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BERICHT/073: Interview - Die gute alte Erde (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - September 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Die gute alte Erde ...

Interview von Didier Buysse mit Ted Nield


"Nichts von dem, was wir unserem Planeten antun, kann ihn wirklich verletzen. Uns selbst können wir jedoch mit Sicherheit Schaden zufügen", schreibt Ted Nield. (1) Nach Meinung des britischen Geologen, der aktives Mitglied des Ausschusses des Internationalen Jahres des Planeten Erde ist, sollte dies zum Anlass genommen werden, Abstand zu nehmen, um die Erde besser zu verstehen und besser zu "behandeln".


Im Rahmen des Internationalen Jahres des Planeten Erde wurden bereits zahlreiche Themen von den Medien aufgenommen. Halten Sie eines davon für besonders wichtig?

Wenn man von der Erde spricht, sollte man sich meines Erachtens nicht dazu verführen lassen, eine bestimmte Frage zu bevorzugen. In gewisser Weise funktioniert die Wissenschaft bereits seit Jahrhunderten auf eben diese reduzierende Art und wir sollten davon abkommen. Die Tatsache, dass unser wissenschaftlicher Ausschuss - allesamt Spezialisten der Geowissenschaften - nicht von Anfang an daran gedacht hat, das in extremis behandelte Thema Lebewesen einzubeziehen, zeigt, dass trotz der besten Absichten noch immer nicht bis ins Bewusstsein vorgedrungen ist, dass das Thema Erdsystem fach- und disziplinübergreifend behandelt werden muss. Das Jahr des Planeten Erde soll sämtliche derzeit verfügbaren Erkenntnisse über die Funktionsweise der Erde zusammenführen und verwerten. Schließlich besteht die Erde nicht aus einzelnen Abteilungen, wo sich einer um die Ereignisse in der Biosphäre kümmert, während ein anderer die Verwaltung der tektonischen Platten übernimmt und ein dritter die Meteorologie leitet...

Nach Meinung des Klimaforschers Paul Crutzen läuten die derzeitigen Einflüsse menschlicher Aktivitäten auf den Planeten ein neues Erdzeitalter ein, das er auf den Namen Anthropozän getauft hat. Andere wiederum verweisen auf uralte Veränderungen, die der Mensch ganz sicher nicht zu verantworten hat, wie zum Beispiel einen Meeresspiegelanstieg um mehr als 100 Meter zwischen 13.000 und 8.000 vor unserer Zeitrechnung.

Für den Geologen ist das Erdklima ein faszinierendes und verblüffendes Zusammenspiel von teils einmaligen, teils zyklischen Veränderungen, die sämtlichen terrestrischen Prozessen zugrunde liegen. Im Laufe der geologischen Zeitalter hat die Erde immer wieder heftige Umbrüche erlebt, wie zum Beispiel jenen, der durch die Entstehung der Photosynthese ausgelöst wurde. Durch die Photosynthese gelangte vor drei Milliarden Jahren zum ersten Mal Sauerstoff in die Atmosphäre. Dieses Ereignis führte zu einer tief greifenden und endgültigen Veränderung der Chemie der Erde, zweifellos ebenfalls in ihrem Kern, was möglicherweise mit der Abkühlung der Erdoberfläche einherging.

Auch die Lage der Kontinente, die sich über den Globus zu verschieben vermögen - manchmal auseinanderdriften (wie heutzutage) und manchmal zusammenkommen, um sich dann in der Nähe der Pole anzuordnen oder die Wendekreise zu überlagern -, beeinflusst seit Hunderten Millionen Jahren in bedeutsamer Weise das Klimasystem der Erde. Außerdem spielen die Bahnen der Erde um die Sonne und die Neigung der Erdachse zur Ekliptik eine wichtige Rolle und führen ihrerseits zu Änderungen der Abläufe. Das Klima ist nicht konstant, war es nie und wird es nie sein.

