Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

GESCHICHTE/058: Schmutz erleuchtet die Wissenschaft (SB)


Der Schmutzfaktor oder was die Diode zum Leuchten bringt


Organische Verbindungen, also Materialien, deren Hauptbestandteil das Element Kohlenstoff ist, galten lange Zeit ausschließlich als klassische Isolatoren. Nicht ohne Grund, denn bis heute sind die Isolationen von elektrischen Leitungen aus einem organischen Material, z.B. dem Kunststoff PVC (Polyvinylchlorid). Lange Zeit konnte sich niemand vorstellen, daß die nach naturwissenschaftlichen Festlegungen streng definierten "Isolatoren" einmal als halbleitende Materialien in elektronischen Bauteilen Verwendung finden könnten, ein Widerspruch in sich selbst.

Doch im Umgang mit Irrtümern ist die Wissenschaft großzügig, vor allem, wenn Ergebnisse und Tatsachen einen lukrativen Nutzen versprechen. So mußte die aus dem Periodensystem der Elemente abgeleitete Einteilung in "Leiter" und "Nichtleiter" inoffiziell außer Kraft gesetzt werden, als vor etwa 10 Jahren die ersten "Leuchtdioden aus Kunststoff" (sogenannte organische LEDs oder OLEDs) auftauchten, die Strom in Licht verwandeln können. Sie wurden zunächst in Displays von Autoradios eingesetzt. Die Leitfähigkeit von Kunststoffen wird inzwischen mit der Vergabe des Nobelpreises für diese Entdeckung auch offiziell anerkannt.

Davor hatte man Forschungsergebnisse, die einen Bruch mit der klassischen Ordnung "Leiter - Nichtleiter" darstellten (aber keine sofortige Nutzanwendung versprachen), einfach unter den Teppich gekehrt. Schon 1965 war es nämlich gelungen, bei Spannungen von ca. 100 Volt Einkristalle aus Anthracen zu einer sichtbaren Emission anzuregen, d.h. zum Leuchten zu bringen. Zwar war die Effizienz und vor allem die Lebensdauer dieser Leuchtquelle bei den großen elektrischen Feldern gering, aber das Prinzip funktionierte. Dennoch brauchte man nahezu 25 Jahre, um daraus die Idee einer organischen Leuchtdiode zu entwickeln.

Ein Durchbruch gelang im September 2002 als Wissenschaftler des Max- Planck-Instituts für Polymerforschung eine Sensation feierten, die sich für den kritischen Laien wie der berüchtigte "Dreckfaktor" darstellt, der letztlich auch für viele chemische Reaktion unabdingbar ist, deren Zustandekommen man sich ansonsten einfach nicht anders erklären kann.

Schmutz ermöglicht die Transmutation von Fluoreszenz in Phosphoreszenz

Dazu muß man zunächst einmal wissen, inwiefern sich eine Leuchtdiode von einer herkömmlichen Glühbirne unterscheidet.

In einer klassischen Diode wird Strom bevorzugt in einer Richtung durchgelassen. Hierbei werden nach herkömmlicher Vorstellung Ladungen, d.h. geladene Teilchen, von den jeweiligen elektrischen Polen in das Diodenmaterial, den Halbleiter, ab einer bestimmten elektrischen Spannung, der sogenannten Einsatzspannung, injiziert.

Das gleiche Konzept dient als Erklärungsmodell, um die merkwürdige Leuchterscheinung bei Plastikteilchen zu erläutern: Positive und negative Ladungsträger werden über die Elektroden in den Halbleiter injiziert und sollen sich im elektrischen Feld aufeinander zubewegen. Treffen nun die positiven und negativen Ladungen aufeinander, bilden sie danach eine nach außen elektrisch neutrale, aber energetisch angeregte "Spezies". Diese angeregte Spezies soll dann in der Leuchtdiode entweder unter Abgabe von Licht durch die transparente Indium-Zinn-Elektrode (ITO) oder aber strahlungslos, d.h. unter Abgabe von Wärme, zerfallen. Die erreichbare Effizienz dieser Prozesse soll mit 25 Prozent weit über der einer Glühbirne liegen. Das Leuchten ist jedoch letztlich das einzige, was tatsächlich sichtbar und meßbar bei den LED-Experimenten herauskommt. Was sich tatsächlich beim Zusammentreffen positiver und negativer Ladungen abspielt, bleibt im Dunkeln.

Darüber hinaus konnte man bald feststellen, daß die zunächst errechnete Leuchtkraft in der Praxis nie erreicht werden konnte. Man erklärte das allgemein damit, daß manche Materialien positive Ladungen (Löcher) besser transportieren können als negative Ladungen bzw. vice versa bei anderen Kunststoffen.

