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ORNITHOLOGIE/269: Schwarze Bauchbänder und V-Flug - Blässgans (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2013

Schwarze Bauchbänder und V-Flug: Blässgans

von Anita Schäffer



Zahlreiche Vogelarten sind in Deutschland nur im Winter und zum Teil nur regional zu beobachten. Ein typischer "Wintervogel" im Norden Deutschlands ist die Blässgans. Oft vergesellschaftet mit anderen Gänsearten lassen sich die Vögel gut bei der Futtersuche auf Wiesen und Weiden beobachten, wo sie Energiereserven für den Rückzug in die Brutgebiete und die anschließende Brut im kalten Norden anlegen. Zunehmend überwintern Blässgänse auch in südlicheren Regionen Deutschlands, allerdings nur in geringen Zahlen von wenigen Hundert Individuen.

© H.-J. Fünfstück, Helgoland, 05.10.2010

Das weiße Federkleid um den Schnabelgrund hat der Blässgans ihren Namen gegeben. Unverkennbares Merkmal ist die dunkle Querfleckung am Bauch.
Webseite des Fotografen: www.5erls-naturfotos.de
© H.-J. Fünfstück, Helgoland, 05.10.2010

Die Blässgans ist die häufigste nordische Wildgans. Zusammen mit Graugans, Kurzschnabelgans, Saatgans und Zwerggans, die alle in Deutschland zu beobachten sind, sowie einigen anderen Gänsearten zählt die Blässgans zu den Feldgänsen oder Echten Gänsen. Feldgänse suchen ihre Nahrung vorwiegend auf Flächen mit kurzer Vegetation wie Wiesen, Weiden und Äckern, häufig im Binnenland. Im Gegensatz dazu bevorzugen Meeresgänse wie Ringel- und Weißwangengans Wattflächen und Salzwiesen an der Küste.

Erwachsene Blässgänse sind am Namen gebenden weißen Federfeld um den Schnabel und starker, unregelmäßiger schwarzer Querfleckung am Bauch von anderen Gänsearten zu unterscheiden. Die schwarze Bauchbänderung ist auch im Flug gut zu sehen. Jungvögel bleiben bis zum zweiten Lebensjahr ohne gefleckten Bauch und Blesse und sind daher leicht mit der etwas größeren Graugans zu verwechseln. In der Regel halten sich Jungvögel jedoch im Familienverband mit adulten Blässgänsen auf und können daher meist als solche bestimmt werden. Familien bestehen oft bis zum Frühjahr. Schwarze Bauchfleckung kommt sonst noch bei der Zwerggans vor, die jedoch etwas kleiner ist, mit gedrungenerer Kopfform und weißem Schnabelgrund, der sich bis auf die Stirn zieht. Aus der Nähe ist bei der Zwerggans als Unterscheidungsmerkmal noch ein gelber Lidring zu erkennen. Die Füße der Blässgans sind kräftig orange gefärbt. Vögel mit rosa Schnabel gehören zur Nominatform Anser albifrons albifrons, daneben sind in Deutschland gelegentlich auch Blässgänse der Unterart A. a. flavirostris mit orangem Schnabel zu beobachten. Blässgänse rufen meist zweisilbig, hoch und klangvoll "kajak ujuk" und sehr hoch "kli-ji".

