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RATGEBER/308: Schluß mit dem Gerücht - Tee helfe bei Mundgeruch (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT

Tee helfe bei Mundgeruch ...


Für üble Gerüche, die den Menschen stören könnten, gibt es heutzutage, wie für andere Umweltfaktoren, Grenzwerte und offizielle Standards. Ganz oben auf dieser Liste, als einer der für die menschliche Nase am wenigsten zuträgliche Gestank, der sich schon in geringen Spuren in die Welt setzt und Übelkeit verursacht, steht Methylmercaptan. Nicht umsonst ist es gerade dieser Stoff bzw. in etwas modifizierter Form das sogenannte Propyl- oder auch Butylmercaptan, den man gewöhnlich dem Erdgas beimischt, so daß man aufgrund des untrüglichen Stallgeruchs dieser Molekülfamilie Leckagen in Gasleitungen unverzüglich auf die Spur kommt.

Methylmercaptan ist das kleinste Mitglied dieser Familie, deren Verbindungen aus Ketten von 1 bis 20 Kohlenstoffatomen bestehen, die an ein Schwefelatom gebunden sind - ein großes Mercaptan mit 18 Kohlenstoffatomen kennt man beispielsweise von wachsartigen Silberpolituren, der kleinste Vertreter hat keinerlei Nutzen, mieft aber am stärksten:

H3C-S-H Methylmercaptan

Der Stoff selbst ist für den Menschen ausnahmsweise einmal überhaupt nicht giftig. Allerdings spricht er durchaus unsere primitiven Instinkte an, daß hier Gärungs- und Verfallprozesse im Gange sind. Nahrung, die so riecht, würde niemand mehr verzehren. Und das ist auch gut so.

Methylmercaptan, eine Duftkomponente des Kloakengeruchs, wird nämlich in erster Linie von Bakterien hergestellt, die an eiweißzersetzenden Prozessen beteiligt sind.

Sobald ein Mensch Nahrungsmittel konsumiert, die reich an Schwefel sind, beispielsweise rohe Zwiebeln oder Knoblauch (enthält Allicin, das zu Dipropenyl-disulfid umgewandelt wird), stellt ihn das vor soziale Probleme. Des größten Teils neu aufgenommenen Schwefels entledigt er sich nämlich in Form von Methylmercaptan, das sich vor allem in seiner Mundhöhle festsetzt und mit dem Atem ausgeblasen wird. Diese Verbindung ist fast immer die Hauptursache für Mundgeruch. Sie wird im Körper bei der Verdauung von Allicin oder Dipropenyl-disulfid gebildet. Aber auch Bakterien, die unsere körpereigenen Proteine abbauen (und z.B. bei faulenden Zähnen oder Zahnfleisch besonders aktiv sind), fördern die Entstehung von Methylmercaptan im Mund, das vermutlich jeder in geringen Mengen permanent ausatmet.

Methylmercaptan wird aus den Aminosäuren Cystein und Methionin freigesetzt. Ein sehr intensiver Methylmercaptangeruch weist deshalb meist auf eine Zahnfleischerkrankung hin. Methionin ist für alle Lebensformen notwendig und jedes tierische Protein enthält mindestens 4 Prozent dieser Aminosäure. Das reicht den an der Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates) beteiligten Mikroorganismen und Bakterien, um aus den Proteinen im Entzündungsherd ihrer Opfer einen widerlichen Mundgeruch (der medizinische Ausdruck lautet Halitosis) zu generieren.

Gleichzeitig produzieren die Mikroorganismen Enzyme und Giftstoffe, die den weiteren Zerfall fördern und die bindegewebsartige Wurzelhaut angreifen, die Kollagenfasern, die den Zahn im Kieferknochen verankern. Leider hat dieses Vorgehen auch auf den gesamten Organismus ein Nachspiel, das schlimmer ist als die sich daraus ergebenden sozialen Konflikte: Die relativ große Wundfläche der Infektionsherde fördert u.a. Herz- und Kreislauferkrankungen oder stört das Wachstum des Kindes während einer Schwangerschaft. Mundgeruch ist somit ein Symptom für ernstzunehmende körperliche Probleme.

Wir bemerken ihn auch sofort, wenn uns jemand anspricht, denn der Mensch ist in der Lage, den Geruch schon in Konzentrationen von einem Milliardstel Anteil zu registrieren. Erstaunlicherweise kann aber der Produzent der Geruchsbelästigung das Gas in seinem eigenen Atem nicht wahrnehmen.

Möglicherweise rührt daher auch der Irrglaube, man könne mit Petersilie, Kopfsalat oder anderen stark chlorophyllhaltigen Kräutern, die gleichzeitig mit Knoblauch verzehrt wurden, den Geruch neutralisieren. Das mag dem Betroffenen zwar durchaus so vorkommen, vielleicht tut es auch irgend etwas, aber wirklich überzeugende Beweise dafür gibt es nicht. Und das gilt auch für das unlängst verbreitete Gerücht, Teetrinker seien vor Mundgeruch gefeit. So hieß es in der Wochenzeitung "Zeit" vom 23. Mai 2003:

Die Inhaltsstoffe von schwarzem Tee können Mundgeruch vorbeugen, behaupten amerikanische Zahnmediziner. Christine Wu und Min Zhu von der University of Illinois in Chicago haben verschiedene Bakterienstämme aus Gaumen und Rachen mit sogenannten Polyphenolen besprüht, die unter anderem in schwarzem Tee vorkommen. Dabei erwies sich der Teestoff als Geruchsstopper, berichteten die Forscher in dieser Woche auf der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft für Mikrobiologie: Je nach Konzentration produzierten die Bakterien bis zu 30 Prozent weniger Schwefelwasserstoffe - die dem Mundgeruch die persönliche Note verleihen - oder hörten gar ganz auf, sich zu vermehren. Eine Duftstudie mit Menschen steht allerdings noch aus.
(Zeit, 23. Mai 2003)

Letztere, leicht zu überlesene Randbemerkung wird nicht verhindern, daß sich der Teekonsum unter den Lesern dieser Nachricht vermutlich steigern wird.

Dabei werden die Laborbedingungen nicht einmal verschleiert. Ob nämlich Bakterienstämme, die aus der Mundhöhle isoliert wurden, und auf einem speziellen, glatten Nährboden im Labor wachsen durften und denen schließlich - in Polyphenol getränkt - der Appetit verdorben wurde, in der heimatlichen Mundhöhle, mit ihren zahllosen Nischen, Lücken und Kavernen, auf das Desinfektionsmittel ebenso reagieren, ist durchaus fraglich.

Und auch ein zweiter Hinweis führt die Überschrift "Tee gegen Mundgeruch" ad adsurdum:

Polyphenol ist zwar ein gutes Desinfektionsmittel, doch nur wenn es in unverdünnter Form angewendet wird. Darüber hinaus kommen Polyphenole sogar in stärkerer Konzentration in dem oben erwähnten Kopfsalat oder in Petersilie vor, und die wurden wie gesagt schon als unwirksam überführt.

Es gibt nur eins, was man tun kann, um der Quelle allen Übels die Schärfe zu nehmen: Entfernen von Biofilm und Zahnstein (was nur der Zahnarzt vornehmen kann) und sorgfältige Mundhygiene. Tee ist hier nur ein schlechter Ersatz und kann bestenfalls die Konzentration von Bakterien und Stoffwechselprodukten reduzieren, mehr nicht.

Erstveröffentlichung 2003
neue, aktualisierte Fassung

3. November 2009