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UMWELTLABOR/252: Fliegen macht krank (3) Diagnose unbekannt (SB)


Ursachen für das Aerotoxische Syndrom werden gemeinhin verschleiert


Bis heute leiden viele Veteranen, die 1991 in den Golfkrieg entsandt wurden, unter dem sogenannten Golfkriegssyndrom. Was die Ursachen für dieses langwierige und anhaltende Leiden bzw. die Zusammenhänge der Krankheit im menschlichen Organismus sind, konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden. Einer gängigen These nach wird das spezielle Problem, das manche Veteranen haben, mit dem Zusammenkommen eines individuellen Mangels an sogenannter Paraoxonase (einem bestimmten Enzym) und der ungeschützten Kontamination mit nerventoxischen Pestiziden (so waren beispielsweise die Ausrüstungsgegenstände zur Malariaprophylaxe mit Organophosphaten regelrecht getränkt worden) oder Nervengasen erklärt. Bei Soldaten, die nur sehr wenig dieses Enzyms besäßen, hätten schon geringe Spuren dieser Stoffe Schädigungen des Gehirns verursacht und sich inzwischen als Golfkriegssyndrom manifestiert. Mit anderen Worten haben die betroffenen Soldaten nur eine unglückliche Prädisposition und sind somit an ihren Beschwerden letztlich ganz alleine schuld. Allerdings tritt schon bei etwa einem Drittel der Bevölkerung dieses Enzym vermindert auf.

Die Symptome des Golfkriegssyndroms ähneln jenen sehr, die Reisende, aber vor allem Besatzungsmitglieder, nach häufigen Langstreckenflügen schildern: Muskelschwäche, Gelenkschmerzen, Müdigkeit, Depressionen, Zittern und Gewichtsverlust.

Gestützt wird die These, daß der in den Flugzeugkabinen gefundene organische Phosphorsäureester "Tricresylphosphat (TCP)" wie entsprechende parathionähnliche Pestizide (siehe UMWELTLABOR/251) wirkt, unter anderem auch durch die vor allem in Großbritannien verbreitete sogenannte "Sheep Dipper's flu" (Schaftauchbad Grippe). Darunter versteht man eine besondere Art von Grippesymptomen, die Schafzüchter nur während der Desinfektion und antiparasitären Behandlung ihrer Herden befällt, die mittels eines Tauchbads aus verschiedenen Insektiziden und Desinfektionsmitteln durchgeführt wird.

Sie beginnt mit grippeähnlichen Kopfschmerzen und entwickelt sich wie eine schwere Erkältung. Manchmal treten anhaltende Symptome wie Muskellähmungen, beginnend am dritten oder vierten Tag nach Kontakt mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel, auf.

Die Genesung dauert bis zu einem Monat, manche brauchen Jahre. Doch bleiben auch nach einer einmaligen Vergiftung bei vielen Betroffenen Langzeitsymtome zurück: Das Befinden schwankt von Tag zu Tag, manchen fällt es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen oder Worte zu finden, dann wieder wechseln starke Muskelschmerzen mit Stimmungsschwankungen, Sprachschwierigkeiten, motorischen Störungen, Atemnot oder gar Herzrhythmusstörungen. Auch Verdauungsprobleme, Übelkeit und Durchfall werden geschildert.

Genau diese Symptome werden neben chronischer Müdigkeit und Erschöpfung auch von Flugpiloten und Flugzeugpersonal geschildert, die häufig unter "schlechter Luft" in der Flugzeugkabine leiden mußten.


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Die ärztliche Diagnose ist dagegen meist wenig zufriedenstellend. Kaum ein Arzt vermutet angesichts der auftretenden Grippesymptome eine Vergiftung. Stattdessen werden die Betroffenen in den meisten Fällen mehr schlecht als recht gegen "jet lag" oder "mysteriöse Virusinfektionen" behandelt. Sind aber Piloten betroffen, vermuten die Mediziner dagegen "chronischen Streß" oder das für viele anforderungsintensive Berufe typische "Burnout-Syndrom". Und damit liegen sie dann oft daneben...

Nun läßt sich die toxische Chemikalie Tricresylphosphat auch nur innerhalb von vier Stunden nach Kontamination im Blut der Betroffenen nachweisen. Zu diesem Zeitpunkt kann man die ersten Vergiftungserscheinungen jedoch noch nicht richtig zuordnen und sie werden eher der strapaziösen Reise selbst zugeschrieben.

