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FORSCHUNG/261: Fangmethode des "Wasserschlauchs" - Falltür, öffne dich! (uni'leben - Uni Freiburg)


uni'leben - 02/2011
Die Zeitung der Universität Freiburg

Falltür, öffne dich!

Biophysiker haben entdeckt, wie die fleischfressende Pflanze "Wasserschlauch" ihre Beute fängt

von Eva Opitz


Pflanzen besitzen keine Gelenke oder Scharniere, wie man sie von Tieren oder aus der Technik kennt. Ihre Bewegungen beruhen meist auf Wachstumsprozessen oder elastischen Verformungen der Einzelorgane. Wie Pflanzen dennoch ultraschnell reagieren können, stellt Wissenschaftler immer wieder vor neue Fragen. Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist die raffinierte Fangmethode einer kleinen fleischfressenden Pflanze, des so genannten Wasserschlauchs: Utricularia spp. Eine deutsch-französische Forschergruppe hat jetzt aufgeklärt, wie die im Wasser lebende Pflanze blitzschnell Wasserflöhe und kleine Krebstierchen in ihre Falle lockt und verdaut. Dem Team um Prof. Dr. Thomas Speck, Leiter der Plant Biomechanics Group an der Universität Freiburg, ist es gelungen, den komplizierten Mechanismus der Fallentüröffnung und -schließung erstmals biophysikalisch zu analysieren und als Videoaufnahme darzustellen.


Zu Wasser und zu Land

Was das Auge des ungeübten Pflanzenliebhabers als grüne, unauffällig im Wasser schwebende Alge einordnen würde, ist wissenschaftlich gesehen ein Vertreter der Wasserschlauchgewächse. Diese sind mit den Lippenblütlern nahe verwandt, zu denen bekannte Pflanzen wie der Salbei und die Taubnessel gehören. Blüht der Wasserschlauch, schiebt er seine Blüten mittels kleiner Schwimmpolster über die Wasseroberfläche, wo Insekten sie bestäuben. Zu der artenreichen Gruppe der Wasserschläuche gehören weltweit circa 220 Arten, die größtenteils auf dem Boden leben, aber stets eine feuchte Umgebung brauchen. Sie wachsen teilweise in extrem unwirtlichen Lebensräumen. Die Landbewohner sind meist deutlich kleiner als die aquatisch lebenden Meister der schnellen Bewegung, deren Saugfallen drei bis vier Millimeter groß werden. "Das grundlegende Funktionsprinzip dieser schnellen Fleischfresser ist schon früh beschrieben worden", sagt Simon Poppinga vom Biologischen Institut, "aber die dahinter steckende Mechanik war bisher nicht im Detail bekannt."

Erst mit hochauflösenden Kameras, die mehr als 100.000 Bilder pro Sekunde liefern, und mit dem biophysikalischen Wissen von heute ließ sich das Fangprinzip, das sich im Millisekundenbereich abspielt, erstmals analysieren. Der Wasserschlauch bildet linsenförmige Fangblasen aus, die mit einer Art Falltür verschlossen sind. Drüsen pumpen das Wasser aus den Fangblasen, wodurch ein Unterdruck im Falleninneren entsteht, die Fallenwände sich nach innen wölben und elastische Energie gespeichert wird. Berührt ein Wasserfloh die Auslösehaare, gibt es eine Krümmungsinversion, die Fallenwand entspannt sich, und Wasser und Beutetier werden eingesaugt. "Die Fallentür geht im Bruchteil einer Sekunde auf und schließt sich wieder", sagt Carmen Weißkopf vom Biologischen Institut. Die Beutetiere werden durch den Unterdruck in weniger als einer Millisekunde mit bis zu sechshundertfacher Erdbeschleunigung nach innen gesaugt, das Wasser strömt ein und wirbelt den Wasserfloh, für den es kein Entrinnen mehr gibt, herum. Danach schließt sich die Tür wieder, und Verdauungsenzyme zersetzen die Beute.


Lust auf Fleisch

Für den nächsten Fangvorgang wird das Wasser wieder herausgepumpt, und die Wölbung der Fallenwand wird mit neu investierter Energie wiederaufgebaut. "Die Tür hat Vorfaltungen und Vorknickstellen wie ein kompliziert gefalteter Theatervorhang, der sich nach festen Vorgaben mit extremer Genauigkeit und Geschwindigkeit auf- und zurückfaltet", sagt die Wissenschaftlerin. Der Wasserschlauch ist eine grüne, wenn auch wurzellose Pflanze mit Chlorophyll und somit zur Fotosynthese fähig. Warum also die Fleischbeilage? "In nährstoffarmer Umgebung bietet die Fleischeinlage eine zusätzliche Nahrungsquelle als so genanntes 'Add on'", so Carmen Weißkopf. Der Wasserschlauch steht zwar auf der Roten Liste der gefährdeten Arten, ist aber dennoch die häufigste einheimische fleischfressende Pflanze. Sie ist sogar in Parkteichen anzutreffen, was für ihre Wettbewerbsstärke spricht.


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Quelle:
uni'leben - 02/2011, Seite 5
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (Redaktionsleitung),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2011