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UMWELTLABOR/284: Der wahre Preis - Krieg der Aussichten ... (SB)


Bioindikator Olivenbaum - über die grassierende Pflanzenseuche in Apulien


Kulturlandschaft und Bodenschutz werden wirtschaftlichen Interessen geopfert

Italienisches Olivenöl ist weltberühmt. Zum einen gilt es wegen seiner gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe wie dem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren oder den mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren als ideales Diätetikum. [1] Durch den besonderen Geschmack, der je nach Anbaugebiet an grüne Tomaten, Artischocken, Äpfel, Kräuter, Beeren oder viele Arten von Nüssen und Mandeln erinnern soll, wurde es zu einer unersetzlichen Delikatesse für die mediterrane Küche. In jedem Fall ist es ein hervorragendes Speiseöl und ein für Italien wichtiger Exportartikel. Mit all dem scheint es aber bald Essig zu sein ...

Ein invasiver bakterieller Pflanzenschädling, Xylella fastidiosa, der ursprünglich aus den Vereinigten Staaten stammt und von blattsaugenden Zikaden übertragen und in die Pflanzenadern injiziert wird, grassiert in den Olivenplantagen der Provinz Lecce in Apulien, dem Stiefelabsatz Italiens. Zunächst vertrocknen nur Blätter, dann Äste und irgendwann der ganze Baum. Der Erreger nistet sich in den Wasserleitbahnen ein und vermehrt sich dort, bis seine Kolonien gewissermaßen die "Rohre verstopfen".

Der einzige Schutz dagegen - das hat der italienische Staat auf Drängen der EU bzw. aufgrund der europäischen Pflanzenquarantänerichtlinie [2] entschieden - soll nun das konsequente Abholzen der befallenen Bäume sein. Millionen uralter Bäume werden auf diese Weise der vollständigen Vernichtung überantwortet, um vor allem eine Ausbreitung der Pflanzenseuche in Europa zu verhindern, über die Oliven- und Weinanbaugebiete Italiens hinweg. Es könnte das Ende einer Kulturlandschaft bedeuten, mit Sicherheit jedoch ein Ende für viele Ölbauern, denn Neuanpflanzungen nach der Rodung machen wenig Sinn. Olivenbäume wachsen ausgesprochen langsam und brauchen Jahrzehnte, bis sie eine wirtschaftlich nutzbare Größe erreicht haben. Viele der zum Abholzen preisgegebenen majestätischen Exemplare sollen bereits seit Jahrhunderten im Familienbesitz der Olivenöldynastien sein. Das Landschaftsbild - eine pittoreske Mischung aus malerischen Bauerndörfern, roter Erde und grüner Olivenbäume - wird sich stark verändern. Die Einheimischen sehen das verständlicherweise nicht ein. Sie wittern hier unter anderem eine Verschwörung, bei der ein Pflanzenschädling dazu benutzt wird, andere Interessen zu bedienen, die schon älter sind als die Seuche. Die Region ist dabei, zu einer ökologischen Kampfzone zu werden.


Was bisher geschah

Frankreich hat bereits im April dieses Jahres die Importe von Pflanzen und Landwirtschaftsprodukten aus der süditalienischen Region eingestellt. Die Europäische Union zeigt sich im Höchstmaß alarmiert, weil es sich um den ersten Ausbruch unter Feldbedingungen auf dem Hoheitsgebiet ihrer Mitgliedstaaten handelt. Was passiert, wenn der Erreger so schlimm ist wie befürchtet, wenn er andere Gegenden in Italien erreicht oder auch nach Griechenland oder Spanien übersetzt, will niemand verantworten. Hohe Endverbraucherpreise für Olivenöl wären noch das geringste Problem.

Die EU-Kommission ersuchte die Experten der europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) um dringende wissenschaftliche und technische Unterstützung im Zusammenhang mit dem Auftreten dieser Pflanzenkrankheit. In einem 262 Seiten umfassenden Gutachten kam diese zu dem folgenschweren Schluß, das Risiko, daß sich der Erreger weiter ausbreitet, und die Gefährdung für das EU-Gebiet seien "erheblich". Die Wirtspflanzen und sogenannte "Vektoren" [gemeint sind: blattsaugende, das Bakterium übertragende Zikaden] würden auf dem gesamten Gebiet der EU vorkommen. Der Schadorganismus könnte sich zudem auf weitere Kulturpflanzen in Europa ausbreiten, darunter Citrus, Weinrebe und Steinobst (Mandel, Pfirsich, Pflaume), aber auch Baumarten und Zierpflanzen wie Eiche, Ahorn, Platane oder Oleander. In Nord- und Südamerika hatten in der Vergangenheit Ausbrüche dieses Erregers zu schweren landwirtschaftlichen Verlusten bei Zitrusfrüchten und Weintrauben geführt.

