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RATGEBER/280: Fructose ist auch ein Zucker (SB)


Schluß mit dem Gerücht, daß Fruchtzucker kein Zucker ist

Irrungen und Wirrungen um ein Nahrungsergänzungsmittel


Einer amerikanischen Studie zufolge trinken vor allem Kinder und Jugendliche sehr viel mehr Fruchtsäfte als noch vor zwanzig Jahren. Hinter dieser Tendenz steckt der Wunsch nach einer möglicherweise mißverstandenen besseren, gesundheitsbewußteren und naturbelasseneren Ernährungsweise. Cola und andere zuckerhaltige Erfrischungsgetränke und Limonaden sollten mehr und mehr vitaminhaltigen Fruchtgetränken weichen, die allgemein für weniger kalorienhaltig und gesünder gehalten werden.

Teilweise stimmt das sogar, wenn es sich um echte Preßsäfte handelt, die zu 100 Prozent aus Früchten gewonnen werden. Diese haben Analysen zufolge durchweg einen größeren Gehalt an Vitamin C und Folsäure, so daß man davon sprechen kann, daß sie einen Teil der normalerweise durch frisches Obst und Gemüse aufgenommenen Nährstoffe ersetzen können. Aber sie enthalten naturgemäß auch sehr viel weniger davon, da viele Nährstoffe durch Verarbeitungsprozeß und Lagerung verloren gehen.

Da diese Getränke wie fast alle "gesunden" Lebensmittel jedoch teuer sind, wird von Getränkeherstellern und Werbung häufig der Eindruck erweckt, entsprechend preiswerterer Ersatz würde von ähnlich verpackten, gesüßten Saftgetränken geboten, die oft vom gleichen Hersteller, quasi als zweite Wahl, in den Handel gebracht werden. Mißverständliche Inhaltsangaben wie ein Fruchtzucker-(Fructose-)Gehalt von 7 bis 15 Prozent tun ein weiteres dazu, daß der Verbraucher häufig glaubt, er würde damit ein gesundes, aus Früchten gewonnenes Lebensmittel konsumieren. Doch Fruchtzucker bzw. Fructose gehört ebenfalls zu den "kalorienhaltigen" Kohlenhydraten und ist genau wie Glucose ein schlichter Einfachzucker mit einem Grundgerüst aus 6 Kohlenstoffatomen (Kohlen) und Wasser (Hydrat), nur ein wenig anders zusammengebaut, als das bei Glucose (Traubenzucker) der Fall ist.

Zudem wird ein großer Teil der angegebenen Fructose bei den fraglichen Lebensmitteln als fructosehaltiger Mais-Sirup zugesetzt und das heißt, daß die Fructose nicht einmal aus Früchten, sondern aus der Maisstärke gewonnen wird, die chemisch in Glucose und dann weiter in Fructose umgewandelt wird. So oder so enthalten Fructose bzw. fructosehaltiger Mais-Sirup letztlich genau soviel Kalorien wie die gleiche Menge Glucose oder Kristallzucker (Saccharose).

Verwirrend scheint allerdings die Veröffentlichung von Untersuchungen, nach denen besonders dieser in Getränken enthaltene Fruchtzucker mit der Gewichtszunahme bei jungen Menschen in Verbindung gebracht wurde.

Einer Studie von Dr. Y. Claire Wang von der Columbia Mailman School of Public Health in New York City zufolge, die die Daten des National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) von 1999-2004 auswertete, in denen Versuchspersonen zu Protokoll geben, was sie in den vorausgehenden 24 Stunden zu sich genommen haben, habe zum einen - so hieß es im vergangenen Jahr - die Kalorien- und Zuckerzunahme durch Getränke immer weiter zugenommen:

Among teens, Wang and her team found, the 84 percent who drank sugar sweetened beverages consumed 30 ounces daily or 360 calories, representing 16 percent of their calorie intake. A 15-year-old boy would have to spend an hour jogging or more than three hours walking in order to burn off this amount of extra calories, the researchers say. [Wang und ihr Team fanden heraus, daß 84% der Teenager, die gesüßte Getränke zu sich nahmen, sich damit etwa 850 Gramm Zucker bzw. 360 Kalorien täglich zuführten, entsprechend 16 Prozent ihrer täglichen Kalorienaufnahme. Ein 15jähriger Junge müßte etwa eine Stunde joggen oder mehr als drei Stunden gehen, um diese Extrakalorien zu verbrennen, sagen die Forscher. Übersetz. SB-Red.]
(Pediatrics, June 2008; Archives of Pediatrics and Adolescent Medicine, June 2008.)

