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PHARMAZIE/066: Resistenzentwicklung - Den Ärzten gehen die Pillen aus (SB)


Resistenzentwicklung - Den Ärzten gehen die Pillen aus


Erst Ende vergangenen Monats warnten beide große deutsche mikrobiologische Gesellschaften, die Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM), vor einer zunehmenden Resistenz von Krankheitserregern gegen Antibiotika.

Schon seit einigen Jahren wird die Resistenzentwicklung vor allem bei Krankenhauskeimen mit zunehmender Besorgnis beobachtet und Ärzte wie Tierärzte wurden immer wieder darauf hingewiesen, nicht generell Breitbandantibiotika zu verabreichen, sondern erst nach Abklärung und Bestimmung der fraglichen Krankheitserreger, die dafür geeignetsten Mittel in ausreichender Dosierung zu verordnen.

Offenbar hat die Ermahnung zur Vorsicht aber nur dazu geführt, daß manche Ärzte nichts anderes tun, als Antibiotika und damit Krankenkassenkosten zu sparen, obwohl sie es aufgrund ihrer Ausbildung besser wissen müßten. Schließlich ist es nicht der Patient, der Resistenzen entwickelt, sondern die Bakterien und Mikroorganismen, mit denen er befallen ist. D.h. man kann den Patienten selbst nicht durch sparsame Gabe vor einer Resistenzentwicklung schützen, da diese irgendwo, auch außerhalb seines Körpers vonstatten geht, und zwar immer dann, wenn Keime Kontakt mit Antibiotika haben, deren Konzentration nicht ausreicht, um alle vorhandenen Keime abzutöten.

Anders gesagt, gerade das sparsame Verschreiben oder die Verordnung von zu wenig Antibiotika pro Dosis fördert die Resistenzentwicklung. Daher hieß es in einer unlängst im Internet veröffentlichten Meldung der Nachrichtenagentur DPA zu diesem Thema:

Mitverantwortlich dafür sei die Verschreibungspraxis vieler Ärzte, sagten Sprecher der Organisationen während eines Kongresses in Göttingen. Vielfach würden Antibiotika ohne Bestimmung der Erreger verordnet. In anderen Fällen verschrieben die Ärzte aus Kostengründen nicht das wirksamste, sondern billige oder zu wenige Antibiotika."
(dpa, 26. September 2005, 17:08 Uhr)

Rund 1000 Mikrobiologen aus ganz Europa nahmen an dem Kongreß teil, an dem so brisante Themen zu Sprache kamen wie die zunehmende Resistenzentwicklung von Lungenentzündung hervorrufenden Pneumokokken. Hierzu meinte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM), Prof. Matthias Frosch:

Bei Verdacht auf Lungenentzündung werde oft ohne vorherige diagnostische Bestimmung der Krankheitserreger ein Antibiotikum verschrieben. Pneumokokken seien inzwischen 'in hohem Maß gegen geläufige Antibiotika resistent'." (dpa, 26. September 2005, 17:08 Uhr)

Und der Präsident der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM), Professor Harald Labischinski ergänzte, daß etwa 50 Prozent aller Verschreibungen von Antibiotika unnötig seien.

Grundsätzlich fehle es an einer gezielten Diagnostik von Infektionskrankheiten. Andererseits komme es vielfach zu einer 'Unterverschreibung' der geeigneten Mittel, wenn Ärzte das von den Krankenkassen für einzelne Patienten vorgesehene Budget bereits ausgeschöpft hätten. (dpa, 26. September 2005, 17:08 Uhr)

Da diese Zusammenhänge jedoch schon in den letzten 20 Jahren zumindest dem medizinisch ausgebildeten Fachkräften klar sein sollten, müssen sich Ärzte und Mikrobiologen eigentlich die Frage gefallen lassen, warum nach wie vor eine so leichtfertige Handhabung mit den wertvollen Arzneimitteln vorherrscht. Und ob wohl eher ein medizinisch-pharmakologischen Interesse daran besteht, sich die Patienten als dauerhaft zahlende "Kundschaft" zu erhalten?

Daß man sich durch unbehandelbar gewordene, resistente Keime allerdings ins eigene Fleisch schneidet und unbewältigbare Probleme hervorruft, sieht man jetzt schon am Beispiel der Tuberkulose, deren Entwicklung die Mikrobiologen auf dem Kongreß mit besonderer Besorgnis vortrugen:

"Wir haben dieses Problem direkt vor der Haustür", sagte Prof. Frosch. In Russland, Lettland und Estland beispielsweise seien die so genannten multiresistenten TB-Stämme bereits für etwa jede siebte Infektion verantwortlich.

