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ORNITHOLOGIE/249: Rotkehlchen - Winterreviere und Weichfutter (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 11/2011

Winterreviere und Weichfutter: Rotkehlchen

von Anita Schäffer


Nicht zuletzt aufgrund des Namens erkennt fast jeder auf Anhieb ein Rotkehlchen. Die Art zählt zu den zehn häufigsten Brutvögeln Deutschlands, allerdings brüten Rotkehlchen hauptsächlich im Wald. Auch vielen Gartenbesitzern sind die kleinen Vögel vertraut, wenn sie neugierig nur wenige Meter entfernt bei der Gartenarbeit zuschauen, um ab und zu Insekten oder Würmer aufzusammeln. Im Winter kommen regelmäßig Rotkehlchen an Fütterungen, wo sie unerwartet aggressives Verhalten an den Tag legen können. Für den aufmerksamen Beobachter halten Rotkehlchen auch noch andere Überraschungen bereit, wie singende Weibchen und ungewöhnliches Balzverhalten.

Foto: © H.-J. Fünfstück, Garmisch-Patenkirchen, 8.4.2009

Männchen und Weibchen des Rotkelchens unterscheiden sich im Aussehen nicht; am Verhalten, vor allem bei der Balz, kann der aufmerksame Beobachter die Geschlechter unterscheiden.
Foto: © H.-J. Fünfstück, Garmisch-Patenkirchen, 8.4.2009

Die rostrote Brust und das ebenso gefärbte Gesicht mit relativ großen schwarzen Augen machen das Rotkehlchen unverkennbar. Trotz seiner auffälligen Färbung muss man den kleinen, rundlichen Vogel jedoch häufig suchen, wenn man aus Bäumen oder Büschen den Gesang hört. Dieser lässt sich schwer beschreiben. Perlende Elemente und Triller in verschiedenen Tonhöhen wechseln sich ab, der Gesang endet mit tieferen verklingenden Tönen. Häufig sind Imitationen anderer Vogelarten in die Strophen eingebaut. Bei Gefahr lassen die Vögel ein Schnickern ähnlich aneinanderklickenden Kieselsteinen wie "tick", "tick-ick-ick" vernehmen, oft auch ein hohes, scharfes "ziieb". Rotkehlchengesang ist fast das ganze Jahr über in der Zeit von etwa einer Stunde vor bis eine Stunde nach Sonnenuntergang zu hören. Bei Mondlicht oder heller Beleuchtung singen Rotkehlchen zuweilen auch mitten in der Nacht. Ist ein Männchen verpaart, wird der Gesang für kurze Zeit eingestellt, im Hochsommer zur Zeit der Mauser im Juli/August verstummt er ganz. Ab September erklingt er dann wieder, wobei nun auch die Weibchen Nahrungsreviere besetzen und durch Gesang kennzeichnen.

Für den Bruterfolg von Rotkehlchen ist nicht die Größe ihrer Reviere entscheidend, sondern die Beschaffenheit des Bodenbewuchses. Rotkehlchen ernähren sich hauptsächlich von am Boden lebenden Kleintieren wie Insekten (vor allem Käfer), Spinnen, Würmern und Schnecken. Im Winter steigen sie auf Früchte und weiche Sämereien um. Rotkehlchen suchen ihre Beute am Boden hüpfend, wobei sie gelegentlich Blätter umdrehen, oder warten auf einem Ansitz, von wo sie zum Boden fliegen und entdeckte Beute aufschnappen. Feuchte, Unterholz reiche Wälder, Feldgehölze und -hecken in strukturreicher Kulturlandschaft, aber auch Garten- und Parklandschaften mit geeigneter Bodenvegetation zählen zu den idealen Rotkehlchenlebensräumen. Rotkehlchen sind häufig in der Nähe von Wasser zu finden, das sie zum Trinken und zur Gefiederpflege brauchen. Sie baden fast täglich, auch im Winter.

Während der kalten Jahreszeit kommen die kleinen Vögel vermehrt in Siedlungsgebiete und Gärten, möglicherweise weil ihnen hier zusätzliches Futter angeboten wird. Mit Vorliebe fressen sie getrocknete oder lebendige Mehlwürmer, am Boden ausgebrachtes Weichfutter mit Haferflocken oder zerkrümelte Futterkuchen. Artgenossen und Vögel anderer Arten werden am Futterhaus aggressiv vertrieben.