Laut Dr. Sarah Myhill, die sich auf die Diagnose des Aerotoxischen Syndroms spezialisiert hat, läßt sich die gesamte Symptomatik, die beim Aerotoxischen Syndrom auftritt, nicht allein dem E 605-ähnlichen Tricresylphosphat zuschreiben. Der Stoff wird nämlich von einer Serie weiterer Organophosphate begleitet, die entweder als Verunreinigung aus dem Herstellungsprozeß stammen oder beim Erhitzen des Öls im Motorraum entstehen: Neben Monocresylphosphat, Dicresylphosphat kommen noch Orthocresylphosphat und weitere ähnliche Verbindungen vor. Diese Isomere sind teilweise sogar toxischer als der isolierte Hauptwirkstoff und können sich darüber hinaus synergistisch (d.h. gegenseitig) in ihrer Giftwirkung verstärken.

Außerdem kommen neben den Organophosphaten auch noch eine Vielzahl flüchtiger Substanzen in der Kabinenluft vor, die ebenfalls Übelkeit verursachen und verschieden stark giftig sind, beispielsweise gehören Benzole, Phenole, aber auch Flammschutzmittel u.ä. dazu. Noch dazu finden sich Schwermetalle, die aus dem feinstaubähnlichen Metallabrieb aus der Maschine stammen. Und schließlich können sich unter diesen reaktiven Bedingungen auch aus flüchtigen Schmierölverbindungen und Luftelementen giftige Gase bilden wie Kohlenstoffmonoxid, Ozon, Schwefeldioxid und nitrose Gase.

Wie schon in der letzten Folge (UMWELTLABOR/251) erwähnt, sollte der Geruch von alten Socken oder Turnschuhen bei Passagieren und Flugpersonal einen inneren Alarm auslösen. Denn dieser Geruch weist auf die organophosphatartigen Bestandteile aus dem gerade erwähnten Giftcocktail hin.

Zunächst ist mit einer akuten Reaktion auf diese Mixtur zu rechnen: Dabei reagieren Flugreisende, die ohnehin kritisch oder empfindlich gegenüber Chemikalien sind oder unter MCS (multipler Chemikalien Sensitivität) leiden, besonders stark. Die Symptome ähneln den oben unter "Sheep-Dipper flu" beschriebenen Kopfschmerzen, Übelkeit, Muskelschmerzen und grippeähnlichen Schleimhautirritationen. Sie werden häufig von einem leichten Fieber und der Unfähigkeit, klar zu denken, begleitet. Wie schon erwähnt kommt gerade der Paraoxonasemangel, d.h. der Mangel an organophosphatspaltende Enzyme entgegen vermuteter Anpassungsausprägung aufgrund der starken Verbreitung dieser Giftgruppe unverhältnismäßig häufig vor. Bei etwa einem Drittel der Menschheit arbeiten die Entgiftungsenzyme so schlecht, so daß sie wesentlich stärker unter den toxischen Substanzen leiden, als Mediziner vermuten.

Die typischen Grippesymptome werden zudem von den jeweiligen Hausmedizinern meist dahingehend ausgelegt, daß eine Ansteckung bei Langstreckenflügen in der dichten, menschengefüllten Kabine und der über die Klimaanlage verteilten Atemluft quasi unausweichlich und zumindest sehr wahrscheinlich ist.

Das liegt aber auch daran, daß fast alle Blut- und Laboruntersuchungen von Körperflüssigkeiten nicht dazu geeignet sind, die Ursachen dieser Symptomatik zu entdecken. Im Gegenteil wird bei den Standarduntersuchungen kein Befund angezeigt.

Selbst der direkte Nachweis akuten, abnormen Enzymverhaltens, z.B. ein erhöhter Cholinesterasespiegel, der gerne als Marker für die Vergiftung mit Organophosphaten benutzt wird, sagt in diesem Fall nichts aus. Damit dieser Test überhaupt anspricht, muß schon eine sehr hohe Konzentration des TCPs im Blut vorliegen. Daher wird durch ihn dann meist nur das konkrete Gegenteil, d.h. keine Vergiftung bestätigt.

