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UMWELTLABOR/293: Baktokosmetik ... (SB)


Mikroben - Retter des Planeten?


Allen Nachhaltigkeitsappellen zum Trotz sieht die Erde ihrer langsamen, aber unaufhörlichen Vermüllung entgegen. Schon das Anwachsen der sichtbaren Müllberge könnte die Oberfläche der Erde sprichwörtlich in Schrott und Plastik versenken - die täglich anfallenden 3,5 Millionen Tonnen Festmüll sollen sich bis 2025 verdoppeln. 2100 rechnen die Forscher um Prof. Daniel Hoornweg (Universität von Ontario, Kanada), die eine Studie dazu im Fachjournal "Nature" [1] veröffentlichten, sogar mit täglich mehr als elf Millionen Tonnen festen Abfällen, was - gäbe es so etwas wie eine Weltmülldeponie - einer 10.000 Kilometer langen Warteschlange aus Müllwagen entsprechen würde, die sich dann dort zur täglichen Entsorgung einfinden müßten.

Eine Möglichkeit, den Müllberg zu verkleinern, z.B. das Verbrennen oder Verschwelen der Abfälle, bringt allerdings noch zusätzliche Schadstoffe in Bewegung, die ein vielleicht noch größeres, wenn auch unsichtbares Stoffaustauschproblem darstellen. Die Belastung der verschiedenen Umweltmedien mit Begleitstoffen, die mit dem Raubbau, d.h. durch Gewinnung, Veränderung oder andere Verwertung von Rohstoffen, einhergeht, ist immens: Täglich verpesten wir damit die Luft, verschmutzen Meere, zerstören die Böden und die Natur mit gasförmigen oder flüssigen Begleitprodukten der Industrie.

Einen Dreh- und Angelpunkt dieses Mißbrauchs stellen die die CO2-Emissionen dar. Kohlenstofflager, die sich in Hunderten Millionen von Jahren gebildet haben, wurden und werden in wenigen Dekaden oxidiert und als CO2 in die Atmosphäre geblasen. Ein Symptom der systematischen Atmosphären-Verschmutzung mit dem Treibhausgas ist die zunehmende Wärmeisolation (Treibhauseffekt) der Erde, der Klimawandel. Der damit verbundene Stoffumsatz setzt aber auch folgende Schadstoffgruppen frei, die u.a. durch die energieverbrauchende Produktion erzeugt werden:

  • Chemikalien,
  • Schwermetalle (aber auch andere Mineralstoffe wie Asbest und Beryllium), siehe Bleikinder und Gressenicher Krankheit,
  • Öl,
  • Dünger (Nitrat, Phosphat) bei unsachgemäßer Anwendung oder Überdüngung,
  • Pestizide, Herbizide, Fungizide in Landwirtschaft und Hausgärten bei unsachgemäßer Anwendung,
  • Stickoxide, Ammoniak,
  • Schwefeldioxid,
  • Arzneimittel, Antibiotika,
  • Kohlenwasserstoffe wie Benzol, Toluol,
  • radioaktive Stoffe

