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ASTRO/198: Supernova 1987A - Teil 1 (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012
Zeitschrift für Astronomie

Supernova 1987A
Teil 1: Wie eine Sternexplosion vor 25 Jahren die Fachwelt aufwirbelte

Von Christian Wolf



Im Jahr 1987 explodierte in der Großen Magellanschen Wolke eine Supernova, die nächste seit der Erfindung des Fernrohrs vor 400 Jahren. Bei Astrophysikern weckte dieses Ereignis große Hoffnungen, dank der Detailansicht das turbulente Ableben des Vorgängersterns besser verstehen zu lernen. Dabei traten jedoch eine ganze Reihe unerwarteter Signaturen zu Tage, die zunächst neue Fragen aufwarfen.


In der Nacht zum 24. Februar 1987 nahm Ian Shelton am Cerro Tololo Inter-American Observatory ein Weitwinkelbild der Großen Magellanschen Wolke auf - reine Routinearbeit. Besonders eindrucksvoll zeigte sich darin der Tarantelnebel, das größte im nahen Universum bekannte Sternentstehungsgebiet. Dort wird im Mittel pro Jahr ein neuer Stern geboren.

Am Rand des Tarantelnebels bemerkte Shelton eine helle neue Lichtquelle, die er für eine Supernova hielt. Unmittelbar schlug er Alarm beim Zentralbüro für Astronomische Telegramme an der Harvard University. Fast zeitgleich meldeten Beobachter aus Chile und Neuseeland weitere Sichtungen dieses »neuen Sterns«. Schnell wurde klar, dass den Astronomen die vielleicht spannendsten Wochen des Jahrhunderts bevorstehen würden.

Eine Supernova in ihrer kosmischen Nachbarschaft hatten sich die Astronomen schon lange gewünscht.

Dem naiven Betrachter offenbarte sich hier ein an sich recht unscheinbarer Stern, dessen Eigenart aber darin bestand, dass er plötzlich auftauchte und nach wenigen Monaten allmählich wieder verschwand. Dazwischen wurde er nie heller als 3 mag. Dennoch überstrahlte er damit den gesamten Tarantelnebel und war außerdem mit einer Distanz von 170.000 Lichtjahren der am weitesten entfernte Stern, der je für das bloße Auge zu sehen war.

Für die Astrophysiker ereignete sich diese als SN 1987A bezeichnete Supernova jedoch in solch kosmischer Nähe, wie sie es sich schon lange gewünscht hatten. Seit der von Johannes Kepler im Jahr 1604 dokumentierten war keine so nahe Sternexplosion gesichtet worden. Nach Abschätzungen, die auf gängigen Sternentwicklungsmodellen basieren, wäre in der Milchstraße mehr als eine Supernova-Explosion pro Jahrhundert zu erwarten. Dank Radiobeobachtungen von Supernova-Überresten wissen wir, dass sich auch viele in der Zwischenzeit ereignet haben mussten, allerdings hinter dem Staub der Milchstraßenebene. Doch den historischen Sichtungen der letzten 2000 Jahre zufolge, die auf rein visuellen Beobachtungen basierten, war ein neues Ereignis schlicht überfällig. Umso mehr sehnten die Astronomen eine Chance herbei, um ihre theoretischen Vorstellungen vom explosiven Ableben eines Sterns endlich anhand einer detaillierten Beobachtung überprüfen zu können. Moderne Untersuchungen hatten sich bisher auf die deutlich lichtschwächer erscheinenden Supernovae in weiter entfernten Galaxien beschränkt. Demnach ließen sich zwei Typen unterscheiden. Bei der als Supernova-Typ Ia bezeichneten Sorte zeigten sich in den Spektren keine Wasserstofflinien. Als Explosionsursache erschien hierbei folgendes Szenario plausibel: Ein Weißer Zwergstern in einem Doppelsternsystem saugte so lange Materie von einem Begleiter ab, bis er unter dem aufgesammelten Gewicht zusammensackte. Bestand der Weiße Zwerg wie gewöhnlich zum großen Teil aus Kohlenstoff, würde dieser in einer thermonuklearen Explosion zu noch schwereren Elementen verschmelzen und den kompletten Stern ins All sprengen.