Die Region Lecce scheint somit das Bauernopfer der EU-Landwirtschaftspolitik zu werden, um schlimmsten Befürchtungen zuvorzukommen, die eintreten können oder auch nicht. Dazu ist das Problem noch nicht weit genug erforscht. Zudem wird die konsequente Durchführung der "Quarantänemaßnahmen" durch einige Ausnahmeregelungen durchlöchert, die wiederum die Dringlichkeit des gesamten Projekts in Frage stellen.

So sollen etwa einige besondere "monumentale" Bäume von historischem oder anders relevantem Erinnerungswert oder Denkmalscharakter von der konsequenten Rodung verschont bleiben. Wie man jedoch sicherstellen will, daß diese Bäume nicht für die Persistenz der Xylella-Erreger beitragen und welche Autoritäten bzw. welche Kriterien letztlich darüber entscheiden, ob ein Baum begnadigt wird oder nicht, sind noch offene Fragen.

Die italienische Regierung hat inzwischen den Notstand ausgerufen. Die Region Lecce produziert mehr als 40 Prozent des italienischen Olivenöls, wobei Italien nach Spanien der zweitgrößte Produzent ist. Im Jahr 2006 betrug die gesamte Ernte noch 626.800 Tonnen Olivenöl. Wegen anderer Pflanzenparasiten ging die Produktion 2014 auf 450.000 Tonnen zurück. In diesem Jahr werden allein durch den Xylella-Befall weitere Verluste in Millionenhöhe erwartet. Italien importiert bereits mehr Olivenöl, als es erzeugt, um die Nachfrage zu decken. Letzteres schadet dem Ruf des Qualitätserzeugnisses, denn "natives" (kaltgepreßtes) italienisches Olivenöl gilt als unnachahmlich und von Feinschmeckern eindeutig an seinem besonderen Aroma identifizierbar. Das durchaus übliche Strecken des heimischen Öls mit eingeführten, minderen Sorten aufgrund von Mißernten wurde in der Vergangenheit schon verschiedentlich als Lebensmittelskandal angeprangert. [3] Allerdings kommen die wertvollsten italienischen Olivenöle aus ganz anderen Anbaugebieten, etwa aus der Toscana, in denen Olivenöl heute noch in kleineren Mengen von Hand und oftmals in biologischem Anbau produziert wird. Apulien wie ganz Süditalien gilt dagegen zwar als Ölkammer des Landes, hier geht es aber vor allem um die Massenproduktion.

Große Mengen an Olivenöl sind auch in der chemischen Industrie gefragt. So wird eine weniger hochwertige Qualität für die Margarineherstellung verwendet, die dadurch ein gesundheitliches "Upgrade" erhält. Darüber hinaus werben auch bestimmte Naturkosmetikhersteller damit, für ihre Seifen, Shampoos und Cremes Olivenöl zu verwenden, die dadurch einen besonders hohen Anteil an natürlichen Antioxidantien (s.o.) erlangen, der Hautalterung entgegenwirken und die Schönheit wie auch immer fördern sollen. Der angestrebte Kahlschlag in Apulien könnte durch den Ausfall eines wichtigen Exportartikels eine nicht zu unterschätzende Krise für Wirtschaft und Handel mit sozialen Auswirkungen für die einheimische Bevölkerung bedeuten. Mit den Axt und Flammen geopferten Olivenbäumen wird auch die Lebensgrundlage vieler ansässiger landwirtschaftlicher Familienunternehmen und Kleinbauern vernichtet. Bedingt durch mangelnde Einkommensmöglichkeiten in den ländlichen Gegenden stellt die Olivenölproduktion - und die damit verbundene Arbeit wie Baumschnitt, Bodenbearbeitung und Ernte, aber auch Werbung und Vertrieb bis hin zum Land-Tourismus, der die Facetten des Olivenanbaus zu einer Attraktion mit rustikalem Charme gemacht hat - zahlreiche Arbeitsplätze zur Verfügung, die durch die Rodung der Olivenhaine ebenso wegfallen wie die ökologischen und kulturellen Besonderheiten der Region.