Was immer wir auch anstellen mögen, die Erde hat schon Schlimmeres erlebt. Unsere Treibhausgasemissionen werden die Ozeane nicht zum Brodeln bringen, indem sie auch noch den letzten auf dem Planeten verfügbaren Rest Kohlenstoff in die Atmosphäre einbringen, wie auf dem Planeten Venus. Falls wir durch unsere unüberlegten, kurzlebigen Praktiken ein neues Erdzeitalter herbeiführen sollten, das sich zu einer unkontrollierbaren Erfahrung entwickelt, wird es in der Tat sehr unbequem werden. Wir müssen mit dem Kopf entscheiden. Das Anthropozän könnte das Zeitalter werden, in dem die Menschheit beweisen muss, dass sie das Gütesiegel "Sapiens" verdient hat.

Science-Fiction und Kino haben - namentlich durch die Werke von Michael Crichton und Steven Spielberg - wesentlich zur Popularität der Dinosaurier aus dem Jura beigetragen und somit das Bewusstsein für die Vergangenheit der Erde gefördert. Aber welche Naturkatastrophen haben eigentlich dieses Aussterben ausgelöst? Die bislang vorgebrachten Hypothesen gehen entweder von außergewöhnlichen Vulkanaktivitäten oder vom Einschlag eines Meteoriten in den Golf von Mexiko aus.

Dieses faszinierende Thema veranschaulicht zwei wissenschaftliche Ansätze. Als Luis und Walter Alvarez und ihre Kollegen die an Iridium reiche Schicht entdeckten, die das Ende der Kreidezeit vor 67 Millionen Jahren bedeutete, leiteten sie daraus den Beweis ab, dass eine weltweite Veränderung stattgefunden haben muss, die Folge des Einschlags eines mehrere Kilometer großen Gegenstandes auf die Erde war. Sie mussten jedoch zugehen, dass der Planet im Laufe seiner langen Geschichte häufig Einschlägen ausgesetzt war und dass gelegentliche, sogar seltene Katastrophen einer Denkweise der Geowissenschaften zuzuordnen sind, die dem evolutionstheoretischen Ansatz den Vorrang gibt.

Es handelt sich hierbei um eine interessante Lehre, da die Geisteshaltung der Physiker im Gegensatz zu der Denkweise der Geologen "einfache" Erklärungen bevorzugt. Letztere wissen, dass in Bezug auf die Geschichte der Erde keine Erklärung jemals einfach, einzigartig oder unmittelbar ist. Es ist sehr gut möglich, dass zahlreiche unabhängig voneinander aufgetretene geologische, klimatische und astronomische Ursachen zusammentrafen. Gemeinsam haben sie einen regelrechten Angriff gegen die Ordnung der lebenden Welt ausgelöst. Wenn es vor 67 Millionen Jahren tatsächlich einen Einschnitt auf der Erde gegeben haben sollte, so geschah das aus verschiedenen Gründen. Das Ende der Kreidezeit bedeutete eine entsetzliche Zeit für alle Lebensformen auf der Erde. Der erste Grund betrifft einen gewaltigen Vulkanausbruch, durch den die Lavaablagerungen im Dekkan-Gebiet entstanden sind, wie Vincent Courtillot vom Institut de Physique du Globe belegt hat. Der Meteoriteneinschlag hätte der letzte Dolchstoß sein können, der den Tyrannosaurus Rex erledigte.

Der Krater von Chicxulub im Golf von Mexico wurde stets kurzerhand mit dem Ende der Kreidezeit in Verbindung gebracht, jedoch haben jüngste Forschungen ergeben, dass das keineswegs der Tropfen gewesen sein konnte, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es handelt sich zwar um den größten Einschlagkrater, der jemals auf der Erde entdeckt wurde, aber der Einschlag erfolgte 300.000 Jahre zu früh und vernichtete nicht eine einzige mikrofossile Spezies. Übrigens wird sonst kein weiteres Massensterben in der Geschichte der lebenden Organismen mit Erdeinschlägen in Verbindung gebracht.

Das Perm, in dem vor 250 Millionen Jahren 90 % der Lebewesen ausstarben, scheint ein noch schrecklicheres Zeitalter gewesen zu sein. Wie kam es zu dieser Katastrophe, die ihren Anfang bereits etwa drei Milliarden Jahre früher genommen hatte? Und welche neuen Gegebenheiten gestatteten im Anschluss an das Massensterben einen "Neuanfang"?