Die Spektren des Typs II hingegen enthielten neben den Linien schwererer Elemente auch die charakteristische Emission von Wasserstoff. In diesem Fall handelte es sich vermutlich um einen Roten Überriesen, dessen dichter Eisenkern unter seiner eigenen Schwerkraft kollabierte (Kernkollaps). Dabei wurden die frei in der Kernmaterie existierenden Elektronen in die Eisenatomkerne gepresst und verwandelten alle darin vorhandenen Protonen in Neutronen.

Dieser Prozess setzt in einem nur wenige Sekunden dauernden Blitz 1058 Neutrinos frei, die durch den restlichen Riesenstern hindurch ins All strömen. Auf Grund ihrer schwachen Wechselwirkung fliegen Neutrinos zwar meist ungehindert durch Materie hindurch, doch ihre schiere Anzahl sollte hier ausreichen, um die Hülle des roten Riesensterns durch ihren Impuls wegzuschleudern. Im Zentrum zurück bleibt ein Neutronenstern.

Welcher Typ war nun Ende Februar 1987 explodiert, und was würden wir alles lernen, dank unserer Detailansicht in der Großen Magellanschen Wolke?

Vom Kernbrennen zum Schalenbrennen
An einem Ort wie dem Tarantelnebel wimmelt es von Überriesen, sehr massereichen aber kurzlebigen Sternen, die ihren Kernbrennstoff überproportional eifrig in Leuchtkraft umsetzen und deshalb schnell aufbrauchen. Während sonnenähnliche Sterne zehn Milliarden Jahre lang strahlen, liegt die Lebenserwartung eines Riesen mit 20 Sonnenmassen unterhalb von zehn Millionen Jahren. Seine Leuchtkraft entspricht dabei der von 100.000 Sonnen. Die Energie dafür bezieht er zunächst direkt aus der Fusion von Wasserstoff zu Helium im Sterninnern. In diesem Stadium nimmt der Stern eine relativ dichte, stabile Konfiguration mit einer heißen, blau leuchtenden Oberfläche ein. Ist der Wasserstoffvorrat im Zentrum aufgebraucht, verlagert sich das Wasserstoffbrennen nach weiter außen in eine Schale, die den nun hauptsächlich aus Helium bestehenden Kern umschließt. Das so genannte Schalenbrennen hat begonnen.

Nach einiger Zeit heizt sich der Heliumkern allmählich weiter auf, so dass dort ein neuer Fusionsprozess in Gang gesetzt wird. Ist der Heliumvorrat aufgebraucht, erlischt auch diese Fusion im Zentrum und verlagert sich ebenfalls nach weiter außen. Dieser Prozess setzt sich so lange fort, bis die Materie im Zentrum des Sterns aus Eisenatomkernen, der Asche des früheren Kernbrennens, besteht. Während des Schalenbrennens ergibt sich im Zusammenspiel von Druck und Schwerkraft sowie Strahlung und Konvektion ein Stern mit einer groß aufgeblasenen, undurchsichtigen Hülle. Für die Leuchtkraft steht dabei weiterhin nahezu dieselbe Energiemenge zur Verfügung wie in der Phase des Kernbrennens. Damit bleibt zwar die Gesamtleuchtkraft des Sterns erhalten, auf Grund der ausgedehnten Hülle reduziert sich jedoch die Flächenhelligkeit. Der Stern strahlt dann bei einer kühleren Temperatur im roten Spektralbereich: Er ist zum Roten Überriesen geworden. Bekanntestes Beispiel am Nachthimmel für diesen Sterntyp ist Beteigeuze im Orion. Seine Tage sind gezählt, sein explosives Ableben wird fast vollmondhell werden und kann jederzeit eintreten - schon morgen oder erst in 1000 Jahren (siehe Infografik auf S. 40/41).

