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FORSCHUNG/760: Woher Materie ihre Masse bekommt (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 14.12.2010

Woher Materie ihre Masse bekommt

Teilchenphysiker der Universität Jena untersuchen in DFG-Forschergruppe ultrakalte Gase


Als Anfang des Jahres im Forschungszentrum CERN im schweizerischen Genf der weltgrößte Teilchenbeschleuniger "LHC" seine Arbeit aufgenommen hat, verfolgte nicht nur die Fachwelt gespannt die Nachrichten: In einer kilometerlangen unterirdischen Röhre rasen Elementarteilchen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu, um schließlich miteinander zu kollidieren. "Diese gewaltigen Kollisionen lassen in Sekundenbruchteilen die Materie in ihre Grundbausteine zerfallen und ermöglichen so einen Blick auf ihren Urzustand kurz nach dem Urknall", sagt Prof. Dr. Holger Gies von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Auch der Inhaber der Heisenberg-Professur für Theoretische Physik und Quantenfeldtheorie ist den Prozessen am unmittelbaren Beginn unseres Universums auf der Spur.

Allerdings untersuchen Prof. Gies und sein Team die Wechselwirkungen von Elementarteilchen nicht nur in extrem heißen Plasmen, wie sie in einem Teilchenbeschleuniger entstehen. Sie nehmen ebenso ultrakalte atomare Gase unter die Lupe und berechnen, wie sich Materieeigenschaften kollektiv ändern können. "Uns interessiert dabei vor allem, wie Materie ihre Masse bekommt. Die Mechanismen im frühen Universum haben dabei verblüffende Ähnlichkeit mit der Kondensation von ultrakalten Gasen in kollektive Quantenzustände", sagt Prof. Gies. Dabei werden die Teilchenphysiker von der Uni Jena von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt: Soeben hat die DFG die deutschlandweite Forschergruppe "Funktionale Renormierungsgruppe für korrelierte Fermion-Systeme" verlängert, an der auch das Team um Prof. Gies beteiligt ist. In den kommenden drei Jahren fließen rund 1,5 Millionen Euro in die Arbeiten der Forschergruppe, 200.000 davon nach Jena.

Als Fermionen bezeichnen die Physiker eine Gruppe von Elementarteilchen, aus denen sämtliche Materie aufgebaut ist. Zu ihnen gehören z. B. Elektronen und Quarks, aber auch ganze Atome können fermionische Eigenschaften haben. "Die induzierten Wechselwirkungen zwischen den Fermionen bezeichnen wir als Korrelationen", erläutert Prof. Gies. "Sie sind verantwortlich für die Eigenschaften der Materie, die aus den Fermionen aufgebaut ist." Mit ihren Berechnungen versuchen die Jenaer Physiker Messungen an Atomgasen zu verstehen, die im Temperaturbereich von Nanokelvin gewonnen werden - bei etwa minus 273 °C. Das sind die tiefsten Temperaturen des gesamten Universums. "Anders als in Beschleunigerexperimenten lassen sich bei diesen Temperaturen die Korrelationen zwischen den fermionischen Atomen nahezu störungsfrei untersuchen", erläutert Prof. Gies. "Noch lieber wäre uns zwar ein direkter Zugang zum frühen Universum, aber unsere theoretischen Konzepte machen es möglich, Rückschlüsse über diese Zeit vor 13 Milliarden Jahren aus heutigen Laborexperimenten zu ziehen."

Im Rahmen der DFG-Forschergruppe geht es nun darum, eine mathematische Methode weiterzuentwickeln - die "Funktionale Renormierung" -, mit der sich die Korrelationen der Fermionen quantitativ beschreiben lassen. Neben dem Team der Uni Jena sind auch Wissenschaftler der Unis in Heidelberg, Stuttgart, Frankfurt/M. und Aachen an der Forschergruppe beteiligt.

Weitere Informationen zur DFG-Forschergruppe "Funktionale Renormierungsgruppe für korrelierte Fermion-Systeme" sind zu finden unter:
www.thphys.uni-heidelberg.de/~joerg/for723/

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Ute Schönfelder, 14.12.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2010