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RATGEBER/209: Kinderfragen (15) Frisches Obst für den Laden? (SB)


KINDERFRAGEN 15

Warum ist Obst im Supermarkt immer glänzend und frisch?

und was das für blinde Passagiere auf Bananendampfern bedeuten kann


Kaum jemand fragt sich heute noch, wieso es im Februar möglich ist, scheinbar frischgepflückte deutsche Äpfel im Supermarkt um die Ecke zu kaufen. Wer nämlich selber einen Apfelbaum im Garten hat und im eigenen Keller versucht, Vorräte davon zu lagern oder auch nur das frisch gekaufte Obst in einer Obstschale arrangiert, der kann hautnah beobachten, wie die schönsten Exemplare nach kurzer Zeit schrumpelig und unansehnlich werden.

Bestenfalls mumifizieren die makellosen Früchte zu schwarzen, gummiartigen Gebilden, die wohl niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken werden. Aber oft machen schon weit vorher Fäulnis und Verderben dem Apfel den Garaus, was sich durch einen essigartigen Geruch bemerkbar macht.

Wie also schaffen es Obsthändler, dem Zahn der Zeit zu entgehen, wenn auch heimisches Obst (wohlgemerkt keine Äpfel aus Neuseeland oder Israel) zu ungewohnten Zeiten noch appetitlich frisch aussieht.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat hier eine Technik Einzug gehalten, die es erlaubt, Äpfel bis zu einem Jahr frischzuhalten. Theoretisch würde es sogar noch länger gehen, doch die nächste Ernte steht ab August wieder vor der Tür und erwartet die gleiche technische Zuwendung, um auch wieder lange frisch zu bleiben.

Wir sprechen hier von der sogenannten "kontrollierten Atmosphäre" oder in bestem Neudeutsch oder Denglisch "CA" (controlled atmosphere). Hierbei wird neben der ohnehin üblichen Kühlung (bei Äpfeln auf annähernd null Grad Celsius) die Zusammensetzung der Luft im Lagerraum verändert.

Das sieht so aus, daß der Sauerstoffgehalt (O2), der in normaler Luft ungefähr 21 Prozent beträgt, auf Werte zwischen 1 und 3 Prozent abgesenkt wird, der Kohlenstoffdioxidgehalt (CO2), der normalerweise nur 0,003 Prozent beträgt, wird hingegen auf Werte zwischen 3 und 20 Prozent angehoben. Damit wird allen sauerstoffverbrauchenden Reaktionen und auch dem Stoffwechsel vorhandener aerober Mikroorganismen die essentielle Grundlage entzogen. Weder können die Inhaltsstoffe in den Äpfeln normal oxidieren (braun werden), noch können Mikroorganismen sich vermehren und ihr vergammelndes Unwesen treiben.

Die Früchte, die nach der Ernte noch leben, d.h. reifen und altern, werden auf diese Weise in eine Art Tiefschlaf versetzt. Sobald sie jedoch in den Supermarkt und auf den Tisch kommen, beginnen die sauerstoffverzehrenden Verfallsprozesse wieder.

Die ersten Anfänge dieser Technik lassen sich bis 1819/20 zurückverfolgen, aber erstmals wurde sie 1928 in England kommerziell angewandt. Zu dieser Zeit (und bis in die sechziger Jahre hinein) nutzten die Bauern den einfachen Effekt, daß Äpfel nach der Ernte Sauerstoff verbrauchen und dafür Kohlendioxid erzeugen. Sie atmen also regelrecht.

Der Obstbauer mußte seine Früchte daher nur in einen gasdichten Kühlraum stellen und die Äpfel produzierten die höheren CO2- Konzentrationen quasi von selbst, wobei sie Sauerstoff verbrauchten. Allerdings vertragen die Früchte keine zu niedrigen Sauerstoff- und keine zu hohen Kohlendioxidgehalte.

Da die Räume meist nicht vollständig hermetisch verriegelt waren, wurden keine zu niedrigen Sauerstoffwerte erreicht. Mit jedem Türöffnen gelangt frischer Sauerstoff in den Lagerraum. Der Kohlenstoffdioxid wurde dadurch begrenzt, indem man einige Säcke mit Kalk ins Lager legte, das den Überschuß an CO2 binden soll. Mit dieser recht primitiven Methode der "Selbstveratmung" wurden bereits ganz gute Erfolge erzielt.

Allerdings ließ sich zum einen die Atmosphäre nicht nach Wunsch einstellen, zum anderen dauerte das Senken des Sauerstoffgehalts auf die notwendigen niedrigen Werte insgesamt mehrere Wochen. Das kann im Zweifelsfall fatale Auswirkungen haben, wenn sich schon Schimmelpilze in Druckstellen eingefunden haben.