Damenwahl

In Großbritannien sind Rotkehlchen in der Vorweihnachtszeit und zu den Festtagen nicht wegzudenken. Sie zieren Weihnachtsdekorationen und Grußkarten. Die Tradition könnte in Legenden, wie das Rotkehlchen durch einen Tropfen von Jesus Blut seine Gefiederfärbung bekam, oder durch die rote Uniform der viktorianischen Postboten, die die ersten Weihnachtskarten auslieferten, begründet liegen. Fest steht, dass die Zeit ab Mitte Dezember Veränderungen im Rotkehlchenverhalten mit sich bringt. Wird der von niedrigeren Standorten aus vorgetragene Herbstgesang eher als melancholisch und stimmungsvoll empfunden, so scheint der Gesang zur Weihnachtszeit fröhlicher mit kürzeren Strophen. Die Männchen singen von hoch oben aus Bäumen und Büschen, wo sie gut zu sehen sind, denn nun beginnen die ersten Rotkehlchen sich einen Partner zu suchen. In der Regel sind es die Weibchen, die in das Revier eines Männchens eindringen und zunächst als Rivale wieder verjagt werden. Doch die Weibchen sind hartnäckig. Nach mehreren Versuchen zeigt das Männchen Interesse und beginnt, vor dem Weibchen zu singen, das sich ihm daraufhin nähert. Dieses Verhalten wiederholt sich in einem bizarren Ritual von Singen und Nachfolgen, bis das Weibchen das singende Männchen kreuz und quer jagt und durch abruptes Wegfliegen die Werbung beendet. Meist statten die Weibchen mehreren Männchen solche Besuche ab, bevor sie sich für eines entscheiden und dessen Revier teilen. Im Winter gemeinsam nach Nahrung suchende Rotkehlchen sind fast immer ein Pärchen.


Möglichst hoher Bruterfolg

Ende März, Anfang April beginnt das Weibchen mit dem Nestbau. Nachdem es einen gut getarnten, trockenen Platz in einer Halbhöhle oder Bodenvertiefungen (z. B. Wurzelwerk, Reisighaufen, hohler Baumstumpf, auch Mauerwerk, Nistkästen für Halbhöhlenbrüter) ausgewählt hat, wird auf einer Basis aus trockenem Laub, Moos, feinen Halmen und Wurzeln, Haaren und Federn ein offenes Nest angelegt. Auch die Einleitung der Balz ist Sache des Weibchens. Durch bestimmtes Verhalten aus Körperhaltung und leisem Gesang fordert es das Männchen zur Paarung auf, dabei zeigt es ähnliches Verhalten wie bettelnde Jungvögel, um das Männchen zu beruhigen. Im April legt es vier bis sieben gelbliche, rötlich-braun gefleckte Eier, die es alleine 14 Tage lang bebrütet. Das Männchen lockt das Weibchen mit besonderen Rufen für kurze Pausen vom Nest, um es zu füttern. Die ersten Tage werden die frisch geschlüpften Jungen vom Weibchen gehudert, dann beteiligt sich auch das Männchen an der Jungenaufzucht und füttert direkt. Die Küken bleiben etwa zwei Wochen im Nest. Nach dem Ausfliegen werden sie weiterhin von den Altvögeln versorgt, mit etwa drei Wochen gehen sie selbst auf Nahrungssuche. Ausgeflogene Jungvögel halten sich meist am Boden oder in Bodennähe auf, häufig mehrere Geschwister zusammen. Zu ihren Feinden zählen Katzen, Ratten und Marder.

Foto: © H.-J. Fünfstück, Garmisch-Patenkirchen, 11.8.2010

Nach dem Ausfliegen werden junge Rotkehlchen noch einige Zeit von den Eltern versorgt, häufig halten sich die Geschwister gemeinsam am Boden oder in Bodennähe auf. In dieser Zeit sind sie gegenüber Beutegreifern und Katzen sehr anfällig.
Foto: © H.-J. Fünfstück, Garmisch-Patenkirchen, 11.8.2010

Zwei Bruten pro Jahr sind nötig, um Verluste im Winter auszugleichen. Gelegentlich brüten Rotkehlchen dreimal, auch Schachtelbruten sind bekannt, bei denen das Männchen den Nachwuchs versorgt, während das Weibchen neue Eier ausbrütet.

In der Nähe des Menschen finden auch ungewöhnliche Standorte wie umgekippte Blumentöpfe, Gummistiefel oder Briefkästen als Nistplatz Verwendung.


Bestandstrend, Gefährdung, Gefährdungsursachen

Die Verbreitung des Rotkehlchens ist weitgehend auf Europa beschränkt, dazu kommt es in Nordwestafrika, dem östlichen Mittelmeerraum und auf einigen Inseln als Brutvogel vor. Rotkehlchen aus Nord- und Osteuropa ziehen im Winter bis an die Nordgrenze der Sahara, Brutvögel aus Mitteleuropa nur zum Teil und die Rotkehlchen Südeuropas verbleiben ganzjährig im Brutgebiet.