Das Aussterben am Ende des Perm stellt möglicherweise das wichtigste der fünf bedeutendsten Massensterben dar und erfolgte in einer für sämtliche Lebewesen furchtbaren Zeit. Die Erdkontinente verschmolzen miteinander und bildeten den jüngsten der Superkontinente, dem Alfred Wegener den Namen Pangäa verlieh. Ein einziger Kontinent bedeutet natürlich, dass es viel weniger Küsten gibt und wesentlich weniger Meere, die von geringer Tiefe und damit reich an marinen Lebewesen sind. Auf den Meeresböden mangelt es häufig an Sauerstoff. Das weit von den Wasserquellen entfernt gelegene Binnenland ist hoffnungslos karg. Durch den Mangel an Pflanzenleben fällt der Sauerstoffgehalt ab, die Erosion setzt langsam ein und Kohlenstoff wird in die Atmosphäre ausgestoßen, die sich daraufhin erhitzt.

Im Laufe der Zeit ereigneten sich verschiedene Veränderungen - zuerst einmal Eruptionen - und Pangäa fing an zu bröckeln. Da sich Gesamtamerika von Eurasien und Afrika loslöste, befiel die Erosion zuerst das Herz dieses Superkontinents und reinigte die Atmosphäre vom CO2. Längs der Küsten, wo sich vermehrt Sauerstoff befand, entstand neues Leben. Nach dem verheerenden Perm-Trias-Massensterben konnte alles Lebende wieder aufatmen und tat im wahrsten Sinne des Wortes einen Seufzer der Erleichterung.

Welche Lektionen ziehen Sie - auf der Wissensebene - aus der Existenz dieser Superkontinente früherer Zeiten?

Für mich lautet die wichtigste Botschaft, die von diesem Zyklus der Superkontinente übermittelt wird, dass wir Demut vor der Natur und der Tiefe der Zeit verspüren sollten. Unsere Spezies entwickelt sich seit etwa sechs Millionen Jahren - und wenn man darüber nachdenkt, so bedeutet das ein stolzes Ergebnis, denn die Standardlebensdauer einer Spezies liegt gemeinhin bei etwa einer Million Jahren. Aber als die Menschen sich erhoben, um aufrecht zu laufen, befanden sich die Kontinente Dutzende oder Hunderte von Kilometern von ihrer jetzigen Position entfernt. Der Prozess lief im Zeitalter der Dinosaurier an und wir befinden uns derzeit auf halber Strecke zur Entstehung des nächsten Superkontinents, den es vielleicht in 250 Millionen Jahren geben wird.

Zu diesem Zeitpunkt werden wir alle vergangen sein und es wird keine weiteren Spuren von uns geben. Die Erde hingegen wird immer noch da sein, weiter leben, weiter atmen, weiterhin Verwerfungen auf dem Grund ihrer Ozeane bilden, die Platten werden sich überlappen, mit ihren Rändern zusammenstoßen und Berge bilden, die erodieren werden, so wie das seit vier Milliarden Jahren der Fall ist und für weitere vier Milliarden Jahre sein wird, es sei denn, die Sonne explodiert vorher und löscht die Erde selbst aus.

Nichts von dem, was wir unserem Planeten antun, kann ihn wirklich verletzen. Uns selbst können wir jedoch mit Sicherheit Schaden zufügen. Mein Buch endet mit dem Aufruf, Ignoranz zurückzuweisen und unser gesamtes Wissen einzusetzen, um der Gefahr ins Auge zu sehen. Ich setze in eine Veranstaltung wie das "Jahr der Erde" die Hoffnung, dass es uns gelingen wird, der Art und Weise, wie wir diesen Planeten, diese gleichsam unersetzliche Erde und Mutter behandeln, mit etwas wissenschaftlichem Rationalismus zu begegnen. Sie kümmert sich nicht um uns. Es ist an uns, für sie zu sorgen, wir können sie nicht bekämpfen. Ohne sie werden wir schneller vergehen, als uns lieb ist.

Das Gespräch wurde von Didier Buysse geführt.


Literatur (1) Ted Nield, Supercontinent, Ten Billion Years in the Life of our Planet, Granta Books, London, 2007.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dinosaurierabdrücke, 155 Millionen Jahre alt, gefunden im Schweizer Juragebirge. Man weiß von fünf Massensterben auf der Erde. Das letzte, das sich während des Jura ereignete, trägt Symbolcharakter.


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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - September 2008, Seite 5 - 6
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2009