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UMWELTLABOR/239: Ein Loch ist im Weltraum ... (SB)


Jedes Jahr gehen gewaltige Mengen der Atmosphäre verloren


Hatten es die zumeist als Schwarzseher und Pessimisten verschrienen kritischen Fragesteller des Schattenblicks nicht schon längst vorausgesehen [UMWELTLABOR/155: Ein Loch im Firmament zerstört die Welt]? Jetzt ist es also amtlich: Unsere Atmosphäre hat ein Loch, aus dem der druckärmere Weltraum ganz allmählich, aber teilweise mit Überschallgeschwindigkeit, die Luft aussaugt. Dabei ist nicht vom Ozonloch die Rede, sondern von anderen, bislang unbekannten Abflüssen dieser Art. In einer Pressemitteilung des Schwedischen Forschungsrates (The Swedish Research Council, Rick McGregor, Swedish Institute of Space Physics) sprach man sogar von mehreren tausend Tonnen an Atmosphärengasen, die jedes Jahr in den Weltraum verschwinden.

Ein schwedisch-amerikanisches Forschungsteam an der Universität von Upsala hatte neue Untersuchungen angestrengt, die dies offenbar belegen. Erik Engwall und das Schwedische Institute of Space Physics leiteten die Studienprojekte, in denen die kürzlich auch in der Fachzeitschrift "Nature Geoscience" veröffentlichten Daten des europäischen "Cluster Satelliten", u.a. mittels Computersimulation, neu ausgewertet wurden. Diese Untersuchungen zeigen, daß der Polarwind, der nur wenig Wasserstoff und Sauerstoff enthält, ungehindert in großen Höhen über der Troposphäre abfließt. Dieser Ausstrom konnte bislang nur von Satelliten beobachtet werden, die in einer engen Umlaufbahn um die Erde kreisen. Deshalb war man nicht sicher, ob sich die Gase in diesen Höhen nur ausbreiteten und dann wieder zur Erde zurückkehrten. Doch inzwischen kann man davon ausgehen, daß die Luftpartikel tatsächlich vollständig verlorengehen, da die Clustermessungen die Atmosphärenmoleküle bis zu einer Höhe erkennen konnten, die etwa dem 10fachen des Erddurchmessers entspricht.

Dieser Polarwindabfluß sei aber keine echte Bedrohung für die Atmosphäre, meinte der Studienleiter Erik Engwall und wies daraufhin, daß das Ausmaß des beobachteten Verlustes auf keinen Fall spektakuläre Veränderungen für die Atmosphäre mit sich brächte, selbst wenn man ihn über den Verlauf der zu erwartenden Lebensspanne des Solarsystems extrapolieren würde.

Doch weiter hieß es - und das relativiert die Entwarnung wieder - für andere Himmelskörper könnten ähnliche Phänomene durchaus von Bedeutung sein, vor allem, wenn Leben darauf existierte. Die erschreckende Gewißheit über den Verlust an Sauerstoff und anderen atmosphärischen Gasen der Erde spielte er mit den Worten herunter:

"To understand how our atmosphere evolves is also important for understanding other atmospheres that can harbour life", adds Erik Engwall. [Zu verstehen, wie sich unsere Atmosphäre entwickelt, ist wichtig, um andere Atmosphären zu begreifen, die Leben beherbergen könnten", fügte Erik Engwall hinzu. Übersetz. SB-Red.]
(idw, 18. Dezember 2008)

Eigentlich handelte es sich dabei sogar um einen Zufallsfund, während die Wissenschaftler Widersprüche zu klären suchten, die sich aus den unrealistischen Meßergebnissen des Cluster-Instrumentariums im Weltall über den Polregionen ergeben hatten.

Man hatte nämlich im Gegenteil zu den erwarteten sehr schwachen elektrischen Feldern im Weltraum überraschenderweise sehr starke Elektrofelder gefunden und zwar in einer Richtung, die bis dahin für die Forscher einfach undenkbar gewesen war. Mittels Computersimulation fand daraufhin Erik Engwall Anlaß zu der Vermutung, die unerwarteten Ergebnisse seien darauf zurückzuführen, daß der Satellit einen überschallschnellen Partikelstrom passierte, dessen geladene Teilchen von den Polarregionen der Erde stammten und in den Weltraum gesogen würden. Und so wurde der scheinbare "Meßfehler" in eine neue Beobachtungsmethode umgewandelt, mit der man solche eigentlich völlig unsichtbaren Polarwinde in unvorhersagbarer Distanz zur Erde wahrnehmen könne.

Die Arbeit "Earth's ionospheric outflow dominated by hidden cold plasma" by Erik Engwall, Anders Eriksson, Chris Cully, Mats André, Roy Torbert und Hans Vaith wird in der Januarausgabe 2009 von Nature Geoscience erscheinen und wurde online schon am 14. Dezember publiziert. Außerdem wurden die Ergebnisse beim Herbsttreffen der Amerikanischen Geophysikalischen Union in San Francisco (17. Dezember 2008) vorgestellt.

Nun läßt sich mittels Computersimulationen beinahe alles darstellen, was der Forscher will. Bleibt nur die Frage, ob in diesem Fall die Öffentlichkeit mit den drastischen Daten und Bildern (Tausende von Tonnen sind schließlich kein Pappenstil) und ihrer verharmlosenden Interpretation allmählich an den Gedanken gewöhnt werden soll, daß die Luft auf unserem Planeten immer dünner wird?

19. Dezember 2008