Fast unbemerkt können sie sich in Wasser, Umwelt und Boden ansammeln, in die Nahrungskette gelangen und Einfluß auf Gesundheit und Befindlichkeit der Lebewesen nehmen. Selbst Katastrophen wie der erneute Brand einer Ölplattform im Golf von Mexiko sieben Jahre nach dem Untergang der Bohrstation Deepwater Horizon 2010 werden heute kaum noch wahrgenommen. [2] Nur wenn es "ganz dick" kommt, wenn - wie bereits in der Vergangenheit geschehen, ganze Regionen in kurzer Zeit davon unbewohnbar wurden, unzählige Lebewesen davon sterben mußten oder Krankheit und Zerstörung definitiv auf sie zurückzuführen waren, wurde man sich dieser Giftstoffe überhaupt bewußt. Solcherart aufmerksamkeitsbindende Beispiele waren neben Deepwater Horizon etwa die Zerstörungen durch den Einsatz von hochgiftig mit Dioxin belastetem Agent Orange im Vietnamkrieg, das Austrocknen des Aralsees (heute: eine mit Pestiziden und Schadstoffen angereicherte Salzwüste), die Dioxin-Katastrophe in Seveso 1976, die Folgen von Bophal im Dezember 1984 (Methylisocyanat), das Großfeuer bei Sandoz 1986 mit den dadurch freigesetzten 20 Tonnen Gift, die in den Rhein gingen: Pestizide, Insektizide, Quecksilber, Tschernobyl 1986 (weitreichende radioaktive Verseuchung), Exxon Valdez 1989 (Ölpest vor Alaska), die Ölpest am Persischen Golf 1991, die Gesundheitsprobleme infolge des Betriebs von MMC Norilsk Nickel (von 1993-2001 Emissionen von Schwefeldioxid, Feinstaub, Stickstoffoxiden, Kohlenstoffoxiden, Phenolen sowie den radioaktiven Stoffen Strontium-90 und Cäsium-137), der Untergang der Prestige 2002 (Ölpest), die Probleme in Bajos de Haina, dem "dominikanischen Tschernobyl", aufgrund von Blei durch großangelegtes Batterierecycling, der Smog in China (10fach überschrittene Luftbelastungsgrenzwerte in allen Industriestädten), oder die radioaktive Verseuchung großer Gebiete um Fukushima (seit 2011 bis heute). Daß heute von den Folgen, die in den Regionen immer noch spürbar sind, kaum gesprochen wird, liegt unter anderem daran, daß schon bald nach Veröffentlichung des Gefährdungsausmaßes immer der überraschend gleiche Beschwichtigungsmechanismus in Erscheinung tritt: Auf neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend werden Lösungen versprochen, wie die Umweltschadstoffe quasi per Selbstreinigungseffekt in Wasser oder Boden aus der Welt geschaffen werden können.


Mikroskopische Aufnahmen von verschiedenen Lebensformen, die im sauren Flutungswasser der Uranmine gefunden werden.- Foto: © 2012 The Authors MicrobiologyOpen, Published by Blackwell Publishing Ltd., Abbdruck als CC BY-NC erlaubt, [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3426414/figure/fig01/]

Schadstoffresistent oder -abbauend? - Bakterien, Algen, Amöben, Hefen oder Pilze - in dem ehemaligen Uranbergwerk Königstein kommen sie alle vor.
A: Wimperntierchen, B: Flagellaten, C: Fließamöben (Vahlkampfia), D: Rädertierchen (Bdelloidea)
Foto: © 2012 The Authors MicrobiologyOpen, Published by Blackwell Publishing Ltd, Abbdruck als CC BY-NC erlaubt, [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3426414/figure/fig01/]

Vor allem von Bakterien, Algen, Amöben, Hefen oder Pilzen, für die schädliche Umweltchemie leckere Happen sein sollen, verspricht sich die Forschung immer wieder viel. Vertreter dieser Spezialisten sollen überall im Boden oder im Wasser vorkommen. Sobald ihnen im Katastrophenfall leckeres Futter im Übermaß angeboten wird, vermehren sie sich. Als potentielle Abgas-, Öl- oder Dioxinfresser und sogar Uranvertilger ernten sie mediale Vorschußlorbeeren, die sie dann bei genauerer Prüfung allerdings doch nicht verdienen. Denn oftmals lassen sich weder die Beobachtungen im Reagenzglas oder in Laborkulturen, noch die gewonnenen oder gezüchteten Mikroorganismen auf den Feldversuch übertragen. Manche "Retter des Planeten" überstehen die Belastung mit hohen Konzentrationen an Chemie oder radioaktiver Bestrahlung in den Katastrophengebieten gar nicht erst, andere können zwar die fraglichen Giftstoffe verstoffwechseln, so daß sie abgebaut zu sein scheinen.