Noch am Tag der Entdeckung der Supernova 1987A machten sich die Astronomen daran, die Fotoarchive zu durchforsten, um zu ermitteln, welche Art von Stern zuvor am Ort der Supernova existiert hatte. Doch anstatt zur Klärung beizutragen, sollten die Funde in den Archivbildern den Wissenschaftlern noch für lange Zeit Kopfzerbrechen bereiten.

In der Folgenacht wurde am Southern African Astronomical Observatory ein Spektrum der Supernova aufgenommen. Es enthielt keine Wasserstofflinien. Dies deutete tendenziell auf die Explosion eines Weißen Zwergs hin. Das war nicht weiter ungewöhnlich, denn Weiße Zwerge sollte es überall geben, auch in der kosmischen Umgebung der SN 1987A. Allerdings verändern sich Supernova-Spektren in den ersten Tagen, während sich die Explosionswolke abgekühlt. Da Wasserstoff bei den hohen Temperaturen am ersten Tag ohnehin nur schwer zu sehen ist, war die Klassifikation zu diesem frühen Zeitpunkt noch unsicher. In der nächsten Nacht traten dann tatsächlich Wasserstofflinien hervor, die auf einen kollabierenden Roten Überriesen hinweisen.

Vergleich mit Archivbildern
Doch was ergaben die Archive für die Klasse des Vorgängersterns? Am Ort der Supernova stand zuvor ein Stern mit einer Helligkeit von 12 mag, ein Überriese mit einer Leuchtkraft von 100.000 Sonnen und dem Katalognamen Sanduleak (Sk) -96°202. Das einzig Verwunderliche an diesem Stern: Der Riese leuchtete blau! Sein Spektraltyp war B3 Ia, und seine Farbe hatte sich über Jahrzehnte hinweg nicht geändert.

Nun gab es zwei Möglichkeiten: Entweder der Blaue Riese war nicht der Stern, der explodiert war. Da seine Leuchtkraft aber den Ort der Supernova in den alten Aufnahmen dominierte, würde sich nichts weiter über den Vorläuferstern der Explosion herausfinden lassen. Dann bot diese Supernova zwar immer noch eine tolle Gelegenheit zur weiteren Beobachtung aus nächster Nähe, würde aber auch in einem entscheidenden Punkt, nämlich der Ursachenforschung, enttäuschen.

Oder konnten blaue Riesen etwa explodieren? Noch einen Tag zuvor schien dies ausgeschlossen, da keiner der durchdachten Entwicklungswege, die Sternen offenstehen, in diese Richtung führte. Sollte dies dennoch möglich sein, dann hätten wir irgendwo ein entscheidendes Stück Physik verpasst, obwohl wir den Lebenslauf von großen wie kleinen Sternen sonst gut zu verstehen glaubten.

In den folgenden Tagen traten zwei weitere wichtige Fakten ans Licht: In einer ausgedienten Mine in den Bergen der japanischen Provinz Gifu betreibt das Kamioka-Institut zur Erforschung kosmischer Strahlung an der Universität Tokio ein Langzeitexperiment zur Untersuchung der Lebensdauer des Protons, dessen Zerfall sich durch Neutrinos nachweisen lässt, und zur Zählung von Neutrinos aus der Sonne. Von Störsignalen aus der Umwelt abgeschirmt, hinterlassen die Neutrinos in einem drei Millionen Liter umfassenden Wassertank einen Kilometer unterhalb der Erdoberfläche ihre Spuren. Auf Grund der extrem schwachen Wechselwirkung dieser winzigen Teilchen geschieht dies jedoch so selten, dass selbst aus dem heftigen Strom der Sonne nur alle paar Wochen ein Neutrino detektiert wird. Im Vergleich dazu schlug die Supernova regelrecht ein: Innerhalb von einer Viertelminute ließen sich elf Neutrinos registrieren. Eine ähnliche Anlage in den USA, der Irvine-Michigan-Brookhaven Detector, maß zur selben Zeit acht und das Baksan Neutrino Observatory im Kaukasus fünf weitere.

