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UMWELTLABOR/206: Entschwefelung geht nach hinten los (SB)


Entschwefelung geht nach hinten los


Schwefelmangel ist der jüngsten wissenschaftlichen Hypothese zufolge der Grund, warum Raps seine leuchtend gelbe Farbe zunehmend verliert. Kohle- und Brennstoffentschwefelung, Luftfilteranlagen und Katalysatoren in Kraftwagen haben die vor einigen Jahren noch bedrohliche Konzentration von Schwefel und Schwefeldioxid, die Grundursachen für den sauren Regen in der Luft, inzwischen spürbar reduziert, doch offenbar habe der Umweltschutz dazu geführt, daß weniger Schwefel als das natürliche Maß in die Atmosphäre gelangt.

Das, was wie die Häme der zum "Luftfiltern" verdammten großen Petrochemie und Kohleindustrie klingt, haben laut Pressetext.de Forscher der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) festgestellt:

Wegen seines hohen Gehaltes an Eiweiß und Senfölen hat Raps einen besonders hohen Bedarf an Schwefel. Blüten von Rapspflanzen mit Schwefelmangel haben weiße Blütenblätter.
(Pressetext.de, März 2004)

Offensichtlich ist Schwefel auch an der Ausprägung der "schwefelgelben" Farbstoffe der Nutzpflanze beteiligt. Doch die Erblassung des Rapses hat tiefgreifende ökologische Konsequenzen.

Als Folge davon hätten die weißblühenden Rapsfelder einen deutlich verringerten Honiggeruch und werden von Bienen weniger häufig besucht. Das führt nicht nur zu einem Ernährungsproblem von Bienen, sondern auch der Raps wird weniger gut bestäubt, was zu nachlassenden Ernteerträgen bei den Ölsamen führen kann. Raps ist die bedeutendste heimische pflanzliche Ölquelle, gilt zudem als nachwachsender Rohstoff und wird außer in der Lebensmittelindustrie auch im Energiesektor zur Herstellung alternativer Treibstoffe (Biodiesel) verwendet. Für die Bienenweide sind die Rapsblüten und -felder schon mengenmäßig eine wesentliche Komponente.

Als Folge der vor 25 Jahren begonnenen Einführung von Rauchgasentschwefelungen in Kraftwerken sowie der Verwendung von schwefelarmen Treibstoffen ist Schwefelmangel in Nordeuropa zur häufigsten Ernährungsstörung von Kulturpflanzen geworden. Statt bis zu stellenweise über 100 Kilogramm pro Hektar Ende der 70er Jahre gelangen heute meist weniger als zehn Kilogramm pro Hektar Schwefel im Jahr aus der Atmosphäre in die Böden.

Laut Pressetext.de soll in Untersuchungen noch geprüft werden, ob das von der Ernährungsstörung hervorgerufene optische Signal (weiße Blüte) auch mit einem veränderten Futterangebot (weniger Nektar) für die Bienen einhergeht.

Das ist schon deshalb anzunehmen, da das komplizierte Kommunikationssystem der Bienen durchaus auch verschiedene Farben als Indikator für Futter zuläßt, so werden u.a. auch die weißen Blüten der Taubnessel angeflogen und als Honigquelle an Stammesgenossen weitervermittelt. Wenn die Tiere ein Feld mit intakten Blüten meiden, dann hat das möglicherweise ökonomische Gründe:

Für den Flug verbrauchen Bienen, relativ zu ihrem Körpergewicht, enorme Energiemengen. Die Experten vergleichen diese Energiemenge alleine für das "Abheben" des Insekts mit dem Energieverbrauch eines Jumbojets während eines gesamten Transatlantikfluges. Die Bienen gewinnen diese Energie aus dem Pflanzennektar, daher ist es notwendig, nach der Landung sofort wieder Energie zu sich zu nehmen.
(Pressetext.de, März 2004)

Nun ähneln zwar die kleinen weißen Rapsblüten verblühenden Blüten, deren Nektar bereits gefressen wurde. Das könnte bedeuten, daß die Bienen den Besuch einer solchen Pflanze als nicht mehr lohnend erkennen. Da Bienen aber auch lernen und ihre Erfahrung weitergeben, muß ihnen die Erfahrung, daß in den kleinen weißen Blüten tatsächlich nicht mehr ausreichend attraktive Nährstoffe sind, immer wieder bestätigt werden. Und das geschieht, solange der Raps nicht genug Schwefel für die Farb- und Honigproduktion erhält.

Die sich geradezu aufdrängende, simple Lösung, dem Ernährungsungleichgewicht durch einfache Düngerzusätze abzuhelfen, hat inzwischen auch schon zu neuen Kunstdüngermischungen geführt, die individuell an die jeweilige Mangelsituation angepaßt werden. Das reicht offenbar nicht, denn das Problem besteht weiterhin und läßt die Vermutung zu, daß es vielleicht nicht der Schwefel allein ist, der dem durch zunehmende UV-Strahlung und andere Umwelteinflüsse veränderten und ausgelaugten Ackerboden fehlt.

Erstveröffentlichung 2004

4. Januar 2008