Der weitreichende Schaden für die Umwelt ist möglicherweise noch dramatischer, wurde bisher aber weder abgeschätzt noch wissenschaftlich untersucht. Er wird trotz dieser Unvorhersagbarkeiten schlichtweg in Kauf genommen, und er wächst an:

Anfangs hieß es, daß nur einige betroffene Olivenhaine plattgemacht werden müßten, dann war von einer Pufferzone von einem Kilometer Breite die Rede. Laut Tagesspiegel vom 13. März 2015 [4] wurde dieser vom italienischen Katastrophenschutz in einen sogenannten "cordon sanitaire" von bis zu 15 Kilometern Tiefe ausgeweitet. Die EU hat neben einem Verbot des Pflanzenhandels und -transports im Salento drastischere Notmaßnahmen veranlaßt, die am 18. Mai in Kraft getreten sind. Um den Ausbruch in den Griff zu bekommen, wurde eine rund 40 Kilometer breite Sicherheitszone eingerichtet, die die Halbinsel vom italienischen Festland abriegelt: Eine 30 Kilometer breite Überwachungs- und eine zehn Kilometer breite Pufferzone. In der Überwachungszone wurden bislang keine kranken Bäume nachgewiesen, sie soll weiterhin regelmäßig kontrolliert werden. In der Pufferzone sind alle kranken Bäume und - was die geschädigten Bauern besonders empört - alle weiteren Wirtspflanzen im Umkreis von 100 Metern um diesen Baum - zur sterilen Entsorgung (sprich: Verbrennung) vorgesehen. Darüber hinaus wird das Gras gemäht, der Boden umgepflügt und Insektengift gesprüht. Das alles geschieht in Begleitung eines Aufgebots an Polizisten und Carabinieri, da Widerstand seitens der Bevölkerung und von regionalen Olivenbaum-Schützern wie PeaceLink erwartet wird. Diese kämpfen um jeden nicht von Xylella befallenen Baum in der 100-Meter-Zone, deren Vernichtung ihren Recherchen zufolge nicht einmal offiziell zu den Quarantäneanforderungen der EU gehört. [5]

Der 262-seitige Bericht der EFSA macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Nicht alle befallenen Pflanzen zeigen Symptome; jede kann zum Infektionsherd werden. Da der konkrete Nachweis, ob ein Baum ohne sichtbare Symptome eines Befalls tatsächlich keine Pathogene trägt oder vielleicht doch, aufwendig und teuer ist, wird ein drastisches Durchgreifen zur Sterilisation der Gegend nach dem Motto, was weg ist, kann auch nicht mehr befallen werden, durchgeführt. Konsequenterweise müßte dann aber die ganze Gegend von jedwedem Pflanzenbewuchs befreit, zubetoniert oder anders vor der drohenden Erosion gesichert werden.

Denn gefährdet wird auch der ökologische Landschaftsschutz, den eine derart hochentwickelte, langjährige Kulturlandschaft darstellt. Oliven können auch auf steinigen, steilen und im Sommer heißen und trockenen Hängen bis ca. 500 m über dem Meeresspiegel wachsen. Sie benötigen wenig Wasser und Düngung und ertragen die harten Bedingungen wie kaum eine andere Kulturpflanze. Gerade in steilen Lagen hat dadurch der Erosionsschutz und die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch Baumbewuchs hohe Priorität, Leistungen, die in diesem Raum sonst nur Kiefern erbringen. Dem Abholzen und Verbrennen der Bäume wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verwüstung des nutzbaren Ackerbodens mit starken Verlusten folgen.

Dem gibt auch der EFSA-Bericht recht: Kahlschläge haben in ähnlichen Fällen weder in Brasilien noch in Taiwan etwas gebracht. "Gerade bei einem großen Ausbruchsgebiet erwischt man nie alle befallenen Pflanzen." Im Prinzip müsste man alle möglichen Wirte von Xylella vernichten, nicht nur die Oliven, sondern die meisten Nutz- und Zierpflanzen, und man müsste zahlreiche Insekten gleich mit vernichten: "Alle, die Pflanzensaft saugen, können zu Überträgern werden", hält die Studie lapidar fest.


Ein anderes Heilmittel gibt es nicht

Gegen die "Feuerbakterie", wie Xylella in Deutschland genannt wird (ein Name, der ihre austrocknende Wirkung beschreibt, nicht die angestrebten Maßnahmen in Süditalien), soll kein Kraut oder Antibiotikum gewachsen sein. Einem kürzlich in dem Wissenschaftsmagazin Spektrum der Woche erschienenen Artikel zufolge gilt das Pathogen als absolut "unausrottbar". [6] Es schreibt: "Ein Heilmittel gegen CoDiRO (Complesso del Disseccamento Rapido dell'Olivo, auf Englisch auch Olive Quick Decline Syndrome genannt) gibt es bisher nicht."