Nur wird die mögliche Toxizität der dadurch erzeugten Spalt- oder Abbauprodukte nicht weiter oder genauer hinterfragt. Zwei der jüngeren Beispiele sind zum einen anaerobe Bakterien, von denen Ende Dezember im Deutschlandfunk berichtet wurde [3], die noch tief im Boden in der Lage wären, Dioxine und vor allem das besonders giftige TCDD (2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin, besser bekannt als Sevesogift) zu vernichten. Zum anderen wurde von dem Online Magazin Spektrum.de die mit strahlungsresistenten Mikroorganismen verbundene Problematik oder hilfreiche Fügung diskutiert, die man in alten Uranminen oder vielleicht auch in Endlagern der Nukleartechnologie finden könnte und dabei eine ältere Studie zitiert, deren Erkenntnisse bereits häufiger als Lösung für radioaktiv belastete Zonen mißinterpretiert werden. [4, 5]


Dioxinfresser picken nur die besten Häppchen

Im ersten Beispiel wurden Bakterien in den Fokus gerückt, die quasi das Chlor von dem Gift abbeißen und dies damit entschärfen können. Dr. Tran Hoa Duan vom Industrial College in Hue hätte sie in Zusammenarbeit mit Deutschen Wissenschaftlern vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Vietnam im Labor gezüchtet. 60 Kilometer westlich der vietnamesischen Stadt Hue befindet sich der ehemalige US-Militärflughafen A Luoi, einer von 30 Luftwaffenstützpunkten, von denen aus mehr als 35 Tonnen des "Entlaubungsmittels" Agent Orange über Vietnam versprüht wurde. Herstellungsbedingt war es sehr stark mit TCDD verunreinigt, das teilweise bis heute, noch 40 Jahre nach dem Versprühen des verheerenden Stoffs, Boden und Grundwasser vergiftet. Zwar spricht die auf bakterielle Dehalogenierung spezialisierte Mikrobiologin Dr. Ute Lechner von der Universität Halle gegenüber dem Deutschlandfunk von einer Bakterie, die bereits einzelne Dioxinverbindungen vollständig abbauen könnte, doch relativiert sie noch in diesem Zitat, daß es bis zu 210 verschiedene Einzelsubstanzen von Dioxinen gäbe, die alle toxisch sind und teilweise bis zu acht Chloratome besitzen. Nicht gesagt wird, was aber in der Habitilationsschrift von Dr. Lechner deutlich wird, daß so manche fünf oder acht Chloratome besitzende Dioxin- oder Furan-Verbindung erst durch den bakteriellen Angriff zu dem giftigsten Seveso-Wirkstoff TCDD gemacht wird und nur die Dioxine vollständig abgebaut werden können, die ohnehin und auch nur zufällig relativ wenig Chlor abbekommen haben, denn Dioxinfeinschmecker fressen nicht, sie picken sich nur immer mal ein Chlörchen und das mit Zeit und Muße ... [6]


Mikrobielle Klimaretter

Mikrobielle Hoffnungsträger werden nicht nur für den Abbau von Umwelttoxinen, sondern auch für die Lösung des Klimaproblems generiert. Derzeit entdecken die Energieversorger ihre Liebe zu vermeintlich CO2-fressenden Kleinstlebewesen und finanzieren zahlreiche Forschungsprojekte. Einzeller sollen die Abgase der Kohlekraftwerke in Biomasse umwandeln. Aus dem Schleim hoffen sich RWE, E.ON, Vattenfall und Co dann auch noch Biokraftstoffe zu gewinnen: eine klassische "Win-Win"-Situation?

Nun ja, im ersten Test mit Algen war die Energieausbeute nur gering. Um das gewünschte Win-Win-Ergebnis zu erziehlen, müßte die Anlage mit Bioreaktoren oder -aquarien neben einem durchschnittlichen Braunkohlekraftwerk mehrere Quadratkilometer groß sein. Denn Algen benötigen Licht zum Wachsen und haben daher einen enormen Platzbedarf. Wieviel CO2 bei der Herstellung der benötigten Glaskonstruktion in die Luft geblasen wird, ging dabei noch nicht in die Loss-Loss-Rechnung ein. Eine alternative CO2-verwertende Bakterienart, d.h. ein auch im Dunkeln wachsender Abgasfresser, Acidianus ambivalens (nomen est omen), fühlt sich zwar auch bei 80 Grad superwohl und braucht außer CO2 nur noch Schwefel zum Leben, um den Kohlenstoff in Bernstein- und Milchsäure umzuwandeln. Doch, wie der Name schon sagt, ist Acidianus "ambivalent" in der Entscheidung, ob er seinen Stoffwechsel in Gang setzt oder nicht, bzw. CO2 verarbeitet oder es ganz sein läßt. Die für weiße Biotechnologie bekannte Firma "BRAIN" in Hessen arbeitet bereits an einer genetischen Veränderung, die "Ambivalens" diese Launenhaftigkeit austreiben soll. [7]

