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UMWELTLABOR/197: Recycling von Apfelresten geht nach hinten los (SB)


Die neuen Apfelpapiertüten

Im Obstrückstandsrecycling "Made in Südtirol" steckt der Wurm drin


Deutschland ist nach den USA Vizeweltmeister im Papierverbrauch. Im Jahr 2001 soll laut Statistik jeder Deutsche im Schnitt 220 kg gegenüber 32 kg in den Fünfzigerjahren verbraucht haben. Zum Vergleich: In Äthiopien liegt der Papierverbrauch pro Einwohner jährlich bei rund 0,5 kg. Das Ausgangsprodukt für die Papierherstellung ist Zellstoff, der zum größten Teil aus Holzschliff hergestellt wird, seit neuestem aber auch aus schnellwachsenden Zellulose-Produzenten wie Schilfrohr, Tannenzapfen, Brennesseln, Mais, Stroh und Kartoffeln u.v.m. gewonnen werden kann. Die Rohstoffe werden mechanisch zerfasert, chemisch aufgeschlossen, gebleicht, gewaschen und mit Füllstoffen, Leim und Farben versetzt. Für das auf diese Weise entstehende Frischfaserpapier wird neben Holz bekanntlich sehr viel Wasser und Energie verbraucht und mit Chemikalien belastetes Abwasser produziert.

Nach wie vor schlägt die Papierindustrie in die letzten Urwaldregionen ein. Kahlschläge in Nordfinnland, Nordwestrußland und Kanada fließen fast zu 100 Prozent in die Produktion. Und trotz Computer und digitaler Speichermedien steigt der Papierverbrauch ständig. Daher ist zu befürchten, daß der Druck auf die Wälder zunimmt. Wie stark er jetzt schon ist, wurde in einem Hörfunkinterview zum Thema "Umweltforscher fordert neue Wege beim Papier-Recycling" mit Michael Braungart, Professor für Stoffstrommanagement an der Universität Lüneburg, deutlich:

Braungart: Na ja, die Menschen brauchen weltweit etwa 130 Kilogramm Papier pro Kopf und in den USA brauchen die Menschen im Durchschnitt etwa 430 Kilo, also 300 Kilo mehr. Das heißt, wenn wir alle nur 200 Kilo weltweit brauchen würden, in Deutschland ist der Papierverbrauch 240 Kilo, dann gäbe es keine Bäume mehr. Also wir müssen tatsächlich auf Recycling umsteigen.
(DLF, 25. Juli 2006)

Die Buchproduktion ist zu einem immer größeren Faktor bei der Umweltzerstörung geworden. Der größte Verlag der Welt, Random House, hat deshalb angekündigt, innerhalb von vier Jahren den Anteil von Recyclingpapier bei der eigenen Buchproduktion stark zu erhöhen. Auch deutsche Verlage wollen nun diesem Beispiel folgen. Und die von Greenpeace ins Leben gerufene Initiative "Autoren für den Urwald", mit Autoren wie Elke Heidenreich, Moritz Rinke oder Cornelia Funke drängt ebenfalls auf Recycling. Harry Potter habe es vorgemacht:

Seit dem fünften Band erlebt er seine Abenteuer ausschließlich auf Recycling-Papier, zumindest bei seinem kanadischen Verlag. Die Spannung bleibt dieselbe - die Ressourcen nicht: Schon die erste Auflage rettete 30.000 Bäume. Und die eingesparte Energie würde einem Durchschnitts-Haushalt fast 200 Jahre lang reichen.
(DLF, 25. Juli 2006)

Kein Wunder, daß einem da die kürzlich im Pressetext.de erschienene Meldung aus Österreich als eine plausible und vor allem umweltfreundliche Recyclingidee erscheint, mit der die Wälder und die Mülldeponien gleichermaßen entlastet werden könnten. Sie erinnert an jene nostalgischen Zeiten, als schmuddeliges, chlorfrei-ungebleichtes Recyclingpapier noch überall an Marktständen und in Alternativ- wie Souvenirläden angeboten wurde, und für sauberes Wasser und unbelastete Flüsse warb, weil das graue Papier chlorfrei produziert wurde. Heute steht eher die Entlastung der Wälder im Vordergrund:

Bozen (pts) - Die auf Biorecycling spezialisierte Ecoapple Südtirol Alto-Adige Srl [http://www.ecoapple.com] baut in Bronzolo bei Bozen ein zusätzliches Werk zur Aufbereitung von Apfelrückständen auf. In Zusammenarbeit mit der Region Abruzzen ist außerdem die Errichtung einer Fabrik zur Abfallverwertung der Karotten und Fenchel verarbeitenden Betriebe geplant.
(pts, 8. August 2007)

Ausgangspunkt war das im Jahre 2003 von Firmenleiter Alberto Volcan entwickelte Verfahren zur künstlichen Trocknung von Apfelschalen, bei dem die Zucker - und Zelluloseanteile (50 und 70 Prozent) unverändert erhalten bleiben. Das daraus gewonnene Mehl wird seither in der Cartiera di Galliera Veneta zu Ökopapier verarbeitet, dessen mechanische und drucktechnische Eigenschaften denen von Normal- und Recyclingpapier gleichkommen sollen.