Der massive Einsatz von Insektengiften, mit denen die den Erreger übertragenden Zikaden als weitere Maßnahme vernichtet werden sollen, ist somit kaum mehr als hilfloser Aktionismus, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Die Region Apulien hatte ihn selbst vorgeschlagen. Nach Befürchtung von Bauernverbänden und des Umweltkomitees ist diese Maßnahme jedoch gefährlicher als Xylella selbst, denn die verwendeten Giftstoffe haben für die einheimische Tier- und Pflanzenwelt und auch für die dort lebenden Menschen schwere, unabsehbare Nebenwirkungen. Und darunter leidet die Gegend aufgrund der bereits überstandenen Insektenplagen wie Olivenmotte und Olivenfliege [7] ohnehin schon seit langem.

Insektengifte unterscheiden nicht zwischen Nutz- und Schadinsekten, töten somit auch die für die Landwirtschaft wichtigen Bestäuber u.a. Bienen und Hummeln. Darüber hinaus können sie auch in den Boden, ins Grundwasser und so wieder in Bodenorganismen, Pilze, Pflanzen und schließlich auch in Lebensmittel gelangen. Pestizidwirkstoffe sind zumeist fettlöslich und lagern sich daher in Fetten, aber auch im Fettgewebe ab. Über das Regenwasser werden Flüsse und stehende Gewässer damit kontaminiert, die wiederum entlegene, möglicherweise empfindliche Ökosysteme erreichen, die dadurch ausgelöscht oder beschädigt werden können. Bekannte Beispiele dafür sind die Eisbären am Nordpol, die bereits Vergiftungssymptome aufweisen oder vor Costa Rica gelagerte Korallenriffe, die von diesen Stoffen geschädigt wurden. [8]

Laut BUND kommt eine Studie der Universität Landau sogar zu dem Ergebnis, daß alle in der Landwirtschaft verwendeten Pestizide, d.h. Insektizide aus der Gruppe der Phosphorsäureester, Carbamate, Neonicotinoide und Pyrethroide, in den amtlich erlaubten Dosierungen bereits zu 100 Prozent für Amphibien (Frösche, Lurche, Kröten) absolut tödlich sind. [9]

Darüber hinaus bilden die eigentlichen Zielorganismen oder insektoiden "Schädlinge" auf Dauer Resistenzen gegen die eingesetzten Mittel. Sobald sie längere Zeit den gleichen Stoffen ausgesetzt sind, entwickeln sich mit jeder Generation angepaßte Spezies, deren Stoffwechsel mit den chemischen Unannehmlichkeiten klar kommt. Um dem vorzubeugen, setzen die Landwirte unter dem Deckmäntelchen der "guten oder gar besten landwirtschaftlichen Praxis (GAP)" häufig unterschiedliche und somit nach und nach alle verfügbaren Pestizide ein, was wiederum zu Mehrfachbelastungen in den betroffenen Lebensmitteln, letztlich auch im Olivenöl, führt.

Darüber hinaus kommt man zunehmend auf alte, traditionelle Pflanzenschutzmittel mit meist drastischerem Wirkprofil zurück, wenn moderne Mittel versagen, etwa auf die angeblich für Menschen unschädliche Bordeauxbrühe. [10] Dabei handelt es sich um ein hautaggressives, mineralisches Ätzmittel aus Kupfersulfat und gebranntem Kalk, das vor allem gegen Pilze eingesetzt wird, aber im Nebenherein auch Insekteneier und oft eben auch die Pflanzen selbst oder ihre biologische Umgebung chemisch verbrennt.

Die auf diese Weise bevorstehende ökologische Katastrophe für Lecce und Apulien durch den zunehmenden Einsatz solcher drakonischen Maßnahmen wird allerdings im Vergleich zu den wirtschaftlichen und sozialen Problemen von der Öffentlichkeit wenig bis kaum wahrgenommen.

Wird die Vernichtung des historisch gewachsenen Landschaftsbildes aufgrund seiner Bedeutung für den Tourismus der Gegend von einigen Medien noch am Rande als Verlust kommentiert, mag wohl kaum einer die zentrale Rolle nachvollziehen, welche die durch Sonne, Wind und Wetter teilweise seit Jahrhunderten zu bizarren Pflanzenskulpturen gemeißelten Bäume für die Menschen der Gegend darstellen. Olivenbäume können über tausend Jahre alt werden und sind daher oft untrennbar mit den Familiengeschichten und -schicksalen ihrer Besitzer verflochten. Deshalb vielleicht gingen die Rodungen bisher langsamer voran als geplant.


