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RATGEBER/344: Tropfen - fließende Geschicklichkeit ... (SB)



Über die Tücken hinterhältiger Tropffläschchen und wie man sie dennoch überlistet.

Wer, der nicht schon einmal mit Husten- oder Erkältungstropfen zu tun hatte, kennt das nicht: Sobald man die knifflige Kindersicherung des als harmloses Schraubfläschchen getarnten Medikaments ausgetrickst hat, stellt sich die Frage, wie gelingt es, die darin enthaltene Arzneilösung in vorgeschriebener Dosierung aus dem Fläschchen herauszulocken?

In der Theorie scheint es ganz einfach zu sein. Laut Anleitung im Beipackzettel kippt man erstens das braune Glasfläschchen in der Weise, daß der Tropfeinsatz nach unten zeigt, wartet zweitens auf die fallenden Tropfen, die sich aus diesem dann lösen sollen und zählt die in der Beschreibung empfohlene Tropfenmenge bzw. Dosierung ab. Allerdings bleibt so manch bedürftiger Patient genau bei Punkt zwei stecken und muß sich bis an die eigene Zereißgrenze in Geduld fassen, bis sich ein Tropfen überhaupt anschickt, die feuchtflüssige Nase aus dem genormten Loch zu stecken, um auf den bereitgehaltenen Löffel zu fallen. Die vielleicht dringend notwendige Medikation kann sich um Minuten (bzw. um gefühlte Stunden) verzögern und droht z.B. bei Erkältungstropfen schon durch den nächsten Niesanfall sabotiert zu werden, denn der so verhinderte Nutznießer muß noch einmal von vorn beginnen. Was also tun?

Es gibt vielerlei Tricks in den verschiedenen Medien nachzulesen, die Tropferei zu beschleunigen, denn das Problem ist nicht neu. So empfehlen manche Hersteller, auf den Flaschenboden zu klopfen. Auch könne man das Fläschchen wie einen Salzstreuer ordentlich schütteln. Allerdings wird das Zählen der Tropfen durch solche Aktionen verständlicherweise chaotisiert. Auch fragt man sich zu Recht, ob herausgeschüttelte oder -gesprühte Tröpfchen überhaupt noch die vorschriftsmäßige Größe haben. Denn um reproduzierbare, gleich große Tropfen zu entwickeln, muß man auf die vom Hersteller vorgeschriebene Weise tropfen. Unterschiedlich angewendet können sich rasch deutliche Dosisunterschiede mit entsprechend kritischen Konsequenzen für den Anwender ergeben.

Eigentlich sollen Tropfeinsätze darauf genormt sein, daß ein Tropfen genau 50 µl faßt. 50 µl (sprich: 50 Mikroliter) entspricht 0,05 ml (Milliliter). Dieser Normtropfen wird im medizinischen Fachjargon "gutta" genannt. 20 guttae entsprächen somit 1 ml des Normmedikaments, wenn sie tatsächlich immer die gleiche Masse hätten. Bei genauerer Messung variiert diese in der Praxis zwischen etwa 20 µl und 65 µl, so daß man aus 1 ml Medikament 15 bis 50 Tropfen bekommt. Eine exakt gleiche Anwendung kann somit nur zufällig annähernd reproduzierbare Ergebnisse liefern und läßt sich im schlimmsten Fall sogar mit dem "gefühlten" bzw. zufällig-genauen-viereinhalb-Minuten-Ei" von Loriot vergleichen. Doch ist sie mithin das genaueste, was sich mit Tropffläschchen und ihren Einsätzen erreichen läßt ...

Darüber hinaus spielt auch die Zusammensetzung des Medikaments bei der Tropfengröße eine Rolle. Alkoholische Zubereitungen ergeben kleinere Tropfen. Zähflüssige Tropfen oder Zubereitungen, die Tenside, Glycerin oder Geliermittel enthalten, ergeben größere Tropfen. Auch die Raumtemperatur kann Einfluß auf die Größe der Tropfenbildung nehmen. Und schließlich ist die Form und das Material des Tropfeinsatzes relevant für die Größe der Tropfen und dafür, wie schnell sie herauskommen.

Allerdings wird auf diese Problematik und auch, warum einige Fläschchen auf den Kopf gestellt angewendet werden müssen und andere nicht, nicht immer deutlich genug im Beipackzettel hingewiesen. Was muß man also wissen, um tückische Tropffläschchen zu überlisten und Tropfgeschwindigkeit wie Dosis zu gewährleisten?

Zunächst gibt es zwei verschiedene Formen von Tropfeinsätzen, den Zentral- oder Senkrechttropfer und schließlich die selteneren Randtropfer. Letztere erkennt man daran, das sie eigentlich kein richtiges Tropfröhrchen in der Mitte haben, sondern nur ein Loch und eine kleine Furche am Rand. Damit sie richtig tropfen, müssen sie im Winkel von 45 Grad schräg gehalten werden.

