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ORNITHOLOGIE/349: Unbekanntes Vogelparadies - Kambodscha (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2015

Unbekanntes Vogelparadies: Kambodscha

von Stefan Pfützke


Mit Kambodscha verbinden viele sicher die Tempelanlagen von Angkor Wat, die nicht zuletzt durch die beiden Tomb Raider Filme auch der breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein gelangt sein dürften, und leider auch die Schreckensherrschaft der Roten Khmer unter Pol Pot. Dass der südostasiatische Staat für Naturkundler und vor allem Ornithologen einiges zu bieten hat, war hingegen bis vor Kurzem fast unbekannt. Das änderte sich erst, als in den letzten Jahren gleich zwei neue Vogelarten in Kambodscha entdeckt wurden, die Mekongstelze Motacilla samveasnae und der Kambodscha Schneidervogel Orthotomus chaktomuk, und damit das Land ein wenig in den Fokus der Orniwelt rückte.

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Während die Mekongstelze entlang einiger Abschnitte des Mekongs auch in Laos, Thailand und Vietnam vorkommt, ist über die Verbreitung des Schneidervogels noch relativ wenig bekannt. Die Art scheint aber auf Kambodscha beschränkt zu sein. Der Schneidervogel wurde übrigens erstmals im Zuge von Monitoring-Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vogelgrippe bemerkt und hat offenbar einen Verbreitungsschwerpunkt um Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas. Die nachfolgende Suche nach weiteren Vorkommen der Art zeigte, dass der Schneidervogel im Großraum Phnom Penh an mehreren Stellen vorkommt. Nachdem auch seine Lebensraumansprüche bekannt waren - bevorzugt als Bruthabitat wasserständige Büsche - und entsprechende Stellen auf das Vorkommen des Kambodscha Schneidervogels hin kontrolliert wurden, konnten weitere Brutgebiete entdeckt werden. Vermutlich sind bisher aber noch Vorkommen unentdeckt geblieben.

Es fand in den letzten Jahren ein kleiner Aufstieg Kambodschas als "Birderdestination" statt und nicht wenige die Region Südostasien bereisende Vogelbeobachter haben einen Abstecher in das interessante Land unternommen. Besonders die Aktivitäten des Sam Veasna Centers (SVC), einer erst 2003 gegründeten Organisation, die versucht, Tourismus und Naturschutz zu verbinden, hat zu der Entwicklung entscheidend beigetragen. Seine Hauptaufgabe sieht SVC heute darin, die Bevölkerung, die in den Schutzgebieten des Landes lebt, finanziell und materiell zu unterstützen, sodass die Akzeptanz der Einwohner für die Schutzbemühungen steigt und beispielsweise keine Jagd und illegalen Rodungen mehr stattfinden. Das dazu erforderliche Geld generiert die Organisation zu einem nicht unerheblichen Teil aus den Einnahmen, die für die von SVC organisierten und durchgeführten Touren von den Touristen bezahlt werden. Dabei wird Wert auf eine möglichst naturverträgliche Art des Reisens gelegt und es gehen etwa ein Viertel der Einnahmen direkt in die Unterstützung der Naturschutzprojekte in Kambodscha. Weitere Informationen hierzu und zu den Tourangeboten finden sich unter www.samveasna.org.

