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UMWELTLABOR/162: Mutationen aus der Abwasser-Pipeline (SB)


Mutationen aus der Abwasser-Pipeline

Chemikalienrückstände in den Fließgewässern verändert Fische

und andere Wassertiere


Der jüngste Bericht über unabsehbare Folgen der kontinuierlichen Chemikalieneinträge in Luft und Wasser erreichte uns aus den Staaten. Hier hatten Forscher, wie in verschiedenen Meldungen aus unterschiedlichen Quellen der Associated Press berichtet wurde, männliche Fische aus dem Pazifischen Ozean nahe der kalifornischen Küste gefischt, in denen sich Rogen (Fischeier) und weibliche Geschlechtsmerkmale gebildet hatten. Der Verdacht, daß die Abwässer, die hier eingeleitet werden, Chemikalien enthalten könnten, die solche Veränderungen bewirken, liegt nahe.

Die beiden Untersuchungen, die kurz darauf eingeleitet wurden, identifizierten mehrere Fischarten, die Englische Seezunge, den Kalifornischen Heilbutt und eine weitere Steinbuttart. Für die Theorie spricht, daß es sich hierbei um Fische handelt, die sich überwiegend am Meeresgrund aufhalten, d.h. dort, wo auch die Abwässer eingeleitet werden. Ein weiterer Bericht ging hier mehr ins Detail, wörtlich hieß es:

In the latest studies, presented at Monday's Society of Environmental Toxicology and Chemistry in Baltimore, scientists caught 82 male English sole [Englische Seezunge] and hornyhead turbot [eine Steinbuttart, Anm. d. Schattenblick-Red.] off Los Angeles and Orange counties.

Of those, 11 possessed ovary tissue in their testes [davon enthielten 11 ovariales Gewebe in ihren Eingeweiden, Anm. d. Schattenblick-Red.], said Doris Vidal of the Southern California Coastal Water Research Project, who led one of the studies.

Scientists do not yet know how such sexual defects affect the overall fish population. [Die Wissenschafter können noch nicht voraussagen, inwieweit sich solche sexuellen Abnormitäten generell auf den Fischbestand auswirken werden, Übersetzung Schattenblick-Red.].
(Associated Press, 14. November 2005)

Die Abwässer sollen zwar in entsprechenden Anlagen geklärt worden sein, bevor sie ins Meer eingeleitet werden, doch wie wir u.a. auch an dieser Stelle schon selbst häufiger berichtet haben [siehe hierzu auch: NEWS/492: Neue deutsche Klärwerkstudie - Arzneimittel im Trinkwasser, NEWS/498: Wasserknappheit schon jetzt durch Abwasser kompensiert, UMWELTLABOR/138: Neuer Schnelltest - Verhütung aus dem Wasserhahn, UMWELTLABOR/144: Persönlichkeitsmanipulation aus dem Wasserhahn oder UMWELTLABOR/160: Ein neuer Filter macht noch kein reines Wasser], ist das geklärte Wasser alles andere als chemisch rein. So finden sich die vermeintlich aus dem Wasser entfernten Chemikalien inzwischen sogar im Trinkwasser wieder.

Durch das Netz der Filter rutschen beispielsweise Medikamente wie Schmerzmittel, Hustenmittel und die ubiquitär von fast allen Frauen verwendeten hormonellen Verhütungsmittel (was sich z.B. in hohen Östrogen-Konzentrationen im Trinkwasser wiederspiegelt), die sowohl direkt als auch als entsprechend wirksame Metaboliten (Stoffwechselprodukte) ausgeschieden werden und so in das Abwasser und dann wieder in Flüsse und Seen gelangen.

Zweigeschlechtliche oder geschlechtsverwandelte Fische hatte man daher bisher auch nur in Flußläufen gefunden, in denen Abwässer bekanntlich eingeleitet werden, z.B. im Potomac River, Maryland.

Last year, federal scientists reported finding egg-growing male fish in Maryland's Potomac River. They think the abnormality may be caused by pollutants from sewage plants, feedlots and factories.

[Letztes Jahr hatten staatliche Wissenschaftler berichtet, sie hätten rogenbildende, männliche Fische im Potomac River in Maryland gefunden. Sie denken, die Abnormalität sei auf Umweltgifte zurückzuführen, die von Kläranlagen, Futtermittelherstellern oder Fabriken stammten. Übersetz. Schattenblick-Red.]
(Associated Press, 14. November 2005)

Es gibt aber auch östrogenähnlich wirkende Komponenten, die in verschiedenen in Industrieabgasen zu findenden Chemikalien vorkommen, die für solche Veränderungen verantwortlich gemacht werden können.

