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ZOOLOGIE/761: Flughunde - Wachen Auges durch den Tag (DFG)


forschung 4/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Wachen Auges durch den Tag

Flughunde jagen ausschließlich nachts und ruhen am Tag.
Neue Studien zeigen, dass sie dank spezieller Lichtsinneszellen
in der Netzhaut nicht nur im Dunkeln sehen können

Von Brigitte Müller


Wenn die Dämmerung hereinbricht, werden die Geschöpfe der Nacht aktiv. Fledermäuse orientieren sich ebenso elegant wie sicher in der Dunkelheit, immer auf der Jagd nach Beute. Sie gelten als bedrohlich und zugleich faszinierend. In zahlreichen Mythen und Geschichten ist davon die Rede.

Weniger sagenumwoben und bekannt sind die unmittelbaren Verwandten der Fledermäuse: die Flughunde. Beide zählen zur Gattung der Fledertiere, die nach den Nagetieren die artenreichste Ordnung der Säugetiere ausmacht. Biologen haben etwa 900 Fledermausarten und rund 200 Flughundarten aufgespürt. Während Fledermäuse nahezu weltweit verbreitet sind, trifft man Flughunde nur in den Tropen Asiens, Australiens und Afrikas an. Viele Flughunde sind relativ groß, wiegen zwischen 100 und 1000 Gramm und erreichen eine Flügelspannweite von bis zu zwei Metern.

Ein kopfüber hängender Brillenflughund, der in Neuguinea und Nordaustralien beheimatet ist. Foto: Hugh Spencer, Cape Tribulation Tropical Research Station, Austrop, Australia

Ein kopfüber hängender Brillenflughund, der in Neuguinea und Nordaustralien beheimatet ist.
Foto: Hugh Spencer, Cape Tribulation Tropical Research Station, Austrop, Australia


Flughäute dienen den Fledertieren aber nicht nur zur Fortbewegung in der Luft, sondern ebenso zur Regulierung ihres Wärmehaushalts. Sie ziehen sich bei Kälte mithilfe von kleinen Muskeln zusammen und werden mantelartig um den Körper gewickelt. Der Kopf und die Nase und meist auch ein Fuß werden darunter verborgen, sodass vorgewärmte Luft aus dieser Umhüllung eingeatmet werden kann. Bei Temperaturen zwischen 18 und 30 Grad Celsius lockern die Tiere diese isolierende Haut und benutzen sie dann als kühlenden Fächer.

Tagesquartier einer australischen Riesenflughund-Kolonie. Zum Schlafen hüllen sich die Tiere in ihre Flügel - und wirken dann wie Baumfrüchte. Foto: Peichl

Tagesquartier einer australischen Riesenflughund-Kolonie. Zum Schlafen hüllen sich die Tiere in ihre Flügel - und wirken dann wie Baumfrüchte.
Foto: Peichl, Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt, Germany


Typisch für Fledermäuse ist ihr komplexes Echoortungssystem, mit dem sie sich auch in absoluter Dunkelheit orientieren können. Flughunde hingegen besitzen keine Möglichkeit zur Echoortung. Lediglich die Höhlenflughunde produzieren mit der Zunge klickende Ortungslaute und machen insofern eine Ausnahme. Alle anderen Gattungen orientieren sich bei ihren nächtlichen Flügen ausschließlich optisch mit ihren großen "Nachtaugen". In mondlosen und damit sehr dunklen Nächten können Flughunde daher nicht ausfliegen und müssen hungern.

Anfang des 20. Jahrhunderts untersuchten die Anatomen Walther Kolmer aus Wien und Gustav Fritsch aus Berlin die Lichtsinneszellen der Flughundnetzhaut. Im Lichtmikroskop sahen die Forscher dicht gepackte, gleichermaßen schlank aussehende Lichtsinneszellen, die sie als die für das Nachtsehen verantwortlichen Stäbchen identifizierten. Anfang der 1960er-Jahre bestätigte der Tübinger Zoologe Gerhard Neuweiler die besonders gute Nachtsehtüchtigkeit des Flughundes.