Darüber hinaus wollten schon im Juli 2005 Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in ihrer Studie (Jürgens et al., Obesity Research, 13:1146-1156, 2005) herausgefunden haben, daß die Aufnahme von Fructose die Körperfett- und Gewichtszunahme bei Mäusen deutlich steigert. Dadurch glaubte man schon neue Daten in der Hand zu haben, mit der sich ein Zusammenhang zwischen dem weltweit angestiegenen Fructosekonsum und der stetig steigenden Zahl übergewichtiger Menschen herstellen ließe. Die Ergebnisse waren allerdings auch recht überzeugend:

In der vorliegenden Studie boten die Forscher Mäusen entweder eine 15%ige Fructoselösung, ein Saccharose- (Rohrzucker-)haltiges Erfrischungsgetränk (10% Saccharose), ein Süßstoff-haltiges Diät-Getränk ohne Kalorien, oder Wasser an.

Die Mäuse, die die Fructoselösung tranken, nahmen im Vergleich zu den anderen Mäusen stärker an Gewicht und Körperfett zu und zeigten zudem einen Anstieg der Leberfette. Das Saccharose-haltige Getränk hatte nach den vorliegenden Daten keinen Einfluss auf die Gewichtsentwicklung der Mäuse. Überraschenderweise aßen die Mäuse, die mit der angebotenen Flüssigkeit zusätzliche Kalorien aufnahmen, weniger feste Nahrung als die Tiere, die nur Wasser oder das Diät- Getränk erhielten, so dass die Gesamtenergieaufnahme bei allen Gruppen annähernd gleich war.

Da die Gewichts- und Fettzunahme der Tiere, die die Fructoselösung tranken, nicht auf eine gesteigerte Kalorienaufnahme zurückzuführen ist, ist anzunehmen, dass Fructose die Stoffwechseltätigkeit beeinflusst und auf diese Weise die Anreicherung von Körperfett begünstigt", so die Erstautorin der Studie, Hella Jürgens.
(Informationsdienst Wissenschaft, 29. Juli 2005)

Obwohl allein in den USA der Verzehr von fructosehaltigem Mais-Sirup, in einem Zeitraum von 20 Jahren um mehr als 1000% angestiegen ist und parallel dazu die Anzahl übergewichtiger Menschen dramatisch zugenommen hatte, wie vor kurzem eine amerikanische Studie berichtete, konnten die Ergebnisse des Mäuseversuchs angeblich nicht weiter verifiziert werden und werden heute nicht mehr zur Grundlage genommen, um einen physiologischen Unterschied in der Verstoffwechslung von Fructose oder Glucose zu erklären. Glucose und Fructose sollen nun wieder exakt den gleichen Brennwert besitzen und damit gleichermaßen und gleichmäßig je nach Konsum zur Gewichtssteigerung beitragen oder auch nicht.

Darüber hinaus konnte aber nicht die Behauptung revidiert werden, daß fructosehaltiger Mais-Sirup den Triglyceride-Spiegel im Blut erhöht. Dies wurde laut Associated Press schon 2004 in dem Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism unabhängig zu den oben erwähnten Untersuchungen in einer Studie nachgewiesen:

Some studies indicate high fructose corn syrup increases triglyceride levels. A study, published in the Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism in 2004, indicated consuming fructose "produced a rapid and prolonged elevation of plasma triglycerides compared with the HGl (glucose) day."
(Associated Press, Juliana Goodwin via News-Leader, 16. Februar 2009)

Vermutlich sehen die verwirrenden Darstellungen über die Rolle der Fructose in unserer Ernährung nur für denjenigen so unübersichtlich aus, der versucht, diese Forschung zu verfolgen und zu verstehen. Denn mit der Potsdamer Studie wurde offenbar eine Art Fauxpas begangen, den man gerade noch korrigieren konnte, indem das Thema nicht weiter wissenschaftlich verfolgt und totgeschwiegen wurde. Denn somit bleibt die Fructose oder auch der fructosehaltige Mais-Sirup als nährstoffloser, strukturgebender Kalorienersatzstoff im allgemeinen wie im besonderen für die Getränkeindustrie erhalten. Und preiswerter Ersatz wird angesichts des weltweiten landwirtschaftlichen Produktionsrückganges zunehmend wichtig für die Lebensmittelproduktion.

18. Februar 2009