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UMWELTLABOR/267: Ölpest im Golf (1) Unbeantwortete Fragen (SB)


Erdöl - Lebenselixier der Zivilisation oder der Anfang vom Ende?

780 Millionen Liter Öl und schon alles weg?


Das havarierte Bohrloch, aus dem seit dem Sinken des Bohrschiffs Deepwater Horizon ab 22. April 2010 Öl ins Meer geflossen war, soll seit dem 5. August 2010 endlich und endgültig zuzementiert worden sein. Eine weitere Nebenbohrung mit dem Ziel, das tiefere Ende des ursprünglichen Bohrlochs zu treffen, soll die Möglichkeit für eine zusätzliche, dauerhafte Abdichtung schaffen.

Es gibt genug Medienberichte, die sich über dieses - das sei dahingestellt - mehr oder weniger pflichtbewußte Abstrampeln von Konzernen und verdingten Wissenschaftlern hermachen. Über das Ausmaß sei hier zunächst nur eine kurze Zusammenfassung, bestenfalls zum Zwecke des Ersatzgruselns für Schlimmeres vorangestellt.

Versucht man im nachhinein ein Bild zu finden, welches das der vergeblichen Versuche, den Ölstrom aus dem Bohrloch im Golf von Mexiko zu unterbinden, auf den Punkt bringt, so hatte man einen riesigen industriellen Überdruckdampfkessel vor Augen, dessen Ventile man mit kleinen Papierhütchen zu stoppen bemüht war. Nun scheinen sie zu halten, doch erst, nachdem der größte Druck in Form gigantischer Ölmassen abgelassen wurde und die Öffentlichkeit soll - nach dem ersten gelungenen Wunder - möglichst auch dieses Öl vergessen.

Tatsächlich wurde dieses 2. Wunder auch schon mit der Verlautbarung eingeleitet, daß Dreiviertel des ausgetretenen Öls gar nicht mehr aufzufinden seien. Über den Verbleib ließ sich nichts außer Spekulationen in Erfahrung bringen. Es sei abgesunken ins Sediment, dispergiert, gebunden an die eingesetzte Chemie, an der Oberfläche verdampft oder - so die in den meisten Medien bevorzugte Version - wie von Zauberhand durch natürliche bakterielle Prozesse abgebaut.

Ein bis zwei Wunder wären, wenn sie denn tatsächlich stattgefunden hätten, nicht einmal genug, um dem Einfluß des Menschen, der die marine Wasserwelt in einer Geschwindigkeit verändert, der keine natürliche ökologische Anpassung mehr folgen kann, etwas entgegenzusetzen. Da unser blauer Planet von einer größeren Wasser- als Landfläche belegt ist, wurde die scheinbar unendliche Wasserfülle, in der sich Fremdstoffe in feinster Verteilung auflösen lassen, bis sie nicht mehr nachweisbar sind, als natürliches Plumpsklo für die zivilisatorischen Exkremente eingerichtet. Über die illegale Verklappung von unbrauchbaren Chemikalien hinaus leiten Industrie und Landwirtschaft ihre Abwässer über "legale" Wasserwege ein. Doch für manche Nasen beginnt diese weltweit verdünnte Kloake langsam zu riechen.

Vor allem, seit uns bewußt wurde, daß unter den vielfältigen Veränderungen in der Atmosphäre und auf der Erdoberfläche das Meer möglicherweise eine der letzten ausbeutungsfähigen Ressourcen für Nahrung, Wasser und Energie darstellt, beginnt man auch hier einschränkende Veränderungen wahrzunehmen, die auf unterschiedliche Weise auf das Leben an Land zurückschlagen. Eingeleitete Chemikalien haben Einfluß auf das Algenwachstum und sorgen an immer mehr Stellen für Eutrophierung und riesige Sauerstofflöcher, in denen marines Leben nicht mehr möglich ist. Plastikmüll auf der Oberfläche oder zu Plastiksand an den Stränden verrieben, läßt Meeresbewohner und auch Vögel, die diese Dinge aufnehmen, verenden. Anthropogene Treibhausgase, die das Meer bis zum Sättigungspunkt versauern, zerstören die Kalkschalen zahlreicher Meerestiere, u.a. Nahrungsressourcen für Meeresbewohner wie für den Menschen. Überfischung, neben dem zunehmenden Verschwinden von Plankton - Grundlage der marinen Nahrungskette -, sorgt für weiter bedrohliche Zustände im Nahrungsangebot.