Die weiter verbreiteten Zentral- oder Senkrechttropfer mit einem "zentralen" Austrittsröhrchen muß man - wie es der Name sagt - senkrecht halten, damit sie richtig funktionieren. Werden sie jedoch schräg genutzt, erhält man zu kleine Tropfen. Je nachdem, wie schräg das Fläschchen gehalten wird, kann die Tropfenmasse um bis zu 25 Prozent kleiner sein als gewünscht - und damit verringert sich entsprechend der Wirkstoffgehalt (s.o.).

Etwas mehr zum Flaschenrand hin kann man außerdem ein Belüftungsröhrchen erkennen, denn damit es überhaupt tropft, muß während ein Tropfen herauskommt als Druckausgleich Luft ins Fläschchen gelangen können. Sonst entsteht ein Unterdruck, der die Tropfen quasi ins Fläschchen zurückzieht. Wenn das Fläschchen bei der Herstellung zu voll gefüllt wurde oder wenn es an einem warmen Ort gelagert wurde und sich die Flüssigkeit stark ausgedehnt hat, kann dies ebenfalls den Tropfenfluß verhindern, weil keine weitere Luft mehr in das ausgefüllte Fläschchen paßt. Hier läßt sich Abhilfe schaffen, in dem man ein wenig von dem Inhalt verwirft und so wieder Luftraum im Fläschchen schafft.

Sollten die Tropfen anschließend immer noch nicht kommen wollen, kann das daran liegen, daß etwas Flüssigkeit ins Belüftungsröhrchen gelangt ist - zum Beispiel, wenn das Fläschchen zuvor stark geschüttelt wurde (s.o.) oder wenn es liegend gelagert wurde. Darüber hinaus können einige schwerer lösliche Wirk- oder Begleitstoffe an solchen Schnittpunkten leichter auskristallisieren. Beides verhindert dann das Einströmen der Luft und mit jedem herausgezwungenen Tropfen wird der Unterdruck erneut aufgebaut, mit dem gleichen Effekt wie zuvor. Den Tropfeinsatz nach Benutzung möglichst trocken und sauber zu halten, ist daher für eine reibungslose Nutzung unabdingbar.

Natürlich kann es helfen, dem senkrecht gehaltenen Fläschchen sensibel auf den Boden zu tippen. Das physikalische Ziel der Aktion besteht darin, daß das Tropfröhrchen des Tropfeinsatzes komplett benetzt sein soll, um hernach problemlos zu tropfen. Zu stark oder zu lange klopfen sollte man allerdings nicht, denn auch das kann die Tropfenmasse bzw. Dosierung verändern. Alternativ können Sie das Fläschchen ein paar Mal mit dem Flaschenboden auf eine feste Unterlage oder Handfläche klopfen. Eine bessere Vernetzung läßt sich je nach Inhalt manchmal auch erreichen, wenn man das Fläschchen mit der Hand etwas aufwärmt. Doch ehrlich gesagt, läßt sich mit dem gesamten Expertenwissen nur selten die Herausgabe des Medikaments in zufriedenstellender Geschwindigkeit beschleunigen.

Eine Möglichkeit wird jedoch selten in diesem Zusammenhang erwähnt. Die Tropfeinsätze lassen sich durchaus aus dem Glasfläschchen entfernen. Und mit einer Pipette oder einem Tropfenzähler, die man in der Apotheke erwerben kann und die über eine präzise Milli- bzw. Mikroliterskala verfügen, läßt sich die Arznei dann sehr viel schneller und präziser entnehmen. Dazu muß man nur die Arzneimitteldosierung entsprechend umrechnen, was zudem in vielen Beipackzetteln aber schon aufgeführt ist. Ansonsten kann man davon ausgehen, daß alle für die Abgabe in Tropfenform vorgesehenen Tropfen auf 50µl Arzneilösung pro Tropfen geeicht wurden. Man kann also die vorgeschriebene Tropfenzahl mit 50 malnehmen und erhält die notwendige Mikroliterzahl.

Wer möchte, kann auch die meist schneller tropfenden Hilfsmittel nur zum Tropfenzählen verwenden. D.h. alles bleibt wie vorher, nur muß man die vielleicht größere Tropfenausgabe des Zählers berücksichtigen und die Anzahl der Tropfen korrigieren. Genauer gesagt man muß einmal nachgezählt haben, wieviel Tropfen aus einem Milliliter Lösung aus diesem Instrument hervorgehen.

Im schlimmsten Fall tropft die neue Anwendung so schnell, daß man mit dem Abzählen nicht mehr nachkommt. In solch einem Fall sollte man sich an das Beispiel von Pflegekräften halten, die Tropfen meistens in einen leeren Plastikbecher fallen lassen und dann die beim Aufprall entstehenden Tropfgeräusche mitzählen.

11. November 2019


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