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SEISMIK/055: Erdbeben vor der Haustür (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 10-12/2008

Erdbeben vor der Haustür
Geowissenschaftler erforschen seismische Aktivität im Vogtland

Von Dr. Dirk Rößler


Seit Anfang Oktober treten im Vogtland wieder verstärkt Erdbeben auf. Ein fünfköpfiges Team der Universität Potsdam hat deshalb im sächsischen Rohrbach 12 seismologische Stationen des Instituts für Geowissenschaften installiert, die alle Beben registrieren sollen. Voraussichtlich bis Weihnachten bleiben die Geräte noch vor Ort. Das jetzige Geschehen ist aus geowissenschaftlicher Sicht von großem Interesse. Immerhin traten bereits eine Reihe ungewöhnlich starker Erdstöße auf.


Teilweise recht starke Erdbeben verspürt gegenwärtig die Bevölkerung im Vogtland. Gelegentlich entstehen sogar Gebäudeschäden. Um die Bebenaktivität aufzuzeichnen, haben sich vor einigen Wochen drei Geophysiker der Universität Potsdam gemeinsam mit zwei Studierenden auf den Weg gemacht, um insgesamt 12 seismologische Stationen des Instituts für Geowissenschaften sowie drei akustische Geräusche aufzeichnende Mikrophone im sächsischen Rohrbach zu installieren. Die Ortschaft liegt nur etwa zehn Kilometer von den Epizentren entfernt. Dort sollen die Stationen bis zum Ende des Erdbebenschwarms, in der Regel dauert dieser nicht länger als drei Monate, auch so kleine Erdbeben registrieren, die von Personen längst nicht mehr wahrgenommen werden. Die Aufstellung der seismologischen Geräte erfolgte kleinräumig, um die Verwendung von so genannten Arrayverfahren zu ermöglichen. Das sind Verfahren, die es erlauben, durch Peilstrahlbildung, ähnlich einem Radar, die Ausbreitungsrichtung seismischer Wellen im Detail zu erfassen und auch besonders schwache Signale zu erkennen.

Die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Seismologie erhoffen sich von der Auswertung der Signale neue Erkenntnisse über die Ursachen, die zu den aus einer Vielzahl aus Beben mit ähnlicher Magnitude bestehenden Schwärmen führen und über die physikalischen Vorgänge, die während der Erdbeben selbst auftreten. Weiterhin wollen die Geophysiker die Daten nutzen, um die Struktur der Erdkruste in unmittelbarer Umgebung zu den Hypozentren und somit den vermuteten Zusammenhang mit beobachteten Gasaustritten zu untersuchen. Als Ursache für die Schwärme werden bisher Fluide angesehen, die bei magmatischen Reaktionen im oberen Erdmantel entstehen und durch die Erdkruste bis zur Erdoberfläche aufsteigen. Auf ihrem Weg verändern sie den Spannungszustand der Erdkruste und ermöglichen so viele Erdbeben bei vergleichsweise geringen Spannungen.

Insgesamt wurden seit dem Beginn des Schwarms bereits weit mehr als 10.000 Erdbeben registriert. Das Hauptzentrum der Aktivität liegt nahe Novy Kostel auf tschechischer Seite in Grenznähe. Das Gebiet ist für solche Art von Erdbeben seit langem bekannt. Die derzeitige Serie von Erdbeben ist jedoch in vieler Hinsicht bedeutsam, weil eine relativ große Anzahl von verhältnismäßig starken Beben bis etwa Magnitude 4 in sehr kurzer Zeit aufgetreten ist. Damit ist dieser jüngste Schwarm der bedeutendste seit 1985/86.

Bereits am ersten Tag konnten sehr viele sehr kleine, aber auch größere Beben mit sehr hoher Qualität aufgezeichnet werden. Da die Bebenaktivität intensiv fortdauert, rechnen die Wissenschaftler der Universität Potsdam mit einem sehr umfangreichen Datenmaterial nach Abschluss der Messungen.

Das angestrebte umfassende Bild der Vorgänge im Vogtland soll auch durch Befragungen von Anwohnern entstehen, die das Uni-Team vornahm und die von anderen Instituten ergänzt werden. Die Interviewpartner berichteten zum Beispiel, dass sie im Zusammenhang mit stärkeren Beben sehr erschrocken waren und oft lautes Knacken und dumpfes Rollen vernahmen. Den Geophysikern wurden überdies leichte Gebäudeschäden wie Risse im Mauerwerk gezeigt und auch von heruntergefallenen Bildern und klirrenden Gläsern wurde berichtet.


Dr. Dirk Rößler, Institut für Geowissenschaften


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 10-12/2008, Seite 34
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2009