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RATGEBER/336: Schluß mit dem Gerücht, daß Flocken im Kaffee auf saure Milch zurückgehen (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT,

daß weiße Milchflocken im Kaffee auf ein abgelaufenes Haltbarkeitsdatum schließen lassen


Mögen sich Freunde des Museltranks in den letzten Jahren auch zunehmend in den Haaren liegen, welche der inzwischen etwa zehn verschiedenen modernen Kaffeezubereitungen oder auch der konventionellen drei (Kaffee schwarz, mit Milch oder mit Milch und Zucker) die wohlschmeckendste und beste sei, so sind sie sich doch schnell in einem einig: Milchbobbel, d.h. geronnene Milchfetzen oder gar Klümpchen (!) in dem heißen Koffeingebräu "gehen gar nicht". Sofort denkt der Kaffeekonsument an saure, alte Milch und läßt meist beides, verdorbenen Kaffee und Milch, im Abguß verschwinden...

Das ist nicht unbedingt nötig, denn mit einem Blick auf das Verfallsdatum (wenn es sich nicht um unbehandelte Rohmilch handelt) erweist sich der vermeintliche Übeltäter oft noch als frisch. Die gleiche Milch vorurteilsfrei und separat probiert, schmeckt in der Regel frisch und lecker.

Was ist geschehen?

Wenn Milch flockt, denaturiert genaugenommen nur das sogenannte Casein. Dieses Milcheiweiß ist der wichtigste Proteinbestandteil der undurchsichtigen Lösung oder kolloidalen Dispersion aus Proteinen, Milchfett, Milchzucker und Wasser neben Spurenelementen und Vitaminen, die wir als Milch bezeichnen. Als die entscheidende Aminosäurequelle für Säugetiere nach der Geburt stellt es gleichzeitig die Versorgung mit Calciumphosphat (Ca 3(PO4)2) sicher. Ähnlich wie beim Eiweiß des Hühnereis, kann sich Casein aber auch komplett verändern und fest werden.

Der Hauptanteil der Caseine kommt in Form kolloidaler Partikel vor, die sich mizellenartig aneinanderlagern und in deren Zwischenräumen große Mengen an Calciumphosphat festgelegt wird, das die Caseinmoleküle wie Spachtelmasse zusammenhält. Neben Casein und Calciumphosphat enthalten die Caseinmizellen auch Citrat (Salz der Zitronensäure), einige Ionen, Lipasen und sogenannte Plasminenzyme. Durch die spezielle Anordnung sind die Caseinmizellen an der Oberfläche hydrophil und negativ geladen, so daß sich die in Wasser gelösten Caseinkügelchen gegenseitig abstoßen.

Wenn nun Milch aus Altersgründen "sauer" und fest wird, kommt es dabei zu einer Gelbildung des Caseins, ein Vorgang der wissenschaftlich noch nicht vollständig erklärt ist. Dabei aggregieren die Mizellen zu langen Ketten und schließlich zu dreidimensionalen Strukturen, Dickmilch. Ursächlich sind meist Bakterien daran beteiligt, die Milchzucker in Säure umwandeln, so daß zu der Gelbildung auch eine sogenannte Säure-Koagulation dazukommt (s.u.).

Wenn frische Milch im Kaffee flockt, gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen denaturiert Casein bei Temperaturen über 75° Celsius. Auch dann aggregieren Mizellen irreversibel. Daneben werden durch die strukturellen Veränderungen organische Säuren freigesetzt, Calciumphosphat fällt aus. All das kann Flocken und Klumpen hervorrufen. Auch wenn man Milch separat erhitzt oder aufschäumt, lassen sich Veränderungen in Farbe, Geschmack und Struktur der Milch beobachten, die auf diese Vorgänge zurückgehen.

Der schließlich letzte und hauptsächliche Ausflockungsgrund für Milch in Kaffee ist - und das mag den Kaffeefreund vielleicht wundern - eine saure Umgebung. Bei einem pH-Wert von 4,6 sind Caseine nicht mehr löslich und fallen aus. Aber auch schon eine leichte Ansäuerung erhöht die Löslichkeit des in den Mizellen sitzenden organischem Calciums und Phosphats, d.h. die Spachtelmasse wird aufgelöst. Die Caseinstruktur verändert sich, was sich als klumpige Flockenbildung bemerkbar macht.

Saurer Kaffee?

Das ist kein Widerspruch. Auch Kaffee enthält Säure - das ist unter anderem der Grund, warum manche Menschen Milch in den Kaffee geben, da diese die Säure ein bißchen neutralisiert.

Kaffeesäure oder 3,4 Dihydroxyzimtsäure, so die chemische Bezeichnung, ist ein natürlicher Bestandteil der Kaffeebohne. Ihr Gehalt richtet sich nach Kaffeesorte und Anbaugebiet. So kann Robusta-Kaffee aus der Tiefebene weniger Säure enthalten als der hierzulande bevorzugte Hochlandkaffee Arabica. Etwa 25-75 mg Kaffeesäure sind in einer Tasse Kaffee also durchaus normal. Dazu kommt, daß die Säuremenge sich auch durch eine stärkere Röstung erhöht.

Und Kaffee "reagiert" um so saurer, je länger er warmgehalten wird. Alter Kaffee aus der Thermoskanne und nicht mehr ganz frische, aber durchaus noch trinkbare Milch können also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu dem besagten unappetitlichen Ergebnis führen und manchen Zwiespältigen vielleicht zu der Einsicht bringen, die Milch doch lieber außen vor zu lassen bzw. Kaffee eben schwarz zu genießen.

Wohl bekomm's

10. März 2015


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