Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE

ORNITHOLOGIE/191: Kohlmeisen mit Charakter (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 9. Februar 2010

Kohlmeisen mit Charakter

Genvariante macht manche Kohlmeisen-Populationen neugieriger als andere


Ähnlich wie beim Menschen haben Individuen auch bei Tieren unterschiedliche Persönlichkeiten. Ein wichtiger Teil dieser individuellen Unterschiede basiert auf der Variation der zugrunde liegenden Gene. So beeinflusst das so genannte Dopamin Rezeptor D4-Gen das Erkundungsverhalten einer ganzen Reihe von Arten, einschließlich des Menschen und der Vögel. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen haben nun jedoch herausgefunden, dass der Einfluss dieses Gens auf das Verhalten von frei lebenden Kohlmeisen regional schwankt. (Molecular Ecology, 09. Februar 2010).


Im Jahr 2007 haben Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen bei Kohlmeisen ein Gen gefunden, das mit individuellen Unterschieden im Erkundungsverhalten der Tiere zusammenhängt (siehe "Charakter-Gen" macht Meisen neugierig). Vögel mit einer bestimmten Variante des so genannten "Dopamin Rezeptor D4 Gens" (DRD4-Gen) zeigten ein größeres Neugier- und Erkundungsverhalten als Individuen mit anderen Genvarianten. Entdeckt und getestet wurde diese Assoziation an Vögeln, die im Labor aufgezogen wurden.

Nun hat eine große internationale Gruppe von Wissenschaftlern um Bart Kempenaers, Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, den Test mit erwachsenen Wildvögeln wiederholt. Forschungsgruppen vom "Centre for Terrestrial Ecology" in Heteren (Niederlande), den Universitäten von Antwerpen (Belgien) und Groningen (Niederlande), und dem "Edward Grey Institute of Field Ornithology" in Oxford (England) haben das Explorationsverhalten von insgesamt vier Kohlmeisen-Populationen in Belgien, den Niederlanden und England auf ähnliche Art und Weise gemessen. Sie werteten ihre Daten gemeinsam aus, um die Allgemeingültigkeit der Verbindung zwischen der Genvariation und des Erkundungsverhalten zu testen. "So weit wir wissen, ist das für frei lebende Vögel die umfangreichste Studie von Genvarianten, die persönlichkeitsbezogenen Verhaltensunterschieden unterliegen, und die erste Studie, die verschiedene Wildpopulationen miteinander vergleicht", sagt Peter Korsten, Erstautor und früherer Mitarbeiter der Abteilung Kempenaers.


Ähnlicher Befund bei Meisen und Menschen

Zu ihrer Überraschung haben die Wissenschaftler die Verbindung zwischen Gen und Verhalten in einer Population gefunden, nicht aber in den drei anderen. "Es war wichtig, die Verbindung zwischen den DRD4-Varianten und dem Erkundungsverhalten in der ursprünglich untersuchten Population zu bestätigen" sagt Kempenaers, aber er fügt hinzu: "Wir verstehen noch nicht die Unterschiede zwischen den Populationen." Das Ergebnis spiegelt jedoch die Resultate ähnlicher Forschung über Zusammenhänge zwischen Genen und Persönlichkeit beim Menschen wider: Über 30 Studien bestätigen bisher, dass das DRD4-Gen mit dem Erkundungsverhalten beim Menschen assoziiert ist, aber auch, dass große Unterschiede zwischen Populationen beobachtet wurden. Zahlreiche Studien finden gar keinen Effekt. "Vielleicht bringt die künftige Untersuchung von Kohlmeisen-Populationen auch Erklärungen für die unterschiedlichen Ergebnisse beim Menschen", sagt Peter Korsten. Der Unterschied zwischen den Populationen ist vielleicht nicht so überraschend, wenn man berücksichtigt, dass eine einzelne Genvariante nur eine relativ kleine Wirkung auf das Verhalten hat. Er könnte auch durch den starken Einfluss der Umwelt oder durch den Effekt von anderen - noch unbekannten - Genen erklärt werden.
[SP]


Originalveröffentlichung:
Peter Korsten, Jakob Mueller, Christine Hermannstädter, Karen Bouwman, Niels Dingemanse, Piet Drent, Miriam Liedvogel, Erik Matthysen, Kees van Oers, Thijs van Overveld, Samantha Patrick, John Quinn, Ben Sheldon, Joost Tinbergen, Bart Kempenaers
Association between DRD4 gene polymorphism and personality variation in great tits: a test across four wild populations.
Journal of Molecular Ecology Seiten 832-843, Volume 19, Issue 4 vom 09.02.2010
Veröffentlicht online am 9.01.2010
(DOI: 10.1111/j.1365-294X.2009.04518.x)

Barbara Tschirren and Staffan Bensch
Genetics of personalities: no simple answers for complex traits.
Molecular Ecology pp. 624-626, Volume 19, Issue 4 from February 9, 2010
(DOI: 10.1111/j.1365-294X.2009.04519.x)

Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Jakob Müller, Abteilung Verhaltensökologie und Evolutionäre Genetik
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen
E-Mail: mueller@orn.mpg.de

Prof. Dr. Bart Kempenaers, Abteilung Verhaltensökologie und Evolutionäre Genetik
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen
E-Mail: b.kempenaers@orn.mpg.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb.: Kohlmeisen sind geschickte Kletterer und Flugakrobaten. Individuen mit einer bestimmten Genvariante sind darüber hinaus noch besonders neugierig - allerdings nur in manchen Populationen.

Abb.: Besonders erkundigungsfreudige Vögel suchen innerhalb kurzer Zeit viele der künstlichen "Bäume" im Beobachtungsraum auf.


*


Quelle:
MPG - Presseinformation B / 2010 (30), 9. Februar 2010
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Hofgartenstraße 8, 80539 München
Tel.: 089/21 08-0, Fax: 089/21 08-12 76
E-Mail: presse@gv.mpg.de
Internet: www.mpg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010