Maßnahmen greifen zu kurz

So war der inzwischen begonnene Kahlschlag Apuliens bereits für das Frühjahr geplant, wurde aber nicht konsequent durchgeführt. Der Tagesspiegel hatte ihn bereits am 13. März 2015 mit den Worten angekündigt, die italienische Regierung habe "unter den Tränen der Bauern die Maschinen dafür auffahren lassen". Giuseppe Silletti, der Sonderkommissar der Regierung, erklärte der Presse den Zeitpunkt des Zugreifens damit, daß man mit den Bäumen auch die Xylella übertragende Zikadenart vernichten wolle:

"Wir müssen handeln, bevor die jetzt im Frühjahr aus den Eiern schlüpfen." Er wirft aber auch den Bauern vor, die Pflege der Haine unterlassen zu haben, das Durchlüften des Bodens sowie das Entfernen von Blattwerk und Zweigen, in denen sich die jungen Zikaden wohlfühlen. [11]

Nicht diskutiert wurde, daß ein Verfehlen des richtigen Zeitpunkts zum Beispiel durch die fortgesetzten Rodungen im Laufe des Jahres die blattsaugenden Träger des schädlichen Bakteriums durch die Vernichtung ihrer Wirtspflanzen großflächig in die Umgebung und möglicherweise auf andere Nutzpflanzen vertreibt und auf andere Nutz- und damit Wirtskulturen umsiedelt. Genau das ist aber inzwischen geschehen.

Eine Gruppe von Umweltaktivisten (PeaceLink [12]) und viele Einwohner der Gegend halten die Entscheidung der Regierung für die Massenrodung, die sich über die Bedürfnisse der Natur wie auch über die der Menschen vor Ort hinwegsetzt, nicht nur deshalb für fraglich. Die Gruppe, die den Kahlschlag mit allen Mitteln verhindern will, legt hierfür einen ganzen Katalog von Argumenten vor, die sich vor allem auf die Forschungsarbeiten von Professor Alexander Purcell stützen, einem emeritierten Hochschulprofessor der Universität von California-Berkeley, der weltweit als Experte von Xylella fastidiosa gilt. Er hatte über 40 Jahre lang die Geschichte und die Ätiologie des Pflanzenpathogens sowie seiner Insekten-Vektoren erforscht, mit Feldstudien direkt in Salento. Seiner Ansicht nach sind und waren Rodungen bei früheren Xylella-Ausbrüchen wenig ergiebig, da für den Befall mit dem Pathogen etwa 180 verschiedene Pflanzensorten in Frage kommen, die konsequenterweise alle ausgerottet werden müßten. Zudem hält er es für sehr wahrscheinlich, daß das Pathogen schon im 16. Jahrhundert aus Zentral-Amerika sowie tropischen und subtropischen Gegenden aus Süd- und Nord-Amerika mit Pflanzen eingeführt wurde, die keine Symptome zeigten. Wörtlich zitiert ihn die Webseite der Aktivisten:

It is very plausible that a multitude of infected but asymptomatic plants have been introduced into Europe since the XVI century from Central America and from tropical and subtropical areas of South and North America. [13]

Danach könnte der Erreger also schon seit Jahrhunderten in Europa heimisch sein, ohne daß es bisher zu einem epidemischen Ausbruch wie in Lecce gekommen wäre. Seiner Ansicht nach kann die Vermehrung des Pathogens in den Pflanzen nach einiger Zeit von selbst zum Erliegen kommen, beispielsweise wenn die Temperaturen sinken. Einer bisher nicht weiter nachgegangenen Vermutung des Forschers nach könnten z.B. die veränderten klimatischen Bedingungen, d.h. eine höhere Durchschnittstemperatur in der Region den ungezügelten Ausbruch des Pathogens in schädigende Größenordnungen verursacht haben.

Die Gruppe hält deshalb weitere breit angelegte, wissenschaftliche Forschungen über den Krankheitserreger und seine möglicherweise natürlich begrenzenden Faktoren für unabdingbar, ehe man mit der ihrer Überzeugung nach völlig überflüssigen Verwüstung der Olivenhaine fortfährt, mit der längst begonnen wurde. [13] Sie fordern den sofortigen Stop sämtlicher Rodungsmaßnahmen und den Verzicht auf chemische Mittel zum Pflanzenschutz oder zur Insektenbekämpfung, denn weder Nutzen noch Schaden dieser Eingriffe wurde bislang wissenschaftlich untermauert.


