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ORNITHOLOGIE/143: Dohlen haben ein Gespür für menschliche Gesten (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2009

Ornithologie aktuell

Dohlen: Gespür für menschliche Gesten


Vögel verfügen mitunter über ausgeprägtere mentale Fähigkeiten als bislang angenommen. Dies wurde insbesondere bei Krähen in jüngster Zeit deutlich und zeigt sich nun auch bei Dohlen. Anhand der Blickrichtung schätzen diese Rabenvögel die Gefahr ein, die fremde Menschen darstellen. Bei vertrauten Menschen dagegen können sie die Blickrichtung als Hinweis auf verstecktes Futter nutzen. Dohlen bilden wie viele andere Vögel lebenslange Paare und stimmen sich eng mit ihrem Partner ab, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Dazu pflegen die Vögel, deren Augen mit schwarzer Pupille auf weißem Grund denen des Menschen ähneln, eine intensive Kommunikation. Vielleicht sind diese ähnlichen Augenmuster der Grund dafür, dass sie den menschlichen Blick zumindest in gewissen Situationen gut interpretieren können. Dies legen jedenfalls Forschungen britischer Ornithologen nahe, die das Verhalten von zehn, von Hand aufgezogenen Dohlen studierten. Ihre These, diese Vögel interpretieren Blicke anderer Lebewesen je nach Situation unterschiedlich. Zunächst untersuchten sie, wie lange die Vögel in Anwesenheit eines fremden Menschen zögerten, bis sie sich ihr Futter aus einer Schale holten. Die Vögel waren ihrer "menschlichen Ziehmutter" gegenüber so zutraulich, dass sie sich auf einen Mehlwurm stürzten, sobald dieser vor ihnen in eine Schale gelegt wurde. Stand jedoch eine fremde Person hinter der Schale und schaute die Vögel direkt an, trauten sie sich nicht so schnell und zögerten im Schnitt 4,5 Minuten, bis sie sich den Leckerbissen holten. Schaute die Person zur Seite, brauchten die Vögel nur 2 Minuten. Noch schneller agierten sie, wenn die Person die Augen geschlossen hatte oder ihnen den Rücken zuwandte. Ähnliche Resultate ergaben Versuche mit lebensgroßen Fotos statt realen Personen. Die Dohlen nahmen sich also deutlich länger Zeit, sich an die Belohnung heranzuwagen, wenn die Augen eines ihnen fremden Anwesenden auf das Fressen gerichtet waren als wenn die betreffende Person bei gleicher Kopfstellung wegschaute. Sie zögerten aber, wenn ihnen dieser Mensch unbekannt war und demnach eine mögliche Gefahr darstellte. Die Wartezeit hing offensichtlich davon ab, für wie aufmerksam die Vögel ihr Gegenüber einstuften: Je aufmerksamer ihnen der Fremde vorkam, desto länger warteten sie. Dabei galt für die Vögel bereits eine Änderung der Blickrichtung als Erhöhung oder Verringerung der Aufmerksamkeit: Schaute der Mensch den Futternapf direkt an, warteten sie wesentlich länger, als wenn der Mensch die gleiche Kopfposition beibehielt, dabei aber den Blick nach links wendete. Wenn ihnen die Person vertraut war, hatten sie offenbar keine Angst und zögerten nicht, sich das Futter zu holen. In einem weiteren Versuch kooperierten sie sogar mit dem Menschen. Indem sie den Blicken oder den Kopfbewegungen ihres Halters folgten, gelang es den Vögeln sogar, verstecktes Futter ausfindig zu machen. Offensichtlich verstanden sie die Blicke als Hinweise, obwohl die bekannte Person genau die gleichen Bewegungen machte, wie die fremde Person im vorherigen Versuch. Ob die besondere Begabung der Vögel angeboren oder erlernt ist, bleibt unklar. (wir)

A. von Bayern u. a., Current Biology 2009, DOI: 10.1016/j.cub.2009.02.0


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2009
56. Jahrgang, Juni 2009, S. 204
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009