Die geplante Expansion des Werkes, über die Alberto Volcan, Hauptgeschäftsführer und Mitgesellschafter von Ecoapple, gegenüber Pressetext.de sprach, läßt deutlich werden, daß es bei weitem keine altruistischen Ziele sind, die die Gesellschaft dabei im Auge hat:

"Durch die Neuinvestition werden wir den Umsatz bis 2008 auf vier Mio. Euro vervierfachen. Wir verarbeiten im Jahr rund 50.000 Tonnen Abfälle aus der Fruchtsaftherstellung. Allein in den Südtiroler Verarbeitungsbetrieben fallen jährlich 40.000 Tonnen und im gesamten EU-Raum über 500.000 Tonnen an. Bei unserem Verfahren handelt es sich um eine kostensenkende Maßnahme, da das Ausbringen von Apfelrückständen auf dem Feld und die Verfütterung im Stall wegen der Pilzgefahr verboten sind." Mit Hilfe der innovativen Technologie kann auf die aufwendige Entsorgung der rasch fermentierenden und geruchsstarken Abfälle auf Deponien verzichtet werden. Volcan will die Technologie auch in China bekannt machen, wo bereits mehrere Standorte vorbereitet werden.
(pts, 8. August 2007)

Bücher entstehen aus dem "Apfelgriebschpapier" bisher noch nicht. Vor allem Einkaufstüten für französische Biolebensmittel- und Modeläden läßt Volcan daraus fertigen und das hat trotz aller Initiativen von Verlagen und Autoren einen triftigen Grund:

Zwar tragen die Deutschen unendlich viel Papier zum Altpapier- Container. Mit einer Sammelquote von 80 Prozent sind die Bundesdeutschen weltweit unübertroffen. Kaufen tun sie das etwas schmuddelige Altpapier allerdings ungern und schon gar nicht als Buch. Harry Potter ist da bisher eine einmalige Ausnahme, die sich schlicht aus der großen Beliebtheit des Werkes erklärt. Vermutlich würden die Folgebände auch dann noch gekauft, wenn sie auf grauem Klopapier gedruckt würden...

Aufgrund geringer Nachfrage ist Recyclingschreibpapier, das in den Achzigern ein absolutes Muß unter Umweltbewußten war, inzwischen aus den Regalen der Schreibwarenläden und Buchläden fast verschwunden.

Um Recyclingpapier für den Verbraucher attraktiv zu machen, muß es wesentlich stärker als Frischfaserpapier gebleicht und chemisch aufbereitet werden. Papier ist heutzutage ein High-Tech-Produkt. Entsprechend haben die ordinärsten Schreib- und Druckpapiere, mit denen wir ständig hantieren, eine Qualität erreicht, die alles bisher Dagewesene übertrifft. Chemisch undurchschaubar sind dagegen die Prozeduren der Bleichung, Satinierung und Entstaubung, von denen der Normalverbraucher wenig weiß, die dem Papier jedoch jene Textur oder "Opazität" geben, auf die gerade Liebhaber so großen Wert legen. In einer Sendung zur Papiermesse "Paperworld" hieß es im Deutschlandfunk:

Der Papierfetischismus hat stets eine literarische, zumindest eine künstlerische Dimension. Papier ist schließlich die Trägersubstanz unserer gesamten Schrift- und Bildkultur. Papier ist aber auch deren Oberfläche, denn es dient zu jeder Art Verpackung. Vom Bucheinband bis zum Geschenkkarton und vom Packpapier bis zur Tragetüte [...] Und da vor allem zeigt sich der technologische Fortschritt in seiner ganzen ästhetischen Üppigkeit: Erregten früher manche besonders schönen Marmorpapiere unser maximales Staunen, so ist jetzt einfach alles möglich - metallische Oberflächen, ledrige Materialien oder faserige liefern ein haptisches Reizspektrum, das sich mit dem optischen multipliziert.
(DLF, KULTUR HEUTE, 30. Januar 2006, 17:35 Uhr)

Und ein Aussteller auf der Paperworld-Messe meinte dazu im O-Ton:

Aber auf der anderen Seite sieht man, dass Einwickelpapier eine sehr deutliche Tendenz nach finish, Relief ist wichtig, Mattglanz ist wichtig, Folien darüber. Und generell möchte ich sagen, dass Glanz eine sehr bedeutende Rolle spielt.
(DLF, KULTUR HEUTE, 30. Januar 2006 — 17:35 Uhr)

Was das betrifft, so muß bei Recyclingpapier sehr viel mehr Aufwand betrieben werden, um den gleichen Effekt zu erreichen wie bei Normalpapier. Zwar wird insgesamt nicht mehr so viel mit Chlor gebleicht, den größten Teil der Bleiche schafft man inzwischen mit Ozon, Wasserstoffperoxid oder Chlordioxid. Dadurch konnte die Belastung der Fließgewässer durch Dioxine und andere fischtoxische Chlorchemikalien insgesamt erheblich gesenkt werden. Chlordioxid enthält zwar Chlor, reagiert jedoch nicht wie die früher verwendeten Chemikalien als Chlorierungsmittel. D.h. es überträgt sein Chlor nicht unmittelbar auf andere Chemikalien, wobei chlororganische Umweltschadstoffe frei werden (noch 1988 war die Papierindustrie beispielsweise die drittstärkste Dioxinquelle für die Biosphäre und in vielen Entwicklungsländern wird immer noch die alte Technologie verwendet).