Andere Ursachen sind nicht auszuschließen

Auch die Untersuchung möglicher weiterer Faktoren, welche die natürliche Widerstandsfähigkeit der seit Jahrhunderten Wind und Wetter trotzenden, robusten Bäume untergraben haben könnten, sei nach Meinung der Gruppe nicht in ausreichendem Maße erfolgt. So könnte die immunabwehrschwächende "Schädlingskette" (wie Olivenmotte- und -fliege) auch von einigen weiteren natürlichen Schadorganismen im Vorfeld der derzeitigen Epidemie komplettiert worden sein.

Unter anderem wurden der EU-Kommission eigene Erhebungen der regionalen Aktivisten vorgelegt, nach denen sogenannte tracheomykotische Pilze - und nicht das Bakterium Xylella fastidiosa - für das im süditalienischen Apulien beobachtete Absterben von Olivenbäumen (hier Olive Quick Decline Syndrome genannt) sein. Um die Region vor dem Kahlschlag zu bewahren, unterstützt die Gruppe PeaceLink Studienvorhaben, die nach anderen ökologischen Zusammenhängen suchen, die Xylella den Weg ebnen könnten. Forschungsergebnisse der Universität Foccia, auf die sich die Gruppe stützt, sowie Versuche, bei denen die Gruppe selbst 500 Olivenbäume erfolgreich vom Pilz- und damit auch vom Xylella-Befall befreit haben will, wurden der Europäischen Kommission vorgelegt und auf deren Ersuchen von der EFSA geprüft.

Letztere kam trotz sämtlicher Studienergebnisse zu dem Schluß, daß es derzeit keine ausreichenden wissenschaftlichen Hinweise zur Stützung der Hypothese gäbe.

Daß es auch keine die Hypothese widerlegenden Untersuchungen gibt, fällt - wie so oft - weniger ins Gewicht. Doch nicht nur die ungewöhnliche Ausbreitung dieser Pilzart in den letzten Jahren, auch zahlreiche landwirtschaftliche oder menschliche Einflüsse (angefangen von der anthropogen verursachten Klimaänderung, der zunehmenden Erwärmung, der feuchteren, u.a. Bakterienwachstum begünstigenden Wetterlage bis zur zunehmenden Anwendung agrochemischer Produkte in unmittelbarer Nähe) lassen sich als Ursache für die Schwächung des ökologischen Gesamtgefüges nicht ausschließen.


Xylella, Botin des Klimawandels?

Fakt ist, daß sich das erst 2013 dingfest gemachte Bakterium deutlich schneller verbreitet, als man aus der Erfahrung mit anderen Ausbrüchen vermuten konnte. Damals waren nur etwa 8.000 Hektar in Lecce betroffen, dem Epizentrum des Ausbruchs. Im Oktober 2014, nach einer zusätzlichen Schwächung durch Olivenmotten und -fliegen, waren es bereits 23.000 Hektar. Inzwischen hat man Xylella schon in Plantagen in Oria entdeckt, 30 Kilometer von Lecce entfernt, wie der Leiter des Instituts für nachhaltigen Pflanzenschutz in Bari, Donato Boscia, der maßgeblich an der Erforschung der Xylella-Epidemie beteiligt ist, in Spektrum der Woche [6] erklärte. Seine Forschung wird von der Regierung unterstützt, die die Vernichtung der befallenen Bäume angeordnet hat. Er selbst würde die von der italienischen Regierung und auch die von der EU zugesagten Forschungsgelder gerne dafür einzusetzen, Lecce zu einer Art Open-Air-Labor umzufunktionieren, um die Parasiten in dem unfreiwilligen Freilandversuch genauer zu untersuchen. In Spektrum der Woche [6] wird er dazu mit den Worten zitiert:

In einem großen Teil der Provinz Lecce können wir auf das Vernichten der Olivenbäume verzichten, da die EU anerkannt hat, dass sich Xylella hier etabliert hat und damit nicht auszurotten ist. Das gibt uns die Möglichkeit, eine ganze Serie von Experimenten durchzuführen, um herauszufinden, wie man mit Xylella leben kann. [6]

Solche Aussagen schaffen bei den örtlichen Umweltgruppen nicht unbedingt Vertrauen. Wenn das gesamte Baumvernichtungs- und Sterilisationsvorhaben derart wenig Chance auf Erfolg hat, drängt sich doch die Frage nach dem Sinn dieser drastischen Aktionen mit allen Folgen, die für Menschen, Natur und Umwelt immer noch in Kauf genommen werden, geradezu auf.

