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BERICHT/069: Forschernamen im wissenschaftlichen Alltag - 1 (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 9 vom 15. Mai 2007

Forschernamen im wissenschaftlichen Alltag
Neue UJ-Serie: Wissenschaftler als Namensgeber in der Geschichte der TU Dresden (I)

Von K. Mauersberger/Kustodie


Als die Stadt Dresden im vergangenen Jahr ihr 800-jähriges Jubiläum beging und zugleich zur Stadt der Wissenschaften gekürt wurde, sind auch die von Elbflorenz ausgehenden weltbewegenden Erfindungen ausgiebig gefeiert worden: Bierdeckel, Milchschokolade, Mundwasser, Büstenhalter, künstliches Mineralwasser, wasserfeste Tinte, Teebeutel, Kaffeefilter und andere. Abgesehen davon, dass die hier hervorgehobenen Dinge recht gut ins behagliche Ambiente der Residenzstadt passten, fällt auf, dass kaum eine der nützlichen Utensilien nach ihrem Schöpfer benannt wurde, mit Ausnahme des Melitta-Kaffeefilters, in welchem wenigstens der Vorname der wackeren "Erfinderin" steckt. Hier wurde der Name gleichsam zum Markenzeichen. Dabei ist es nicht nur interessant zu wissen, wer sich hinter den großen Innovationen der Menschheitsgeschichte verbirgt, welche Einzelleistungen einen Beitrag zur Erfindung und Entdeckung von Neuem beigetragen haben, es macht auch historisch Sinn, den Namen auf den Grund zu gehen, um Motivation und Umfeld solcher Leistungen zu erkennen. Das Dilemma dabei ist nur, dass sich in der Geschichte die personellen Spuren oft verlieren und in der Gegenwart kollektive Leistungen die Entwicklungsprozesse dominieren. Einzelerfindungen und Einzelentdeckungen spielen sich heute oft in der Kategorie "nobelpreiswürdig" ab.


Wissenschaftlernamen begleiten uns im Alltag

Alltäglich begleiten uns auch Namen von Wissenschaftlern in unserem Tun: Volt, Watt, Ampère, Ohmsches Gesetz sind uns geläufige Begriffe, die Welt der Elektrotechnik erkennbar und messbar zu machen. Doch: kennen wir die Namensgeber, wissen wir noch, welche Personen welche Erkenntnisleistung einbrachten? Immerhin sehen wir daran, dass es in Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften auf der einen Seite Gesetze, Lehrsätze, Paradigmen, Theoreme, Hypothesen etc., auf der anderen Seite exportierte Zahlen (Euler-Zahl), Maßeinheiten, Koeffizienten, Konstanten, Module und Ähnliches waren, welche einem Namensgeber zugeordnet worden sind. Neben den Erfindungen und Innovationen im Reich der Technik, die gewöhnlich in handfesten technischen Objekten geronnen sind, spielen im Umfeld der technischen Hochschulen eher die wissenschaftlichen Grundlagen eine Rolle, wobei sich die applikative Seite in jüngster Zeit deutlich ausgeweitet hat. Dennoch werden wir die Verknüpfung mit den Namen von Wissenschaftlern hier vor allem mit der Aufdeckung von Phänomenen, Prinzipen oder Effekten sowie mit der Aufstellung von Algorithmen, Gleichungen und diversen Lösungsverfahren zu suchen haben. Gleichwohl spielt auch zunehmend die Experimentiertechnik und Entwicklung spezifischer Mess- und Untersuchungsinstrumente in der personellen Zuordnung eine gewisse, Rolle. Hierbei sei etwa auf die Seebeck'sche Lochsirene verwiesen. Wer weiß heute noch, wozu diese diente und dass sie auf einen der Vorsteher der Technischen Bildungsanstalt Dresden zurückgeht. Die Chemiker werden wir danach fragen, was eine Hempel-Bürette ist und ob diese in der modernen Chemie noch eingesetzt wird.


