chemischen Moleküle theoretisch ins Unermessliche. Ein Rezeptorprotein kann sehr spezifisch nur eine bestimmte chemische Teilstruktur eines Moleküls erkennen und so nur auf Duftstoffe reagieren, die genau diese Struktur besitzen. In höheren Konzentrationen aktivieren aber auch Moleküle mit ähnlicher Struktur den Rezeptor.

Die jeweils aktivierten Riechzellen wandeln die chemischen Duftreize in ein elektrisches Signal um, und zwar über eine biochemische Reaktionskette: Nachdem jedes Molekül eines Duftgemisches einen passenden Rezeptor auf der Oberfläche der Riechsinneszellen gefunden und daran angedockt hat, aktivieren die Rezeptoren über sogenannte G-Proteine ein Enzym, das in rauen Mengen den Botenstoff cAMP produziert, worauf letztlich positiv geladene Teilchen durch nunmehr geöffnete Membrankanäle in die Zelle einströmen und ein elektrisches Signal, ein Aktionspotenzial, entsteht. Dieses wandert entlang des Nervenfortsatzes (Axon) jeder Riechzelle bis in den Riechkolben (Bulbus olfactorius) des Gehirns, wo sich in der Maus 2000 Glomeruli genannte Knäuel aus Nervenfortsätzen befinden.


Riechkolben mit System

Genau an dieser Schnittstelle werden die zunächst wahllosen Rezeptorsignale spezifischer. Denn die Axone der Riechzellen münden nicht beliebig im Riechkolben - alle aktivierten Riechzellen mit den gleichen Rezeptoren bündeln sich, wahrscheinlich zusammengehalten von Adäsionsproteinen, und "schicken ihre Axone in denselben Glomerulus des Riechkolbens", sagt Peter Mombaerts. Riechzellen mit Rezeptor A in Glomerulus A, Riechzellen mit Rezeptor B in Glomerulus B ... Diese fundamentale Erkenntnis hat der Belgier der Geruchsforschung durch seine wegweisenden Versuche mit genveränderten Mäusen geschenkt. Hatte er bei den Riechzellen der Nager ein Gen für einen bestimmten Rezeptortyp durch ein Gen für einen anderen Rezeptortyp ersetzt, endeten die Axone nicht in ihren üblichen Zellknäueln. Stattdessen wurde ein neuer Glomerulus gebildet.


Blitzschnelles Riechen

Wenn das Gehirn Gerüche seziert, verliert es keine Zeit. Das weiß Andreas Schäfer nur zu gut. Der Biophysiker leitet am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg eine Selbstständige Nachwuchsgruppe und hat in einem simplen Versuch die "Riech-Geschwindigkeit" von Mäusen ermittelt. In seinen Versuchen durchbrachen die Tiere zunächst eine Lichtschranke. In diesem Moment wurde ihnen ein Geruchsstoff in die Nase gepustet. Rasch lernten die Nager, dass sie nach dem Schnüffeln von Bananenduft zur Belohnung Zuckerwasser schlecken durften. Nach dem Schnüffeln von Apfelduft gingen die Mäuse hingegen leer aus - in diesem Fall zogen sie sich zurück. "Vom Einatmen des Geruchs bis zum letztendlich ausgelösten Verhalten vergingen nur 230 Millisekunden", sagt der Forscher, "das alles passiert unfassbar schnell."

In Nachfolge-Experimenten bekamen die Nager sehr ähnliche Düfte angeboten. Ergebnis: Die Verarbeitungszeit verlängerte sich auf 340 Millisekunden - nicht einmal eine halbe Sekunde. In seinen laufenden Studien schaltet das Schäfer-Team durch ausgefeilte Manipulationstechniken bestimmte Gruppen von Nervenzellen im Riechkolben des Gehirns beliebig ein oder aus, um Verhaltensänderungen zu beobachten. Werden die Neuronen dadurch beispielsweise stärker erregbar gemacht, können die Tiere ersten Erkenntnissen zufolge Gerüche besser unterscheiden.


Geruchsmuster in der Nase

Folge dieses ganzen Prozesses ist ein charakteristisches, komplexes Aktivierungsmuster - eine Art Landkarte von Glomeruli -, das im Umkehrschluss zeigt, welche Duftmischung ein Tier gerochen hat. Ein "Camembert-Muster" unterscheidet sich eindeutig von einem "Zitronen-Muster". Kommen einzelne chemische Komponenten in beiden Bouquets vor, überlappen die Muster der aktivierten Glomeruli. Sogar ein einzelnes Duftmolekül kann ein komplexes Muster hervorrufen, weil meist mehrere unterschiedliche Rezeptoren darauf ansprechen. Mithin registriert das Gehirn stets, welche Arten von Duftmeldern gleichzeitig anschlagen. Beim typischen Muster von Camembert erzeugt es dann die passende Geruchsvorstellung.