Beim Recycling werden allerdings häufig genau die Chemikalien oder Druckerfarben wieder eingesetzt, die man aus umweltbelastenden Gründen bei der Herstellung von Frischfaserprodukten nicht mehr verwendet. Dazu erklärte Prof. Braungart:

Braungart: Nein, das Problem ist natürlich, dass die Druckfarben nicht für Recycling hergestellt werden, das heißt, eigentlich wäre das Recycling sehr sinnvoll, aber dadurch, dass in Druckfarben eben sehr viel Krebs erzeugende Stoffe sind, verteile ich die nachher nur in der Umwelt und auch beim Recycling entsteht dadurch ein Schlamm.

Zum Beispiel haben wir die deutsche Wiedervereinigung vom Westen aus kaltblütig dafür genutzt, über zehn Jahre etwa, rund 600.000 Tonnen Schlämme aus dem Papierrecycling auf ostdeutsche Felder zu kippen, als angebliche Bodenverbesserer. Dadurch sind große Flächen von Brandenburg hoch kontaminiert worden mit diesen Recyclingschlämmen, weil die Papierhilfschemikalien nicht zu recyclen sind, auch die Druckfarben nicht.

Und da gibt es viele Druckfarben, die im Textilbereich zum Glück schon lange verboten sind, aber im Druckbereich nach wie vor verwendet werden. Das heißt, wenn man Recycling macht von Dingen, die nicht für Recycling sind, dann verseucht man die Materialströme. Zum Beispiel wenn wir Recyclingtoilettenpapier nehmen, dann finden wir bis zu zwei Gramm Chlorkohlenwasserstoffe drin. Das heißt, das ist so viel, wie ausreicht, um 20 Millionen Liter Trinkwasser zu kontaminieren, dass man es nicht mehr als Trinkwasser nehmen kann.
(DLF, 25. Juli 2006)

Das sagte Prof. Braungart 2006, bis heute hat sich daran nichts geändert. Wird der kontaminierte Klärschlamm darüber hinaus auch noch verbrannt, gehen wertvolle Rohstoffe und begrenzte Ressourcen verloren, die daraus zurückgewonnen werden könnten, allen voran das inzwischen als lebensbegrenzende Ressource verstandene Phosphor.

Abgesehen von der Papierveredelung, bei der die berüchtigten PFTs, d.h. perfluorierte Tenside eingesetzt werden, die anschließend im Abwasser zu finden sind, ist allein der Papierdruck eine der energieaufwendigsten Industriezweige und für hohe CO2-Ausstöße verantwortlich. Dabei wurde die Nutzung von Druckerpapier im eigenen PC noch nicht einmal berücksichtigt:

Nach Schätzungen des Marktforschungsinstitutes CAP Ventures werden in Europa jährlich knapp 700 Milliarden Seiten Papier unnötig gedruckt, das entspricht laut Eurostat einer Energiemenge von zehn Milliarden Kilowattstunden oder mehr als 655 000 Tonnen CO2. Diese Verschwendung kostet die europäischen Unternehmen jährlich 1,4 Milliarden Euro - geht man von einem Durchschnittspreis von einem Eurocent pro Schwarzweiß-Seite aus.
(AP 17. Juli 2006)

Anders als man vielleicht glauben könnte, nämlich nicht allein durch Wasserverschmutzung mit krebserregenden Chemikalien und Druckfarben, sondern durch zusätzlichen Eintrag von Klima- bzw. Treibhausgasen in die Atmosphäre und den hohen Verbrauch an fossilen Rohstoffen geht die Recyclingidee des findigen Ingenieurs letztlich doch noch nach hinten los.

Davon weiß der 65-jährige Erfinder und Inhaber eines Patentes für Kunststoffrecycling sehr schnell mit einem Haufen weiterer sinnvoll klingender Ideen und künftigen Vorhaben abzulenken, wobei hier noch ein weiterer Aspekt perversen Konsumverhaltens dazukommt:

Mit seiner neu gegründeten "Ecopixy" wendet er sich mit koloriertem Bioleder an die Modemacher. Ein weiterer Anwendungsbereich sind isolierende Baustoffe, die aus Apfelmehl, Kartoffeln, Milch und einem hochresistenten biologischen Kleber gefertigt sind. Volcan will davon jährlich 30.000 Tonnen vom Band laufen lassen.
(pts, 8. August 2007)

Was aber der Mensch in Zukunft essen soll, wenn immer mehr Lebensmittel als Ersatz für schwindende Ressourcen herhalten müssen, steht auf einem anderen Blatt.

24. August 2007