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MELDUNG/583: Marine Mikroorganismen - Erfolgreiche Extremisten (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 19.06.2019

Marine Mikroorganismen - Erfolgreiche Extremisten


In nahrungsarmen Tiefseesedimenten laufen Archaea, eine besondere Gruppe von Mikroorganismen, den Bakterien seit Jahrmillionen den Rang ab: Ihre effiziente Verwertung abgestorbener Zellen macht sie zur Basis der Nahrungskette in diesem Lebensraum.

Archaeen sind einzellige Mikroorganismen, die bekannt dafür sind, dass sie auch extreme Standorte besiedeln können. Unter dem Mikroskop sehen sie Bakterien sehr ähnlich, aber sie unterscheiden sich in vieler Hinsicht von diesen. Insbesondere gibt es wichtige Unterschiede im Stoffwechsel, die beeinflussen, welcher Lebensraum besiedelt werden kann. LMU-Wissenschaftler um Professor William Orsi vom Department für Geo- und Umweltwissenschaften der LMU haben nun in Kooperation mit amerikanischen Kollegen der DCO Deep Life Community entdeckt, dass Archaeen seit vielen Millionen Jahren tief unter dem Meeresboden des offenen Ozeans überleben und mit den schwierigen Lebensbedingungen dort viel besser zurechtkommen als Bakterien. Damit spielen sie wahrscheinlich eine wichtige Rolle für den Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf in diesem riesigen Ökosystem. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Science Advances.

Meeressedimente in der Nähe von Kontinenten sind oft sauerstoffarm, da viel organischer Kohlenstoff eingetragen wird. Dieser Kohlenstoff wird von Mikroorganismen schnell umgesetzt, die dabei den gesamten verfügbaren Sauerstoff verbrauchen. Im offenen Ozean dagegen sind zum Meeresboden sinkende Reste abgestorbener Tiere und Pflanzen die hauptsächliche Nahrungsquelle. Da somit viel weniger organischer Kohlenstoff abgebaut werden kann, bleibt der Sauerstoff in den Sedimenten erhalten. "Modellierungen deuten darauf hin, dass zwischen 10 und 40 Prozent dieser Sedimente vom Meeresboden bis zur darunter liegenden Erdkruste mit Sauerstoff versorgt werden", sagt Orsi. "Das ist eine riesige Region, deren Biosphäre bisher weitgehend unbekannt ist."

Um diesen schwer zugänglichen Lebensraum zu untersuchen, entnahmen die Wissenschaftler mithilfe eines 30 Meter langen Bohrkerns Sedimentproben vom Meeresboden an einer etwa 5500 Meter tiefen Stelle der Sargassosee im Nordatlantik. In diesen bis zu 15 Millionen Jahre alten Ablagerungen bestimmten sie mithilfe von DNA-Analysen die vorhandenen Mikroorganismen. "Dabei haben wir die erstaunliche Entdeckung gemacht, dass Archaeen viel häufiger waren als Bakterien, insbesondere die sogenannten ammoniak-oxidierenden Thaumarchaea", sagt Orsi.

Weitere Analysen zeigten, dass diese Archaeen-Gruppe einen äußerst effizienten Stoffwechsel besitzen, um in den energiearmen Tiefseesedimenten zu überleben: Um ihre Zellstruktur aufzubauen, verwerten sie Eiweißstücke aus abgestorbenen Zellen. Zusätzlich nutzen sie den beim Eiweißabbau entstehenden Ammoniak für eine zusätzliche chemische Reaktion, die Energie für die Zelle erzeugt. "Wir vermuten, dass diese einzigartige Fähigkeit in Kombination mit einer effizienten Aufnahme von Kohlenstoff die Dominanz der Thaumarchaea in diesen Sedimenten ermöglicht", sagt Steven D'Hondt (University of Rhode Island, USA), der die Tiefseexpedition leitete.

Insgesamt deuten die Ergebnisse der Wissenschaftler deuten darauf hin, dass in sauerstoffhaltigen Tiefsee-Sedimenten vor allem Thaumarchaea anorganischen Kohlenstoff in Biomasse umwandeln, und somit dort die Basis der Nahrungskette sind - und zwar bereits seit mindestens 15 Millionen Jahren. "In diesem Ökosystem übertreffen sie Bakterien seit Millionen von Jahren", sagt Orsi, "möglicherweise gilt dies auch für andere Lebensräume im Untergrund." Science Advances 2019


Originalpublikation:
Archaea dominate oxic subseafloor communities over multimillion-year time scales,
Vuillemin A, Wankel SD, Coskun OK, Magritsch T, Vargas S, Estes ER, Spivack AJ, Smith DC, Pockalny R, Murray RW, D'Hondt S, Orsi WD (2019)
Science Advances 2019
doi: 10.1126/sciadv.aaw4108

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution114

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, 19.06.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2019

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