Derzeit gibt auch keine zufriedenstellende Prüfung auf die in Frage kommende Mischung aus Tricresylphosphat, flüchtigen toxischen Stoffen und giftigen Gasen im Blut des Betroffenen. Die Giftstoffe werden gemeinhin vom Körper über die Lunge und teilweise auch über die Haut aufgenommen, dann sehr schnell über das Blut verteilt, wobei sie ihre schädliche Wirkung entfalten, und dann ebenfalls schnell ins Fettgewebe transportiert. D.h. nach der besagten Frist von vier Stunden ist ihre Konzentration im Blut schon unter die Nachweisbarkeitsgrenze gesunken. Organophosphate können aber auch noch von anderen Körpergeweben aus auf den Organismus schädigend einwirken, indem nach und nach toxische Substanzen wieder freigesetzt werden. Besonders gefährlich sind in diesem Zusammenhang auch Hungerkuren...

Selbst im sublethalen Bereich bzw. unterschwelligen Dosen, wie man gemeinhin sagt, können gerade diese toxischen Chemikalien noch eine Vielzahl von Vergiftungssymptomen hervorrufen. Gerade das erschwert die ärztliche Diagnose, weil jeder Patient individuell vor allem das beklagt, was ihm selbst am meisten zu schaffen macht, so daß sich die Einzelfälle nicht adhoc miteinander vergleichen lassen.

Darüber hinaus treffen die gleichen Symptome auch auf andere Chemikalienvergiftungen zu wie Sick Building Syndrom (SBS), Sheep- Dipper flu, 9/11 Syndrom (unter dem jene Feuerwehrmänner, die bei dem Einsturz des Worldtradecenters im Einsatz waren, litten), Golfkriegsyndrom, sowie Umweltkrankheiten, die durch das Einatmen von Dämpfen aus Müllverbrennungsanlagen u.a. Emissionen verursacht werden.

Laboruntersuchungen

Normale Blutuntersuchungen, die der Arzt aufgrund der geschilderten Befindlichkeitsstörungen vornimmt, können die toxischen Chemikalien der Flugkabine nicht im Blut der Patienten nachweisen.

Die routinemäßig durchgeführten Standardtests beweisen den Patienten nur, daß sie vollkommen gesund und ihre Beschwerden unbegründet sind. Sie haben es dann neben den Unannehmlichkeiten auch noch mit sozialer Ausgrenzung, als überempfindlich oder gar hypochondrisch zu gelten, zu tun.

Beispielsweise fällt die Zählung der Blutkörperchen völlig normal aus. Die Anzahl weißer Blutkörperchen ist bestenfalls leicht angehoben. Nierenwerte und Elektrolyte sind ebenfalls völlig normal. Und so geht es weiter:

Leberfunktionswerte - kein Befund
Bilirubin - leicht erhöht,
wird aber meist als irrelevant gewertet
oder dem Gilbert Syndrom zugeordnet
Muskelenzyme - leicht erhöht
Hormonspiegel - normal gewertet,
(obwohl meist niedriger als normal)
Röntgenuntersuchung - kein Befund
EKG - kein Befund
MRT des Gehirns - kein Befund
Nervenleitungsuntersuchungen - kein Befund

Dr. Sarah Myhill von der Aerotoxic Association macht auf ihrer Website hingegen Mut, sich bei einem Verdacht auf den aeorotoxischen Symptomkreis nicht mit Standarduntersuchungen zufrieden zu geben. Die folgende Untersuchungen geben allerdings auch nur bessere Hinweise auf eine bestehende Vergiftung:

- Identifikation des Giftstoffs - mit Hilfe einer Biopsie des Fettgewebes

- Schwermetalle können direkt im Blut oder im Schweiß nachgewiesen werden

- empfindlicherer Nachweis der Mitochondrienfunktion

- Nachweis von Antioxidantien als Hinweis auf Toxine, da erstere diese aus Membranen und Proteinen herauslösen können

- Immunfunktionsuntersuchungen - Diese werden allerdings bisher nur in der Forschung angewendet und sind für Normalmediziner nicht verfügbar. Damit lassen sich jedoch niedrige Level für Killerzellen oder B-Lymphozyten nachweisen sowie verschiedene weitere Marker des Immunsystems wie abnormale T-Supressorzellen, die typisch für Vergiftungen sind.

- Bei den Leberfunktionswerten sollten die Werte für u.a. Glutathion S-Transferase, 5-Nucleotidase, und RBC Glutathion ermittelt werden, sowie ihre biologische Abbaugeschwindigkeit für Coffein und Paracetamol. Ein verändertes Standardprofil bei der Entgiftung kann aufschlußreich sein.