Immer wieder ist auch Öl im Meer Einsatzgebiet für mikrobielle "Putztruppen". Von den 500.000 Tonnen Öl, die 2010 aus den gekappten Leitungen der Deepwater Horizon strömten, sollen 30 Prozent von Mikroorganismen abgebaut worden sein. Die Meeresforscherin Antje Boetius vom Alfred Wegener Institut bestätigte dem Schattenblick 2014 [8], daß es zwar eine Vielfalt von Bakterien im Meer gebe, die tatsächlich unterschiedliche Kohlenwasserstoffe fressen könnten. Sogar das seinerzeit in Massen versprühte "Corexit", ein sehr umstrittenes Tensid, mit dem das Öl in viele kleine Tröpfchen emulgiert und zum Verschwinden gebracht wird, schmeckt ihnen. Sie ziehen es sogar dem Öl vor. Allerdings brauchen sie für die für den Öl-Abbau gewünschte Vermehrung sowohl Sauerstoff als auch Mineralien (Phosphor, Schwefel und Stickstoff), die im Meer nur limitiert verfügbar sind, und teilweise auch hohe Temperaturen. Ihre Aktivität war im Golf von Mexiko eingeschränkt, denn der größte Teil des Öls ist in die Tiefsee abgesunken, wo Sauerstoff Mangelware ist. Und mit dem Corexit (10 bis 20 Prozent der zu lösenden Ölmenge sind dafür nötig) hätte man eigentlich auch Düngemittel ins Meer schütten müssen, um die Aktion erfolgreich durchzuführen. Laut Boetius wird es noch einige Jahrhunderte dauern, bis das Öl der Deepwater Horizon abgebaut ist.


Uranabbau heißt auch Uranverteilung

Unkontrollierbare Risiken stellen mikrobielle Lösungsansätze bei der Sanierung atomar verseuchter Gebiete dar. So werden seit ihrer Entdeckung 1987 im Faulschlamm des Potomac in Washington D.C. (ein Jahr nach Tschernobyl) die Bakterien der Familie Geobacter als mögliche Uranfresser diskutiert. Geobacter-Arten atmen keinen Sauerstoff, sondern Metall. Neben Geobacter sulfurreducens, der zur Energiegewinnung Schwefel reduziert, bevorzugt Geobacter uraniireducens tatsächlich dieses für andere Organismen wegen seiner Strahlung tödliche Metall. Es hätte, wie die Wissenschaftsjournalistin Andrea Bannert in dem populärwissenschaftlichen Magazin PM schrieb [9], einen erstaunlichen Trick entwickelt. Auf seiner Oberfläche trägt der Organismus winzige Nanodraht-ähnliche Härchen oder Kapillaren, die das Uran aus dem Wasser saugen. Die Entdeckerin Gemma Reguera, Forscherin der Michigan State University (MSU), hält diese "Drähte" für die primären Katalysatoren der Uraniumreduktion. Sie führten eine Art Galvanisierungsprozeß durch, immobilisierten dabei das radioaktive Metall und verhinderten dadurch zumindest einen Eintritt ins Grundwasser. [10] An der stillgelegten Uranmine Riffle Mill in Colorado, USA würden Geobacter Bakterien bereits eingesetzt und hätten 90 Prozent des löslichen Urans aus dem Grundwasser der Mine entfernt.

Für einen Einsatz in Fukushima käme Geobacter allerdings nicht in Frage, sagt die Forscherin, "die Radioaktivität sei dort zu hoch. Das Bakterium würde durch die Strahlenbelastung zu Grunde gehen." Das läßt sich nachvollziehen, denn "Nanodrähte" sind ein Sammelorgan, aber kein Schild gegen Radioaktivität.