Damit war klar, dass in der Supernova ein Neutronenstern entstanden war, denn Anzahl und Energie der gemessenen Neutrinos folgten aus den Vorhersagen über die Bindungsenergie eines solch kompakten Objekts. Also war doch der große, ausgebrannte Eisenkern eines alten Riesensterns kollabiert. Aber wo sollte sich der rote Riesenstern zuvor verborgen haben, dessen Kern hier den Geist aufgab?

Außerdem ergab eine genaue Analyse des Lichtprofils von Sanduleak -69°202, dass dieser Stern keine Punktquelle war. Stattdessen standen mindestens zwei Sterne so eng beieinander, dass sie auf den alten Aufnahmen als verbreiterter Lichtklecks erschienen, ohne jedoch einzeln aufgelöst zu sein. Der Blaue Riese war also nicht allein am Ort des Geschehens. Ein Roter Riese als zweite Quelle hätte sich allerdings im Lichtprofil markanter hervorheben und insbesondere durch die Farbe etwa auf Rotplatten auffallen müssen (siehe Bild S. 36, links der Druckausgabe).

Welcher Stern tatsächlich in der Explosion zerstoben war, sollte sich klären lassen, sobald die Explosionswolke nicht mehr die nähere Umgebung überstrahlte, so die Hoffnung der Wissenschaftler. Während die Wolke abkühlt, wird sie nicht nur lichtschwächer, sondern verlagert auch den Schwerpunkt ihrer Strahlung vom ultravioletten zum sichtbaren Spektralbereich. Der Blaue Riese hingegen sollte im Ultravioletten nach wie vor hell leuchten und wieder sichtbar werden, sofern er nichts mit der Supernova zu tun hatte.

Gilt: 2 - 1 = 2 ?
Elf Tage nach der Explosion legten R. Kirshner von der Harvard University und G. Sonneborn vom Team des International Ultraviolet Explorer (IUE) die ersten Beobachtungen in diesem Wellenlängenbereich vor. Demnach war die UV-Strahlung des Blauen Überriesen immer noch zu sehen sowie ein zweiter Stern, der einem Begleiter entsprach, wie er auf Grund des asymmetrischen Lichtflecks in den archivierten Aufnahmen vermutet wurde. Kirshner fragte sich verblüfft: »2 - 1 = 2?«. Wenn beide am Tatort gewesenen Sterne noch existierten, was um alles im All war dann explodiert?

Dem setzten Richard West und seine Kollegen von der Europäischen Südsternwarte (ESO) drei Wochen später ihre Erkenntnisse entgegen. In früheren Aufnahmen vom Schmidt-Teleskop der ESO und dem dänischen 1,5-Meter-Teleskop, beide auf La Silla in Chile, fanden die Wissenschaftler drei blaue Sterne am Ort der Supernova: einen 12 mag hellen Überriesen des Spektraltyps B3 und zwei benachbarte B-Sterne mit rund 15 mag in 1,5 und 3 Bogensekunden Abstand. Dabei war die Position der Supernova identisch mit derjenigen des hellen Überriesen. Ließ sich Kirshners Gleichung damit zu »3 - 1 = 2« korrigieren?

Eine weitere Aufnahme mit dem IUE-Satelliten in der Folgewoche zeigte die zwei verbliebenen Sterne mit besserem Kontrast gegenüber der im Ultravioletten inzwischen deutlich abklingenden Supernova. Nun sahen Kirshner und Sonneborn zwei Sterne mit den Positionen und Helligkeiten der beiden leuchtschwächeren Nachbarn (siehe Bild S. 36, rechts der Druckausgabe). Damit war immerhin geklärt, dass der blaue Überriese verschwunden war. Doch wie das physikalisch vonstattengegangen sein konnte, darüber herrschte unter den Astrophysikern weltweit noch Rätselraten.