Seine Untersuchungen zeigten, dass das Flughundauge typische Merkmale von Nachtaugen aufweist: eine ans Nachtsehen angepasste Optik (kugelige lichtstarke Linse), eine hohe Dichte von schlanken Lichtsinneszellen (Stäbchen), ein gut ausgebildetes Helligkeitsunterscheidungsvermögen sowie eine hohe Lichtempfindlichkeit. Einige Jahre später nahmen britische Neuroanatomen in einer elektronenmikroskopischen Arbeit über Flughunde eine erste vorsichtige Unterscheidung zwischen stäbchenartigen und zapfenartigen Lichtsinneszellen vor.

Nahaufnahme: Das Gesicht und die Augen eines Rodrigues-Riesenflughundes. Foto: Dana LeBlanc, Lubee Bat Center, Gainesville, Florida

Nahaufnahme: Das Gesicht und die Augen eines Rodrigues-Riesenflughundes.
Foto: Dana LeBlanc, Lubee Bat Center, Gainesville, Florida


Begründete Zweifel an der These, dass Flughunde nur nachtsichttaugliche Stäbchen besitzen, hätte man spätestens aus den Befunden des amerikanischen Verhaltensforschers Melville Brockett Fenton in den 1980er-Jahren ableiten können. Er beobachtete, dass Riesenflughunde nicht nur während der Dämmerung, sondern auch bei Tag für kurze Flüge ihren Nistplatz in den offenen Baumkronen verlassen, um entweder ihre Ruheposition zu ändern, sich vom Sonnenlicht zurückzuziehen oder das Fliegen mit den Jungtieren zu üben.

Aber erst 2004 konnte eine internationale Gruppe von Evolutions- und Molekularbiologen um Wen-Hsiung Li für zwei Riesenflughundarten zeigen, dass sie die Gene für ein kurzwellig (blau) und ein langwellig (grün/rot) empfindliches Zapfensehpigment besitzen. Damit verknüpfte sich die Frage: Werden diese Gene auch abgelesen, also Zapfensehpigmente produziert - und wenn ja, in welchen Lichtsinneszellen?

Dieser Forschungsfrage widmen sich seit 2004 die Frankfurter Neurobiologen Brigitte Müller und Leo Peichl zusammen mit Stephen Goodman, einem Feldbiologen des Field Museum for Natural History in Chicago. Mit modernen histologischen Methoden erforschten sie die Zapfenpigmente und Lichtsinneszellen verschiedener Flughundarten. Dabei spielte der Nachweis der Zapfenpigmente mit spezifischen Antikörpern gegen das blau-empfindliche und das grün/rot-empfindliche Sehpigment eine entscheidende Rolle.

Die untersuchten Flughundarten stammen aus Madagaskar. Bei der größten Art handelt es sich um Riesenflughunde, die sich ursprünglich aus Asien kommend über die Inseln des Indischen Ozeans bis nach Madagaskar, nicht aber bis zum Kontinent Afrika ausgebreitet haben. Die mittelgroßen Palmenflughunde gibt es nur auf Madagaskar und in Afrika. Die Höhlenflughunde bilden die kleinste Flughundart und sind sowohl in Afrika, Madagaskar als auch in Asien anzutreffen.

Die Untersuchungen erbrachten eine Reihe interessanter Ergebnisse. Die Netzhäute aller untersuchten Flughundarten zeichnet ein hoher Stäbchenanteil aus. Dies ist eine Voraussetzung für die nächtliche Navigation. Als weitere Anpassung an die Flugaktivitäten bei Nacht konnte bei den Flughunden eine reflektierende Schicht hinter der Retina nachgewiesen werden, die das einfallende Licht ein zweites Mal zu den Fotorezeptoren schickt und so die Lichtausbeute erhöht. Von nacht- und dämmerungsaktiven Säugetieren, wie zum Beispiel Katzen, Hunden und Rotwild, ist diese Schicht ("Tapetum lucidum") bekannt.