Die Erwärmung der Meere durch den Treibhauseffekt der Atmosphäre erniedrigt die Aufnahmekapazität für CO2, das demzufolge ausdampft und die Erderwärmung weiter beschleunigt. Nicht genug der kaum zu durchbrechenden Teufelskreise, die eine lebensfeindliche Erde schaffen, sorgt nun auch noch die Suche nach Rohstoffen wie Erdöl in der Tiefe des Meeresgrunds für den endgültigen Garaus, viel früher als von pessimistischen Prognosen angekündigt. Der jüngste Vorfall im Golf von Mexiko wird die Prozesse entgegen anderslautenden Vorhersagen und geäußerten Hoffnungen noch einmal beschleunigen.

Abgesehen von den beinahe 800 Millionen Litern Öl (rund 4,9 Millionen Barrel oder 666.400 Tonnen), die laut letzten Schätzungen (mit einem Druck von über 500 bar) bis zum am 5. August aus dem havarierten Bohrloch im Golf von Mexiko geströmt sind, wurden erstmals auch die gigantische Menge von über 7 Millionen Liter Dispergentien eingesetzt, um die unvorstellbare Masse des Öls möglichst fein zu verteilen und unter der Oberfläche zu halten. Nur ein Fünftel des Öls (800.000 Barrel) konnten bisher aufgefangen und auf Spezialschiffe abgepumpt werden, hieß es noch am 2. August 2010 von offizieller Seite. Laut dpa handele es sich um die bislang genauesten Schätzungen mit einer möglichen Abweichung von plus-minus zehn Prozent, wie die Regierung einräumte. Inzwischen wird von offizieller Seite verlautbart, es seien nur noch 200 Millionen Liter Öl im Golf zurückgeblieben, Dreiviertel des ausgeströmten Rohöls wären wie Zucker im Tee verschwunden. Dieses Bild ist auf eine makabre Weise gut gewählt. Denn bekanntlich schmeckt der auf diese Weise gesüßte Tee anders, seiner chemischen Zusammensetzung aus Gerbstoffen, Geschmacksstoffen, Farbstoffen und Tein wurden Zuckermoleküle hinzugefügt. Und im übrigen ist bekannt, daß sich auch Zucker nicht unbegrenzt in Tee löst. Ist der Tee gesättigt, setzt sich ein Bodensatz aus Zucker ab. Nur hat man es bei Öl im Gegensatz zum Zucker nicht mit einem Einzelstoff zu tun, sondern schon von vornherein mit einer Mixtur an nicht wasserlöslichen Substanzen, die - um im Wasser zu verschwinden - zusätzlich chemisch verändert werden müssen.

Diese Auffassung teilt laut einem Bericht von Thomas Pany in der Telepolis-Ausgabe vom 18. August auch die amerikanische Forschergruppe "Sea Grant", Ozeanographen der University of Georgia, nach deren aktueller Verlautbarung das Öl nicht, wie der Regierungsbericht suggeriere, "bereits verbrannt, verdunstet, verteilt, aufgefangen oder sonstwie beseitigt" sei:

Die Forscher nehmen stattdessen an, dass das meiste Öl, das im Regierungsbericht als aufgelöst und dispergiert verbucht wurde - und in Medienberichten irreführenderweise als "verschwunden" auftauchte - , noch immer im Wasser sei, was nicht notwendigerweise harmlos sei.

[...]

Worauf diese allerdings konkret und wissenschaftlich nachvollziehbar basiert, ist dem veröffentlichten 2-seitigen Papier nicht in aller Präzision zu entnehmen; es sind vor allem andere Wahrscheinlichkeiten, die der Bericht als Grundlage für eine andere Sicht auf die ablaufenden Prozesse im Meerwasser nimmt.
(Telepolis, 18. August 2010)

Ohne daß man also genau weiß, mit welchen Giften und Schadstoffen in welchen Verhältnissen und Ausmaßen man es zu tun hat und wie das Ökosystem am Ende darauf reagieren wird, weisen allein diese statistischen Überlegungen und Zahlen auf eine Verseuchung von Wasser und Leben hin, die alle Grenzen des Vorstellbaren schon längst hinter sich gelassen hat. Daß ein durchaus erkennbar riskanter Einsatz aus ökonomischen Gründen bewußt durchgeführt wurde, als man nach erklärter Fündigkeit am 16. April beschloß, die Bohrung für eine temporäre Aussetzung zu komplettieren, damit sie für eine spätere Förderung des Öls genutzt werden konnte und somit die bereits bei der Bohrung entstandenen Probleme durch gravierende Überdruckverhältnisse in der Gesteinsabfolge ignorierte, ist ein eindeutiger Hinweis darauf, daß die Frage nach Kontrolle bei der Ausbeutung des Meeresbodens keine Rolle spielt. Das ändert nichts daran, daß inzwischen nicht mehr nur die Verantwortlichen selbst mit den Folgen des Unglücks zu tun haben.