Das Team von Gemma Reguera hat sich daher auf die Zucht genetisch veränderter Geobacter-Varianten spezialisiert, die besonders viele dieser Funktionshärchen entwickeln. Damit möchte sie Bauteile beschichten, die dann in stark kontaminierten Gebieten zur Umweltsanierung in die Erde eingebracht werden können, um dann auch andere radioaktive Materialien, Plutonium oder Cäsium etwa, aus dem Wasser zu ziehen. Erste Ergebnisse oder Prototypen werden allerdings erst in zehn Jahren erwartet. Bis dahin fließt in Fukushima noch viel isotopenverseuchtes, radioaktives Wasser ins Meer.

Andere Wissenschaftler setzen bei der Bekämpfung der Radioaktivität auf Mikroorganismen, die starke Strahlenbelastung durchaus aushalten. Auch hier wurde im gentechnischen Labor eine Variante entwickelt, die in der Lage ist, Uran in ein unlösliches Phosphatsalz umzubauen. Nur sind strahlungsresistente Organismen wie Deinococcus radiodurans, der bis zu 5.000 Gray aushält, oft wenig daran interessiert, radioaktive Giftstoffe tatsächlich aufzunehmen oder abzubauen. Der Mensch stirbt schon an Bruchteilen davon.

Strahlungsresitente Algen wie Coccomyxa actinabiotis sind ebenfalls als Uranfresser im Gespräch. Sie wachsen ohne Zugabe von Düngemitteln, fressen neben Uran auch radioaktive Isotope von Silber, Cäsium, Zink, Kobalt oder Kohlenstoff, nur brauchen Algen (s.o.) Licht und somit viel, viel Platz.

Strahlungsresistente Mikroben, die in Altlasten vorkommen und sich vermehren können, sind für Wissenschaftler bei der Suche nach Endlagermöglichkeiten für radioaktiven Abfall allerdings auch Anlaß zur Sorge. So berichtete Spektrum.de [4] von ungewöhnlichen Schleim-Stalaktiten (im Englischen auch "Snotties" - Nasenschleim - genannt), die in der ehemaligen Uranmine Königstein in der Sächsischen Schweiz von der Decke hängen.


A: Stollen und Rohrsysteme, B: Nahaufnahme der Biofilme, C: Schleim-Stalaktiten und D: in Nahaufnahme. - © 2012 The Authors MicrobiologyOpen, Published by Blackwell Publishing Ltd. Abbdruck als CC BY-NC erlaubt, [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3426414/figure/fig01/]

Bilder aus der Mine Königstein zeigen die Probleme, die strahlungsresistente Mikroorganismen mit sich bringen. Sie überleben nicht nur in einer lebensfeindlichen Umgebung. Sie unterstützen die Korrosion.
© 2012 The Authors MicrobiologyOpen, Published by Blackwell Publishing Ltd. Abbdruck als CC BY-NC erlaubt, [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3426414/figure/fig01/]

In der inzwischen stillgelegten Mine wurde 1984 das konventionelle Abbauverfahren des radioaktiven Schwermetalls durch ein besonders umweltschädliches, chemisches Verfahren ersetzt, bei dem der letzte Rest aus nur noch wenig ergiebigem Gestein mit verdünnter Schwefelsäure herausgelöst und -gepreßt an die Oberfläche gepumpt wurde. Dort gewann man das Uran in einer Aufbereitungsanlage aus der Lösung und leitete den Rest wieder in das Gestein zurück. Um eine größere Umweltkatastrophe zu verhindern, mußten die Stollen "kontrolliert" geflutet werden, sonst hätte das Wasser die gelösten Schadstoffe aus dem Sandstein ins Grundwasser oder in Bäche, Flüsse und Seen an der Oberfläche spülen können. Im Flutungswasser hat sich ein Biotop aus Mikroorganismen gebildet, die in dieser lebensfeindlichen Umgebung gut überleben können. Eine Forschungsgruppe um Evelyn Krawczyk Bärsch und Thuro Arnold vom Institut für Ressourcenökologie des Helmholtz Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) untersucht diese Lebensgemeinschaft in dem extrem schwermetallhaltigen, sauren Grubenwasser seit 2008.

Auch hier vermuten die Forscher, die ihre Ergebnisse in MicrobiologyOpen veröffentlichten [5], daß die Mikroorganismen in erster Linie Gifte aus ihrer Umwelt herausfilterten. Der Cocktail aus unterschiedlichsten Organismen könnte aber auch Aufschluß über Gefahren bei der Suche nach einem Endlager für die strahlenden Abfälle der Nuklearindustrie geben. Hier steht die Forschung noch ganz am Anfang.