Auf der Suche nach Erklärungen stellten sie eine Flut von Rechnungen an und erdachten ganz neue Theorien der Sternentwicklung. Einige versuchten in ihren Modellen zumindest mit der bekannten Physik zu arbeiten. Die daraus resultierenden Vorhersagen standen jedoch im Widerspruch zur Beobachtung. Andere ließen die etablierte Physik nahezu vollständig außer Acht. Dabei veränderten sie willkürlich verschiedene Modellannahmen (ad hoc), bis ihre Vorhersagen zu passen schienen. Denn irgendeine Erklärung musste es ja geben!

Einer dieser Ansätze zielte darauf ab, die ursprüngliche Häufigkeit an schwereren Elementen in den Überriesen zu variieren. Solche Sterne, die besonders metallarm waren, sollten einer neuen Rechnung zufolge ihr Lebensende in Form einer Supernova erreichen, ohne sich zu Roten Überriesen aufzublähen. Aus diesen Rechnungen folgte aber auch, dass metallarme Galaxien kaum rote Riesensterne beherbergen sollten, sondern fast nur blaue. Tatsächlich gab es aber dort viel mehr Rote Riesen als in metallreichen. Wenn die Vorhersage im Konflikt mit der allgemeinen Beobachtung stand, eigneten sich diese Rechnungen dann überhaupt dazu, einen Spezialfall wie SN 1987A zu erklären?

An der University of California in Santa Cruz experimentierte Stan Woosley mit noch unüblicheren Annahmen. Er stellte das herkömmliche Modell des Wärmetransports im Sterninnern in Frage. In den Kernen von Riesensternen ist die Konvektion dafür der effizienteste Mechanismus. Denn die dort freigesetzten Energien sind so hoch, dass sie durch Strahlung gar nicht schnell genug abtransportiert werden könnten. In seinen neuen Rechnungen unterdrückte Woosley die Konvektion, womit sich der Gleichgewichtszustand des gesamten Sterns änderte. Weiterhin nahm er einen kosmisch unüblich niedrigen Heliumgehalt an, um die Durchsichtigkeit der Hülle zu reduzieren, und unterdrückte den im Lauf des Sternlebens auftretenden Massenverlust willkürlich. Auf diese Weise explodierte sein Modellstern bereits als Blauer Überriese. Sollten die neuen Regeln aber allgemein gelten, dürften Rote Riesen gar nicht so rot sein wie sie für gewöhnlich beobachtet werden.

Diese Ad-hoc-Ansätze zeigen, in welcher Erklärungsnot sich die Theoretiker zum damaligen Zeitpunkt befunden haben mussten.

Auch noch in anderer Hinsicht war die Supernova als seltsam erkannt worden. Die Lichtkurve passte eindeutig nicht ins bekannte Muster, da sie zehn Wochen brauchte, um ihr Helligkeitsmaximum zu erreichen - üblich war eine Woche (siehe Grafik unten). Rückblickend hat die Explosion eine Menge Energie freigesetzt, doch war diese mit langsamerer Rate aus den Trümmerwolken des Sterns herausgesickert als zu erwarten gewesen wäre. Eigentlich sprach das dafür, dass die Hülle des Sterns sehr massereich und dicht gewesen sein musste, genau wie bei einem jungen Blauen Überriesen. Aber wieso sollte der explodieren?


Schwere Elemente in der Überriesenhülle

Bei spektroskopischen Beobachtungen fanden die Wissenschaftler in zirkumstellarer Materie Elemente, die schwerer als Eisen waren, die der Stern aber schon vor der Supernovaphase abgegeben haben musste. Diese entstehen während des Helium- und Kohlenstoffbrennens und zwar nicht durch gewöhnliche Fusion, sondern durch den Einfang langsamer Neutronen. Nach dem englischen »slow« wird dieser Prozess auch s-Prozess genannt. Dieses Brennstadium kennen wir aber nur von Roten Überriesen. Wie die Elemente allerdings vom Kern in der gemessenen Häufigkeit in die Wasserstoffhülle und den zirkumstellaren Raum gelangt sein sollten, bevor die Explosion die Hülle abstieß, war noch völlig unklar.

