Friedrich-Schiller-Universität Jena - 24.07.2017
Der älteste "Bad Boy" der Welt
Wissenschaftler der Universität Jena haben 300 Millionen Jahre alten, "modernen" Käfer aus Australien rekonstruiert
Er ist Australier, etwa einen halben Zentimeter groß, recht unscheinbar,
300 Millionen Jahre alt - und versetzt Zoologen und Paläontologen derzeit
gleichermaßen in Erstaunen. Ein Käferfund aus dem ausgehenden Erdaltertum
(oberes Perm), dem Zeitalter, in dem noch nicht einmal die Dinosaurier auf
der Bildfläche erschienen waren, wirft gerade ein völlig neues Licht auf
die früheste Entfaltung in dieser Insektengruppe.
Die Rekonstruktion und Merkmalsinterpretation von "Ponomarenkia
belmonthensis" ist Prof. Dr. Rolf Beutel und Dr. Evgeny V. Yan von der
Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) gelungen. Sie haben gemeinsam
mit dem renommierten Käferforscher Dr. John Lawrence und dem australischen
Geologen Dr. Robert Beattie die Entdeckung in der aktuellen Ausgabe des
Fachmagazins "Journal of Systematic Palaeontology" publiziert. Beattie war es,
der die einzigen zwei bekannten fossilen Stücke des Käfers in einem ehemaligen
Sumpfgebiet in Belmont, Australien, entdeckt hatte.
Der Insektenpaläontologe Dr. Evgeny V. Yan vor der
Computerrekonstruktion des 300 Millionen Jahre alten Käfers.
Bild: © Jan-Peter Kasper/FSU Jena
"Die Käfer, die heute mit knapp 400.000 beschriebenen Arten fast ein
Drittel aller bekannten Organismen ausmachen, haben im Perm noch ein
Schattendasein geführt", erklärt der Jenaer Zoologe Beutel. "Die bisher
bekannten Fossilien waren 'altertümlichen' Käfern zuzuordnen, die sich
unter der Rinde von Nadelbäumen aufgehalten haben. Sie weisen eine ganze
Reihe 'ursprünglicher' Merkmale auf, etwa noch nicht vollständig
verhärtete Deckflügel oder eine dicht mit kleinen Höckern besetzte
Körperoberfläche."
Die nun entdeckte Art der neu eingeführten Familie Ponomarenkiidae hingegen kann trotz ihres bemerkenswerten Alters als "moderner" Käfer bezeichnet werden. Neuartige Merkmale sind die perlschnurartigen Antennen, Antennengruben und der ungewöhnlich schmale, spitz zulaufende Hinterleib. Im Gegensatz zu bislang bekannten Käfern des Perm sind darüber hinaus die Deckflügel durchgehend verhärtet, die Körperoberfläche ist weitgehend glatt und die für die Fortbewegung zuständigen Brustsegmente weisen moderne Merkmale auf, erklärt Insektenpaläontologe Yan. Zudem habe der kleine Käfer anscheinend den vormals bevorzugten Aufenthalt unter Rinde aufgegeben und auf Pflanzen eine deutlich exponiertere Lebensweise geführt als seine Zeitgenossen. Wesentlich ist, dass sich die Gattung aufgrund ihrer Kombination ursprünglicher und moderner Merkmale in keine der vier noch lebenden Käfergroßgruppen einordnen lässt, weshalb Yan und Beutel ihr den Beinamen "Bad Boy" gegeben haben.
"Ponomarenkia belmonthensis zeigt vor allem, dass die ersten wesentlichen Aufspaltungsereignisse in der Evolution der Käfer schon vor dem Permisch-Triassischen Massenaussterben stattgefunden haben", berichtet Rolf Beutel. Die Käfer als Ganzes haben dieses dramatische Geschehen inklusive Versauerung der Meere und massiver Vulkaneruptionen wesentlich besser überstanden als die meisten anderen Organismengruppen - vermutlich durch das Leben an Land und das verstärkte Außenskelett. Der "Bad Boy" jedoch hatte kein Glück: Es gibt im Erdmittelalter keinerlei Spuren mehr von seiner Existenz.
Gattung und Familie haben die Wissenschaftler von der Universität Jena dem Moskauer Paläontologen Prof. Dr. Alexander G. Ponomarenko gewidmet. Er prägt die Paläontologie der Käfer seit Jahrzehnten und ist der Doktorvater von Evgeny V. Yan. Dieser wurde von der Russischen Akademie der Wissenschaften promoviert, war fünf Jahre Postdoktorand an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Nanjing und forscht seit Juni 2016 als von der Alexander von Humboldt-Stiftung geförderter Gastwissenschaftler am Phyletischen Museum der Friedrich-Schiller-Universität. Yans aufwendigen Rekonstruktionen am Computer sind die genauen Einblicke in den "Ponomarenkia belmonthensis" zu verdanken.
3D-Rekonstruktion und Merkmalsinterpretation von "Ponomarenkia
belmonthensis" basierend auf präzisen Zeichnungen des Holotyps und
einer akkuraten 2D-Rekonstruktion.
Bild: © Evgeny V. Yan/FSU Jena
In einer ersten Phase wurden die zwei Käfer als Abdrücke auf Steinen etwa 40 Mal fotografiert. "Diese Fotoreihe hat eine akkurate 2D-Rekonstruktion ermöglicht, die die Deformationen am Originalfossil ausgleichen konnte. Damit konnten wir uns dem tatsächlichen Käfer schon nähern", erläutert der Paläontologe. Basierend auf präzisen Zeichnungen und mit einem speziellen Computerprogramm, das auch für Animationen und Computerspiele eingesetzt wird, entstand ein aussagekräftiges 3D-Modell. "Die 3D-Rekonstruktion erlaubt auch Rückschlüsse auf die Fortbewegung und Lebensweise der Käfer", so Dr. Yan. Diese Art der Visualisierung und die analytischen Verfahren, in die er auch hypothetische Vorfahren der Käfer einbezieht, hat er seit seiner Ankunft in Jena entwickelt. "Bereits bei drei neu entdeckten, außergewöhnlich alten Käferarten konnten wir das Verfahren anwenden", freut sich Prof. Beutel. "Damit sind wir der Entschlüsselung der frühesten Evolution einer extrem erfolgreichen Tiergruppe wesentlich näher gekommen."
Original-Publikation:
Evgeny Viktorovich Yan, John Francis Lawrence, Robert Beattie & Rolf Georg
Beutel:
"At the dawn of the great rise: †Ponomarenkia belmonthensis
(Insecta: Coleoptera), a remarkable new Late Permian beetle from the
Southern Hemisphere",
Journal of Systematic Palaeontology (2017),
ttp://dx.doi.org/10.1080/14772019.2017.1343259
Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution23
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Juliane Dölitzsch, 24.07.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2017
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