Der Xylella-Experte Donato Boscia wurde hingegen bereits von Umweltaktivisten, möglicherweise aufgrund dieses nach außen getragenen, unverhohlenen Forschungseifers, verdächtigt, durch Aussetzen entsprechender Xylella-Organismen während eines Workshops in dieser Gegend, der unentdeckten Verbreitung des Schadorganismus Vorschub geleistet zu haben. Dieser Vorwurf wurde inzwischen als unhaltbar ausgeräumt. Wie die Fachzeitschrift "Nature" im Juni ernsthaft diskutierte, handelte es sich bei dem Bakterium, das im fraglichen Workshop untersucht wurde, und bei dem, das nun sein Unwesen treibt, um verschiedene Unterarten. Dennoch ist die Ursache der Pflanzenepidemie bis jetzt nicht wirklich geklärt. Die Vermutung, Xylella wäre mit Zierpflanzen aus Costa Rica eingeführt worden, kann sich nur in Ermangelung besserer Erklärungen halten.

Die Umweltorganisation PeaceLink, die sich vor allem für den Schutz der Olivenbäume ausspricht, kommt Forschungsehrgeiz somit eigentlich entgegen. Sie klagt die Regierung an, ohne ausreichende wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema und ohne über den Tellerrand (sprich die Wirtschaftsverflechtungen) hinauszudenken, vorschnell zu drakonischen Maßnahmen gegriffen zu haben, deren Folgen unausweichlich sind. Von diesem Vorbeugen ohne Rücksicht auf Verluste würden ihrer Meinung nach vor allem einige Interessengruppen profitieren, die jetzt schon um die Flächen konkurrieren, die durch die Rodungen für sie erst verfügbar würden: allen voran die Regierung bzw. öffentliche Hand selbst, die die karge Landschaft für den Ausbau einer breit angelegten Infrastruktur für die Industrieanbindung der Region nutzen will. Außerdem gibt es Energiekonzerne, die schon lange ein begehrliches Auge auf die sonnenverwöhnte Ecke Europas geworfen haben und für deren lukrative Photovoltaikanlagen bereits - wie die einheimische Presse immer wieder kritisiert - viele Hektar Olivenplantagen "illegal" weichen mußten. Auch einige Hotelketten wittern günstiges Bauland, sobald die ersten Bauern Konkurs anmelden müssen und schließlich macht sich hier seit langem die italienische Mafia verdächtig, die relativ wenig bevölkerte Region als idealen Standort auserkoren zu haben, um Gifte und Klärschlämme aus ganz Europa in den Erdboden zu versenken.

Diese Form der "Düngung" könnte im Umfeld von Plantagen, gemeinsam mit dem Einsatz von Pestiziden, mit denen die Olivenhaine immer wieder "saniert" wurden, zu jener Schwächung der Bäume beitragen haben und erst die Steilvorlage bieten, nach der Schadorganismen wie Xylella ein leichtes Spiel haben.

Ob sämtliche Vorsichtsmaßnahmen, die, von der EU empfohlen und der italienischen Regierung angeordnet, letztlich ausreichen werden, um die Bakterien in Schach bzw. in Italien zu halten, ist ebenfalls höchst ungewiß: Schaumzikaden oder andere befallene Insekten könnten durchaus von Menschen oder an Fahrzeugen unbemerkt aus der Quarantänezone exportiert werden und den Erreger so weiter verbreiten, zumal er durch die verlorene Vegetation mobil geworden ist. Theoretisch müßte jedweder Handel von pflanzlichen Produkten mit Italien unterbunden werden, da man nicht einmal genau sagen kann, welche Pflanzen als Wirte in Frage kommen könnten. Doch so weit reicht die Konsequenz nicht.

Die wissenschaftliche Mangelkenntnis, die zahlreichen, bis heute unhinterfragten Ungereimtheiten sowie die in ihrer Konsequenz nur als beliebig zu bezeichnenden Maßnahmen im Falle einer Seuche lassen nur den Schluß zu, daß der Pflanzenkrankheit bislang nicht die Bedeutung zukam wie heute. Das wirft Fragen auf, inwieweit der ubiquitäre Raubbau des Menschen an der Natur die Olivenbäume zu Bioindikatoren werden läßt, die nur der Anfang einer unvorhersagbaren Umwelt- und Naturentwicklung sind.