- Hormonelle Untersuchungen können eine Hypophysensuppression sowie eine klassische Schilddrüsenunterfunktion anzeigen (wobei Thyroxin sehr hilfreich sein kann) oder eine leichte Form der Addison-Krankheit (Allgemeinfunktionen der Nebennierenrinde reduziert, Cortisolgehalt im Speichel und DHEA-Spiegel (Dehydroepiandrosteron) über 24 Stunden), aber auch eine unzureichende ADH-Ausschüttung (ADH = Antidiuretisches Hormon), niedrige Melatoninspiegel (Schlafstörungen), verringerte Konzentration an Sexualhormonen usw.

- Osteoporose - Die Knochendichte in Handgelenken, Hüften und Rückgrad kann merklich abnehmen. Harnuntersuchungen weisen auf unnatürliche Konzentrationen von Knochenmetaboliten wie Dooxypryridinoline und N-Telopeptide hin.

- Psychometrische Untersuchungen - Die Durchführung und Interpretation spezieller psychologischer Tests können schwere Schädigungen des Gedächtnisses, der Informationsverarbeitung, des Lernens und der Konzentrationsfähigkeit bestätigen. Da diese Untersuchungen oft sehr viel Zeit benötigen und von Allgemeinmedizinern nicht durchgeführt werden können, ist eine Überweisung zum Neurologen vor allem bei Langzeitschäden und einem möglichen Arbeitsunfähigkeitsnachweis erforderlich, was in vielen Fällen jedoch unterbleibt.

- Bestimmte erweiterte Nervenleitungs-Untersuchungen des autonomen Nervensystems werden derzeit nur von bestimmten Spezialisten durchgeführt. Das autonome Nervensystem regelt Funktionen wie Körpertemperatur, Schweißabsonderung, Blutdruck, Atmungs- und Herzfrequenz und die Darmperistaltik. Veränderungen, die hier in Folge einer Organosphosphatvergiftung auftreten können, sind meist irreversibel.

- Gehirnschäden bei vergifteten Golfkriegsveteranen wurden durch einen speziellen sogenannten SPECT-Scan als Perfusion bestimmter Gehirnareale nachgewiesen.

- Bestimmung der Mineralstoffe im Körper: Vergiftungen gehen oft mit einem Mangel an Magnesium und Selen einher.

- Vitaminmangel - hier vor allem ein Mangel des Vitamin B-Komplexes. Da Vitaminmangel jedoch ohnehin häufig vorkommt, ist ein Test kaum noch aussagekräftig genug. Allerdings sollten beim Auftreten von aerotoxischen Symptomen sofort Multivitaminpräparate eingenommen werden.

- Nachweis eines leicht erhöhten Spiegels von Antikörpern zu Eiweißstoffen im Gehirn (Zytoskeletale Antikörper)

- Leitungsstörungen im Herzen (nach 24 Stunden EKG nachweisbar)

- Spezielle Allergietests

Die meisten dieser Untersuchungen müssen von Medizinern durchgeführt werden, die sich auf den Nachweis der fraglichen Substanzen spezialisiert haben. Allgemeinmediziner wissen in der Regel noch nicht, wonach sie suchen müssen. D.h. der Betroffene muß sich neben seinen Beschwerden, die ihn - wie schon erwähnt - auch mental belasten, sowie seine Denkfähigkeit einschränken können, in der Regel selbst um die notwendigen Schritte zur Datengewinnung und die richtige Interpretation dieser Daten selbst bemühen.

Ähnlich wie bei anderen Umwelterkrankungen (beispielsweise SBS - Sick Building Syndrom oder MCS - Multiple Chemical Sensitivity) müssen Betroffene mit Diskriminierung und Ausgrenzung rechnen, was u.a. dazu führt, daß Piloten und Bordpersonal ihre persönlichen Beschwerden unterdrücken und nicht über ihre Probleme sprechen.

Angesichts der hier aufgelisteten möglichen Funktionsstörungen und der vielen Ausfälle, die durch Tricresylphosphat und ihre toxische Umgebung verursacht werden können, erscheinen die vielen Unfälle und Flugzeugunglücke in letzter Zeit in einem ganz anderen Licht.

Ungesund und mit einem gewissen Risiko behaftet waren Flugzeugreise schon immer. Inzwischen ist aber zumindest in bestimmten Flugzeugtypen wie die mit Rolls Royce-Motoren (RB511 Triebwerken) ausgestattete B 757, sowie die BAe 146/Avros, deren Klimaanlagen aus dem Motorraum gespeist werden, regelrecht lebensgefährlich geworden.

(Quelle: Websiten der Aerotoxic Association, www.aerotox.de und Pilotenwebsite, 2009 aero.de-Team)

25. März 2009