In diesen Fällen gebe es keine aussichtsreiche Therapiemöglichkeit mehr. Wegen der zunehmenden Migration von Ost nach West bestehe "eine große Gefahr", dass diese multiresistenten Erreger auch nach Deutschland eingeschleppt würden, sagte der DGHM-Präsident.
(dpa, 26. September 2005, 17:08 Uhr)

Ursache für die Resistenz der Bakterien gegen Antibiotika sind spontane Veränderungen im Bakterien-Erbgut: Dadurch wird einer von Milliarden Erregern zufällig gegen ein Antibiotikum resistent. Dieses Bakterium kann nun im Gegensatz zu seinen Artgenossen überleben und sich um so stärker ausbreiten. Durch die massenhafte Anwendung von Antibiotika, vor allem aber bei unterschwelligen und unzureichenden Dosen, wird diese Zufallsauslese beschleunigt. Zudem können die Resistenz- bzw. Abwehrgene auch auf andere Bakteriengruppen übertragen werden.

Fehlverordnungen sind jedoch nicht die einzigen in Frage kommenden Ursachen für die zunehmende Resistenz von Bakterien. Nicht erwähnt wurden beispielsweise die Tierarzneimittel, sowie die zunehmende Kontamination von Trinkwasser und Lebensmitteln mit Antibiotika. Darüber hinaus machen der Einsatz von genmanipulierten Agrarprodukten (GMOs), deren manipuliertes Gen meist mit einem Antibiotikaresistenzmarker gekoppelt ist, dessen Übertragung z.B. auf Bodenbakterien bis jetzt nie ganz ausgeschlossen werden konnte, zumindest Umweltbiologen in diesem Zusammenhang Sorgen.

Auf die eine oder andere Weise könnten Bodenbakterien und harmlose Keime Resistenzen gewinnen, die sie dann wieder auf andere krankheitserregende Bakterien übertragen können.

So schrieb beispielsweise im August die amerikanische New York Times von eingeschleppten resistenten Keimen durch heimkehrende Soldaten aus dem Irak.

"American troops wounded in Iraq and brought back to military hospitals in the United States have unexpectedly high rates of infection with a drug-resistant type of bacteria, doctors are finding.

The bacteria, Acinetobacter baumannii, are not unique to Iraq. They live in soil and water in many parts of the world, and had already been known to cause trouble in hospitals and on battlefields in Vietnam. They can invade wounds, the bloodstream, bones, the lungs and other parts of the body. Antibiotics can cure the infection, but doctors must use the right ones, which include amikacin and imipenem.
(NYT, August 4, 2005)

Dabei handelt es sich gerade um eine ganz gewöhnliche und nicht allein auf den Irak beschränkte Bodenbakterienart, Acinetobacter baummannii, die in vielen Ländern im Erdreich und Wasser vorkommt und auch schon in Vietnam Schwierigkeiten und Wundinfektionen verursacht hat.

Der Erreger befällt Wunden, Blutzellen, Knochen, Lungen und auch andere Körperteile. Er kann nur mit den richtigen aber auch extrem toxischen Antibiotika, d.h. dem nierentoxischen Aminoglycosid-Antibiotikum Amikacin oder dem als Reserveantibiotikum geltenden Imipenem abgetötet werden, dann allerdings sogar recht schnell.

Inzwischen kommen in manchen Krankenhäusern der US-Army monatlich etwa 6 bis 12 Fälle mit dieser Infektion vor. Noch 2003 war es höchstens einer. Derzeit werden sogar 40 Fälle im National Naval Medical Center in Bethesda, Maryland, behandelt.

Soweit man weiß sind bisher keine Soldaten daran gestorben, allerdings sind fünf Zivilisten, die gleichzeitig im Krankenhaus behandelt wurden und sich infiziert hatten, inzwischen tot, wobei die Krankenhausleitung offen läßt, was genau den Tod herbeigeführt hat, die Infektion oder die ursprüngliche Krankheit.

Die hier beschriebenen Bakterien sind zudem besonders überlebensfähig, können sich beispielsweise länger als andere, d.h. bis zu 20 Tagen, auf trockenen Oberflächen halten, ohne abzusterben und werden oft von Gesunden auf der Haut mitgeführt. Bei mangelnder Hygiene können Ärzte sie an ihren Händen oder Geräten wie Blutdruckmeßgerät und Stetoskop von einem Patienten zum anderen tragen. Gründliche Desinfektions und Hygienemaßnahmen sind daher die Mittel erster Wahl um Resistenzentwicklungen und Infektionen gleichermaßen zu vermeiden.

Auf dem Mikrobiologenkongreß in Göttingen appellierte man abschließend vor allem an die Politiker im Bund und in den Ländern, die Mittel für Forschung und Lehre in ihrem Fach nicht noch weiter zu beschränken. Schon jetzt deute sich in vielen Bereichen ein Mangel an medizinisch und naturwissenschaftlich tätigen Mikrobiologen an, weil die Sparmaßnahmen zur Schließung mikrobiologischer Abteilungen an den Hochschulen führten. Durch derart eindeutige Schuldzuweisung läßt sich eben auch von der eigenen Mitverantwortung ablenken, und da so offensichtlich auch das Mach- und Verhinderbare ungetan bleibt, wird der Status Quo neu festgeschrieben.

Das erklärt auch, warum man seit Erkennen erster Resistenzentwicklungen jedes Jahr wieder auf die gleichen Ursachen, Entdeckungen und Appelle zu sprechen kommt, ohne daß sich daran etwas ändert.


Erstveröffentlichung am 6. Oktober 2005

16. März 2007