So erklärte ein weiteres Mitglied der HZDR-Forschungsgruppe, daß die Bakterien als Reaktion auf Streß oder zu ihrem eigenen Schutz eventuell auch verschiedene Substanzen abgeben, die dann mit den Produkten oder der Umgebung in einem Endlager reagierten. Das könnten Stoffwechselprodukte der Mikroben wie Oxalsäure, Zucker oder Phosphate sein, die radioaktive Metalle wie Uran, Plutonium, Americium und andere in sogenannten "Komplexen" fest binden. Auch die bereits erwähnten "Nanodrähtchen" von Geobacter böten solch eine Möglichkeit. In dieser Form kann das Wasser im Untergrund die Substanzen mitsamt ihrer radioaktiven Fracht transportieren und Organismen können sie aufnehmen. Ausscheidungen von Bakterien würden auch zur Korrosion beitragen, so daß die Materialien von Geräten und Containern mit radioaktiven Inhalten sowie die Abdichtungen von Endlagern ganz neu durchdacht werden müssen.


Endlösung - Helfer aus der Retorte?

Wenn die Natur nicht genug leistet, könnten synthetische Mikroben die Putzarbeiten übernehmen, schlägt Craig Venter, der Mann, der als Erster das menschliche Genom entschlüsselt hat, in einer seiner Visionen vor, in der mikrobielle Helferlein nicht nur Öl in der Tiefsee und radioaktive Stoffe in Endlagern vernichten, sondern auch Kohlenstoffdioxid CO2 aus der Luft filtern und nebenbei noch ganz neue, umweltinerte Treibstoffe absondern. In dem nach ihm benannten Craig Venter Institute arbeiten Forscher bereits daran, einen Minimalorganismus (Mycoplasma laboratorium) zusammenzubauen, der nur elementare 300 Gene besitzt, um sich zu ernähren und zu teilen und in den dann die gewünschten Gensequenzen für gewünschte Putz- oder Produktionsfunktionen eingesetzt werden sollen.

Das umstrittene Projekt wirft jedoch nicht wenige Fragen auf: Was, wenn die künstlichen Lebensformen - wie geplant - tatsächlich zur Umweltsanierung eingesetzt werden? Wie soll ihre Ausbreitung in Schach gehalten werden? Wie soll überhaupt ihre Reaktion auf eine natürliche Umwelt, mit der sie noch nie Berührung hatten und die sich auch nicht im Labor nachstellen läßt, abgeschätzt oder kontrolliert werden? Die Lösung des Craig Venter Labors, man könne sie von Nahrungszusätzen abhängig machen, die sie in der Natur nicht finden, scheint doch recht lahm, gemessen an den unbegrenzten Möglichkeiten und Variablen der Natur und ihrem Selektions-Potential, Mikroorganismen anzupassen oder zu verändern. Eins ist sicher, so oder so gehört den Mikroorganismen am Ende unserer Tage diese Welt.


Anmerkungen:

[1] http://www.nature.com/news/environment-waste-production-must-peak-this-century-1.14032

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-189.html

[3] http://www.deutschlandfunk.de/der-lange-schatten-von-agent-orange-mit-bakterien-gegen.676.de.html?dram:article_id=375008

[4] http://www.spektrum.de/news/bakterien-koennten-endlager-beeintraechtigen/1433500

[5] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3426414/pdf/mbo30001-0083.pdf
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3426414/

[6] https://sundoc.bibliothek.uni-halle.de/habil-online/07/07H142/habil.pdf

[7] http://www.echo-online.de/wirtschaft/wirtschaft-suedhessen/biotechunternehmen-brain-aus-zwingenberg-kuendigt-boersengang-an_16521352.html

[8] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0108.html

[9] Andrea Bannert, "Bakterien fressen Umweltgifte auf", PM 11/2013

[10] Wissenschaftliche Aufsätze dazu finden Sie hier:
http://aem.asm.org/content/early/2014/08/12/AEM.02289-14.abstract
und
http://www.nature.com/nature/journal/v435/n7045/abs/nature03661.html

10. Januar 2017


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