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UMWELTLABOR/138: Neuer Schnelltest - Verhütung aus dem Wasserhahn (SB)


Neuer Schnelltest - Verhütung aus dem Wasserhahn


Toilettenspülung und Trinkwasserleitungen stehen sich offenbar näher als man gemeinhin glauben möchte. Zu dieser Schlußfolgerung kamen wir im Schattenblick schon vor zwei Jahren [siehe auch UMWELTLABOR/83: Pille und Hustensaft gleich aus der Wasserleitung?] der ein Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 23. Juli 2002 zugrunde lag, in dem von einer Zunahme von Arzneimitteln im Oberflächenwasser und Trinkwasser die Rede war, die aus dem Abwasser unserer Haushalte stammen:

Nein, als Verhütungsmittel eigne sich das Trinkwasser denn doch bei weitem nicht. Doch Jan Koschorreck, der sich am Umweltbundesamt (UBA) in Berlin um die Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln kümmert, schätzt, dass jeder Liter Oberflächenwasser in Deutschland rein rechnerisch zum Beispiel zwei Nanogramm (Milliardstel Gramm) des Wirkstoffes Ethinylestradiol (EE2) enthalte. Rund 50 Kilogramm EE2 schlucken deutsche Frauen in Pillenform insgesamt jedes Jahr, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verhüten. Der größte Teil davon wird unverändert über den Urin wieder ausgeschieden. Auch die Passage durch Toilette, Kanalisation und Klärwerk können dem Stoff wenig anhaben.
(SZ, 23. Juli 2002)

An diesen Verhältnissen hat sich in den letzten Jahren nichts geändert, allerdings wurden die Analysemethoden, um den unerwünschten Substanzen auf die Spur zu kommen, wesentlich vereinfacht. Während also Hormone wie MPA (Medroxyprogesteronacetat), immer wieder auf unterschiedlichen Wegen in Lebensmitteln auftauchen, lassen sich ausgeschiedene Hormone wie gerade EE2 heute schon im Nanogrammbereich im Trinkwasser nachweisen. In Kläranlagen werden bisweilen mehr als zehn Nanogramm Ethinylestradiol gefunden.

Die kniffligen Methoden, mit denen sich die hochwirksamen Stoffe und Stoffwechselprodukte schon in kleinsten Mengen in der Umwelt nachweisen lassen, mußten die Forscher des Umweltbundesamtes erst einmal entwickeln. Inzwischen sind die Analysemethoden für diese Substanzgruppe so empfindlich, einfach, und kostengünstig, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis jeder Haushalt seinen "täglichen Hormonbedarf" aus dem hauseigenen Wasserhahn bestimmen und beziehen kann. Anläßlich der gerade in München stattfindenden Weltfachmesse für Analytik hieß es in der Online-Ausgabe des Pressetext.de vom 7. Mai 2004:

Bonn/München (pte) - Einen deutlich billigeren Nachweistest von Hormonspuren im Abwasser haben Wissenschaftler der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn entwickelt. Der Antikörper- Test, der gemeinsam mit dem Dresdner Biotech-Unternehmen quo data entwickelt wurde, ist 20 Mal kostengünstiger als bisher eingesetzte Nachweis-Methoden. Das Messgerät ist außerdem extrem einfach und sicher in der Handhabung.

Die Neuerfindung wird auf der Analytica http://www.analytica- world.com, der Weltfachmesse für Analytik, die vom 11. bis zum 14. Mai in München stattfindet, präsentiert.
(pte, 7. Mai 2004)

Die Analysenmethoden, die auf dieser Fachmesse vorgestellt werden, sind so empfindlich, daß beispielsweise ein einziges Dioxinmolekül (der derzeit wohl giftigste Umweltschadstoff) in einer Billion Wassermolekülen nachgewiesen werden könnte. Bemüht man hierfür den Vergleich mit der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen, so müßte der Heuhaufen schon die Ausmaße eines Berges haben, damit die Verhältnisse stimmen.

Angesichts solcher Größenverhältnisse fragt man sich zwangsläufig nach dem Aussagewert solcher Untersuchungen. Ein anderer häufig aufgeführter Vergleich mit dem gleichzeitig die Belanglosigkeit dieser Analysen deutlich gemacht werden sollen, ist der berühmte Zuckerwürfel im Bodensee, der sich im Geschmack des Wassers nicht im Geringsten widerspiegelt.

Was allerdings die beiden Hormone EE2 und auch das natürliche Östrogen 17ß-Östradiol (E2) betrifft, für die Rudolf J. Schneider vom Bonner Institut für Pflanzenernährung zusammen mit seiner Mitarbeiterin Therese Hintemann und dem Unternehmen quo data ein Gerät entwickelt hat, das beide Wirkstoffe auch noch in winzigen Spuren nachweisen kann, so muß man wissen, daß diese Substanzen auch noch in unvorstellbar kleinen Konzentrationen von weniger als einem Milliardstel Gramm pro Liter wirksam werden.