In Deutschland leben mit 2,8 bis 3,4 Millionen Brutpaaren etwa 5% des weltweiten Rotkehlchenbestandes. Die Art wird von BirdLife International als nicht gefährdet eingestuft. Der deutschlandweite Bestand des Rotkehlchens schwankt seit dem Jahr 1990 um den 100%-Wert mit insgesamt leicht negativer Tendenz. Harte Winter mit strenger Kälte und Nahrungsmangel können die Bestände des Rotkehlchens dezimieren, es ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen Bestandsschwankungen und mittleren Temperaturen im Januar festzustellen. In "normalen" Wintern ist mit Bestandseinbußen von bis zu 50% zu rechnen, in sehr strengen Wintern kann der Wert auf ausnahmsweise bis zu 80% steigen. Zudem hat die Witterung zur Brutzeit einen erkennbaren Einfluss auf den Bruterfolg und somit auch auf die Bestandsentwicklung.

Lebensraumverlust durch Nutzungsänderungen in Forst- und Landwirtschaft stehen zunehmende Verbuschung und Bewaldung anderenorts sowie die Möglichkeit zum Ausweichen in urbane Bereiche gegenüber. Hecken in der intensiv genutzten Agrarlandschaft können mitunter zu ökologischen Fallen werden, wenn hier zwar geeignete Brutstandorte vorhanden sind, während der Jungenaufzucht jedoch nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung steht.


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Informationen zum Thema:

Bauer H-G, Berthold P 1996: Die Brutvögel Mitteleuropas.
Bestand und Gefährdung. Aula-Verlag, Wiesbaden

Couzens D 2004: The Secret Lives of Garden Birds.
A & C Black, London

Fünfstück H-J, Ebert A, Weiß I 2010:
Taschenlexikon der Vögel Deutschlands
Quelle und Meyer, Wiebelsheim

Schäffer A, Schäffer N 2006: Gartenvögel
Aula-Verlag, Wiebelsheim

www.dda-web.de
www.nabu.de
www.nabu.de/nh/archiv/02501.html
www.lbv.de


Rot als Warnung

Rotkehlchen erscheinen aufgrund ihrer kleinen Größe, der vergleichsweise großen Augen und der rundlichen Körperform als niedlich und freundlich. Ihre relativ geringe Fluchtdistanz zu großen Tieren und Menschen untermauert dieses Image noch. Die knallrote Färbung von Gesicht und Brust hat jedoch einen Grund, nämlich Artgenossen und auch andere Vögel zu warnen. Rotkehlchen, die ein Nahrungsrevier oder einen Futterplatz verteidigen, gelten als die aggressivsten unter den in Gärten vorkommenden Vögeln. Bei der Revierverteidigung kommt zunächst der Gesang zum Einsatz und ist häufig den ganzen Tag über zu hören. Anscheinend besitzen Rotkehlchen die Fähigkeit, zwischen Eindringlingen und dem Reviergesang benachbarter Rotkehlchen zu unterscheiden. Meist reicht der Gesang aus, um die Reviergrenzen klar abzustecken. Lässt sich der Eindringling hierdurch nicht abschrecken, verändert sich der Gesang zu einem hohen und scharfen, andauernden Singen mit quietschigen Elementen, den sich die beiden Kontrahenten gegenseitig entgegenschleudern. Solche Gesangsduelle können eine halbe Stunde und länger dauern, je nach Charakter der Beteiligten. Mit der Zeit wird die Abwehr durch Drohgebärden verstärkt. Die rote Brust wird deutlich herausgestreckt, die Flügel ausgebreitet, der Vogel zeigt sich so groß wie möglich. In der Regel hat nun der Revierinhaber gewonnen und der Eindringling zieht ab. Bei sehr hartnäckigen Gegnern kommt es jedoch zum tätlichen Angriff. Mit Schnäbeln und Füßen gehen die Rotkehlchen aufeinander los, jeder versucht den anderen zu Boden zu bringen, wobei die Vögel Brust an Brust auffliegen oder sich ineinander verkrallt am Boden wälzen. Liegt einer der Kontrahenten am Boden, versucht der andere ihn mit Schnabelhieben und Fußtritten auf Gesicht und Kopf kampfunfähig zu machen. Falls das unterlegene Tier nicht doch noch die Energie zum Rückzug aufbringt, kann es tatsächlich zu Tode kommen. Insgesamt werden jedoch wahrscheinlich weniger als 1% der Streitereien zwischen rivalisierenden Rotkehlchen als Kampf auf Leben und Tod ausgetragen.


Beobachtungstipps zum Rotkehlchen

Auffälligstes Merkmal: Männchen und Weibchen: rundlich, oberseits olivbraun, unterseits hell, rostrote Brust, spitzer Insektenfresserschnabel; Jungvögel: hellbraun, gefleckt, anfangs ohne Rot
Wann: ganzjährig
Wo: Wälder, Feldgehölze und Hecken, Parks und Gärten, oft in Wassernähe
Was: Gesang, Nahrungssuche, Revierverhalten, Paarungsritual


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 11/2011
58. Jahrgang, November 2011, S. 441-443
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2011