Wasser und Wald

Das wohl bekannteste und eines der bedeutendsten Schutzgebiete in Kambodscha, das auch von den Aktivitäten des SVC profitiert, ist das Prek Toal Bird Reserve, das im sogenannten Tonlé Sap liegt, dem größten natürlichen Süßwassersee Südostasiens. Der Tonlé Sap wird von den gewaltigen Wassermassen des Mekongs gespeist und alljährlich vor allem während der Regenzeit aufgefüllt. Auf dem See befinden sich einige kleine Siedlungen, deren Häuser, Farmen und Felder allesamt auf Bambusflößen gebaut wurden, die den Menschen ein Überleben trotz der starken Wasserstandsschwankungen auf dem See ermöglichen. Das Prek Toal Bird Reserve ist circa 22.000 ha groß. Nach der Regenzeit, wenn der See seine höchsten Wasserstände erreicht, ragen nur noch die größten Bäume aus den Wassermassen heraus. Auf diesen befinden sich die Kolonien der Kormorane, Störche, Reiher und Pelikane. So brütet hier beispielsweise der Große Adjutant Leptoptilos dubius, ein den afrikanischen Marabus ähnlicher Storchenvogel, der außer in Indien sonst nur in Kambodscha brütet. Zwar brüten hier nur etwa 75 Paare, aber diese Zahl entspricht immerhin etwa 15% der Weltbrutpopulation. Ebenso hat der Milchstorch Mycteria cinerea hier ein Brutgebiet. Die größten Vorkommen dieser gefährdeten Art liegen in Malaysia und Indonesien, eine kleine Population von 10 bis 20 Paaren existiert am Tonlé Sap. Verstreut in den Kolonien der weit häufigeren Buntstörche Mycteria leucocephala befinden sich die Nester des seltenen Verwandten.

Von großer Bedeutung sind die im Norden und Nordosten des Landes gelegenen weiten, in großen Teilen noch intakten Waldregionen an den Grenzen zu Thailand, Laos und Vietnam. Diese noch relativ dünn besiedelten Regionen spielen eine wichtige Rolle für den Schutz vieler Vogelarten. Vor allem im Gegensatz zu den angrenzenden Waldregionen Thailands und Vietnams, die nur noch in wenigen Resten vorhanden sind, ist die Situation in Kambodscha noch etwas günstiger und so konzentrieren sich viele Schutzbemühungen auf diese Landesteile, wo 15 global bedrohte oder gefährdete Vogelarten vorkommen.

Nationalvogel Riesenibis

Für die beiden sehr seltenen Ibisarten Riesen- und Weißnackenibis ist Kambodscha von herausragender Bedeutung. Das Gebiet Tmatboey, das im größten Schutzgebiet Kambodschas, Kulen Promptep, liegt, spielt dabei für beide Arten eine wichtige Rolle. Der Riesenibis Thaumatibis gigantea, hat hier eine von kambodschaweit und sogleich weltweit nur noch zwei existierenden Kolonien. Kleinere Einzelvorkommen gibt es darüber hinaus noch in anderen Gebieten Nordkambodschas und in der grenznahen Region von Laos. BirdLife International schätzt den weltweiten Bestand auf gerade einmal 115 Paare, die fast ausschließlich in Kambodscha vorkommen. Die Art ist deshalb mittlerweile sogar zum populären Nationalvogel Kambodschas geworden. Vom Weißnackenibis Pseudibis davisoni gibt es nur noch einzelne Restvorkommen in Laos und Indonesien. Die mit Abstand meisten der weltweit wohl nur knapp 1000 Vögel leben aber in insgesamt drei Regionen in Kambodscha. Neben Habitatverlust leiden beide Arten unter Bejagung. In Tmatboey ist es offenbar gelungen, der Bejagung Einhalt zu gebieten. Von dem im Gebiet stattfindenden Ökotourismus profitieren die Bewohner Tmatboeys und sie wissen genau, dass viele Besucher vor allem wegen der seltenen Ibisse das Gebiet aufsuchen. So haben sie ein vitales Interesse am Fortbestand der Ibiskolonien und konnten davon überzeugt werden, die Jagd einzustellen. Neben den Ibissen profitieren davon natürlich auch viele andere Tierarten. Das Projekt scheint ausgesprochen gut zu funktionieren, die Bestände der Ibisarten haben wieder etwas zugenommen. Durch die Einnahmen aus dem Tourismus konnten die Lebensbedingungen der Dorfbewohner verbessert werden, sodass die Dorfgemeinschaft nun hinter dem Schutzprojekt steht.