In Versuchen an Regenbogenforellen zeigten bereits Konzentrationen von 0,5 Nanogramm EE2 im Liter Wasser erste Auswirkungen auf die Nachkommenzahl.
(SZ, 23. Juli 2002)

So werden Sexualhormone im Wasserkreislauf unter anderem als "Spermienkiller" verdächtigt. Bei Fischen ist inzwischen gut dokumentiert, daß Rückstände der Anti-Baby-Pille im Wasser großen Schaden anrichten: Männliche Forellen werden weniger fruchtbar, junge Brassen bilden in ihrem Hoden plötzlich Eizellen, bei Karpfen verschiebt sich das Geschlechterverhältnis zu Gunsten weiblicher Tiere.

Die Wissenschaftler vermuten, daß die sinkenden Spermienzahlen bei Männern in westlichen Industrieländern möglicherweise auch schon auf die Wirkung künstlicher Östrogene zurückzuführen ist. Daß würde allerdings die Frage, auf welchem Wege sie dorthin gelangen erneut auf den Plan rufen. Hierzu meinte Schneider laut Pressetext.de: "Die Crux vieler Medikamente sei, daß sie im Körper nur langsam abgebaut werden, was auch für die Wirkstoffe in der Anti-Baby-Pille gelte".

Ein großer Teil des darin enthaltenen künstlichen Östrogens Ethinylestradiol (EE2) wird von den Frauen mit dem Urin unverändert ausgeschieden, gelangt ins Abwasser und von dort in die Kläranlagen. "Im Kläranlagenablauf liegt die EE2-Konzentration zum Teil um den Faktor 50 über dem Schwellenwert, bei dem in Regenbogenforellen Effekte nachzuweisen sind", so der Forscher.
(pte, 7. Mai 2004)

Wie Medikamente und verstoffwechselte, sogenannte Metaboliten aus dem Abwasser dann über Bäche, Flüsse und Seen ihren Weg auch in die Brunnen nehmen, deren Wasser später als Trinkwasser den Menschen erreicht, hatten bereits die UBA-Wissenschaftler Ralf Schmidt und Robert Brockmeyer schon vor Jahren für Metamizol aufgezeigt, einem schwach wirkenden Analgetikum, das in Kopfschmerzmitteln vorkommt.

Seine Wirkung entfaltet Metamizol erst, wenn es im Körper zu zwei verschiedenen Metaboliten umgebaut wurde. Außerdem entstehen zwei weitere Zerfallsprodukte, deren Weg die Forscher über die Kläranlage bis in den Tegeler See in Berlin verfolgt hatten. Dort konnten sie Konzentrationen von bis zu 0,8 Millionstel Gramm pro Liter messen.

Das Seewasser sickert langsam in den Boden unter dem See und strömt mit dem Grundwasser zu einem 115 Meter vom Ufer entfernten Brunnen. Dort finden sich noch bis zu 0,1 Mikrogramm von einem der beiden untersuchten Abbauprodukte pro Liter.

Über diesen "natürlichen Kreislauf" müßten dann auch die bereits erwähnten Hormone in Brunnen und Trinkwasser gelangen. Allerdings fehlt hier aufgrund der bisher schwierigeren Analyseverhältnisse noch der Nachweis.

Das von Schneider und Hintemann entwickelte Gerät macht diese längst vermuteten Wege nun auch für Hormone nachvollziehbar. Es basiert auf dem bewährten Meßprinzip, dem so genannten ELISA- Test:

Dabei bindet die nachzuweisende Substanz hochspezifische Antikörper. Sie konkurriert dabei mit einer chemisch veränderten EE2-Variante, die nach Zugabe von einer Art Indikator eine Farbreaktion auslösen kann. Je mehr Hormone in der Probe sind, desto mehr Antikörper kann es blockieren. Entsprechend weniger Platz bleibt für die modifizierte EE2-Version, die Farbreaktion fällt dann gering aus. Ein optischer Sensor mißt die Färbung, aus der das Gerät dann die EE2-Konzentration in der Probe errechnen kann.
(pte, 7. Mai 2004)

Abgesehen von diesen erschreckenden Zusammenhängen von schon bekannten Stoffen muß man tatsächlich mit einem ziemlich bunten Cocktail an verschiedensten Substanzen, darunter sowohl Medikamente gegen Entzündungen, Epilepsie sowie Lipidsenker oder Nitroverbindungen, die einem Herzinfarkt vorbeugen sollen, aber auch Umweltschadstoffe wie Dioxine, andere Chlorphenole, Salze, Phtalate, Weichmacher, Tenside aus Waschmitteln u.a.m. im Trinkwasser rechnen. Wie sich Arzneimittel und ihre Abbauprodukte in Wechselwirkung mit diesem chemischen Umfeld auf die Umwelt auswirken, sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken, umsetzen oder gegenseitig aufheben, kann im Grunde niemand vorhersagen.

So bleibt für die unausweichlich und unwiederbringlich scheinende Verschmutzung des Trinkwassers quasi nur der Trost, daß man zumindest immer besser analysieren und dokumentieren kann, was man sich mit dem Leitungswasser außerdem noch täglich einverleibt.

Erstveröffentlichung 2004

13. April 2007