Die s-Prozess-Elemente inspirierten aber die Tokioter Sterntheoretiker um Hideyuki Saio und Ken'ichi Nomoto zu einer interessanten Überlegung. Was auch immer diese Elemente aus dem alternden, heliumbrennenden Sterninneren in die äußere Hülle empor gehoben hat, sollte auch das in der Tiefe dominierende Helium mitgebracht haben. Und tatsächlich wurde Helium in der zirkumstellaren Materie gefunden, wo es knapp die Hälfte der Elementmischung stellte anstatt eines Viertels, wie im unverbrannten Gas gewöhnlicher Sternhüllen. Eine Rechnung der Tokioter Gruppe zeigte dann, dass ihr Stern als Blauer Überriese explodierte, wenn sie im letzten Prozent des Sternenlebens, nach Ende des Heliumbrennens, einen großen Teil der Kernmaterie kurzerhand mit der Hülle vermischten. Zu dem Zeitpunkt wäre der Stern eigentlich ein Roter Überriese, aber die plötzliche Untermischung des Heliums macht das Hüllenmaterial transparenter, erlaubt der Strahlung, die innere Hitze besser abzuführen und reduziert so die Konvektion. Damit schrumpft die Hülle auf die eines kleineren Blauen Überriesen mit gleicher Leuchtkraft aber höherer Oberflächentemperatur. Waren damit alle Probleme gelöst? Nicht ganz. Der Rührbesen, der einen Riesenstern dermaßen durchmischen konnte, blieb weiterhin verborgen. Denn nur Konvektion reichte dafür nicht aus.

Wer diese Supernova noch nicht für seltsam genug hielt, wunderte sich spätestens dann, als sich herausstellte, dass die Strahlung von der Explosionswolke eigenartig hoch polarisiert war. Von einer leuchtenden Fläche aus emittierte Photonen schwingen bevorzugt in einer Richtung, die senkrecht auf einer gedachten Linie zwischen Emissionspunkt und Zentrum der Lichtquelle steht. Ist die Fläche kreisrund, stellt sich gemittelt über alle Photonen keine bevorzugte Polarisationsrichtung ein. Bei einer eliptischen Form dagegen wird das Licht entsprechend polarisiert. Der vorgefundene Zustand könnte sich einstellen, wenn ein Stern explodierte, der so schnell rotierte und sich dabei abflachte, dass er beinahe auseinanderflog. Zwar entstehen junge Sterne gelegentlich mit sehr schneller Rotation, doch alte Sterne haben ihren Drehimpuls durch in den Raum abgeflossene Materie weitgehend verloren; ganz abgesehen davon, dass schnelle Rotation nicht dabei hilft, einen Kollaps einzuleiten, der die Supernova auslöst, sondern dem sogar entgegenwirkt.

Um die Explosionswolke räumlich aufzulösen und ihre Geometrie und Ausdehnungsgeschwindigkeit unabhängig von Spektren zu messen, begann eine Gruppe um den Forscher Peter Nisenson von der Harvard University mit Speckle-Beobachtungen. Diese Methode macht sich die Ursache für die Luftunruhe - einzelne Turbulenzzellen in der Erdatmosphäre - zu Nutze, um gleichzeitig ihre störende Wirkung auszuschalten. Bei einer Belichtungsdauer, die kürzer ist als die mittlere Fluktuationszeit der Tubulenzelemente, erhält man viele, aber ruhige Einzelabbildungen. Ihre Anzahl ist durch die mit dem Bildausschnitt abgedeckten Luftzellen bestimmt und sie lassen sich zu einem gemittelten Gesamtbild überlagern. Die Methode war zwar bei Geschwindigkeitsmessungen ungenauer als Spektren, lieferte aber ein 2-D-Bild, auf dem man nach spätestens einem Jahr die Form der Explosionswolke sollte erkennen können. Allerdings war auf diese Weise ein lichtschwacher Begleiter des Sterns Beteigeuze gefunden worden, der sich wie manch anderes Ergebnis später als Fata Morgana erwies - keine allzu gute Voraussetzung, aber trotzdem eine einmalige Gelegenheit. Immerhin war die Supernova 10.000-mal heller als alle benachbarten Objekte; so sollte sich ihre Ausdehnung sicher bestimmen lassen.