Das legte die Idee eines Materialsandwiches nahe, das dann auch tatsächlich eine etwas verbesserte Leuchtstärke brachte: Verschiedene Kunststoffe werden in Schichten zwischen den Elektroden plaziert und jede Schicht ist auf eine Aufgabe spezialisiert. In welchem Grenz- oder Zwischenbereich nun aber die zuvor als unabdingbar erklärte virtuelle "Leucht-Spezies" generiert werden soll, läßt sich an der praktischen Ausführung einer Leuchtdiode nicht mehr erkennen.

Heute arbeiten zahlreiche Firmen mit monochromatischen OLEDs, die nach beschriebenen Eingangsschwierigkeiten inzwischen mit sehr viel höheren Leuchtstärken als Computerbildschirme ausgestattet sind. Da sie unter besonderen Reinraumbedingungen hergestellt werden, ist auch die Lebensdauer gestiegen (frühere Dioden erloschen schon bei geringen Verunreinigungen mit Luftsauerstoff und Feuchtigkeit).

Aufgrund weiterer Diskrepanzen zu den theoretisch errechneten Werten vermuteten die Physiker, daß immer noch über die Hälfte der elektrisch generierten Anregungen in den LEDs auf magische Weise in sogenannten dunklen Zuständen verschwinden, die kein Licht ausstrahlen können und statt dessen Wärme generieren. Mit diesem Kniff läßt sich dann der beschränkte Wirkungsgrad erklären und warum die Lebensdauer der Bauteile immer noch nicht so hoch ist, wie erwartet.

Forscher vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, dem Institut für Chemie an der Universität Potsdam, dem Christian Doppler Laboratory of Advanced Functional Materials am Institut für Festkörperphysik der TU Graz sowie dem Institut für nanostrukturierte Materialien und Photonik in Weiz, Österreich, einigten sich dann darauf, daß die unerwünschten, dunklen Zustände an den "zu" sauberen Herstellungsbedingungen für konjugierte Polymere wie PPV (Poly-p- phenylen-vinylen) liegen müßten.

Und tatsächlich schien eine geringfügige gezielte Verschmutzung, sprich: eine kleine Zahl chemisch gebundener Metallatome, angeblich auszureichen, auch die dunklen Zustände zum Strahlen zu bringen.

Die überraschende Entdeckung ist nicht nur technologisch hoch relevant, sondern zeigt auch die große Wirkung auf, die kleinste Verunreinigungen in organischen optoelektronischen Systemen bewirken können.
(Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Polymerforschung, 27.09.2002, Polymere erstrahlen in neuem Licht)

Die zugrundegelegte Theorie unterscheidet bei dem sichtbaren Leuchten zwischen zwei grundlegenden Emissionsprozessen, der Fluoreszenz und der Phosphoreszenz.

Phosphoreszenz kennt man zum Beispiel von Bildschirmröhren. Sie unterscheidet sich im wesentlichen von der Fluoreszenz durch eine längere Lebensdauer des angeregten Zustandes. Bei organischen Verbindungen, Farbstoffmolekülen oder konjugierten Polymeren, und somit auch in organischen LEDs, überwiegt jedoch die kurzlebigere Fluoreszenz.

Nach Ansicht der Forscher liegt das daran, daß fluoreszierende Stoffe häufiger zwischen Grundzustand und angeregtem Zustand hin und her wechseln (was als Singulettzustand definiert wird) und sich das Leuchten so quasi schneller verbraucht, während der Übergang des angeregten Zustandes zum Grundzustand in der Phosphoreszenz als verboten definiert wird (der sogenannte Tripletzustand). Das Triplet, also kurz: Dauerleuchten, ist somit die erwünschte Form, was allerdings bei den Entdeckern selbst ziemlich willkürlich durcheinandergerät.

In klassischen OLEDs sollten 50 bis 75% der Anregungen nicht-strahlend, also durch die Erzeugung von Wärme, zerfallen. Was lag also näher, als nach einer Lösung zu suchen, die Fluoreszenz in Phosphoreszenz umzuwandeln.