Mombaerts ist fasziniert von der Doppelfunktion der Geruchsrezeptoren. Einerseits erkennen sie die Duftstoffe. Sobald sie durch ein Duftmolekül aktiviert werden, beeinflussen sie andererseits die Weiterleitung des elektrischen Signals und dessen Verarbeitung im Gehirn. "Die Rezeptoren", erklärt der Geruchsforscher, "bringen die Axone an den rechten Platz im Riechkolben, was aus evolutionärer Sicht eine wunderbar einfache Lösung ist." Mit jedem neuen Gen für einen Geruchsrezeptor erwuchs mindestens ein neuer Glomerulus. Alle Glomeruli senden ihre Axone in die Großhirnrinde, wo der endgültige Geruchseindruck und die damit verbundenen Assoziationen und Erinnerungen entstehen.

In seinen jüngsten Studien ist Mombaerts' Team einem zweiten Kontroll-Mechanismus auf die Schliche gekommen, einer Art Grob-Regulation der Geruchsverarbeitung, um Ordnung in das Füllhorn der Gerüche zu bringen. Zunächst haben die Forscher gezeigt, dass sich die Riechschleimhaut anhand der Aktivierungsmuster in zwei Zonen unterschiedlicher Rezeptorklassen einteilen lässt. Die obere, kurz mit D für dorsal bezeichnet, enthält Rezeptoren der Klasse I und II (vermutlich erkennen Rezeptoren der Klasse I vorwiegend wasserlösliche Duftmoleküle), die untere mit dem Kürzel V für ventral praktisch nur solche der Klasse II.

Im dorsalen Riechepithel liegen die Zellkörper beider Zell-Klassen bunt durcheinandergewürfelt. Aber die Axone der Klasse-I-Zellen rotten sich auf dem Weg zum Gehirn über einen Mechanismus zusammen, der nicht vom produzierten Rezeptor abhängig ist. Denn als die Forscher mittels genetischer Manipulation eine dorsal gelegene Riechzelle mit Klasse-I-Rezeptor dazu gezwungen haben, einen Klasse-II-Rezeptor zu produzieren, verbündete sich das Axon dieser Zelle trotzdem mit den Axonen von Zellen, die einen Klasse-I-Rezeptor tragen. Eine der ersten Phasen der Weiterleitung eines Geruchsreizes über die Axone - eine Art erstes Sortieren - scheint also nur von der Klasse der Riechzelle abzuhängen. Wieder "so ein kleiner Schritt", wie Mombaerts sagt, "um den Geruchscode zu entschlüsseln."

Einige große müssen allerdings noch folgen, wie er einräumt: "Die ganze Logik des Systems kennen wir noch nicht." Warum riecht das Molekül Phenyethyl-Ethanol für uns nach Rosenduft? "Keine Ahnung", sagt Mombaerts. Obwohl sein Team in den vergangenen Jahren zumindest einige jener Duftmoleküle beschrieben hat, die an Geruchsrezeptoren binden. Noch aber wissen die Geruchsforscher zu wenig darüber, wie die vielen Duftmoleküle chemisch beschaffen sind. "Darum sind wir weit davon entfernt vorherzusagen, wie man ein Molekül im Reagenzglas am besten verändert, um etwa den ultimativen Rosenduft zu erzeugen." Oder um einen Duft einfacher und billiger herzustellen. Für diesen magischen Code - den heiligen Gral der Geruchsforschung - würde die Parfümindustrie beinahe alles geben.


Glossar

Intron
Nicht kodierende Abschnitte der DNA innerhalb eines Gens, die benachbarte Exons (die kodierenden Abschnitte) trennen. Introns werden transkribiert, aber dann aus dem RNA-Transkript herausgeschnitten, bevor dieses zur Übersetzung in die entsprechende Aminosäuresequenz aus dem Zellkern herausgeschleust wird.

Riechepithel
Ein auf die Wahrnehmung von Gerüchen spezialisiertes, aus drei Zelltypen bestehendes Gewebe, das sich beim Menschen in der Regio olfactoria der Nasenschleimhaut befindet.

cAMP
Zyklisches Adenosinmonophosphat, ein vom Adenosintriphosphat (ATP) abgeleitetes biologisches Molekül, welches als Botenstoff bei der zellulären Signalleitung dient.

Glomeruli
Kugelförmige Nervenknoten, über die die gesamte von den Sinneszellen kommende Geruchsinformation weiterverarbeitet wird.

Pheromone
Botenstoffe, die der biochemischen Kommunikation zwischen Lebewesen einer Art dienen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2009, Seite 32-39
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2009