Eine künstliche Atmosphäre sollte also geschaffen werden, die von Anfang an die besten Lagerverhältnisse aufwies. Zunächst wurde eine einigermaßen genaue und billige Meßtechnik benötigt, um den Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt im Lager erfassen zu können. Hiernach wurden Geräte entwickelt, die den Sauerstoffgehalt gezielt und schnell senken konnten. Dies waren zunächst Propan- oder Butanbrenner, die den Sauerstoff im Lagerraum verbrannten und dabei Kohlendioxid erzeugten. Später gingen die Atmosphärentechniker dazu über, Stickstoff (N2) in den Raum zu blasen, um damit Sauerstoff zu verdrängen (normale Luft besteht zu ungefähr drei Vierteln aus Stickstoff).

Dieser Stickstoff wurde entweder aus Ammoniak erzeugt oder mit Hilfe von Aktivkohle aus der Umgebungsluft gewonnen. Die Anlagen waren recht aufwendig, doch seit einigen Jahren gibt es Membranen, die einfach und billig Stickstoff aus der Umgebungsluft herausfiltrieren. Das trug wesentlich zur Verbreitung der CA-Technik bei. Heutzutage werden bereits über dreißig Prozent der Apfelernte im Niederelbegebiet unter CA gelagert. In Südtirol erreicht der Anteil der CA-Lagerung bei Äpfeln sogar bis zu neunzig Prozent.

Aber das ist noch nicht alles: Die knackigen Äpfel aus Neuseeland, die eine lange, strapaziöse Reise hinter sich haben und dabei viel Flugbenzin kosten, wie auch die hübschen Erdbeeren aus Israel werden alle in Transporträume verfrachtet, in denen eine CA-Atmosphäre eingestellt wird. Die weltweit zweitgrößte Kühlschiffsgruppe, "The Great White Fleet" (Chiquita), hat seine Kühlschiffe, die regelmäßig in Bremerhaven anlaufen, mit CA ausgerüstet.

Aber die CA-Technik läßt sich auch auf Containersysteme übertragen, die mittlerweile im See- und Landtransport bevorzugt verwendet werden. Darin können die Früchte im Erzeugerland in die großen Kisten mit CA- Atmosphäre verpackt werden und dann bis zum Bestimmungsort unverändert unter kontrollierten Bedingungen bleiben. Immer noch werden jährlich etwa 33 Millionen Tonnen Früchte und Gemüse über die Meere geschickt (davon allein etwa 9 Millionen Tonnen Bananen).

Auch bei Blumen können kontrollierte Luftbedingungen wahre Wunder an Frische bewirken. So ist es seither möglich, Blumen aus Afrika und Südamerika zu importieren. Es können aber manchmal leichte Farbveränderungen an den Blüten durch die ungewohnte Chemie in der Luft auftreten.

Der Einsatz von CA gerade auf dem Transportsektor verspricht folgende Vorteile:

- Früchte lassen sich in einem reiferen Zustand als bisher transportieren - weshalb sie besser schmecken werden.

- Die Transportzeit von Früchten und Gemüse läßt sich erheblich verlängern - bisher überwiegend im Flugzeug transportierte Waren werden sich infolgedessen unter CA mit Lkw, Bahn oder Schiff billiger und umweltvertäglicher transportieren lassen, was sich besonders bei exotischen Früchten auszahlt.

- Schädlinge, Pilze oder Bakterien, die sich in der Ladung befinden, sterben ab oder werden in ihrer Entwicklung stark gebremst.

- Verringerung der Transportverluste.

- Einsparung von Plastikverpackungen (beispielsweise Folien für Bananen).

Nicht alle diese Vorteile lassen sich gleichzeitig nutzen. So kann man unter Einsatz von CA zum Beispiel entweder Früchte später und damit reifer ernten (bei gleicher Transportdauer wie bisher) oder weniger reife Früchte längere Zeit transportieren. Die großen Bananengesellschaften können hierdurch etwa die Bananen, die für Europa bestimmt sind, zum gleichen Reifegrad ernten wie die Bananen für den nordamerikanischen Raum. Da die Banane in den letzten Tagen am Baum noch kräftig Gewicht zulegt, steigen infolgedessen die Hektar- Erträge der Plantagen.

Allerdings ist die Sache mit der "Kontrollierte Atmosphäre" nicht völlig ungefährlich. Gerade an Bord von Schiffen müssen Vorkehrungen getroffen werden, daß sich keine Menschen in die CA-Räume verirren, wenn die "Kontrollierte Atmosphäre" aktiviert werden soll. Diese ist zwar ungiftig, Menschen können darin aber wegen des geringen Sauerstoffgehaltes dennoch nicht überleben. Blinde Passagiere könnten darin also ähnlich wie die Früchte (wenn auch nachhaltiger) eingeschläfert werden. Auf allen Schiffen mit CA-Technik sollen daher zahlreiche Warnhinweise an Deck vor den potentiell kostenlosen, aber ebenso tödlichen Unterkünften warnen.

13. Juli 2007