Brutgebiet im hohen Norden

Blässgänse brüten in der arktischen Tundra Russlands und Nordamerikas. Erst im zweiten Lebensjahr suchen sich Blässgänse einen Partner, mit dem sie in der Regel ein Leben lang zusammenbleiben. Die Paarbildung findet oft noch im Winterquartier statt. Nach der Ankunft im Brutgebiet werden in meeresnahen Senken und Sumpfniederungen in lockeren Kolonien Nester angelegt, die meist nur aus einer kleinen, mit Federn ausgepolsterten Vertiefung an erhöhten, trockeneren Stellen bestehen. Ab Mitte Mai legt die Gans fünf bis sechs gelblich-weiße Eier, die sie alleine etwa vier Wochen lang bebrütet. Die sofort aus dem Nest flüchtenden Jungen werden 40 bis 43 Tage von beiden Eltern geführt und bleiben auch nach dem Flüggewerden noch im Familienverband mit den Altvögeln zusammen. Während der anschließenden Mauserzeit im Sommer sind alte wie junge Blässgänse flugunfähig, jetzt schließen sich mehrere Familien zu großen Herden zusammen, immer in der Nähe von Gewässern, auf die sie leicht in Sicherheit flüchten können. Ab Mitte August starten die Vögel dann in neuem Federkleid den mehrere Tausend Kilometer langen Zug in die Überwinterungsgebiete in milderen Gefilden. Diese reichen zum Teil bis weit nach Süden, beispielsweise ans Kaspische und Schwarze Meer. Die Reise dauert mit mehreren Zwischenstopps über Osteuropa drei Monate. Der Großteil der Blässgänse verbleibt jedoch von Dezember bis März in Mittel- und Westeuropa, vor allem entlang der deutschen und holländischen Nordseeküste, wo sie als häufige und regelmäßige Durchzügler und Wintergäste gelten. Nach plötzlichen Kälteeinbrüchen kann es zu Massenwanderungen bis weiter nach Frankreich kommen. Flache Gewässer als Ruheplatz und Nahrungsgründe, beispielsweise ausgedehnte, ruhige Grünland- und Ackerflächen in den Niederungen großer Flussläufe, können mehrere Kilometer voneinander entfernt liegen.

Blässgänse ernähren sich von Pflanzenteilen, hauptsächlich verschiedene Gräser, aber auch Samen, Getreide, Klee und Raps. Die pro Tag verzehrte Menge entspricht etwa einem Drittel des eigenen Körpergewichtes. Um das zu erreichen, beschäftigen sich die Gänse die lichten Tagesstunden mit fast nichts anderem als Fressen. Unter den fressenden Gänsen sieht man immer wieder einzelne Vögel, die mit gerecktem Hals Wache halten. Bei drohender Gefahr lassen sie einen Warnruf hören, woraufhin der gesamte Trupp auffliegt. Zum Auffliegen benötigen die schweren Vögel besonders viel Energie, sodass unnötige Störungen unbedingt vermieden werden sollten. Nur wenn die Gänse sich ausreichend Fett angefressen haben, schaffen sie ab März den wiederum drei Monate langen Rückzug in die Brutgebiete der Tundren, um dort erfolgreich zu brüten. Schlecht konditionierte Vögel haben Studien zufolge einen geringeren Bruterfolg als Vögel in gutem Ernährungszustand.

Gänseflug in V-Formation

Etwa die Hälfte des Jahres verbringen Blässgänse auf dem Zug. Die von allen Gänsearten verwendete Flugtechnik ist der Ruderflug oder Schlagflug. Dabei werden die Flügel gleichmäßig mit sich änderndem Anstellwinkel auf- und abgeschlagen, wodurch zur gleichen Zeit Vor- und Auftrieb erzeugt wird. Diese aktive Flugtechnik verbraucht relativ viel Energie, die bei zahlreichen Zwischenstopps entlang der Zugrouten aufgestockt werden muss. Um Energie während des Fluges zu sparen, ziehen einige Vogelarten wie Gänse und Kraniche in der Formation des Keil- oder V-Fluges, bei der die Vögel versetzt hintereinander fliegen und so einen einfachen oder doppelten Keil oder hintereinander mehrere V- oder Schrägformationen bilden, an deren Spitze ein einzelner Vogel fliegt. Aufgrund der aerodynamischen Bedingungen des Gänsekörpers entstehen hinter den Flügeln Wirbel und Strömungen, die den nachfliegenden Vogel im sogenannten Schleppflug "mitziehen" und seine Kräfte schonen. Versuche im Windkanal haben ergeben, dass im Schleppflug bis zu 20 Prozent Energie eingespart werden können. Da der Leitvogel an der Spitze des Keils die meiste Energie aufwenden muss, wechseln sich einzelne Individuen als Anführer der Formation ab. Der genaue Mechanismus für den Führungswechsel ist noch nicht geklärt.