Ein Beispiel sind sogenannte PCBs (Polychlorierte Biphenyle) die - inzwischen schon längst verboten - als Flammschutzmittel aber immer noch in alten elektrischen Geräten wie Fernsehgeräten, Prozessoren, Computermonitoren, Plastikspielzeug enthalten sind:

Wie gefährlich die Chemikalien tatsächlich sind, könne bereits an Eisbären festgestellt werden, berichten hierzu die beiden Wissenschaftsmagazine Journal of Toxicology and Environmental Health und Environmental Health Perspectives. Die jüngste Untersuchung wurde von der Umweltorganisation WWF (über die Internetverbindung www.panda.org) durchgeführt. Wörtlich hieß es in dem Bericht:

"Demnach konnten die Experten bei Eisbären bereits Verhaltens- und Fortpflanzungsstörungen feststellen. Die Wissenschaftler hatten die Eisbären in Spitzbergen und im Norden Kanadas untersucht. Für die Verhaltensstörungen werden in erster Linie PCB (Polychlorierte Biphenyle) und verschiedene Pestizide verantwortlich gemacht. Augenscheinlich wurde, dass die Eisbären weniger körpereigene Abwehrstoffe gegen allfällige Infektionen aufwiesen. Zusätzlich konnten die Wissenschaftler veränderte Hormonspiegel feststellen."
(Schattenblick, NATURWISSENSCHAFTEN\CHEMIE, UMWELTLABOR/148: PCB rottet Eisbären aus 5. Oktober 2004)

Obwohl die PCB Emissionen aus elektrischen und elektronischen Geräten und Kunststoffen relativ gering im Vergleich zu anderen Ausstößen der chemischen Industrie sind, wurden, abgesehen von den oben beschriebenen Beispielen, auch die Funde von weiblichen Braunbären mit primären männlichen Sexualorganen, die 1997 in Norwegens Svalbard Archipel und der Gegend um den Barent See, 600 Meilen vom Nordpol entfernt, gemacht wurden, auf diese Gifte zurückgeführt, die man in den Körpern der Tiere nachweisen konnte. Winde und Meeresströmungen müssen das schwer abbaubare Gift in diese industriell kaum erschlossene Gegend (ebenfalls ohne erkennbare PCB-Quellen) hineingetragen haben.

Dan Schlenk, ein Umweltforscher der Universität von Kalifornien, Riverside, hat hierzu seine eigene Theorie.

Er habe die höchsten Konzentrationen von Rogenproteinen in solchen Fischmännchen gefunden, die in Gebieten vorkommen, in denen zwar nur geringere Östrogenkonzentrationen, aber besonders große Mengen an östrogenähnlich wirkenden Chemikalien im Sediment gefunden werden konnten. Daß hieße seiner Ansicht nach, daß der Grund für die neuerlichen Zwitterfische eine bislang unbekannte, bzw. noch unidentifizierte Chemikalie im Sediment sein könne.

Damit verlegt er die Schuld und auch die Hoffnung, alles sei vielleicht gar nicht so schlimm, auf den großen Unbekannten:

"We might have other players in this game," Schlenk said in an interview on Monday. "We would guess they are primarily coming from waste water."

He said the sewage contained natural and man-made chemicals that was deposited in ocean sediment.
(Associated Press, 14. November 2005)

Einer der möglichen "unbekannten" Missetäter könnte DDT sein, ein Pestizid, das in den Vereingten Staaten schon seit 1972 verboten ist, nachdem Fortpflanzungsschwierigkeiten bei Vögeln auf das Gift zurückgeführt werden konnten. DDT wird zwar weder in den USA noch in den Industriestaaten angewendet, Dritteweltländer haben jedoch eine Sondergenehmigung für die Malariabekämpfung. Außerdem verfügt das Gift über eine ausgesprochen lange Verweildauer in der Umwelt. Kurz gesagt ist immer noch sehr viel mehr DDT in Luft, Wasser, Boden und Sedimenten vorhanden, als man gemeinhin denken würde.

Nach Schlenk sei offensichtlich, daß die Einbringung des Abwassers von Los Angeles County eine der nachhaltigsten alten DDT-Quellen Nordamerikas sei und die Reaktionen, sprich: die Geschlechtsumwandlung, von Fischen bei einer solchen kontinuierlichen Kontamination alles andere als kurzfristig oder vorübergehend wären.

Wie die Associated Press berichtet, werden etwa eine Milliarde Gallonen, das sind 4,405 Milliarden Liter geklärtes Abwasser täglich in den pazifischen Ozean durch drei Unterwasser-Pipelines eingeleitet und zwar in der Nähe der Huntington Beach, der Playa del Rey sowie der Halbinsel Palos Verdes.

Erstveröffentlichung 17. November 2005

17. April 2007