Eine weitere Vogelart, die im Nordosten Kambodschas einen ihrer letzten Rückzugsräume hat, ist der riesige Saruskranich Antigone antigone. Die Population der südostasiatischen Unterart sharpii beträgt wohl nur noch etwa 2000 Tiere, die sich neben Kambodscha auf Laos, Myanmar und Vietnam als Verbreitungsraum beschränkt, wobei auch in diesem Fall Kambodscha eine herausragende Bedeutung zukommt.

In Nord- und Nordostkambodscha existieren zudem weltweit bedeutende Populationen der drei Geierarten Kahlkopfgeier Sarcogyps calvus, Bengalengeier Gyps bengalensis und Dünnschnabelgeier Gyps tenuirostris. Obwohl Diclofenac, das in der Nutztierzucht eingesetzt wird und aufgrund seiner Toxizität für den dramatischen Rückgang der Geierpopulationen vor allem auf dem indischen Subkontinent verantwortlich ist, in Südostasien scheinbar nicht eingesetzt wird, sind auch hier die Geierpopulationen vor allem wegen Nahrungsmangels zusammengebrochen. SVC und seine Partnerorganisationen organisieren deshalb eine Zufütterung an oder in der Nähe der verbliebenen Kolonien der drei Arten. An einer dieser Fütterstellen im Nordosten in der Nähe der Ortschaft Veal Krous, einem sogenannten Geier-Restaurant, können Beobachter und Fotografen, geführt von SVC in extra errichteten Verstecken aus wenigen Metern Entfernung dem Treiben der Geier beiwohnen. Auch bei diesem Projekt funktioniert die Symbiose aus Schutzbemühungen und Unterstützung der einheimischen Bevölkerung, die wiederum durch das von dem Tourismus eingebrachte Geld profitieren und dadurch am Schutz der Geier interessiert sind, offensichtlich gut.

Herausforderung Naturschutz

Kambodscha hat für den Fortbestand vieler weltweit oder regional sehr seltener Vogelarten eine herausragende Bedeutung, wobei hier nur die Spitze des Eisberges dargestellt werden konnte. Den grenznahen, waldreichen Regionen vor allem im Norden und Osten des Landes, die aufgrund zurückliegender Konflikte und daraus resultierender, noch rückständiger Infrastruktur und geringerer Bevölkerungsdichte oft noch in einem recht ursprünglichen Zustand sind, kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Gleiches gilt für das größte Süßwasserareal Südostasiens, den Tonlé Sap. Verschwiegen werden soll hier aber auch nicht, dass schon alleine aufgrund des starken Bevölkerungswachstums in Kambodscha und der Modernisierung des Landes mit entsprechenden Infrastrukturprojekten große Herausforderungen auf den Schutz der einmaligen Natur und der darin lebenden Vogelwelt zukommen. Die zunehmende Verbauung des Mekongs, auch am Oberlauf, also weitab von Kambodscha, bringt schon jetzt Probleme mit sich, die offenbar bereits Auswirkungen auf die Bestände einiger Brutvogelarten am Tonlé Sap haben. Hoffnungsvoll stimmen hingegen die Aktivitäten des Sam Veasna Centers und anderer Naturschutzorganisationen im Lande und auch auf internationaler Ebene. Hierzu zählt auch die Verzahnung zwischen Naturschutz unter Einbindung der Bevölkerung mit finanzieller Unterstützung durch den Naturtourismus - ein Modell, das es lohnt auszubauen, um auch weitere Gebiete in Kambodscha entsprechend zu sichern.


Stefan Pfützke ist freiberuflicher Diplombiologe mit dem Schwerpunktthema Ornithologie. Auf mehreren Reisen hat er sich mit der Vogelwelt Ostasiens beschäftigt.
http://www.green-lens.de/

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2015
62. Jahrgang, Dezember 2015, S. 36-39
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
Einzelheftpreis: 4,95 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In- und Ausland für 56,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2015

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