Möglicherweise wechselt der Leitvogel aktiv seine Position in der Formation und überlässt die Spitze einem anderen oder einer der nachfolgenden Vögel übernimmt die Spitze, sobald der Leitvogel zu müde ist und abfällt. Häufig sieht man leicht verschobene V-Formen der am Himmel ziehenden Gänse, die sich aufgrund von Winden und Luftströmungen ergeben.

Bestand und Gefährdungen

Verlust von Nahrungsflächen durch Grünlandumbruch oder Trockenlegung von Feuchtgebieten haben dazu geführt, dass früher in Südosteuropa überwinternde Blässgänse ihre Winterquartiere weiter nach Mittel- und Westeuropa verlegt haben. Hier haben die Winterbestände stark zugenommen. In Deutschland rasten oder überwintern jährlich 300.000 bis 400.000 Blässgänse.

Blässgänse und andere Gänsearten suchen ihre Nahrung hauptsächlich auf Grünland und Feuchtgrünland. Nur gelegentlich weichen sie auf Ackerflächen aus, wo sie die Sprösslinge von Wintergetreide fressen und hier auch Schaden anrichten können. In der Regel werden die betroffenen Landwirte über Ausgleichszahlungen entschädigt.

Der weltweite Gesamtbestand der Blässgans wird auf 1,5 Millionen Vögel geschätzt, die Art gilt als nicht gefährdet. Allerdings müssen jedes Jahr hohe Verluste durch Jagd verzeichnet werden. Von Ruhezonen sowie Jagdruhe in Rast- und Nahrungsflächen würde die Blässgans sicher profitieren. Eine weitere Gefahr für die großen Vögel liegt in Windkraftanlagen, hier besteht noch viel Forschungsbedarf.


Informationen zum Thema:

Bauer H-G, Bezzel E, Fiedler W 2005: Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Aula-Verlag, Wiebelsheim.

Berthold P 2007: Vogelzug: eine aktuelle Gesamtübersicht. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.

Fünfstück H-J, Ebert A, Weiß I 2010: Taschenlexikon der Vögel Deutschlands. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim.

http://nrw.nabu.de/themen/jagd/wasservoegel/04839.html
www.tierlexikon.ch
www.lfu.bayern.de/natur


Beobachtungstipps zur Blässgans

Auffälligstes Merkmal: braungrau, unregelmäßige schwarze Querfleckung am Bauch, weißes Federfeld um den Schnabel, orange Beine, rosa (A. a. albifrons) bzw. oranger (A. a. flavirostris) Schnabel
Wann: November bis März
Wo: kurzrasige Flächen und Felder zur Nahrungssuche, flache Gewässer zur Rast
Was: Unterschied zu anderen Gänsearten, Nahrungsaufnahme, "Wachposten", Begrüßung und Gruppenbildung am Gewässer, Keilflug


Beobachten, ohne zu stören

Besonders gut lassen sich überwinternde Gänse auf sogenannten Gänsetouren beobachten. Die geführten Touren werden von Naturschutzverbänden angeboten, beispielsweise in Kranenburg am Niederrhein in Nordrhein-Westfalen (http://nrw.nabu.de/naturerleben/nabustationen/kranenburg/10317.html), wo sich jedes Jahr neben zahlreichen anderen Arten auch etwa 200000 Blässgänse einfinden, am Dollart in Niedersachsen oder in der Haseldorfer Marsch in Schleswig-Holstein (http://schleswig-holstein.nabu.de/naturerleben/zentren/haseldorf/naturtiere/03373.html). Autos oder Busse werden von den Gänsen nicht als Gefahr betrachtet, sodass man relativ nah an die Tiere herankommen kann, ohne zu stören - solange man im Fahrzeug bleibt und nicht aussteigt!

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2013
60. Jahrgang, Januar 2013, S. 9-11
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,95 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 54,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2013