Mindestens seit dem bisher schwersten Bohrinsel-Unfall der mexikanischen Ölförderanlage Ixtoc 1979, bei dem etwa 528 Millionen Tonnen (3,3 Millionen Barrel, ca. 500.000 Tonnen) Rohöl ebenfalls in den Golf von Mexiko flossen, ist klar, mit welchen Größenordnungen man es beim Anstechen unterseeischer Vorkommen zu tun bekommt und welche absehbaren, weil bereits durchlebten Risiken für die Natur schon durch die bloße Inbetriebnahme solcher Anlagen in Kauf genommen werden.

Die Bilder der bisher größten Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA, als im Prince-William-Sund durch die Havarie des Tankers Exxon Valdez 2400 Kilometer Küste mit Öl verunreinigt wurden, sind wohl noch vielen in Erinnerung. Angesichts der lediglich 41 Millionen Liter Rohöl (40.000 Tonnen), die damals ins Meer flossen, werden uns die zu Hundertausenden verendeten Seevögel, Otter, Robben und Grauwale im Vergleich zu den neuen Opfern der jüngsten Verseuchung wie "Peanuts" bzw. leichte Kollateralschäden vorkommen. Dabei hat sich das Ökosystem an Alaskas betroffener Küstenregion bis heute noch nicht vollständig erholt. Eventuell auftretende Spätfolgen wie Mißbildungen bei Pflanzen und Tieren werden nur nicht mehr zwangsläufig mit dem Unglück von 1989 in Verbindung gebracht.

In vielen Berichten zur aktuellen Lage werden derzeit die unmittelbar erkennbaren Gefahren aufgezählt, von denen die in der Golfregion heimischen Pflanzen und Tiere betroffen sind.

So betont die Wochenzeitung "Zeit online" praktisch in jedem neuen Bericht über das Fortschreiten der Ölkatastrophe in einbläuender Wiederholung vor allem die Zahlen von 445 Fischarten, 45 Säugetierarten, 32 Amphibienarten und 134 Vogelarten, die als erste unmittelbar von dem an die Küste schwappenden Ölteppich betroffen sind:

Meeressäuger, wie die Delfinart Großer Tümmler oder der Pottwall können sich im klebrigen Öl verfangen, wenn sie zum Luftholen auftauchen. Der Karibik-Manati, eine bereits gefährdete Seekuhart, wandert entlang der Golfküste in warme Gewässer.

Auch einige Schildkrötenarten könnten unter dem Öl leiden. Gerade beginnt die Zeit, in der sie ihre Eier an den Stränden ablegen und auf Futtersuche sind.

Einige Umweltschützer fürchten sogar, dass der Alligator Schwierigkeiten bekommen könnte, im brackigen Mündungsgebiet des Mississippi-Delta Nahrung zu finden. Viele Fischarten, die auf seinem Speiseplan stehen, könnten vom Öl eingefangen werden. [1]

Verzweifelte Rettungsaktionen wie Schildkröteneier sammeln und ausfliegen sind derzeit schon im Gange. Doch diese Hilfsmaßnahmen, berühren nicht einmal oberflächlich die Spitze des Eisberges.

Neben großen Mengen an Austern, Krabben, Muscheln und Fischen ist der Golf von Mexiko der einzige Ort, an dem der Blauflossenthun im Westatlantik seine Laichgründe hat. Die Laichzeit dieser ohnehin gefährdeten Art hat derzeit gerade begonnen. Dabei lassen die Fische die befruchteten Eier an der Wasseroberfläche treiben und auch die daraus schlüpfenden Larven bleiben gewöhnlich in den oberen, am stärksten mit Öl verseuchten Wasserschichten. Laut ZEIT ist auch der Menaden, eine Heringsart, direkt vom Öl betroffen. Doch alle Meeresbewohner atmen und ernähren sich, indem wie Wasser in ihrem Organismus filtern, wobei sie zwangläufig auch Öl aufnehmen.

