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FORSCHUNG/1357: Heiß & kalt - Gegensätze ziehen sich an (idw)


Universität Wien - 24.04.2017

Heiß & kalt - Gegensätze ziehen sich an

Nanoteilchen werden durch Temperaturunterschiede "geladen"

Elektrisch geladene Teilchen üben starke anziehende oder abstoßende Kräfte aufeinander aus. Mit Hilfe von Computersimulationen konnten WissenschafterInnen der Universitäten Cambridge und Wien um Christoph Dellago nun nachweisen, dass selbst zwischen elektrisch neutralen Nanoteilchen ganz ähnliche Kräfte wirken, falls diese kälter oder wärmer sind als die Flüssigkeit, in der sie gelöst sind. Die aktuelle Studie erscheint im Fachmagazin PNAS.

Copyright: Andela Šarić/Peter Wirnsberger/University of Cambridge

Der Temperaturunterschied zwischen einem heißen (rot) und einem kalten (blau) Nanoteilchen führt zu einer Ausrichtung der Moleküle in der umgebenden polaren Flüssigkeit.
Copyright: Andela Šarić/Peter Wirnsberger/University of Cambridge

Körper können elektrische Ladungen tragen, die in zwei Arten vorkommen - positiv oder negativ - und die zu Kräften zwischen den Körpern führen. Dabei stoßen sich gleichartige Ladungen ab, während Ladungen mit unterschiedlichem Vorzeichen einander anziehen. Diese sogenannten elektrostatischen Kräfte sind stark, wenn sich die Ladungen nahe sind und nehmen dann mit zunehmender Entfernung schnell ab. Elektrisch neutrale Körper üben hingegen keine elektrostatischen Kräfte aufeinander aus.

WissenschafterInnen der Universitäten Cambridge und Wien haben nun mit Hilfe von Computersimulationen gezeigt, dass in einer geeigneten Flüssigkeit gelöste Nanoteilchen dazu gebracht werden können sich so zu verhalten, als ob sie Ladungen tragen würden, selbst wenn sie elektrisch neutral sind. Dazu genügt es, die Teilchen im Vergleich zur umgebenden Flüssigkeit aufzuheizen oder zu kühlen. Je größer der Temperaturunterschied ist, umso stärker sind auch die Kräfte, welche mit der Entfernung genauso abnehmen wie Kräfte zwischen elektrischen Ladungen. Man kann den Nanoteilchen deshalb effektive Ladungen zuweisen, deren Vorzeichen davon abhängen, ob die Teilchen gekühlt oder aufgeheizt werden.

Dieser verblüffende Effekt kann in sogenannten polaren Lösungsmitteln wie zum Beispiel Wasser auftreten. In polaren Flüssigkeiten tragen die Moleküle ein elektrisches Dipolmoment: Sie sind auf einer Seite positiv und auf der anderen Seite negativ geladen, obwohl sie insgesamt elektrisch neutral sind. Wenn nun in der polaren Flüssigkeit gelöste Nanoteilchen aufgeheizt bzw. gekühlt werden, richten sich die Flüssigkeitsmoleküle im ungleichmäßigen Temperaturfeld um die Nanoteilchen aus. "Da in polaren Flüssigkeiten die Moleküle ein elektrisches Dipolmoment tragen, führt die Ausrichtung der Moleküle zu einem elektrischen Feld, das identisch ist mit dem einer elektrischen Ladung und somit auch mit identischen Kräften", erklärt Christoph Dellago, Physiker an der Universität Wien und einer der Autoren der Studie. Interessanterweise tritt der Effekt auch für Nanoteilchen in magnetischen Flüssigkeiten auf, sodass die Teilchen in diesem Fall effektive magnetische Monopole tragen, die ein Analogon zu den bisher nicht beobachteten elementaren magnetischen Monopolen wären.

Ihre neuen Erkenntnisse konnten die ForscherInnen der englisch-österreichischen Kooperation dank aufwändiger Computersimulationen gewinnen, welche sie am Hochleistungsrechner Vienna Scientific Cluster (VSC) durchgeführt haben. Mit Hilfe eines neuen Verfahrens, das Peter Wirnsberger, Absolvent der Universität Wien und nun Doktorand an der Universität Cambridge, entwickelt hat, ist es den ForscherInnen gelungen, das komplexe Nichtgleichgewichtsphänomen für ein Modellsystem aus mehr als 10.000 Molekülen zu simulieren und die von aufgeheizten oder gekühlten Nanoteilchen ausgeübten Kräfte eindeutig nachzuweisen.

Die praktische Bedeutung des entdeckten Effekts lässt sich noch nicht völlig abschätzen. "In Zukunft könnte man aber thermisch induzierte Wechselwirkungen etwa dazu verwenden, um durch kontrollierte Temperaturänderungen die Kräfte zwischen Nanoteilchen gezielt zu steuern und so die von ihnen gebildeten Strukturen zu beeinflussen", so Christoph Dellago. Bevor es aber so weit ist, warten die ForscherInnen aus Cambridge und Wien jedoch auf die experimentelle Bestätigung des von ihnen untersuchten Effekts.


Publikation in "PNAS":
Peter Wirnsberger, Domagoj Fijan, Roger A. Lightwood, Andela Šarić, Christoph Dellago, and Daan Frenkel: Numerical Evidence for Thermally Induced Monopoles, in PNAS 2017 (online ab 24.4.2017)
DOI 10.1073/pnas.162149411

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution84

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Stephan Brodicky, 24.04.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2017

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