Und hier kam den Forschern wieder einmal Freund Zufall zu Hilfe: Sie fanden heraus,

daß eine verschwindend kleine chemische Verunreinigung eines Polymers mit Metallatomen ausreicht, um effiziente Phosphoreszenz unter elektrischer Anregung zu ermöglichen. [...] Durch einen speziellen Syntheseweg, der in der Gruppe von Prof. U. Scherf in Potsdam benutzt wird, gelingt es, die auf Kohlenstoff und Wasserstoff basierende Struktur mit einer Konzentration von rund 80 millionstel Palladiumatomen zu versehen. Dies entspricht in etwa einem Palladiumatom auf 1700 Wiederholeinheiten des Polymers.
(Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Polymerforschung, 27.09.2002, Polymere erstrahlen in neuem Licht)

Da die Stärke der Phosphoreszenz auch mit der Größe der Atome zusammenhängen soll, wird für die gezielte Verschmutzung ein schweres Metall (Palladium, Ordnungszahl 46) eingesetzt, das in Verbindung mit einem Kohlenwasserstoffmolekül eine um viele Größenordnungen stärkere Phosphoreszenz als ein reines Kohlenwasserstoffmolekül erreicht. Allerdings ist die Unterscheidung, ob es sich um echte Phophoreszenz oder verstärkte Fluoreszenz handelt, nicht ganz einfach, da beide Erscheinungen einfach nur leuchten.

Um zu beweisen, daß nicht nur die Diode auf diese Weise tatsächlich stärker und länger leuchtete, sondern die Begründung dafür auch noch richtig war, mußten allerdings noch einige Anstrengungen unternommen werden:

Die Konsequenz ist, daß im vorliegenden Fall die Phosphoreszenz unter elektrischer Anregung ermöglicht wird, wie im Labor von Dr. E. List an der TU Graz erstmalig beobachtet wurde. Abbildung 2 vergleicht Emissionsspektren des Polymers unter optischer (Photolumineszenz) und elektrischer (Elektrolumineszenz) Anregung.

Beide Spektren sind im Wellenlängenbereich um 450 nm identisch. Im Fall der Elektrolumineszenz wird eine weitere schmale Emissionsbande im Bereich von 600 nm detektiert, die charakteristisch für die Phosphoreszenz ist. Die Forscher konnten nun mittels zeitaufgelöster Elektrolumineszenz und Photolumineszenzspektroskopie eindeutig nachweisen, daß es sich bei der Emission um 600 nm um Phosphoreszenz handelt, die erstmalig in konjugierten Polymeren unter elektrischer Anregung gemessen werden konnte.
(Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Polymerforschung, 27.09.2002, Polymere erstrahlen in neuem Licht)

Bei dem Erklärungsversuch, wie sich Fluoreszenz eigentlich im einzelnen durch ein wenig Schmutz in Phosphoreszenz umwandeln läßt, müssen die Forscher jedoch in jene unklaren und für Außenstehende und Laien völlig unübersehbaren komplexen Sphären vordringen, die derzeit für alles Unerklärbare herhalten müssen, die der Quantenmechanik nämlich.

Und quantentheoretisch darf dann auch eine Zustandsdefinition wie das eigentlich erwünschte Triplet in eine weitere strahlende Erscheinung zerfallen, was unter Normalbedingungen völlig unlogisch wäre:

Da unter elektrischer Anregung viel mehr dunkle Zustände, d.h. Triplets, erzeugt werden als unter optischer Anregung, ist die Phosphoreszenz in der Elektrolumineszenz auch viel stärker ausgeprägt als in der Photolumineszenz. Die Beobachtungen lassen sich damit erklären, daß die langlebigen Tripletanregungen durch den Polymerfilm hindurch diffundieren, bis sie auf ein Polymersegment treffen, an dem ein Metallatom eingebunden ist. Durch die quantenmechanische Wirkung des Schweratoms kann es dann zu einem strahlenden Zerfall des Triplets in Form von Phosphoreszenz kommen.
(Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Polymerforschung, 27.09.2002, Polymere erstrahlen in neuem Licht)

Neben diesen aufgeblasenen und recht aussagelosen theoretischen Ergüssen bleibt am Ende der Studie eigentlich nur ein praktisches Fazit übrig, nämlich der Einfluß, den selbst allerkleinste chemische Verunreinigungen auf die Wirkungsweise organischer Halbleiter haben können. Typischerweise sind die in der Studie relevanten Konzentrationen von Verunreinigungen von rund 0,008% in konventionellen Verfahren der organischen Synthese (beispielsweise als Reste von Katalysatoren ect.) kaum auszuschließen, aber auch nur schwer quantitativ festzustellen.

Für wie relevant allerdings beispielsweise John Lupton, Erstautor der Studie in dem führenden Fachblatt Physical Review Letters diesen kleinen metallischen Dreckfaktor hält, der oh Wunder, den Nichtleiter zum Leuchter macht, wird in seinen abschließenden Worten zum Thema Verunreinigung deutlich:

Dies ist mit Sicherheit ein wichtiger Schritt in die Richtung organischer Laserdioden, die bisher noch nicht realisiert werden konnten.
(Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Polymerforschung, 27.09.2002, Polymere erstrahlen in neuem Licht)

10. Oktober 2008