Dampfmaschine-Erfindung: Kette von Verbesserungen

Auf eine weitere Besonderheit der Technikentwicklung sei verwiesen. Bekanntlich ist der Siegeszug der Betriebsdampfmaschine an die Erfinderpersönlichkeit James Watt gebunden. Bekannt ist freilich auch, dass dieser in einer Reihe mit Denis Papin, Thomas Newcomen und Thomas Savery steht: Die Entwicklungsgeschichte der Dampfmaschine lässt sich mithin in eine Kette von "Verbesserungserfindungen" beschreiben. Auf ihrem Kulminationspunkt im 19. Jahrhundert stehen dann Persönlichkeiten wie Sulzer oder Corliss, welche wie Watt in Personalunion Techniker und Unternehmer gewesen sind. Sind Watts richtungweisende Patente noch allein an seinen Namen geknüpft, so werden Patentanmeldungen und Musterschutz um die Wende zum 20. Jahrhundert oft anonym hinter Firmennamen versteckt. In den 1920er Jahren zum Beispiel, als lichtstarke Objektive dem Bildjournalismus neue Wege öffneten (u. a. durch Erich Salomon), wurde das Ernostar geradezu legendär. Darin ist zumindest der Dresdener Firmengründer Heinrich Ernemann verewigt. Hinter dem Patent aber verbergen sich die Namen Heinrich Bertele und August Klughardt, - Letzterer war seinerzeit Professor für Optik am Wissenschaftlich-Photographischen Institut der TH Dresden. Denkt man an die Pionierleistungen in der Gründerzeit unserer Universität, so fällt einem Johann Andreas Schubert mit seinen bahnbrechenden technischen Entwicklungen ein. Doch "seine", die erste in Deutschland gebaute Lokomotive nannte dieser "Saxonia", das erste sächsische Flussdampfschiff widmete er der "Königin Maria". Sein Berliner Kollege August Borsig, der preußische Lokomotivenkönig, war da schon geschäftstüchtiger, wenn er mit einer Lokomotive auch seinen Namen hinaus in die Welt trug. Schuberts Name ist dennoch in der heutigen TU Dresden präsent und erinnert an den universellen Polytechniker: als "Schubert Bau" ging er in die gute Tradition der Gebäudebenennung ein. Doch ist diese Art der Namenspatronage nicht Gegenstand unserer Serie. Im Übrigen müssen wir konstatieren, dass Schubert weder das Gebäude entworfen hat noch selbst dort lehrte, es ist in den 1960er Jahren seinem früheren Wirken für die damalige Polytechnische Schule gewidmet.


Messvorrichtungen, benannt nach TH-Forschern

Suchen wir nach weiteren handfesten technischen Objekten, welche auf namhafte Wissenschaftler der TH zurückgehen, so fallen Messvorrichtungen ein. Nicht immer sind diese direkt benannt wie die Ulbrichtsche Kugel, nicht etwa nach dem ehemaligen DDR-Partei- und Staatschef, sondern nach dem Professor für Telegraphie, Telephonie und Signalwesen ist dieses Kugelphotometer benannt. Eine Eigenart der indirekten Benennung weist auf den Umstand hin, dass oft Diversifikationen bekannter Messgeräte nach ihren Schöpfern in der Weise benannt worden sind, dass man sie zur Unterscheidung (nachgerade) mit dem Attribut "nach..." versah. Beispiele dafür sind das Schieberdiagramm nach Zeuner, das astatische Spannungsdynamometer nach Görges, der Drehzahlplan nach Kutzbach oder der Aerotopograph nach Hugershoff für die Luftbildmessung. Selbst die namhafteste Dresdner Erfinderpersönlichkeit, Baron Manfred von Ardenne, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, ist kaum namentlich mit seinen Schöpfungen oder Patenten verknüpft. Das verwundert, zeichnete sich doch der Baron stets durch ein wohldurchdachtes Wissenschaftsmarketing aus, was von seinen akademischen Kollegen an der TH Dresden nicht selten freundlich ironisch kommentiert wurde. Erst sein Alterswerk auf medizinischem Gebiet brachte seinen Namen aufs Tableau (Sauerstoff-Mehrschritttherapie nach Ardenne). Doch auch auf den Experimentalphysiker Alfred Recknagel, Ardennes Pendant in der Hochschule, welcher in der Entwicklung der Elektronenmikroskopie Bedeutendes leistete, ist als Namensgeber nicht hervorgetreten.

So war es denn oft den Zeitumständen oder gar Zufällen geschuldet, ob es zu einer personellen Benennung gekommen ist. In einigen Fällen haben sich bestimmte Namen einfach "eingebürgert" oder sind durch wissenschaftliche Gremien zur Normative erhoben worden (Mollier-Diagramme) und damit in die Annalen der Wissenschaftsgeschichte eingegangen. Andere Leistungen wiederum sind namenlos geblieben oder wurden (wie die auf Barkhausen zurückgehende Phon-Zahl in der Lautstärkemessung) "phänomenologisch" festgelegt und ließen deshalb keine unmittelbare Auskunft über ihren Urheber zu. Doch auch Namen sind Schall und Rauch, mit Namensgebungen kann man historische Persönlichkeiten "verewigen", Namen können gleichwohl sehr schnell der Vergessenheit anheimfallen, wenn die Relevanz des Benannten nicht mehr vorhanden ist. Dann setzt unsere Erinnerungskultur ein. Gewiss, die Spuren der "Namensgeber" an der TU Dresden sind, verglichen mit den weltweit bedeutenden Erfindungen und Entdeckungen, weit weniger spektakulär und die Kenntnis darüber weist vermutlich noch Lücken auf. Nichtsdestoweniger stehen sie für einen ansehnlichen Beitrag unserer Bildungseinrichtung zur Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik. Die Leser der Artikelserie seien aufgerufen, in ihrem Gedächtnis zu kramen und weitere Bausteine "gelehrter Namensgebung" hinzuzufügen.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 18. Jg., Nr. 9 vom 15.05.2007, S. 9
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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Tel.: 0351/463-328 82, Fax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2007