Ein geheimnisvoller Fleck
Bob Williams, der Direktor des Cerro Tololo Observatory, gab Nisenson zwei Beobachtungsnächte für einen ersten Versuch. In den Aufnahmen, 30 und 38 Tage nach der Explosion, erschien die Supernova beinahe als Punktquelle, wie es zu diesem Zeitpunkt auch zu erwarten war. Aus der Auswertung der Speckle-Bilder ergab sich für die Supernova ein Durchmesser von etwa 0,012 Bogensekunden, was angesichts der Entfernung 600 AE entsprach, sowie eine Expansionsgeschwindigkeit von gut 12.000 Kilometern pro Sekunde. Dennoch war Nisenson völlig verblüfft: Die Supernova war mitnichten allein im Feld! Etwa 3000 AE neben ihr erschien ein Fleck von rund 6 mag, einem vollen Zehntel der Supernova-Helligkeit! So ein helles Objekt sollte es dort eigentlich nicht geben, und vor der Supernova war es garantiert noch nicht da. Auswertefehler ließen sich nicht finden. Ein Lichtecho dieser Helligkeit war ausgeschlossen, und zwei Supernovae am gleichen Ort im gleichen Monat waren so unwahrscheinlich, dass sie seit dem Urknall innerhalb unseres Horizonts noch nicht passiert sein sollten (siehe Bild).

Bei weiteren Beobachtungen im Juni, knapp 100 Tage nach der Explosion, war der Fleck nicht mehr zu sehen, was nach Nisenson aber gar nicht seine Existenz widerlegte. Die Supernova war inzwischen im Helligkeitsmaximum angekommen und so reduzierte sich der Kontrast des Flecks zur Unsichtbarkeit. Da der geheimnisvolle Fleck in den Aufnahmen fast auf der Projektion der Achse der Sekundärspiegelhalterung am Cerro Tololo lag, hielten Kritiker ihn jedoch für einen Beugungseffekt.

Damit war die Geschichte des Flecks aber keineswegs zu Ende. Peter Meikle und seine Kollegen vom Imperial College in London hatten 50 Tage nach der Explosion am Mount Stromlo Observatory einen Fleck ähnlicher Helligkeit beobachtet. Hier lag er allerdings etwas weiter ab von der Supernova, aber immerhin im gleichen Positionswinkel. Die Spiegelhalterung auf Mount Stromlo hatte jedoch einen anderen Winkel als diejenige des Cerro Tololo. War der Fleck also doch echt? Beide Gruppen sahen den Fleck in späteren Beobachtungen nie wieder.

Im Herbst wurde die erste große Konferenz zur Supernova 1987A abgehalten, in Fairfax nahe Washington, D. auf die alle paar Monate eine weitere Konferenz folgte. Neben rund 50 Supernova-Forschern kamen fast 400 weitere Astronomen zusammen. Drei führende Astrophysiker stellten ihre Erklärungen auf der Konferenz vor, und signalisierten, dass das Rätsel gelöst sei: James Truran von der University of Illinois, Stan Woosley aus Santa Cruz, der die Konvektion reduzierte, und Ken Nomoto aus Tokio, der nach dem Heliumbrennen den Stern durchmischte. Alle drei ernteten allerdings heftigen Widerspruch von gänzlich unerwarteter Seite.

Ein junger Doktorand vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) hielt den vierten Vortrag und bewies die Chuzpe, die Erklärungen der drei auseinanderzunehmen, und herauszustellen, wo sie mit ihren willkürlichen Ansätzen die Physik verletzten. Den erfahrenen Forschern war wohl bewusst, dass sie ohne Rücksicht auf bekannte Physik neue Ideen durchgespielt und als ernst zu nehmende Lösung vorgestellt hatten. Aber von einem unbekannten MIT-Junior namens Philipp Podsiadlowski vorgeführt zu werden, war dennoch eine besondere Erfahrung. Der Vortrag des deutschstämmigen Podsiadlowski schlug zwar ein wie eine Bombe, sollte aber bald auch Konsequenzen für seine Karriere haben.