Anmerkungen:

[1] Aufgrund des hohen Gehalts an ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fettsäuren (u.a. auch Omega-3-Fettsäuren) sowie begleitenden sekundären Pflanzeninhaltsstoffen (wie die antioxidativ wirkenden Tocopherole und phenolische Verbindungen) wird ihm ein positiver gesundheitsfördernder Effekt nachgesagt. Zahlreiche Vitamine und Nährstoffe machen es gesund und nahrhaft. Es soll Herz-Kreislauferkrankungen und Gefäßschädigungen vorbeugen und auch den Fettstoffwechsel verbessern, außerdem wirkt es entzündungshemmend und antibakteriell.

[2] http://pflanzengesundheit.jki.bund.de/dokumente/upload/5d8ea_be2014-917meldung-so-de.pdf

[3] 2014 sorgten Feuchtigkeit und große Niederschlagsmengen für eine Zweifach-Plage von Olivenfliegen und Olivenmotten sowie erhebliche Ernteausfälle im ganzen Mittelmeerraum. Dies führte besonders in Italien zu einem Versorgungsengpaß und somit zum Öl-Panschen. Möglich wurde dies durch ein rechtliches Schlupfloch, das Unternehmen erlaubt, jedes Öl, das in Italien abgefüllt wurde, auch als italienisches zu kennzeichnen. Olivenöl aus Algerien, das also in Italien abgefüllt wurde, kann daher als italienisches Olivenöl verkauft werden.

http://munchies.vice.com/de/articles/fangt-an-das-kostbare-italienische-olivenol-zu-horten-734

Ein Problem mit langer Tradition, siehe auch:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/lebensmittelskandal-die-schmierigen-geschaefte-der-olivenoel-mafia-a-805678.html

[4] http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/bakterie-xylella-aus-amerika-zerstoert-ernten-italien-laesst-eine-million-olivenbaeume-faellen/11502326.html

[5] http://xylellacodiro.blogspot.de/

[6] http://www.spektrum.de/news/bakterien-bedrohen-italiens-olivenbaeume/1355730

[7] Die Olivenfliege (Bactrocera oleae) ist einer der bedeutendsten Schädlinge für den Olivenbau. Sie legt ihre Eier in die reifenden Oliven. Die daraus schlüpfenden Larven zerfressen das Fruchtfleisch. Als Gegenmaßnahme für die jährliche Schädigung ist in Spanien die Freisetzung von gentechnisch veränderten Olivenfliegen geplant, siehe:

http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/internat/uign0074.html

Bei der Olivenmotte (Prays oleae) bohren sich die Larven (Minierer) durch Laub und Blätter und fressen das Blattgewebe zwischen Ober- und Unterhaut (Cuticula) der Blätter des Olivenbaums auf. Dadurch entstehen typische Fraßgänge (Minen). Das Blatt stirbt dadurch ab und vertrocknet.

[8] http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/pestizide/pestizide-zerstoeren-die-umwelt

[9] http://www.bund.net/themen_und_projekte/chemie/pestizide/gefahr_fuer_die_natur/tiere/amphibien/

[10] Dabei handelt es sich um eine Suspension von gebranntem Kalk (CaO) in einer wässrigen Kupfersulfatlösung. Bordeauxbrühe wird zur Bekämpfung des Falschen Mehltaus an Reben verwendet. Auch bei der Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans) der Kartoffel kam sie früher zum Einsatz. Außerdem wirkt sie auf einige Insekten als Repellent und hat sogenannte "ovizide" Eigenschaften, kann also Insekteneier abtöten. Die Cu2+-Ionen der Bordeauxbrühe, die in den Pilzsporen als Enzymgifte wirken, verhindern die Keimung. Dazu muß das Mittel jedoch protektiv, also vorbeugend, ausgebracht werden, mit starken toxischen Wirkungen für die Umwelt. Wegen des enthaltenen Branntkalks wirkt die Brühe stark alkalisch und kann insbesondere in unverdünnter Form zu Verätzungen der Haut führen. Bei Überdosierung werden auch die behandelten Pflanzen geschädigt.

[11] http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/bakterie-xylella-aus-amerika-zerstoert-ernten-italien-laesst-eine-million-olivenbaeume-faellen/11502326.html

[12] http://xylellacodiro.blogspot.de/2015/04/peacelink-on-eu-decision-victory-for.html

[13] http://xylellacodiro.blogspot.de/2015/07/activist-group-petitions-new-puglia.html

und:

http://xylellacodiro.blogspot.de/2015/05/professor-alexander-purcell-on-xylella.html

5. August 2015


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