Im wesentlichen reicht schon der Luftabschluß durch das alles verklebende Öl, um diese Tiere grausam verenden zu lassen. Ebenso sind etwa fünf Millionen Zugvögel, darunter Schwalben, Ammern und Waldsänger, die an der Küste Lousianas im Sommer Station machen, direkt vom Öl bedroht. Kommen Vögel mit Öl in Verbindung, ist das Verkleben ihres Gefieders und der Atemwege die größte Gefahr. Wenn sie nicht sofort ersticken, kann das verklebte Gefieder kein Wasser mehr abweisen und kein Luftpolster mehr zwischen den Federn aufbauen. Folglich können sie ihre Körpertemperatur nicht mehr regulieren und sterben oftmals an Unterkühlung.

Auch bei Pflanzen z.B. bei den Luftwurzeln der Mangroven, die in der Region eine Schutzfunktion der Küsten bei Hurrikans und Stürmen besitzen, reicht der Kontakt mit dem Öl schon, um sie verkümmern zu lassen. Da sie sehr langsam nachwachsen, hat ihr Absterben kaum absehbare ökologische Konsequenzen für das gesamte Mississippi-Delta zur Folge.


Unter der Oberfläche...

Dies alles sind bereits absehbare Folgen für die jüngste Katastrophe, die durch ihre Berechenbarkeit allerdings andere, verstecktere und keineswegs erforschte Entwicklungen im Wasser und Sediment verschleiern. Diesen Fragen nach weniger vorstellbaren Folgen und Konsequenzen, hier vor allem auch mit dem Schwerpunkt des zusätzlichen Einsatzes von chemischen Mitteln, wollen wir an dieser Stelle einmal nachgehen.

Dazu fragen wir uns zunächst, was überhaupt an Stoffen im Öl enthalten ist, die nun in die Umwelt geraten und teilweise durch den Einsatz von sogenannten Dispergatoren, d.h. chemischen Mitteln, die das Öl in feinere Tröpfchen zerlegen, zusätzlich freigesetzt werden.

Durch den Einsatz dieser Mittel soll eine größere Oberfläche des Öls geschaffen werden, die es für ölfressende bzw. -zersetzende Bakterien angreifbarer werden läßt. Die Folge der durch den Einsatz von Chemie veränderten Grenzflächensituation, die möglicherweise lösungsvermittelnd wirkt oder dazu führt, daß wasserlösliche oder flüchtige, potentiell giftige Stoffe in stärkerem Maße aus dem Öl austreten, ist eine weitere wichtige und kaum diskutierte Frage.

Dazu wurde schon verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht, daß der bakterielle Ölabbau, ob durch eine zusätzliche Meeresimpfung mit den erwünschten Bakterien oder durch natürliche Vermehrung der ubiquitär vorkommenden Mikroorganismen erwirkt, letztlich immer nur unter Sauerstoffverbrauch stattfindet. D.h. die Vermehrung der Bakterien durch das Öl bringt neue sauerstoffverarmte Zonen im Meer mit sich, in denen kein Leben mehr möglich ist.

Schließlich aber führen solche Veränderungen des Wassers wie Sauerstoffverarmung, Veränderung der Oberflächenspannung durch Tenside oder Dispergentien auch zu Veränderungen im Sediment. D.h. es könnten Stoffe aus dem Boden austreten oder natürliche Abläufe verändert oder umgekehrt werden, die zu neuen ökologischen Problemen und neuen Umwälzungen führen.

Ein Beispiel wurde unlängst von Wissenschaftlern des Imperial College in London bekannt gegeben. Durch die Verklumpung von Sediment durch das Öl am Meeresboden verliert dieses erwiesenermaßen seine Filterfunktion für Arsenate. Da auch aus Erdöl arsenhaltige Verbindungen austreten, wird quasi in doppelter Hinsicht die natürliche Arsenkonzentration im Meerwasser und somit seine Giftigkeit nicht unwesentlich erhöht.

Dies sind in groben Zügen die ersten naheliegenden Fragen, mit denen wir uns in den nächsten Fallstudien zur Thema Ölpest im Golf beschäftigen werden.

Anmerkungen:

[1] Die Zeit Online, 3. August 2010 Internet: www.zeit.de/wissen/umwelt/2010-08/bp-oelloch-leck- verzoegerung

[2] Umrechnung: 1 Barrel = 158.99 Liter

20. August 2010