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RATGEBER/201: Kinderfragen (12) Wie Löcher in den Käse kommen (SB)


KINDERFRAGEN 12

Woher kommen die Löcher im Käse?

Chemie, wo man sie am seltensten erwartet


Die Frage, woher die Löcher im Käse stammen, ist schon so alt wie der Käse selbst. Und schon manch einer, der verzweifelt nach einer Antwort suchte, um seinem Ruf als allwissender Erziehender auch weiterhin gerecht zu bleiben, griff nach geradezu skurrilen Noterklärungen wie Käseborer, Stanzgeräte & Co., die weit unterhaltsamer sind und zumindest von ihrem phantastischen Ideenreichtum her viel eher zu honorieren wären, als die schlichte, simple Wahrheit, um die es hier geht. Schon Kurt Tucholsky hat dies in seiner Satire "Wo kommen die Löcher im Käse her?" bestens beschrieben.

Im Sommer 1988 waren aber selbst Schweizer Käsebauern, eigentlich mit der Technik des Löchermachens bestens vertraut, am Rande der Verzweiflung. 2250 Laibe des weltberühmten Emmentalers mußten zu Schleuderpreisen an italienische Pizzabäcker eingestampft und verscherbelt werden, weil sie nicht den hohen Qualitätsansprüchen genügten. An dem Verlust von sieben Millionen Franken hatte allerdings nur jenes "Beste" am Käse schuld, das keinerlei materiellen Wert besitzt und genaugenommen mit "Nichts" am besten charakterisiert werden kann: die Löcher im Käse!

Die Schweizer Käseverordnung fordert im Emmentaler ein bis drei Zentimeter große Löcher, kreisrund, matt bis glänzend. Diese aber waren oval geraten, zudem rissig und stumpf.

Schon Jahre zuvor hatte es Probleme mit Appenzeller und Greyerzer gegeben. Diese waren sogar "blind", d.h. ganz ohne Löcher geblieben. So wurde die alte Kinderfrage, wie denn nun eigentlich die Löcher in den Käse kommen, mit einem Mal wieder hochaktuell. Und entsprechend der oben beschriebenen Situation mangelte es nicht an phantasievollen Lösungsvorschlägen, gepaart mit wildesten Gerüchten:

So sollten die Löcher vom Dreck der Käserhände und Kuhschwänze stammen, übertriebene Hygiene also der Grund für die ausbleibenden Hohlräume sein. Angeblich hatte auch die Qualität des Heus aus dem letzten verregneten Sommer ihren Anteil an fehlenden Höhlungen in der Caseinstruktur gehabt.

Das alles ringt dem Lebensmittelchemiker nur ein müdes Lächeln ab: "Alles Käse" wäre sein einzig vernünftiger Kommentar zu diesen Spekulationen.

Tatsächlich kommen die Löcher im Emmentaler wie in den anderen Käsesorten allein durch die Käsegärung zustande. Nach Entwässerung der Milch wird Milchzucker in Milchsäure verwandelt. Diese wird bei 22° Celsius in Säuren und Kohlenstoffdioxid (CO2) zerlegt und zwar von eigens dafür gezüchteten Propionsäure-Bakterien.

Diese verarbeiten in ihrem Stoffwechsel Milchzucker und setzen Milchsäure neben CO2 frei, ein Gas, das innerhalb von Blasen durch den noch weichen Käse treibt. Die Milchsäure ist für den leicht süßlichen Geschmack verantwortlich.

Der Käse reift dann weiter bei nur 12°C. Normalerweise ist die Gärung dann abgeschlossen. Doch im Sommer 1988 waren einige Propionsäurebakterien mutiert und lösten eine Nachgärung aus. Der Käse gärte weiter, die Löcher wurden zu riesigen und unförmigen Höhlen.

Mit neu gezüchteten Bakterien reift der Emmentaler seither wieder normal, mit vorschriftsmäßigen Löchern. Soviel zur korrekten Antwort der Frage.

Daß die erfundenen Lösungen manchmal durchaus nahe an der Wirklichkeit liegen, weil auch Käser letztlich nur schwache Menschen sind, die mit Käse handeln, sieht man an einem Beispiel, das im August 1993 eine Kurznotiz in der Fernsehzeitschrift Hörzu zum Besten gab:

Nicht ganz vorschriftsmäßig verfuhr 1975 ein Allgäuer Käser: "Wenn Antiquitätenhändler mit der Schrotflinte Wurmlöcher ins Holz schießen, kann ich den Emmentaler mit einem Käselochbohrer löchern." Das stank dem Bayerischen Obersten Landesgericht, es urteilte: "Die Löcher des Emmentalers müssen auf natürliche Weise entstehen" und verdonnerte den Mann zu einer Geldstrafe. Ins Loch mußte er nicht.
(HÖRZU, August 1993)

9. März 2007