Wie von Brigitte Müller und Leo Peichl vermutet, fanden sich bei allen Flughunden neben zahlreichen Stäbchen tatsächlich auch einige Lichtsinneszellen, in denen Zapfenpigmente nachgewiesen wurden. Diese Zapfen machten etwa 0,5 Prozent aller Lichtsinneszellen aus. Auch wenn der Anteil zunächst gering erscheint, ermöglicht er den Tieren, auch bei Tageslicht zu sehen. Dies legen nicht zuletzt Studien an anderen dämmerungsaktiven Tieren nahe.

So haben zum Beispiel Katzen und Hunde nur einen Anteil von etwa zwei bis vier Prozent Zapfen. Selbst die Netzhaut des Menschen enthält im Mittel nur etwa fünf Prozent Zapfen. Die Netzhaut der Flughunde ist also kein evolutionäres Unikat, sondern entspricht dem allgemeinen Säugetierbauplan, der Stäbchen und Zapfen vorsieht.

Die untersuchten Riesenflughunde besitzen zwei spektrale Zapfentypen, die jeweils das langwellig (grün/rot) beziehungsweise das kurzwellig (blau) empfindliche Sehpigment enthalten. Damit haben die Riesenflughunde die Zapfenausstattung für das sogenannte dichromatische Farbensehen, das dem Grundbauplan der Säugetiere entspricht. Das heißt, sie erkennen nur zwei der drei Grundfarben, und können deshalb keine Rot-Grün-Unterscheidungen treffen.

Unter dem Mikroskop: Die eingefärbten Lichtsinneszellen einer Riesenflughund-Netzhaut. Die Grün-Zapfen fluoreszieren in Grün, die Blau-Zapfen in Rot. Foto: Brigitte Müller

Unter dem Mikroskop: Die eingefärbten Lichtsinneszellen einer Riesenflughund-Netzhaut. Die Grün-Zapfen fluoreszieren in Grün, die Blau-Zapfen in Rot.
Foto: Brigitte Müller


In den Netzhäuten der anderen drei untersuchten Flughundgattungen - der Höhlenflughunde, der Palmenflughunde und der Epaulettenflughunde - fehlen hingegen die Blau-Zapfen völlig. Sie besitzen nur Grün-Zapfen. Diese Arten sind also farbenblind, da mit nur einem Zapfensehpigment keine spektralen Unterscheidungen möglich sind. Ein solcher Verlust der Blau-Zapfen ist in der Evolution selten und wurde bisher nur bei einzelnen Säugergruppen gefunden. Fazit: Für die drei betroffenen Flughundgattungen ist Farbensehen offenbar weniger überlebenswichtig als für die Riesenflughunde.

Die Tagesquartiere der Riesenflughunde befinden sich in offenen Baumkronen. Hier verbergen sie sich vor ihren Fressfeinden, den Raubvögeln. Ein visuelles Frühwarnsystem kann also dem Überleben nützen. Dagegen nisten Höhlenflughunde bevorzugt in Höhlen und Epaulettenflughunde in den dunkelsten Astregionen großer Bäume. Das mag erklären, warum diese Gattungen geringere Zapfendichten als die Riesenflughunde haben und darüber hinaus farbenblind sind.

Bei der Futtersuche helfen die Zapfen allerdings keiner der Spezies: Denn nachts sind die Flughunde - wie alle Säugetiere - auf die empfindlicheren Stäbchen angewiesen, die keine Farbinformation vermitteln. Das heißt: Nachts sehen alle Säugetiere nur grau.


Dr. Brigitte Müller arbeitet als wissenschaftliche Angestellte am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt/Main.

Adresse:
Max-Planck-Institut für Hirnforschung
Deutschordenstraße 46
60528 Frankfurt/Main

Die Studien werden von der DFG im Normalverfahren gefördert.

www.mpih-frankfurt.mpg.de/global/Na/staff/mueller_d.htm



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Quelle:
forschung 4/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 18-20
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2009