Truran nahm den zielgerichteten Angriff mit Humor und attestierte Podsiadlowski »Gut gemacht«. Nomoto blieb schweigsam; Woosley führte mit ihm sieben Jahre lang keine Unterhaltung mehr. Nur Stuart Shapiro von der Cornell University gratulierte ihm persönlich: »Endlich sagt mal einer die Wahrheit!«


Teil 2 erscheint in Heft 8/2012.


Christian Wolf promovierte am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Seit zehn Jahren forscht er in Oxford über die Entwicklung von Galaxien sowie über Supernovae und Gammastrahlenblitze.


Literaturhinweise

Janka, H.-T., Klose, S., Röpke, F.: Supernovae und kosmische Gammablitze, Teil 1: Neue Vielfalt der Erscheinungen. In Sterne und Weltraum 3/2011, S. 30-41

Janka, H.-T., Klose, S., Röpke, F.: Supernovae und kosmische Gammablitze, Teil 2: Die allerhellsten Phänomene. In: Sterne und Weltraum 4/2011, S. 44-52

Wolf, C.: Nobelpreis für die Dunkle Energie. In: Sterne und Weltraum 12/2011, S. 28-32

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w i s - wissenschaft in die schulen

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WiS in Sterne und Weltraum
Das WiS-Material »Supernovae und ihre Überreste« betrifft den Beitrag »Meteorite und die Chemie von Supernovae«. Obwohl uns Supernovae so gewaltig erscheinen, betrifft ihre Physik zu einem großen Teil die kleinsten Bausteine der Materie. Anhand des Beitrags lässt sich eine Vorstellung für das Geschehen einer Supernova im Ganzen entwickeln. Dabei werden kernphysikalische Inhalte behandelt. (ID-Nummer: 1051528)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 35:
Im Tarantelnebel in der Großen Magellanschen Wolke wimmelt es von Überriesen. Anfang 1987 explodierte einer davon als Supernova SN1987A und überstrahlte die nähere Umgebung. In der Aufnahme von 1995 ist sie längst wieder abgeklungen.

Abb. S. 36:
In archivierten Aufnahmen war an der Stelle der Supernova ein Stern des Spektraltyps B3 Ia und einer Helligkeit von 12 mag zu erkennen: Sanduleak (Sk) -96°202. Er schien zumindest einen visuellen Begleiter zu haben, der sich aber optisch nicht klar abgrenzen ließ (links). In Beobachtungen mit dem IUE-Satelliten wenige Wochen nach der Supernova-Explosion dagegen ließen sich die Positionen von zwei lichtschwächeren Sternen (2 und 3) neben der Position der Supernova (1) bestimmen.

Abb. S. 37:
Die Supernova-Explosion setzte einen Strom von Neutrinos frei. Das Neutrino-Observatorium Kamiokande detektierte elf dieser extrem schwach wechselwirkenden Teilchen innerhalb einer Viertelminute.

Abb. S. 38:
Die Lichtkurve der Supernova 1987A stieg in den ersten 100 Tagen ungewöhnlich langsam an. Sie zeigt keine für Kernkollapssupernovae typische Plateauphase wie etwa SN 1969L.

Abb. S. 39:
Bei Speckle-Beobachtungen fanden die Astronomen ganz unerwartet einen »geheimnisvollen Fleck« (rot) mit einer Helligkeit von rund 6 mag wenige Millibogensekunden - umgerechnet etwa 3000 Astronomische Einheiten (AE) - neben der Supernova (gelb-rot). Seine Ursache sollte sich erst später klären. Die hier gezeigte Aufnahme stammt aus dem Jahr 1987, wurde aber 1999 mit einer verbesserten Methode neu ausgewertet.

© 2012 Christian Wolf, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012, Seite 34 - 39
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Internet: www.astronomie-heute.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2012